Protokoll der Sitzung vom 26.04.2012

dann haben Sie die ganze Sache nicht verstanden.

Jetzt kommt die zweite Merkwürdigkeit! Sie treten hier auf und sagen, ja, das halbe Prozent, das Bremen mehr bezahlt, ist sozusagen das Misstrauen der Finanzmärkte in das Land Bremen.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist Quatsch!)

Das ist auch völliger Unsinn! Wir bezahlen nicht mehr als Bayern.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen – Abg. D r. G ü l d n e r [Bünd- nis 90/Die Grünen]: Ja, genau!)

Wissen Sie, warum Bremen ein halbes Prozent mehr bezahlt? Weil diejenigen internationalen Investoren, die diese Anleihen kaufen, den Bund kennen! Sie haben mit dem Bund, mit den Bundesanleihen, einen großen Markt. Für diese Großinvestoren ist es wichtig, dass dieser Markt tief ist, dass sie den Partner kennen, und deshalb hat der Bund diesen großen Vorteil. Die Länder, Bremen und auch andere, sind international nicht in diesem Maß bekannt. Das Volumen der Anleihen, die sie emittiert haben, ist gar nicht so groß, dass es die internationalen Investoren interessiert, und deshalb bezahlen wir das halbe Prozent mehr. Das ist der Grund!

Wenn wir jetzt zu diesem Punkt kommen und sagen, wir fassen die Länder und den Bund zusammen, dann ist das keine Verschlechterung der Bonität des Bundes, sondern aus der Sicht der internationalen Investoren erhöht sich das Volumen, in das sie investieren können, und wir können im vollen Umfang auch davon profitieren.

Sie haben Hans Eichel genannt! Ja, ich finde, es war von ihm damals eine katastrophale Entscheidung, aber die Sache hat noch eine Pointe. Mit Ausnahme Bayerns haben damals alle Bundesländer, auch die CDU-Länder, diesem Huckepackverfahren eigentlich schon einmal zugestimmt.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Was fordern Sie jetzt? Sie fordern von uns Sparsamkeit, und da wird es wirklich grell. Wir zahlen ein halbes Prozent mehr, als wir müssten. Bei 20 Milliarden Euro Schulden sind das 100 Millionen Euro im Jahr, die wir an Finanzinvestoren bezahlen, ohne dass wir

es müssten. Das wollen Sie beibehalten, und das nennen Sie Sparpolitik. Das ist genau das Gegenteil! – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Bürgermeister Böhrnsen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich finde es sehr schön, dass einige ökonomische Sachverhalte hier erklärt werden, vor allen Dingen für die, die davon noch nichts wussten.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich bekenne, die beiden Reden von der Opposition zur Rechten haben mir fast die Schuhe ausgezogen. Frau Piontkowski, dass Sie nicht wissen, dass wir einen Haftungsverbund in Deutschland haben, dass wir und Bayern, Berlin oder Nordrhein-Westfalen nicht allein stehen, finde ich ungemein überraschend. Dass eine Opposition sagt – übrigens anders, als fast alle Länder in Deutschland –, wir wollen die Gelegenheit nicht nutzen, um Geld zu sparen, wir wollen mehr ausgeben,

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Warum eigentlich?)

da vermag ich nicht zu erkennen, was daran politisch klug ist, und im Übrigen auch nicht, was daran bremisch ist, sage ich Ihnen ganz offen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Es ist nichts anderes als in einem hohen Grade vernünftig, wenn man gemeinsam Bund-Länder-Anleihen auflegt. Das sehen übrigens alle Finanzminister so. Es ist doch selbstverständlich, sie schauen in ihre Haushalte und sehen, welche Zinsen sie aufbringen müssen, und wenn man dann mit einer gemeinsamen Aktion weniger aufbringen muss, dann kommt uns allen das zugute. Deswegen ist ein Finanzminister oder der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein in genau der gleichen Weise auf dieser Spur, wie wir es sind.

Ich werde Peter Harry Carstensen auf der nächsten Bundesratssitzung – das wird die letzte sein, auf der ich ihn sehe – davon berichten, was uns die Bremer CDU hier empfiehlt. Ich glaube, er wird sich verwundert die Augen reiben und Ihnen das beim nächsten Besuch in Bremen einmal erzählen.

Ich finde es sehr wichtig und sehr gut, dass die Bremische Bürgerschaft über den Fiskalpakt disku

tiert, denn – es ist schon von Herrn Gottschalk und Herrn Dr. Kuhn gesagt worden – Bremen muss sich im Bundesrat zu diesem Fiskalpakt positionieren. Er ist, so ist die Übereinkunft, eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat zur Beschlussfassung notwendig. Er ist ein ganz besonderer Vertrag, denn er ist eigentlich ein europäischer Vertrag, aber nicht im Rahmen europäischer Rechtsetzung, sondern er ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Der Grund ist klar, es fehlen zwei EU-Länder in diesem Vertrag. Das macht es etwas komplizierter. Ein einfaches Nachverhandeln wird nicht möglich sein, das muss man wissen und auch der LINKEN sagen.

Im französischen Präsidentschaftswahlkampf hat diese Frage übrigens auch eine große Rolle gespielt. François Hollande hat angekündigt, dass er einen wichtigen Aspekt zu diesem Vertrag, nämlich die Frage eines Innovations- und Wachstumsschubs, ergänzend regeln will. Das ist, glaube ich, auch sehr wichtig, und man kann ihm nur Erfolg wünschen, erstens bei der Stichwahl und zweitens bei diesen Verhandlungen.

Eines ist doch klar, und das will ich hier nicht wiederholen, weil es hinreichend deutlich gemacht worden ist: Eine Schuldenbremse allein auf europäischer Ebene wird doch die Staatsschuldenkrise und vor allem die ihr zugrunde liegenden Ursachen nicht beseitigen! Ich bin vor einiger Zeit in Madrid gewesen und habe mir erklären lassen, wie es dort mit der Jugendarbeitslosigkeit ist. Dort sehen 40 Prozent keine Chance und kommen deswegen nach Deutschland. Da weiß man doch, dass man dort mit einer Schuldenbremse in der Verfassung einfach nichts erreichen kann, sondern dass wir die Innovations-, die Wettbewerbsfähigkeit und die Beschäftigung ankurbeln und etwas für den Arbeitsmarkt tun müssen. Dort liegt doch die Zukunft genauso wie in einer Begrenzung der Schulden, und das muss in einem Fiskalpakt beziehungsweise dem, was um ihn herum vereinbart wird, zum Ausdruck kommen, und das ist eine große europäische Aufgabe.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Weshalb müssen wir hier über diesen Fiskalpakt reden? Frau Dr. Mohr-Lüllmann, ich muss eigentlich sagen, Sie haben das Thema verfehlt, weil Sie die bremischen Implikationen überhaupt nicht angesprochen haben. Es ist übrigens nicht nur ein Thema, das das Land Bremen diskutiert, sondern es treibt alle Länder um, alle Ministerpräsidenten und alle Finanzminister.

Wenn Sie in diesen Vertrag hineinschauen, lesen Sie etwas von einer 0,5-Prozent-BIP-Grenze der Verschuldung mit der Erweiterung, die Herr Gottschalk erwähnt hat, dass es nicht, wie bei der Schuldengrenze des Grundgesetzes, nur um die Schulden der Länder geht – das ist ja die Schuldengrenze des Grund

gesetzes –, sondern zusätzlich um die Schulden der Kommunen und der Sozialversicherungssysteme. Das Besondere an diesem Vertrag ist, dass überhaupt nicht klar ist, was – so heißt es wörtlich – eine „rasche Annäherung“ an dieses Ziel der neuen Schuldengrenze in Europa bedeuten soll, denn die genaueren Regeln dafür sollen erst von der Europäischen Kommission entwickelt und vorgelegt werden.

Alle deutschen Länder sagen, wir sind für europäische Regeln und auch für europäische Schuldenregeln – welches andere Land als Deutschland könnte es übrigens mit Überzeugung sagen, da wir gemeinsam eine Schuldenbremse ins Grundgesetz eingeführt haben –, aber wir Länder müssen wissen, ob dieser Fiskalpakt zu einer Veränderung der deutschen Schuldenbremse im Grundgesetz führt. Wir Bremer müssen es in ganz besonderer Weise wissen, aber nicht nur wir, sondern die anderen vier Konsolidierungshilfeländer – Saarland, Berlin, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt – in genau der gleichen Weise!

Wir haben uns gegenüber dem Bund in einer Verwaltungsvereinbarung auf der Grundlage dieser Schuldenbremse verpflichtet, jedes Jahr 125 Millionen Euro Finanzierungsdefizit zu reduzieren, und wir müssen doch wissen, was die Übersetzung des Fiskalpakts bedeutet. Bedeutet sie, dass diese Schuldenbremse verschärft wird? Bedeutet sie, dass wir dieses Ziel schneller erreichen müssen? Bedeutet sie, dass wir noch mehr machen müssen? Das müssen wir wissen, bevor wir dem zustimmen können!

Deswegen sage ich hier ganz deutlich: Bremen wird dem Fiskalpakt im Bundesrat nur zustimmen können, wenn diese Fragen geklärt sind! Bremen wird sich darauf verlassen müssen, dass die Schuldenbremse im Grundgesetz weiter Bestand hat, und Bremen muss sich darauf verlassen können, dass der Konsolidierungspfad, den wir mit dem Bund vereinbart haben, auch eingehalten wird. Das sind die Bedingungen. Ich darf noch einmal darauf hinweisen: Das ist etwas, das alle deutschen Länder umtreibt!

Die Länder haben insgesamt 50 Fragen zum Fiskalpakt an das Bundesfinanzministerium gerichtet, und das Bundesfinanzministerium hat einen Teil beantwortet, aber einen anderen Teil kann es noch gar nicht beantworten, das muss man einfach konzedieren, weil nämlich nicht klar ist, was letztlich unter einer „raschen Annäherung“ von den Vertragsstaaten verstanden wird.

Übrigens, darauf ist noch nicht hingewiesen worden, sieht der Fiskalpakt automatische Korrekturmechanismen vor, von denen man auch wissen muss, welchen Umfang sie haben und welcher Art sie sind, wenn plötzlich von irgendwo her eine zusätzliche Auflage kommt. Zusammengefasst: Die Länder – und auch Bremen – werden den Fiskalpakt nicht wie die Katze im Sack kaufen, sondern wir müssen wissen, was in ihm steht.

Lassen Sie mich noch zwei Bemerkungen machen! Einmal zum Schuldentilgungsfonds, der ja auch im Antrag der Koalitionsfraktionen angeregt worden ist: Wer über die Schuldenbremse redet, das wissen wir Bremer sehr genau, muss auch gleichzeitig immer über die Bewältigung der Altschulden reden, das gilt auf europäischer Ebene und im deutschen Föderalismus. Deswegen ist es eine gute Idee, dass wir es auch mit dieser Fiskalpaktdebatte verbinden. Ich will übrigens bei dieser Gelegenheit sagen, dass es wegen dieser europäischen Debatte und der anderen Zuordnung von Verantwortlichkeiten in diesem Bereich zwischen Bund und Europa und auch innerhalb Deutschlands durch die Schuldenbremse jetzt verstärkt Vorschläge gibt – zuletzt vom Ersten Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz –, das, was wir auf europäischer Ebene für richtig halten, auch auf die Ebene des deutschen Föderalismus zu übertragen, das heißt, wie beim Erblastentilgungsfonds oder dem Fonds Deutsche Einheit, die Schulden zusammenzuführen, das heißt aber nicht, sie abzugeben. Es soll dazu führen, sie mit einer Verlässlichkeit und Verbindlichkeit – und natürlich nach der jeweiligen Leistungsfähigkeit der Länder – abzubauen. Das sind kluge und richtige Ideen!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Das sind die Debatten, die geführt werden. Eine letzte Bemerkung zur Finanztransaktionssteuer! Wir brauchen eine umfassende Strategie für die Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise, aber auch für die Prävention einer neuen Krise. Ich will nicht unseren herausragenden bremischen Wissenschaftler, Herrn Professor Dr. Hickel, mit seinem Buchtitel zitieren, aber wir brauchen auf alle Fälle ein Instrument wie die Finanztransaktionssteuer, das beides beinhaltet: zum einen diejenigen, die diese Krise weitgehend mit verursacht haben, nämlich die Finanzmärkte, an den Kosten der Bewältigung der Krise zu beteiligen und zum anderen den Spekulationswahn schlicht dadurch zu begrenzen, dass wir Spekulationsgeschäfte teurer machen. Das sind kluge Ideen!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich verspreche der Bürgerschaft – wie es auch der Antrag von uns erwartet –, dass der Senat die Bürgerschaft fortlaufend über die Verhandlungen zum Fiskalpakt unterrichten wird. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Zuerst lasse ich über den Antrag der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD mit der Drucksachen-Nummer 18/352 abstimmen.

Wer dem Antrag der Fraktionen von Bündnis 90/ Die Grünen und der SPD mit der Drucksachen-Nummer 18/352 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD, Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen CDU und Abg. T i m k e [BIW])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu.

Jetzt lasse ich über den Antrag der Fraktionen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen mit der Drucksachen-Nummer 18/354 abstimmen.