Protokoll der Sitzung vom 26.09.2013

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich möchte noch einmal zu dem Gesundheitsbereich Stellung beziehen, und zwar zu diesem sogenannten Bremer Modell, denn ich finde, dass es sowohl in der Presse als auch teilweise von den NichtRegierungsorganisationen sehr negativ beziehungsweise nicht wertschätzend dargestellt wurde. Das Bremer Modell, mit dem Bremen bundesweit ganz vorn steht, verbindet die Fragen des Infektionsschutzgesetzes mit der Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge. Jeden Tag ist in der Steinsetzerstraße mindestens zwei Stunden jemand da. Dazu kommt auch, dass die minderjährigen, aber auch die erwachsenen Flüchtlinge in Bremen eine Versicherungskarte bekommen. Damit ist Bremen das einzige Bundesland und ganz vorn, und deshalb gibt es auch viele Anfragen, das ist einmalig in Deutschland. Wenn man hier ankommt, bekommt man nach zwei bis drei Wochen eine Versicherungskarte und kann zu jedem Arzt gehen, das heißt, hier wird die Arztwahlfreiheit nicht verletzt. Das ist ganz wichtig.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich möchte noch einmal sagen, trotz der schwierigen Situation, die wir haben, bieten wir in der zentralen Aufnahmestelle eine ambulante Hilfe. Da hat die Senatorin schnell gehandelt. Es steht 40 Stunden pro Woche für Jugendliche eine Bezugsperson zur Verfügung, und sie hilft auch bei der Alltagsbewältigung. Sie kann die Kinder begleiten, und es gibt Gruppenangebote.

Nach unseren Informationen ist es nicht so, dass diese Jugendlichen alle traumatisiert sind und alle aus Kriegsgebieten kommen. Wenn Sie die Liste der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge anschauen,

dann kommen zwei von ihnen aus Syrien, der Rest kommt aus Gambia, Somalia und anderen afrikanischen Ländern. Ich will nur sagen, sie sind nicht alle traumatisiert oder psychisch krank – Gott sei Dank! –, aber ich finde es richtig, dass wir vorbereitet an diese Situation herangehen. Deshalb müssen wir uns auch auf eine systematische Herangehensweise in diesem Bereich konzentrieren, was zum Teil auch passiert.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Zum Teil!)

Ich habe vorhin auch gesagt, wir können noch besser werden, und ich finde, da müssen wir auch einen differenzierten Blick auf die Zuwanderer werfen, insbesondere auf die Jugendlichen, indem wir schauen, welche Hilfe sie brauchen und was sie allein schaffen. Wo brauchen sie Betreuung? Was sollen wir anbieten? Dafür ist auch ein Clearingverfahren geplant, das im Jahr 2014 kommen soll. Das finde ich richtig, um die Bedarfe in diesem Bereich genauer zu schätzen und auch auf einer soliden Basis Angebote zu machen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Senatorin Stahmann.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mich erst einmal für die weitgehend sachliche und sachkundige Diskussion bedanken, die hier eben stattgefunden hat!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die Lebenssituation für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Bremen und Bremerhaven treibt uns im Senat um, das treibt mich nicht erst seit August um, wie vorhin jemand gesagt hat, sondern das ist für uns eine Aufgabe, die viel Zeit in Anspruch nimmt. Während ich hier stehe, verhandelt Herr Staatsrat Frehe mit dem Bremerhavener Magistrat über die Unterbringung von minderjährigen Flüchtlingen in Bremerhaven. Wir wollen dort in diesen Tagen eine Kooperationsvereinbarung abschließen, weil wir bei der Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen auch die Unterstützung von Bremerhaven brauchen, und wir haben da auch gute Gespräche geführt.

Es ist eine Aufgabe, die die Länder zugewiesen bekommen. Wir nehmen 0,93 Prozent der Flüchtlinge bundesweit auf, und darüber hinaus nehmen wir eben auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge auf. ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

Wenn die Jugendlichen sich in Bremen melden, dann sind wir für diese Jugendlichen zuständig. Wir haben im letzten Jahr einen Anstieg um 400 Prozent gehabt, wir haben jetzt 200 Jugendliche im Jugendhilfesystem, und das ist eine riesige Herausforderung für die Jugendhilfeträger und auch für unser Haus.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wir haben wirklich Plätze geschaffen. Gestern Nachmittag, während ich hier als Senatorin anwesend war und wir Debatten geführt haben, hat Herr Staatsrat Frehe mit Jugendhilfeträgern verhandelt und gesagt, dass wir noch zusätzlich 140 Plätze bis zum Ende des Jahres brauchen, um Jugendliche aus der ZASt herauszuholen. Die ZASt ist ein Notbehelf, und egal, ob sie dort 45 oder 40 Tage sind, das ist kein Ort für eine Jugendeinrichtung.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Dann gibt es aber solche Situationen, dass ein Träger sagt, 30 Meter hinter der Landesgrenze hätte ich noch eine Immobilie, und ich hätte auch Mitarbeiter, aber da können wir nicht hin, denn das ist Niedersachsen. Das ist ein Thema, mit dem wir als Sozialressort auch noch einmal den Senat befassen werden. Wir wollen auch gern einen Staatsvertrag abschließen,

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

der es uns ermöglicht, dass wir auch die Jugendhilfeeinrichtung der AWO temporär nutzen können. Die AWO Bremerhaven hat uns auch ein Angebot gemacht, sie hat die Jugendhilfeeinrichtung in der Nähe von Cuxhaven, und dort hätte sie auch Fachpersonal. Das wäre allemal besser als die Unterbringung in der ZASt im Souterrain, mit Effekt, es ist ein sehr engagierter Träger, der uns hilft, dass die Jugendlichen möglichst schnell in der Normalität ankommen.

Frau Dr. Quante-Brandt sitzt hier. Wir haben zusammengesessen und überlegt, wie wir die Jugendlichen schnell in die Schulen bringen und die Anzahl der Sprachkurse verdoppeln können. Ich bin wirklich froh und auch stolz auf den Senat, dass wir 100 000 Euro Sofortmittel bereitgestellt haben, um noch einmal die Anzahl der Sprachkurse zu verbessern und ein Sportangebot zu machen. Wir werden bei REFUGIO die Zuwendungen, die wir bisher geleistet haben, verdoppeln. Wir werden REFUGIO auch in diesem Jahr eine höhere Zuwendung geben, weil wir den Verein ganz dringend brauchen, um traumatisierte jugendliche Flüchtlinge zu behandeln und zu unterstützen. Das ist ein Träger mit einem riesigen ehrenamtlichen Engagement. Man muss sich das in Schwachhausen

einmal anschauen: Sie nutzen jeden Winkel einer Wohnung mit Menschen, die sich sehr engagiert dafür einsetzen, dass Erwachsene und Kinder und Jugendliche, die Schlimmes erlebt haben, den Weg zur Normalität zurückfinden, und dafür hier von dieser Stelle aus auch noch einmal ein Dankeschön!

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Das Seemannsheim in Bremen hätte sich sicherlich nicht träumen lassen, dass es im Jahr 2013 Heimat von zehn Jugendlichen aus Afrika wird. Das Seemannsheim ist für uns im Augenblick eine ganz wichtige Zwischenstation für die Jugendlichen geworden, die wir demnächst in das Haus Jona der Stiftung Friedehorst umziehen lassen, das ist auch ein Träger, der uns sehr bei der Unterbringung von Jugendlichen unterstützt. Friedehorst hat sich bereit erklärt – der ASB hatte eine Kündigung für die Peenemünder Straße erhalten –, uns zu helfen. Sie haben eine Immobilie, die Jugendlichen können von der Peenemünder Straße dorthin umziehen, und wir werden dort zehn weitere Jugendliche unterbringen. Das Seemannsheim hat uns zugesagt, dass man uns in dieser Notsituation weiterhilft. Es ist jetzt einmal ausgebucht, das kann man wie ein Hotel buchen – für Seeleute –, aber nach ihrer Hauptbuchungsphase im Oktober werden wir diese Einrichtung zusammen mit einem Jugendhilfeträger weiter nutzen und dort 10 bis 15 Jugendliche unterbringen, um auch wieder Platz in der ZASt zu schaffen.

Wir arbeiten an weiteren Lösungen, wir haben eine Immobilie in Aussicht, um in Bremen etwas Neues einzurichten. Wir haben zwar ein Clearingverfahren gehabt – die Jugendlichen werden ab dem Tag ihrer Ankunft vom Jugendamt betreut und bekommen einen Vormund –, aber wir wollen das in einer Einrichtung bündeln, in der die Fachleute unter einem Dach sind, in der Jugendliche in der ersten Phase auch wohnen können, um ein Clearingverfahren durchzuführen. In Berlin kann man sich so eine Clearingstelle anschauen. Das wird für Bremen etwas Neues sein, aber ich verspreche mir davon sehr viel für die Unterbringung minderjähriger Flüchtlinge.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir haben hier in den vergangenen Jahren oft darüber gesprochen, wie man denn das Alter feststellt, wenn jemand vor einem steht und sagt, er sei 18 Jahre alt. Früher wurden Hände geröntgt, aber jetzt sind wir bei einem Verfahren, bei dem wir sagen, wir haben geschultes Personal, das lange Gespräche führt, das Psychologen hinzuzieht. Liegt man da aber immer richtig? Ist die Person nicht vielleicht doch über 20 Jahre alt und ein junger Erwachsener, der aus Verzweiflung sagt, ich will lieber in das Jugendhilfesystem, damit ich hier eine Chance habe, aufgenommen

zu werden? Da brauchen wir auch ein klares, rechtssicheres Verfahren. Wir werden auch da das Personal jetzt aufstocken und haben eine weitere Stelle in der ZASt bereitgestellt. Das gehört alles zu dem Bündel an Maßnahmen, für die der Senat trotz knapper Kassen und trotz Haushaltsnotlage – Frau Vogt hat es angesprochen – Geld in die Hand nimmt. Es ist gut so, dass wir das machen, und ich freue mich auch über die Unterstützung, die wir bekommen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wir haben 15 Pflegefamilien gefunden, und das ist auch eine sehr große Leistung von PiB, ich will das noch einmal ansprechen. Das sind nicht Jugendliche wie unsere Kinder, sondern das sind junge Menschen, die schlimme Dinge, Kriegssituationen, erlebt haben, die erlebt haben, wie andere Menschen umgebracht wurden, die Vergewaltigungen gesehen haben, die Mord und Raub erlebt haben, und da gibt es Bremer Familien, die es sich zutrauen, die begleitet werden, die sozial erfahren sind, um solche Jugendlichen zu begleiten und auf den Weg zur Normalität zu bringen. Das ist eine riesengroße Herausforderung, und deswegen können wir auch nicht – –.

Es wird immer gesagt, findet doch noch mehr Pflegefamilien! Das kann nicht jeder, und diese Familien wachsen auch nicht auf Bäumen!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Da müssen wir wirklich genau hinschauen, dass wir auch nicht Personen, die dazu bereit sind, in Situationen bringen, die sie nicht bewältigen können. Ein Scheitern wäre sowohl für die Familie, die einen Jugendlichen aufnimmt, als auch für den Jugendlichen selbst nicht gut, und deswegen zögern wir in manchen Augenblicken noch und sagen, das braucht noch ein bisschen Zeit, wir müssen da noch klärende Gespräche führen, oder wir brauchen noch weitere Unterstützungsangebote, um das machen zu können. Wir sind aber über alle Personen froh, die auch sagen, sie übernehmen Vormundschaften.

Wir haben jetzt auch noch einmal mehr Geld bereitgestellt, um über Fluchtraum e. V. und auch bei proCura Kids ehrenamtliche Vormünder zu finden, das ist ein wichtiger Baustein in dem Konzept, auch um unser Amt für Soziale Dienste dabei zu unterstützen. Wir werden diese Programme fortführen, wir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht, das ist hier von verschiedenen Seiten angesprochen worden.

Ich will es auch noch einmal ganz deutlich sagen: Vielen Dank an Herrn Rein, Herrn Ostermann, der in meinem Ressort jetzt leider in den Ruhestand gegangen ist – wir vermissen ihn schmerzlich! –, Frau Göhmann, Herrn Bohnenkamp und Frau Birn! Sie leisten im Augenblick Übermenschliches, sie arbei

ten alle für zwei oder drei. Das ist eine herausfordernde Situation, die Bremen zu bewältigen hat, wir sind einer der Hauptanlaufpunkte in Norddeutschland für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Auch das Innenressort ist an dieser Stelle mit uns in Kontakt, weil wir auch gefragt haben, ob denn ebenso viele Jugendliche in Oldenburg oder Hannover ankommen. Hamburg, Bremen und Berlin sind eben beliebte Anlauforte. Wir werden diese Aufgabe schultern, wir werden sie schultern müssen, aber wir wollen sie auch schultern, weil die Jugendlichen es verdient haben, auch eine Chance zu bekommen.

Jeder einzelne junge Mann und jede einzelne junge Frau hat manch Schlimmes erlebt, wir können unterstützen, wir können dabei helfen, dass sie hier ankommen. Ich gehe davon aus, dass diese jungen Menschen nicht wieder in ihre Heimatländer zurückgehen, sondern das sind Menschen, die hier ein neues Leben starten. Ich hatte ein Gespräch mit einem 16jährigen Jugendlichen, der nicht freiwillig von seinen Eltern weggegangen ist. Die Eltern haben gesagt, du musst jetzt gehen, sie hatten wirklich Angst, da sind schlimme Dinge passiert. Der 16-Jährige sagte zu mir, er weiß, dass sein Vater mittlerweile tot ist, er war noch keinen Tag in seinem Leben ohne seine Mutter. Er sagte, Deutschland ist schwierig, man versteht nicht alles, und die Sprache ist auch schwierig, aber das Schwierigste für ihn ist zu verstehen, dass er seine Eltern verlassen musste.

Warum lassen wir nicht alle Leute in die ZASt? Es wurde ja gesagt, dass man dort nicht einfach mit Kameras hineinspazieren kann. Dort leben Menschen, die politisch verfolgt wurden. Auch Diktatoren, und ich sage einmal, Regimes, die Menschen verfolgt haben, schauen ins Internet und verfolgen auch genau, ob Regimekritiker im Ausland tätig werden. Auch bei uns in der ZASt leben Menschen, die in ihren Heimatländern gegen Regierungen aufgestanden sind, die als Regimekritiker bekannt sind, die nach Deutschland geflohen sind und einfach Angst haben. Manche Leute gehen auch zur Seite, wenn sie Kameras sehen, und verweigern das Gespräch.

Ich als Senatorin trage Sorge für den Schutz dieser Menschen. Mittlerweile gibt es auch in Deutschland Menschen, die genau beobachten, wer hier ist, wer hier Auskünfte gibt, beispielsweise über Syrien, über die syrische Regierung oder auch über andere Länder. Da bitte ich, Verständnis dafür zu haben, dass wir nicht alle Kamerateams der Welt einfach in die Zimmer der Menschen hineinspazieren lassen!

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Es gibt eben auch ein Menschenrecht auf Privatsphäre und auf Schutz der eigenen Persönlichkeit, und bei den Jugendlichen passen wir eben besonders auf, weil es sich um Minderjährige handelt. Ich weiß, dass Herr Möhle auch in der ZASt war, Frau Grönert

hat es gesagt, und auch Frau Vogt und Frau Dr. Mohammadzadeh waren dort. Es gibt dort Gesprächsbereitschaft, sie zeigen uns alles, die Jugendlichen reden mit uns, und wenn wir etwas verbessern können: Wir arbeiten wirklich daran, uns ist das Thema wirklich wichtig! – Danke schön!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktion DIE LINKE mit der Drucksachen-Nummer 18/843 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür DIE LINKE)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und Abg. D r. K o r o l [parteilos])