Protokoll der Sitzung vom 25.04.2012

Wenn wir jetzt in einer veränderten arbeitsmarktpolitischen Situation sind – und das sind wir! –, dann lohnt es sich, glaube ich, noch einmal ganz intensiv dieses Thema konkret an der Sache und mit der Wirtschaft an bestimmten Punkten zu bearbeiten. Ich will noch einmal sagen, das, was Eurogate damals mit der Aufstockung seines Personals aus dem Bereich der Langzeitarbeitslosen oder was die BSAG mit Bürgerarbeit gemacht haben, sind beispielhafte Dinge. Ich glaube, wenn wir es heute hinbekommen, das mit privaten Arbeitgebern im Handwerksbereich ähnlich zu machen, dann ist das gut, und dann sollten wir das gemeinsam machen.

Alle Bedenken, die geäußert worden sind, muss man, finde ich, aufnehmen, im Prozess kontrollieren und auch immer in einer intensiven Diskussion mit dem Ressort, mit den Bildungsträgern und mit den Arbeitgebern bleiben, damit dort nicht Missbrauch betrieben wird. Ich glaube aber, dass das beherrschbare Dinge sind, und wir sollten versuchen, in diesem Prozess nicht die Bedenken in den Vordergrund zu stellen, sondern die Chancen, weil das am besten für uns und vor allen Dingen auch für die Betroffenen ist. – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Senator Günthner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herzlichen Dank für diese engagiert geführte Debatte, die auch in ihrer argumentativen Breite durchaus die Problemlagen, die wir am Arbeitsmarkt haben, aufnimmt. Es gibt eben keine einfachen und keine schnellen Antworten. Deswegen versuchen wir ja gerade, mit diesem im ersten Schritt auf 30 Personen begrenzten Pilotvorhaben dazu beizutragen und herauszufinden, ob das funktionieren kann. Das hat viel damit zu tun, dass der Impuls direkt – Herr Strohmann ist darauf dankenswerterweise eingegangen – von der Handwerkskammer, von den Handwerkern, vom organisierten Handwerk in Bremen gekommen ist.

Sie haben gesagt, wenn wir uns vor Augen führen, dass wir es auf der einen Seite in bestimmten Bereichen mit einem Fach- und Arbeitskräftemangel zu tun haben und steigende Bedarfe bei Unternehmen haben, insbesondere wenn man sich die konjunktu

relle Lage im Handwerk anschaut, und wir uns auf der anderen Seite die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit anschauen, dann muss es doch Möglichkeiten geben, im engen Zusammenspiel zwischen öffentlicher Hand auf der einen und Handwerksbetrieben auf der anderen Seite mehr Menschen, die über das normale Instrumentarium, das wir bisher an vielen Stellen eingesetzt haben, nicht den Zugang wieder zum Arbeitsmarkt gefunden haben, an Unternehmen heranzuführen und denen damit die Möglichkeit zu geben, einen Einstieg zu bekommen und damit dann wiederum auch wechselseitig für uns alle Erfolge zu generieren. Deswegen haben wir uns auf diesen Weg gemacht.

Ich sage ganz deutlich, weil ich bei der Diskussion immer das Gefühl habe, dass immer so getan wird, als gäbe es immer nur den einen Weg oder den einen Wurf und die eine Lösung, die man finden muss, wenn man nur lange genug sucht, um dann Menschen, die arbeitslos sind, wieder an Arbeit heranzuführen, es gibt nicht diese eine Lösung, nicht diese eine Strategie. Es gibt ganz viele kleine unterschiedliche Bausteine, die wir nutzen müssen, bei denen wir immer wieder im Blick behalten müssen, welche Voraussetzungen bei einzelnen Menschen vorhanden sind und welche Bedarfe es wiederum am Arbeitsmarkt gibt.

Deswegen reiht sich dieses Pilotvorhaben, das hier jetzt als Bremer Modell bezeichnet wird, in das ein, was wir bisher insgesamt sehr erfolgreich im Bremer Konsens gemacht haben, nämlich uns mit Akteurinnen und Akteuren zusammenzusetzen und nicht übereinander, sondern miteinander zu reden und miteinander nach Lösungen für einzelne Themen zu suchen, wie es im Ausbildungsbereich, im Weiterbildungsbereich und auch beim Stichwort Übergangsmanagement, wo es ja auch um Altauszubildende und um die Frage geht, wie man sie wiederum an eine Ausbildung heranführen kann, funktioniert hat, und das auch für diesen Bereich zu machen. Möglicherweise gelingt uns dann ein Baustein in einer ganzen Kette von Bausteinen, die dazu beitragen können, Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen und an den Arbeitsmarkt heranzuführen.

Natürlich sind die Rahmenbedingungen – das will ich nicht verhehlen! – ausgesprochen kompliziert, denn, ohne diese Debatte hier aufmachen zu wollen, wenn man feststellt, dass wir in vielen Teilen der Bundesrepublik, aber auch in Bremen auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Situation vorfinden, in der nach Arbeitskräften gesucht wird, wir gleichzeitig aber daneben noch einen großen Teil Langzeitarbeitsloser haben – und das ist auch nicht nur ein Bremer Problem, das mit Strukturwandel und all diesen Themen zutun hat –, dann ist es natürlich ein Fehler, die Arbeitsmarktmittel in dem Maß zu reduzieren, wie das vonseiten der Bundesregierung in den vergangenen Jahren gemacht worden ist. Das geht nämlich daran vorbei, dass wir ganz gezielt dort, wo es Proble

me gibt, schauen müssen, wie wir die Menschen in Beschäftigung bekommen können. Das ist natürlich auch bei diesem Pilotvorhaben erschwerend.

Trotzdem – und ich bin Herrn Reinken für diesen Hinweis sehr dankbar – ist es die Frage, ob man immer über die Probleme und über die Krise redet oder ob man nicht auch die Chance ergreifen muss zu sagen, wenn wir diesen Impuls aus der Wirtschaft, aus dem organisierten Handwerk haben, die sich das zutrauen, die sagen, wir glauben, dass das etwas werden kann, das funktionieren kann, dann ist dieser Impuls auch entsprechend aufzunehmen, weil er für beide Seiten erfolgreich sein kann. Man sollte diesen Impuls nutzen und nicht nur über die Probleme und über die schwierigen Themen reden, sondern die Herausforderung, die darin steht und zu finden ist, annehmen, um dann festzustellen, ob das aufgeht oder nicht.

Die Experten sagen – es wird immer über Klebeeffekte gesprochen –, sie gehen davon aus, dass natürlich Klebeeffekte gegeben sind und am Ende auch Menschen eine Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt finden werden. Insofern ist das ein Baustein in einer ganzen Kette von Versuchen, Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit zu bekommen und an den ersten Arbeitsmarkt heranzuführen.

Insofern bin ich der Koalition beziehungsweise der SPD-Fraktion für diese Große Anfrage dankbar, weil sie dieses Pilotvorhaben deutlich machen kann. Ich denke, dass wir im weiteren Verlauf auch sehen werden, dass die einen oder anderen Bedenken, die vorhanden sind, sich dann auch zerstreuen lassen werden. Ich hoffe jedenfalls, dass es uns gelingt, damit Menschen weiter an den Arbeitsmarkt heranzuführen. – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats, Drucksache 18/331, auf die Große Anfrage der Fraktion der SPD Kenntnis.

Sexuellen Missbrauch von Menschen mit Behinderung bekämpfen

Große Anfrage der Fraktion der CDU vom 16. Februar 2012 (Drucksache 18/249)

D a z u

Mitteilung des Senats vom 27. März 2012

(Drucksache 18/323)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Stahmann, ihr beigeordnet Herr Staatsrat Frehe.

Gemäß Paragraf 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort, Drucksache 18/323, auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.

Ich gehe davon aus, Frau Senatorin Stahmann, dass Sie die Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU nicht mündlich wiederholen möchten. – Das ist der Fall.

Ich frage, ob in eine Aussprache eingetreten werden soll. – Das ist der Fall.

Die Aussprache ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Grönert.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Thema „Sexuellen Missbrauch von Menschen mit Behinderung bekämpfen“ ist nicht neu, aber es ist, so, wie die Debatte über den sexuellen Missbrauch und Gewalt im Allgemeinen, ein Dauerbrenner. Trotzdem dürfen wir uns nicht davon abhalten lassen, das Problem immer wieder zu thematisieren. Nur so ist gewährleistet, dass unsere Gesellschaft das übergreifende und selbstsüchtige Verhalten der Täter ächtet und nach Wegen sucht, möglichst viele solcher Taten zu verhindern. Dieses Thema wird allerdings auch ein Dauerbrenner bleiben, wir werden es leider niemals aus der Welt schaffen können. Trotzdem kann vieles getan werden, um mögliche Opfer zu stärken, zu schützen oder, sollte es trotz aller Vorsorge zu Übergriffen kommen, sie in ihrer Not zu begleiten.

Sexueller Missbrauch beginnt meistens im Kleinen und selten direkt mit einer Vergewaltigung. Menschen mit Behinderung, die in irgendeiner Weise, gerade aber im pflegerischen Bereich, von anderen abhängig sind, haben es eigentlich immer schwer, sich abzugrenzen. Sie sind in vielen Situationen nicht in der Lage, so selbstbestimmt handeln zu können, wie sie es gern möchten. Ja, manche wissen nicht einmal, was sie möchten, denn sie hatten nie eine Chance, es zu lernen.

Aus der Studie „Lebenssituation und Belastung von Frauen mit Beeinträchtigungen und mit Behinderungen in Deutschland“ der Universität Bielefeld geht hervor, dass die Belastung für Frauen, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe leben, besonders hoch ist. Hier kann noch einiges mehr getan werden, besonders im Bereich der Vorsorge.

In der Antwort des Senats auf unsere Große Anfrage steht, dass es einer der erfolgversprechendsten Ansätze sei, dem Problem zu begegnen, wenn Menschen mit Behinderung für das Thema sensibilisiert werden und es ihnen ermöglicht wird, ihre Sexualität auszuleben. Wie schwer das ist, wie viel Arbeit das macht und wie viele Fallstricke das in einer Wohneinrichtung für alle mit sich bringt, steht nicht ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

in dem Text. Mit diesem Problem kann man aber die Bewohner und auch die Betreuer nicht allein lassen!

(Beifall bei der CDU)

Schulungen und entsprechende sensibilisierende Gespräche für Mitarbeiter und natürlich auch für Bewohnerinnen und Bewohner von Einrichtungen sollten nach meiner Meinung regelmäßig und wenigstens ab und an einmal verpflichtend angeboten werden. Doch auch hier ist es so, dass das, was Sie in Ihrer Antwort so gut klingend beschrieben haben, in der Praxis nur eine kleine Rolle spielt. Schattenriss zum Beispiel bemüht sich auch sehr um diesen Bereich, aber sie können sich nur ganz am Rand darum kümmern, da sie offiziell gar nicht dafür eingesetzt sind und dementsprechend dafür auch keine Kapazitäten frei haben.

Nicht nur Gewalt an Frauen, in welcher Form auch immer, ist in der Arbeit der Behindertenhilfe ein Problem, natürlich gehören auch Männer zu den Opfern. Wir sollten niemanden aus dem Blick verlieren, wenn wir über Verbesserungen in diesem Bereich nachdenken. In der Antwort des Senats auf die Große Anfrage werden einige Einrichtungen genannt, die allgemein zu sexueller Gewalt beraten. Für die Männer gibt es da aber so gut wie gar nichts. Lediglich für Kinder und jugendliche Männer gibt es das Angebot des Bremer Jungenbüros mit seiner guten Arbeit. Die älteren Männer, die durch ihr Abhängigkeitsverhältnis auch Beratung und Hilfe bräuchten, scheint es nicht zu geben.

Die Einrichtungen und Beratungsangebote für Frauen, die in der Antwort auf die Große Anfrage genannt werden, sind den Einrichtungen in der Praxis bei Weitem nicht so präsent, wie man anhand der Antwort den Eindruck gewinnen könnte. Auch die Nutzung dieser Angebote vonseiten der Bewohnerinnen und Bewohner von Einrichtungen findet so gut wie nicht statt. Entweder wissen sie nichts davon, oder sie kommen nicht dorthin, und wenn, dann kommen sie bei manch einer Einrichtung gar nicht hinein, weil sie schon am Eingang von den ersten Treppenstufen daran gehindert werden. Soviel zum Thema barrierefreies Bremen! Im Zusammenhang mit einem Zeitungsartikel, der unsere Große Anfrage und die Antwort des Senats zum Thema hatte, bekam ich einen Anruf von einem Vater, dessen Tochter in einer Einrichtung lebt. Bei allem, was er mir erzählt hat, will ich mit einer Bewertung vorsichtig sein. Doch eines hat mich erschreckt, trotz seines langen Kampfes für seine Tochter, die in ihrer Einrichtung anscheinend immer wieder von Mitbewohner belästigt und von Pflegepersonal unsensibel behandelt wird, wusste er nichts von all den Beratungsangeboten. Ich habe ihn am Telefon an Schattenriss und pro familia verwiesen. In der Antwort auf Frage 9 steht übrigens: „Beratungs- und Gesprächsangebote gibt es grundsätzlich

durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtungen. Wenn es keine speziellen Beratungsangebote in der Einrichtung gibt, werden die Betroffenen an Schattenriss oder pro familia weitervermittelt.“

(Beifall bei der CDU)

Ich verstehe das so, dass eigentlich nie weitervermittelt wird, denn Mitarbeiter gibt es eigentlich immer in den Einrichtungen. Manchmal sind sie aber auch Teil des Problems, oder sie nehmen die Probleme der Betroffenen nicht so ernst. Jedenfalls kann es nicht sein, dass Betroffene lediglich auf die wohlwollende Weitervermittlung durch Mitarbeiter angewiesen sind, dazu müssen die Einrichtungsbewohner die Hilfsangebote und auch ihre Rechte kennen. Dazu braucht man Ansprechpartner, die es aber in den Einrichtungen für diesen Bereich, in dem es um Gewalt und sexualisierte Gewalt im Speziellen geht, kaum gibt.

Mit Blick auf die angestrebte Ambulantisierung der Betreuung wird das Problem bestimmt nicht kleiner. Es sollte aber mit der Erlangung von mehr Selbstständigkeit in einer eigenen Wohnung auch die Möglichkeit zur Selbstbestimmung größer werden. Das ist ja der Sinn des Ganzen.

(Beifall bei der CDU – Glocke)

Ich komme zum Schluss!

Menschen, die Unterstützung bei der Körperpflege brauchen, und Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung können dieses Recht auf Selbstbestimmung, egal, wo sie leben, auch nur unter guten Bedingungen umsetzen. Diese Bedingungen müssen als Rahmen politisch unterstützt, ermöglicht werden, und dann müssen wir die Umsetzung von denen, die in der Behindertenhilfe tätig sind, auch einfordern. Da gibt es noch eine Menge zu tun. – Danke!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Timke.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Obwohl seit Mitte der Neunzigerjahre der sexuelle Missbrauch von Menschen, insbesondere mit geistiger Behinderung, vermehrt Gegenstand fachlicher Publikationen ist, wird diese Problematik gesellschaftlich nach wie vor tabuisiert. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir uns hier und heute mit diesem bedrückenden Thema auseinandersetzen.

Lassen Sie mich bitte zu Beginn meiner Rede mit einem Zitat, das ich der Internetseite www.missbrauchopfer.info entnommen habe und das die in der Gesellschaft nach wie vor überwiegenden Vorstellungen zu diesem Thema zutreffend widerspiegelt, beginnen – ich zitiere –: „Behinderte Menschen werden

weniger anerkannt als Opfer von sexuellem Missbrauch und Gewalt, weil die allgemeine Vorstellung der Gesellschaft darin besteht, dass behinderte Menschen unattraktive, geschlechtslose, sexual neutrale Wesen seien. Es erscheint unfassbar, dass ein Mensch mit Behinderung Opfer von sexueller Gewalt sein kann.“ Wir dürfen unsere Augen nicht davor verschließen, dass sexuelle Gewalt gegenüber behinderten Menschen im erhöhten Maße Realität ist!

Laut der neusten repräsentativen Studie mit dem Titel „Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigung und Behinderung in Deutschland“, die von der Universität Bielefeld durchgeführt wurde, sind Frauen mit Behinderung viel häufiger Opfer von Gewalt als nicht behinderte Frauen. Sie sind zwei- bis dreimal häufiger sexuellem Missbrauch in der Kindheit und Jugend ausgesetzt als der weibliche Bevölkerungsdurchschnitt. Mit 58 bis 75 Prozent erlebten auch im Erwachsenenalter fast doppelt so viele geistig behinderte Frauen körperliche Gewalt als Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt.