Protokoll der Sitzung vom 24.01.2013

Auch die islamischen Religionsgemeinschaften haben sich in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt. Sie gewinnen allmählich die Einsicht, dass man nicht nur die positive Religionsfreiheit genießen kann, sondern es auch ein Menschenrecht ist, keinem Glauben angehören zu wollen, also auch die sogenannte negative Religionsfreiheit akzeptieren zu müssen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Von den Vertragspartnern wird erwartet, dass sie die Gleichheit – Herr Tschöpe ist darauf eingegangen –

von Männern und Frauen vor dem Gesetz und damit ihre prinzipielle Gleichstellung anerkennen und mittragen, und der Vertrag verpflichtet sie, dass sie sich entschieden gegen jede Art von Diskriminierung wenden. Zu Ende gedacht, müsste dies auch für die Diskriminierung von Frauen und Mädchen beim Zugang zu Arbeit und Ausbildung gelten,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

auch wenn sie ein Kopftuch tragen. An dieser Stelle möchte ich sagen, dass ich mir gewünscht hätte, dass der Vertrag etwas mutiger formuliert worden wäre.

In der heutigen Gesellschaft mit ihren immer wieder auftretenden Orientierungskrisen erlangen die Religionsgemeinschaften neue Bedeutung auch in dem Bemühen, das Auseinanderdriften der verschiedenen Bevölkerungsgruppen aufzuhalten und umzukehren. Meinungsforscher sagen uns, dass die Islamfeindlichkeit in unserer Gesellschaft wächst. Wir müssen und können dieser Entwicklung gemeinsam begegnen. Dazu ist es nötig, dass die islamischen Religionsgemeinschaften ebenso wie die christlichen und die Synagogengemeinden verlässliche Dialogpartner bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme sind. Das Vertragswerk ist mehr als ein Symbol. Es ist ein Zeugnis für das praktisch-politische Verhältnis der Religionsfreiheit, die unseren gemeinsamen Werten einer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung, allerdings auf Basis von Vielfalt und Teilhabe, entspricht.

Um diesen Stand zu erreichen, war viel Geduld gefragt. Über die Jahre hatte sich die Kommunikation zwischen allen Beteiligten immer weiter verbessert. Der Dialog war aber lange Zeit spontan, er war abhängig von zufälligen Personenkonstellationen. Durch diesen Vertrag hat er jetzt ein institutionelles Fundament erhalten, das ihm Nachhaltigkeit verleihen wird. Davon bin ich überzeugt. Dabei ist es gleichgültig, ob er als eine vornehmlich religionspolitische oder integrationspolitische Leistung gewertet wird.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Er wird den Diskussionen über die Entwicklung des Islam in der westlichen Gesellschaft in Bremen neue Impulse verleihen, auch innerhalb der islamischen Organisationen, Gemeinschaften und Familien selbst. Dies zeigte auch die große Resonanz, die bei der Unterschreibung des Vertrags in der letzten Woche im Rathaus herrschte, und das ist auch gut so.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Der Vertrag, finde ich, ist ein Abbild dessen, was bereits zwischen den großen Religionen des Bundeslandes, aber auch zwischen dem Staat und dem gelebten Islam in den beiden Städten gewachsen ist.

Er beinhaltet aber zugleich, finde ich, eine große Verpflichtung, das Gewachsene in Eintracht, fruchtbarer Zusammenarbeit und gegenseitigem Respekt und Achtung weiterzuentwickeln. Ich wünsche diesem historischen Werk Glück und Erfolg zum Wohle aller Menschen in Bremen und unserer Gesellschaft.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ich möchte zum Schluss noch etwas zu dem Entschließungsantrag und zu den, wie ich finde, teilweise rückschrittlichen Äußerungen von Herrn Röwekamp sagen und begründen, warum wir diesen Antrag nicht mittragen. Die Art und Weise der Formulierung macht deutlich, dass Sie immer noch eine Perspektive haben, wie Sie sie heute Morgen bei der Debatte zum Wahlrecht der Nicht-EU-Bürger gezeigt haben, „wir und die anderen, die Fremden“, als ob jene eigentlich nicht hierher gehören, und die deutsche Kultur nur durch ein bisschen Exotik der islamischen Religionsgemeinschaften bereichert werden darf.

Herr Röwekamp, in dieser Stadt, in der ich seit 35 Jahren lebe, habe ich neben der christlichen Prägung auch viele andere Prägungen erlebt, nämlich auch die islamischen Prägungen. Diese sind in Ihren Ausführungen überhaupt kein Thema, Sie reden durchgehend von einer christlichen Prägung der Gesellschaft, und das ist heutzutage überhaupt nicht angemessen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ich finde, dieses Thema ist schon seit Jahren in einer epischen Breite in vielen Gremien diskutiert worden, um das einfach nur zu benennen, in verschiedenen Integrationswochen, in verschiedenen Integrationsgipfeln, die wir durchgeführt haben mit Schura Bremen, und während des Wahlkampfs in den Jahren 2007 und 2011 wurden mehrere Veranstaltungen an der Universität Bremen und im Haus der Wissenschaft durchgeführt. Ich weiß auch, dass einige von Ihnen dort waren, auf dem Podium gesessen und auch mitdiskutiert haben, und vor Kurzem im Dezember haben Sie sogar an der Universität – Herr Strohmann war ja auch da – auch noch diesen Vertrag positiv kommentiert. Insofern verstehe ich das nicht. Frau Motschmann war schon in der Quba-Moschee und so weiter, ich verstehe daher nicht, warum Sie sagen, es hat überhaupt keine öffentliche Diskussion stattgefunden.

(Abg. S t r o h m a n n [CDU]: Hat es ja auch nicht!)

Ich finde, dieses Verfahren des Senats stellt eine konsensorientierte Weiterentwicklung dieses Vertrags absolut nicht infrage. Zu den Beschlüssen ist zu sa

gen, zu Beschluss 1 und 2, dass eine gesellschaftliche konsens- und religionspolitische – und ich füge hinzu – auch eine konsensorientierte Integrationspolitik in dem Artikel 15 dieses Vertrags, Anpassungsklausel, schon beinhaltet ist, ebenso wie die Weiterentwicklung. Den Beschluss 3 möchte ich kurz kommentieren: Sie haben auf die Präambel des Vertrags Bezug genommen, dort heißt es richtig zitiert, „dass der religiös und traditionell gelebte islamische Glaube ein fester Bestandteil des religiösen Lebens in der Freien Hansestadt Bremen ist“, das ist doch Fakt. Wenn wir diese Aussage in diesem Vertrag beschreiben, heißt das absolut nicht, dass wir die Gleichstellung von Mann und Frau, wie sie in Artikel 2 unserer Landesverfassung verankert ist, irgendwie relativieren oder infrage stellen. Das weise ich zurück, das stimmt so nicht.

Der letzte Punkt, zu Beschluss 4! Wir wollen keinen konfessionell gebundenen Religionsunterricht, und ich finde, die Perspektive geht genau 180 Grad in die Gegenrichtung. Insgesamt finde ich, dass Ihr Antrag ein Mittel zu dem Zweck ist, nachträglich ein bisschen Sand ins Getriebe streuen zu wollen.

(Abg. I m h o f f [CDU]: So ein Unsinn!)

Ich finde, die richtigen Forderungen, die Sie haben, sind schon in dem Vertrag verankert, und die anderen Forderungen sind rückschrittlich, und das machen wir nicht mit. Wir lehnen Ihren Antrag entschieden ab. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Timke.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Senat legt uns heute einen Vertrag zwischen der Freien Hansestadt Bremen und den islamischen Religionsgemeinschaften zur Beschlussfassung vor. Die Übereinkunft sieht unter anderem die Einführung von drei islamischen Feiertagen, das Recht zur Bestattung nach islamischen Riten auf kommunalen Friedhöfen sowie die religiöse Betreuung in öffentlichen Einrichtungen vor. Mit der Beschlussfassung wird Bremen nach Hamburg das zweite Bundesland sein, das eine Regelung zwischen dem Land und den muslimischen Verbänden verbindlich vorschreibt.

Aus Sicht der Bürger in Wut ist dieser Vertrag aus einer ganzen Reihe von Gründen aber abzulehnen. Grundsätzlich, meine Damen und Herren, möchte ich für die Bürger in Wut feststellen, dass wir derartigen Verträgen mit allen Konfessionen oder Religionsgemeinschaften kritisch gegenüberstehen, denn wir befürworten eine möglichst weitgehende Trennung zwi

schen Religion beziehungsweise Kirchen und Staat. Unabhängig davon ist der Vertragsentwurf aber auch inhaltlich abzulehnen. Vergleicht man die Bremer Vereinbarung zum Beispiel mit dem bestehenden Hamburger Vertrag, dann fällt auf, dass der uns vorliegende Vertragsentwurf hinter dem in Hamburg verfassten Regelwerk zurückbleibt.

Während in Hamburg zum Beispiel noch von Achtung und Toleranz gegenüber anderen Religionsgemeinschaften gesprochen wird, ist in der Bremer Version nur von Toleranz die Rede. Ob ich aber andere Religionsgemeinschaften nur toleriere oder auch zusätzlich achte, das ist doch ein Unterschied. Selbst die „taz“ hat in ihrer Ausgabe vom 8. Oktober 2012 kritisch angemerkt, dass der Bremer Vertrag die Muslime weniger in die Pflicht nimmt als der Vertrag in Hamburg. Des Weiteren habe ich in dem uns vorliegenden Vertrag gleich im Artikel 1 zum Thema Glaubensfreiheit gelesen, dass die Freie Hansestadt Bremen die Freiheit gesetzlich schützt, den islamischen Glauben zu bekennen und auszuüben. Ich vermisse allerdings in dem Vertrag den gesetzlichen Schutz der persönlichen Freiheit, den Islam auf eigenen Wunsch zu verlassen. Warum wurde dies nicht ebenfalls festgeschrieben? Auch so etwas gehört für mich der Vollständigkeit halber zur persönlichen Glaubensfreiheit, die den Schutz des Staates genießen sollte.

Meine Damen und Herren, unabhängig von den inhaltlichen Bedenken halte ich aber auch die Vertragspartner in ihrer jetzigen Ausrichtung für nicht geeignet, Verträge mit der Freien Hansestadt Bremen zu schließen. Problematisch wird das vor allem bei einem der Vertragspartner, der Schura Bremen e. V., dem vier Ortsvereine der islamischen Gemeinschaft Milli Görüs angehören. Milli Görüs gilt als die größte, nicht gewaltorientierte, extremistische Ausländerorganisation in Deutschland. Sie wird bundesweit vom Verfassungsschutz beobachtet, auch in Bremen. Ziel von Milli Görüs ist eine islamische Staats- und Gesellschaftsordnung, die auf den Regeln des Korans und der Scharia fußt, also ein islamischer Gottesstaat.

Dieses Ziel soll zunächst in der Türkei und später weltweit verwirklicht werden. Die Organisation wird deshalb bundesweit vom Verfassungsschutz beobachtet und findet auch im aktuellen Verfassungsschutzbericht des Landes Bremen ausführliche Erwähnung. Die weitere Beobachtung stünde dann aber in einem krassen Widerspruch zum eindeutigen Bekenntnis der muslimischen Vertragspartner zu den verfassungsmäßig verbrieften Wertegrundlagen des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland und der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen, so steht es nämlich im Vertrag. Aber vielleicht kann einer der nachfolgenden Redner diesen Widerspruch auch auflösen.

Nicht weniger problematisch ist aus Sicht der Bürger in Wut auch ein zweiter Vertragspartner, die DITIB, die als verlängerter Arm des Präsidiums für religiöse Angelegenheiten der Türkei mit Sitz in Ankara fun

giert. Mit der DITIB wird also indirekt die Türkei und damit ein Staat zum Vertragspartner des Landes Bremen, der religiösen Minderheiten – wie den Christen – noch immer fundamentale Rechte vorenthält. Das halte ich für sehr problematisch, und deswegen werde ich dem Vertrag auch nicht zustimmen. – Vielen Dank!

(Abg. Frau G a r l i n g [SPD]: Das haben wir auch nicht erwartet!)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Erlanson.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! DIE LINKE bekennt sich nicht nur heute, sondern generell zur Religionsfreiheit, die im Grundgesetz niedergelegt ist. Allerdings muss man auch deutlich sagen, auch aus der Geschichte der LINKEN heraus, sind wir sicherlich religionskritisch.

(Abg. S t r o h m a n n [CDU]: „Opium für das Volk“!)

Wer vielleicht einmal Karl Marx gelesen hat, dem dürfte folgendes Zitat bekannt sein: „Die Religion ist die illusorische Sonne, um die sich die Menschen drehen, bevor sie sich um sich selbst drehen.“

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: DIE LINKE dreht sich im Moment völlig um sich selbst!)

Das gibt in etwa die Position der LINKEN zu allen Religionen wieder. Allerdings begrüßen wir unter den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen den Vertrag mit den islamischen Religionsgemeinschaften im Land Bremen und befürworten, dass es damit eine zu schaffende Rechtssicherheit für Muslime gibt wie zum Beispiel die Anerkennung ihrer Feiertage, ihrer Bestattungsriten und allgemein ihrer religiösen Regeln. DIE LINKE tritt stets für eine Gleichbehandlung ein, und deshalb meinen wir, was für Christen und Juden gilt, das muss auch für Muslime gelten.

(Beifall bei der LINKEN und bei der SPD)

Der Staatsvertrag ist aus unserer Sicht ein Instrument zur angestrebten Integration, und ich glaube, auf diesem Weg sollten wir in Bremen auch weiter voranschreiten.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Entschließungsantrag der CDU sage ich einmal, ich glaube, die CDU zappelt hier noch so ein bisschen herum, vielleicht ist es auch der Kampf der zwei ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Linien, und zwar zwischen einer Großstadtpartei und mehr neokonservativen Kräften. Aber sei es darum, für uns wird es so sein.

Vor allen Dingen den vierten Punkt, den Sie anführen, der beinhaltet, dass sich die Bürgerschaft für einen freiwilligen, aber konfessionell gebundenen Religionsunterricht ausspricht, können wir natürlich als LINKE nicht mitragen. Wir sprechen uns für einen neutralen Ethikunterricht aus. Daher werden wir den Entschließungsantrag der CDU ablehnen und werden dem Vertrag zwischen der Freien Hansestadt Bremen und den islamischen Religionsgemeinschaften zustimmen. – Danke!

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Dr. Kappert-Gonther.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der islamischen Religionsgemeinschaften! Wer am Dienstag vergangener Woche der Vertragsunterzeichnung im Rathaus beigewohnt hat, der hat gespürt, dass mit der Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Freien Hansestadt Bremen und den islamischen Religionsgemeinschaften, der Schura, der DITIB und dem Verband der islamischen Kulturzentren etwas ganz Besonderes und etwas besonders Wichtiges in unserem Land geschehen ist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und der LINKEN)