Protokoll der Sitzung vom 24.02.2011

Wie Sie wissen, fordert DIE LINKE einen Regelsatz von 500 Euro. Dass dieser auch finanzierbar ist, haben wir bereits in diversen Schriften publiziert und auch schon hier in der Debatte dargestellt, aber so anmaßend, wie Sie es wahrscheinlich bezeichnen würden, sind wir ja nicht einmal in unserem Antrag. Wir orientieren uns in unserer Forderung an den Forderungen der Sozialverbände, das heißt also, noch deutlicher muss ich dann auch nicht weitere ablehnende Begründungen zum Änderungsantrag der CDU formulieren. Der Kompromiss, der auf Bundesebene geschlossen wurde, ist faul. DIE LINKE erachtet diesen geschlossenen Kompromiss auch als verfassungswidrig, und insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen, spricht auch inhaltlich alles gegen Ihren Änderungsantrag, falls doch irgendjemand der Kollegen der CDU zuhören möchte!

(Abg. Frau A l l e r s [CDU]: Machen wir doch! – Abg. K a s t e n d i e k [CDU]: Dazu müssten Sie erst einmal etwas sagen, nicht nur reden!)

Wunderbar, jetzt habe ich wieder Ihre Aufmerksamkeit!

Aber formal finden wir es auch nicht richtig, dass Sie einen Änderungsantrag eingebracht haben, besser gesagt, Sie haben ja einfach Ihren Dringlichkeitsantrag umformuliert, haben Änderungsantrag darüber geschrieben, nur damit noch in dieser Parlamentswoche eine Behandlung gesichert ist, was natürlich bei den Umfragewerten, die Ihre Partei zurzeit hat, und auch bei der eindeutigen Ablehnung der Bundespolitik auch verständlich ist. Die CDU versucht natürlich einen kleinen Jubel für den Wahlkampf für sich zu organisieren. Pech nur, dass wir mit unserem Antrag von dem Handlungsspielraum der Landesregierung im SGB XII gesprochen haben und nicht in erster Linie von der Regelsatzerhöhung, die auf Bundesebene in erster Linie für das SGB II festgelegt worden ist! Somit sind wir auch wieder zurück beim Thema, und zwar bei unserem Antrag.

In Paragraf 28 des Sozialgesetzbuchs XII „Regelbedarf, Inhalt der Regelsätze ist vorgesehen, dass die Höhe der monatlichen Regelsätze durch Rechtsverordnung den Landesregierungen obliegt. Es gibt ein wunderbares Beispiel, und zwar München. München macht es vor, hier gibt es höhere kommunale Regelsätze, und wenn wir uns den Armuts- und

Reichtumsbericht der Arbeitnehmerkammer anschauen,

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Höhere Lebenshaltungskosten in München! Das ist doch die Begründung!)

dann wissen wir ausdrücklich, dass wir auch hier in Bremen Maßnahmen zur Bekämpfung von Altersarmut ergreifen müssen und können. Der Senat hat schon ein wenig reagiert, und zwar hat er im Vorgriff auf die damals noch anstehenden bundesgesetzlichen Änderungen bereits zum 1. Januar 2011 im SGB XII einen höheren Regelsatz in den Bedarfsstufen 1 und 2 ausgezahlt. Also, es ist möglich, und es wurde auch schon eine Entscheidung getroffen. 12 500 Personen würden in Bremen davon profitieren, in Bremerhaven 4 900 Personen. Warum können wir uns also nicht gleich an den Forderungen der Sozialverbände orientieren und einen ordentlichen Regelsatz im SGB XII, dort, wo wir einen Handlungsspielraum haben, festlegen? – Vielen Dank!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Frehe.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der hier zur Abstimmung gestellte Antrag der LINKEN ist in seinem zweiten Teil, auf einen armutsfesten und bedarfsgerechten Regelsatz hinzuwirken, überflüssig. Die Bürgerschaft hat bereits auf Initiative der Grünen hin im Dezember des letzen Jahres Entsprechendes gefordert, und der Senat ist, wie Sie sicher auch den Zeitungen entnehmen konnten, stets in diese Richtung aktiv geworden und hat hier darauf gedrängt, dass ein bedarfsgerechter Regelsatz auch erreicht wird. Unsere Finanzsenatorin hat, anders als es üblicherweise von Finanzministern üblich ist, wie eine Löwin dafür gekämpft, dass in den Verhandlungen des Vermittlungsausschusses ein bedarfsgerechter Regelsatz erreicht wird. Es ist also überflüssig, hier noch einmal den Senat dazu aufzufordern.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Nun zum ersten Teil Ihres Antrags: Der in der Nacht zum Sonntag gefundene und gestern festgeklopfte Kompromiss zwischen den Ministerpräsidenten und der Bundesregierung, den Regelsatz rückwirkend ab 1. Januar um fünf Euro und um drei Euro im nächsten Jahr zu erhöhen, ist nach Auffassung der Grünen, wie Sie auch der heutigen Meldung im „WeserKurier“ entnehmen können, völlig unzureichend. Die Regelsatzberechnung der Bundesregierung und ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

damit ihre Berechnungstricks halten einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand. Die Grünen sind daher am Sonntagabend aus den Verhandlungen ausgestiegen, weil sie nicht noch einmal für einen offensichtlich verfassungswidrigen Regelsatz verantwortlich sein wollen.

(Abg. D r. B u h l e r t [FDP]: Wussten Sie das damals schon?)

Sonst hätte das Bundesverfassungsgericht ja nicht diese Vorgaben gemacht!

An dieser Haltung wird sich auch nichts ändern, bis das Bundesverfassungsgericht erneut die Berechnung überprüft, und davon gehen wir aus. Weil wir das Ergebnis der Verhandlungen in der Koalition an diesem Punkt allerdings etwas unterschiedlich beurteilen, werden wir uns als Bundesland Bremen im Bundesrat der Stimme enthalten. Im Übrigen, auch Herr Bürgermeister Böhrnsen und Herr Gabriel, aber auch Frau Schwesig als Verhandlungsführerin haben Zweifel an der Berechnung des Regelsatzes geäußert. Dem CDU-Antrag, mit dem der Senat zur Zustimmung verpflichtet werden soll, also jetzt dem Änderungsantrag, können wir daher nicht zustimmen.

Der von der LINKEN geforderte Regelsatz von 420 Euro für alle Bezieherinnen und Bezieher von Grundsicherungsleistungen für alte und erwerbsgeminderte Menschen kommt in seiner Höhe dem nahe, was sich ergibt, wenn man die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts für die Berechnung berücksichtigt. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat das ja modellhaft dargelegt, wir haben dies daher auch als Forderung in unser Wahlprogramm geschrieben. Wir Grüne haben diese Forderung auf Bundesebene in den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss aber nicht durchsetzen können, das ist nun einmal die klare Wahrheit.

Als klar wurde, dass CDU und FDP absolut nicht bereit sind, eine verfassungskonforme Regelung anzustreben, und weil sie weitgehend an ihrer vorliegenden Berechnung festhalten, die weder transparent, noch nachvollziehbar und schon gar nicht bedarfsgerecht ist, sind wir Grüne aus den Verhandlungen ausgestiegen. Auf Bundesebene ist also das Ziel verfehlt worden. Nun schlagen Sie vor, dass wir auf Landesebene einen solchen Regelsatz verankern.

(Glocke)

Gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Röwekamp? – Bitte, Herr Kollege!

Herr Kollege Frehe, habe ich Sie eben richtig verstanden, dass Sie der Auffassung sind, dass der unter der Leitung des Präsidenten des Senats, Bürgermeister Böhrnsen, im Vermittlungsausschuss gefundene und gebilligte Kompromiss verfassungswidrig ist?

Sie haben mich richtig verstanden, dass der Regelsatz, wie er von der Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten ausgehandelt worden ist, nach unserer Auffassung verfassungswidrig ist. Das haben Sie richtig verstanden. Der Kompromiss umfasst ja mehrere Teile, und in Abwägung der verschiedenen Anteile dieses Kompromisses ist die SPD zu einem anderen Ergebnis gekommen als wir als Koalitionspartner. Solche Fälle haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, dass sich das Land Bremen enthält.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Herr Kollege Frehe, gestatten Sie eine weitere Frage des Abgeordneten Röwekamp? – Bitte, Herr Kollege!

Noch einmal unter uns Juristen, weil ich den Vorwurf, dass der Bremer Bürgermeister einer Lösung zustimmt, die verfassungswidrig ist, nicht für unerheblich halte! Es mag sein, dass auch andere Begleitumstände dieses Kompromisses am Ende zur Zustimmung Bremens durch den Bürgermeister geführt haben, aber sind Sie wirklich der Auffassung, dass der Bremer Bürgermeister einer verfassungswidrigen Erhöhung der Regelsätze zugestimmt hat?

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Das kann ja doch nur das Verfas- sungsgericht beurteilen!)

Ich bin der Auffassung, dass die Bundesregierung, die durchaus von Juristen durchsetzt ist, einer verfassungswidrigen Lösung zugestimmt und uns aufgenötigt hat. Das ist das Problem!

Und der Bremer Bürgermeister auch? Hat der Bürgermeister denn zugestimmt?

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Haben wir hier eine Debatte?)

Herr Kollege Röwekamp, Sie können eine Kurzintervention machen! Oder, Herr Kollege Frehe, gestatten Sie eine weitere Frage des Abgeordneten Röwekamp?

Nein! Die Situation ist doch folgende: Die Bundesregierung war nicht in der Lage, eine saubere Berechnung des Regelsatzes vorzulegen. Das ist doch das Problem! Dann hat es im Vermittlungsausschuss wirklich alle Bemühungen gegeben, die Bundesregierung von dieser Position abzubringen, aber es ist nicht erfolgreich gewesen, das muss man so schlicht

sagen, und dann muss man auch den Misserfolg anerkennen. Ich glaube in der Tat, dass dieser Regelsatz beim Bundesverfassungsgericht landen wird. Das Landessozialgericht Hessen hat bereits Anstalten vorbereitet, einen Vorlagebeschluss beim Bundesverfassungsgericht zu machen, und ich sehe dem Ergebnis mit Spannung entgegen. Also, noch einmal zurück!

(Glocke)

DIE LINKE erwartet von uns, dass wir hier in Bremen für das Land Bremen und ausschließlich für die Alten und Erwerbsgeminderten einen Regelsatz von 420 Euro festlegen. Das Recht haben wir. Es wäre richtig, diesen Regelsatz zu nehmen, aber es macht keinen Sinn, diesen ausgewählten Personenkreis, der nicht einmal 10 Prozent der Bezieherinnen und Bezieher von Grundsicherungsleistung umfasst, hier um 50 Euro besserzustellen als die Übrigen. Das geht schlicht nicht. Das ist politisch naiv, oder es ist populistisch. Deswegen werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Bartels.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stimmen der Forderung der LINKEN, wie schon oft in diesem Hause erklärt, ausdrücklich nicht zu. Die Höhe der Regelsätze der LINKEN fußt weder auf verlässliches empirisches Datenmaterial noch beachtet es das Lohnabstandsgebot, ganz zu schweigen von der Finanzierbarkeit, von der nicht mit einem einzigen Wort in diesem Antrag die Rede ist. Deshalb haben wir einen Änderungsantrag eingebracht, der die Beschlusspunkte 1 und 2 des Antrags der LINKEN ersetzt durch: „Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf, dem Kompromisspaket zur Neuregelung der Hartz-IV-Sätze im Bundesrat zuzustimmen.“

Meine Damen und Herren, Rot-Grün hatte ja damals in der Regierung Schröder erst die Regelsätze so pauschal festgelegt, die Regelsätze, die im vergangenen Jahr vom Bundesverfassungsgericht kassiert wurden nicht ausdrücklich der Höhe nach, sondern das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil bestätigt, dass die Einkommens- und Verbrauchsstatistik, die das Statistische Bundesamt alle 5 Jahre für diese Methode erhebt, die geeigneten empirische Daten liefert.

(Abg. F r e h e [Bündnis 90/Die Grünen]: Eine mögliche!) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. (A) (C)

Gerügt hat das Gericht hingegen die mangelnde Transparenz der Berechnungen, mit denen der damalige Gesetzgeber aus diesem Datenpool die Regelleistungen abgeleitet hat, Schätzungen ins Blaue, willkürliche Abschläge oder unbegründete prozentuale Kürzungen seien unzulässig. Das Gericht bestätigte, die Festlegung des Leistungsumfangs sei alleinige Aufgabe des Gesetzgebers. Das Urteil verlangt eine klare Definition der Referenzgruppe zur Bemessung, nachvollziehbare Wertentscheidungen darüber, welche der 230 Ausgabepositionen in den Haushaltsbüchern der Einkommens- und Verbrauchsstatistik regelsatzrelevant sind und welche nicht, eine eigenständige Ermittlung der Regelleistungen für Kinder und Jugendliche, die sich an deren jeweiligen Entwicklungsphasen orientieren und die Entwicklung einer sachgerechten Systematik für die jährliche Anpassung der Regelleistungen.

Der jetzt, zugegeben in sehr schwierigen und anstrengenden Verhandlungen gefundene Kompromiss zur Neuregelung beruht auf einer transparenten Berechnung der Hartz-IV-Sätze und sieht eine Erhöhung für die 4,7 Millionen erwachsenen HartzIV-Empfänger in zwei Schritten vor. Zunächst wird der Regelsatz rückwirkend zum 1. Januar 2011 um fünf Euro und ab 2012 um drei Euro zusätzlich zu einer regulären an Lohnentwicklung und Inflation orientierten Anpassung erhöht.

(Abg. Frau N i t z [DIE LINKE]: Das ist doch Quatsch, das wissen Sie doch!)

Darüber hinaus sollen 2,5 Millionen Kinder nicht nur von Hartz-IV-Empfängern, sondern auch von Geringverdienern von einem Bildungspaket profitieren, das dazu beitragen soll, dass Kinder nicht in Armut aufwachsen müssen. Der Zugang zu Bildungs-, Freizeit- und Sporteinrichtungen ist elementarer Bestandteil der langfristigen Bekämpfung von sozialer Benachteiligung von Kindern. Das Bildungspaket umfasst insgesamt rund 1,6 Milliarden Euro, und das ist eine wirklich gute Nachricht, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU)

Damit kann zukünftig Kindern und Jugendlichen beispielsweise die Mitgliedschaft in Sportvereinen ermöglicht werden. Es beinhaltet Mittel für Nachhilfekosten, einen Zuschuss zum Mittagessen für Kindergarten-, Schul- und Hortkinder sowie Mittel für Sozialarbeiter an Schulen. Das alles ist insbesondere im bremischen Interesse, da wir in besonderem Maße von Kinderarmut und sozialer Benachteiligung in unseren beiden Städten betroffen sind.

Der Kompromiss sieht zudem eine Entlastung der Kommunen durch den Bund bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Höhe von 12,2 Milliarden Euro allein bis 2015 vor.

Ferner sind Mindestlöhne im Wachgewerbe, in der Weiterbildungsbranche sowie in der Leiharbeit Teil dieses Kompromisses. Insgesamt überweist der Bund in Stufen bis zum Jahr 2014 rund 58 Millionen Euro an Bremen für Mittel der Grundsicherung. Das ist überhaupt kein Pappenstiel. Noch einmal zur Erinnerung: Die Kosten der Grundsicherung hatte damals Rot-Grün auf die Kommunen abgewälzt.

(Abg. F r e h e [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist doch nicht wahr!)

Frau Linnert schlägt dieses dringend benötigte Geld aus parteitaktischen Erwägungen einfach aus, weil sie und die Grünen Verfassungsbedenken haben. Ihr Koalitionspartner hat dies offenbar nicht. Herr Böhrnsen würde dem Kompromiss, an dem er selbst gestern beteiligt war, am liebsten zustimmen. Frau Rosenkötter begrüßt den Kompromiss, er schaffe nun Klarheit. Herr Böhrnsen als Vorsitzender des Vermittlungsausschusses hat gestern daran direkt mitgewirkt. Heute sagen ihm seine Bremer Grünen: Wir sind dagegen, weil wir Bedenken haben. Wie steht Ihr Bürgermeister nun da?

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Sie haben doch auch Koalitions- erfahrung! – Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Aber am Ende zählt bremisches Interesse, nicht grünes!)