Das Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg hat eine Befragung von Betroffenen durchgeführt und das Ergebnis der Studie Ende 2012 vorgelegt. Diese Untersuchung empfiehlt, dass aufgrund der Folge- und Spätschäden spezifische Hilfen für Menschen mit Conterganschädigungen entwickelt werden. Dazu gehört auch die Erhöhung der Con
terganrente von bislang 1 152 Euro maximal auf bis zu 6 912 Euro aktuell. Dieser Beschluss wurde im Bundesrat einstimmig gefasst und wird ab Januar dieses Jahres umgesetzt. Weitere Empfehlungen beziehen sich auf bestimmte Lebensbereiche, wie zum Beispiel Assistenz, Mobilität, Rehabilitation, Hilfsmittel, Heilmittel und Pflege.
Die Fragen der CDU-Fraktion nach spezifischen Beratungs- und Pflegeangeboten oder medizinischer Versorgung für contergangeschädigte Menschen durch Ärzte, Kliniken oder Therapeuten beantwortet der Senat folgendermaßen, ich zitiere: „Die Politik für Menschen mit Behinderungen unterscheidet gleichwohl nicht zwischen den jeweiligen Ursachen einer körperlichen, kognitiven oder seelischen Beeinträchtigung. Für alle Menschen mit Behinderungen gilt das Individualisierungsprinzip, das heißt, ihre Wünsche, ihre Ressourcen und ihre Ansprüche auf Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gilt es bei den jeweiligen Hilfebedarfen zu berücksichtigen.
Die entwickelten Unterstützungsangebote müssen daher dementsprechend auf jede Form von Beeinträchtigung individuell eingehen können.“ Diese Position findet meine uneingeschränkte Zustimmung.
Ich bin überzeugt, auch die betroffenen Menschen selbst wünschen keine Klassifizierung unter beeinträchtigten Menschen. Letztlich ist für einen Menschen nicht entscheidend, ob seine Beeinträchtigung Ursache eines Unfalls, eines Gendefektes oder anderen Hintergrunds ist, entscheidend ist, dass er bedarfsgerechte Hilfen erhält, und das gilt für alle Menschen gleichermaßen.
Auch die Menschen mit Behinderung erwarten zu Recht eine Gleichbehandlung und lehnen eine Zweiklassenversorgung ab.
Erfreulich ist, dass die Menschen mit Conterganschädigung regional gut vernetzt sind und durch ihre Stiftung über breite Unterstützungsmöglichkeiten verfügen und sie auch nutzen. Regional gibt es den Verein Hilfswerk für Contergangeschädigte e. V. – Bremen-Unterweser mit Sitz in Niedersachsen und die „Interessengemeinschaft Contergangeschädigter Niedersachsen e. V. Im Land Bremen gibt es keine gesonderte Initiative oder Gruppe, die sich speziell mit dem Thema auseinandersetzt. Die Bremer contergangeschädigten Menschen nehmen an den Beratungen und Angeboten aus Niedersachsen teil. So habe ich es dem Internet entnommen. – Frau Grönert, ich sehe Ihr Kopfschütteln.
stiftungsgesetz im Bundesrat zugestimmt hat. Die deutlich erhöhten Leistungen, die für die betroffenen Menschen eine wesentliche finanzielle Verbesserung darstellen, werden von den Menschen selbst nach ihren individuellen Unterstützungsbedarfen eingesetzt, ohne dass sie auf bedarfsabhängige Sozialleistungen angewiesen sind. Laut Auskunft der Conterganstiftung beziehen derzeit in Bremen 19 Personen eine entsprechende Rente aus der Stiftung. Das sind 19 Bremer Bürger und Bürgerinnen, denen durch die erhöhten Zuwendungen nicht die Leiden abgenommen werden konnten, aber es sind 19 Bremerinnen und Bremer, denen durch den nun erhöhten finanziellen Spielraum ein unabhängigeres Leben ermöglicht werden kann, und das freut mich. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der ConterganMedzinskandal war die folgenschwerste Arzneimittelkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Mit der Einführung des Beruhigungsmittels Contergan im Jahr 1957 kamen damals 2 000 contergangeschädigte Kinder zur Welt – in dem Jahr! –, heute leben in Europa noch schätzungsweise 4 000 bis 5 000 Menschen mit diagnostischer Schädigung und 2 700 in Deutschland. Wir haben gehört: 19 davon unter uns hier im Land Bremen.
Diese Menschen haben vielfältige Teilhabeeinschränkungen. Deshalb ist die individuelle Kompensation ihrer Defizite beeindruckend, es ist beeindruckend, wie sie ihr Leben meistern, wenn sie keine Arme haben, wie sie berufstätig sind und vielfältige Strategien entwickelt haben, um den Lebensalltag zu bewältigen.
Die CDU hat eine Große Anfrage eingebracht, in der detailliert abgefragt wird, welche Unterstützungsangebote es hier im Land Bremen gibt. Das wurde schon gesagt. Die Antwort des Senats wurde von meiner Kollegin Frau Schmidtke vorgetragen. Vielen Dank dafür! Ich werde das jetzt nicht wiederholen, aber ich finde es richtig, dass es eine individuelle Hilfeleistung gibt und dass angepasst wird, wo und wie es die Menschen brauchen. Das ist, denke ich, der richtige Weg zu einer Strategie, wie man damit umgeht.
Wir wissen seit Jahren, dass die sogenannten – ich sage: sogenannten – Conterganrenten nicht ausreichen. Die Teilhabe, die wir wollen, können wir vie
len Menschen nicht ermöglichen. Diese Conterganrente ist keine typische Leistung für Menschen mit Behinderungen nach dem Behindertenrecht, sondern eigentlich eine Schadensersatzleistung. Es ist wichtig, sich das noch einmal vor Augen zu führen.
Heute, über 50 Jahre nach der Errichtung der Conterganstiftung, wissen wir, dass die damalige Regelung nicht annähernd den heute üblichen Standards von Entschädigungsregelungen entspricht. Im Vordergrund stand damals angesichts eines sich hinziehenden Prozesses die Bestrebung, einigermaßen zeitnah und nicht erst in Jahren überhaupt eine Entschädigung zu erhalten. Das war als erster Schritt auch richtig, aber damit alle Haftungsfragen gleich mit abzuräumen, das war falsch, und das war auch für die Geschädigten ein langer Weg, wie wir heute gehört haben, um zu ihrem Recht zu kommen. Es war falsch!
Ich will Ihnen noch einmal die Zahlen vor Augen führen. Das Unternehmen Grünenthal zahlte im Jahr 1971 im Rahmen eines Vergleichs eine Entschädigungssumme in Höhe von 100 Millionen DM und 2009 noch einmal 40 Millionen Euro in den ConterganFonds. Seit Inkrafttreten des Stiftungsgesetzes 1972 obliegt die finanzielle Gesamtverantwortung der Rentenzahlung der BRD. Haftungsverpflichtungen wurden abschließend geklärt. Das Unternehmen Grünenthal konnte sich glücklich schätzen bei diesem Weg, aber – das sage ich hier ganz deutlich – für die Betroffenen war das ein Schlag ins Gesicht.
Auch wenn es rechtlich okay ist, hat die Firma Grünenthal, so denke ich, immer noch eine moralische Verpflichtung, sich daran zu beteiligen.
Die Studie aus Heidelberg, die das große Ausmaß an körperlichen, psychischen und auch die finanziellen Belastungen der Betroffenen und die Verschlechterung mit zunehmendem Alter aufgelistet hat, wurde hier schon erwähnt. Im Februar gab es im Bundestag eine Anhörung dazu, die das auch noch einmal allen deutlich vor Augen geführt hat. Zahlungen aus der Conterganstiftung reichen bei Weitem nicht aus, um den Bedarf an Assistenz, Therapie und Pflege zu decken.
Im Frühjahr 2013 jetzt gab es das Dritte Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes. Es beinhaltet, dass jährlich 120 Millionen Euro für zusätzliche Leistungen zur Verfügung stehen. Das ist richtig, und das ist wichtig. Besonders wichtig ist es uns, weil es damit zu einer Nichtanrechnung von Leistungen der Behindertenhilfe und Hilfe zur Pflege auf die Sozialhilfe kommt. Das ist für uns der richtige Weg zu einem selbstbestimmten Leben.
Denn wir Grünen haben für die Zukunft das Ziel, Leistungen zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen aus der Sozialhilfe herauszulösen und in ein Teilhabeleistungsgesetz zu überführen. Das ist unsere Vision.
Zum Abschluss meiner Rede möchte ich noch einen ganz wichtigen Punkt nennen, der, wie ich denke, auch zu dieser Debatte dazugehört. Das ist eine herstellerunabhängige Arzneimittelstudie; denn der Nutzen und auch die Nebenwirkungen eines Medikaments dürfen nicht alleine von der Pharmaindustrie beurteilt werden. Wir wissen, dass die Wirksamkeit oft anders eingeschätzt wird und Nebenwirkungen oder andere Wirksamkeit erst verspätet mitgeteilt werden. Arzneimittelsicherheit ist eine wichtige Prävention, um eine solche Katastrophe in der Zukunft möglichst zu verhindern. Auch das gehört zu einem umfassenden Ansatz beim Umgang mit Folgen von Arzneimittelkatastrophen. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann mich eigentlich in den meisten Punkten meinen Vorrednerinnen anschließen. Ich bin besonders Doris Hoch für ihre letzten Ausführungen dankbar, weil auch ich glaube, dass die Kontrolle – auch die medizinisch-pharmazeutische Kontrolle – der Pharmaindustrie, immer noch nicht ausreichend geregelt ist; da gibt es immer noch Nachholbedarf.
Ich finde es wichtig, dass das auch noch einmal gesagt wird. Ich möchte auch gegenüber Frau Grönert und der CDU sagen, dass ich es gut finde und ich mich auch dafür bedanke, dass sich die CDU um die Contergangeschädigten hier in Bremen Sorgen gemacht und sich um sie gekümmert hat. Wenn man der Antwort des Senats Glauben schenken darf – ich habe keinen Anlass, das nicht zu tun –, dann haben wir jetzt gelernt, dass es in Bremen 19 Betroffene gibt und man doch feststellen muss, dass es ihnen zum Glück wohl gutgeht. Das ist die gute Nachricht bei diesem Antrag. Deshalb noch einmal ein Dankeschön
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank für diese sehr ernsthafte und gute Debatte. Aus meiner Sicht bleibt und ist es ein Riesenskandal, dass sich ein Pharmaunternehmen, als eigentlich längst schon alle Karten auf dem Tisch gelegen haben, jahrelang seiner Verantwortung nicht gestellt hat.
Das gilt es künftig zu verhindern. Mit einer einzigen Tablette hat sich damals das Leben für viele Familien und eben auch für viele Kinder ganz grundlegend geändert. Das zeigt ganz deutlich, wie wichtig unabhängige Arzneimittelkontrollen sind, dass auch über die Nebenwirkungen wirklich Nachforschungen angestellt werden müssen, und dass das eben nicht derjenige tun sollte, der an dem Medikament viele Millionen Euro verdient.
Sehr viele Menschen sind in Deutschland und weltweit auf die tägliche Einnahme von Medikamenten angewiesen. Ich selber muss jeden Tag eine Schilddrüsentablette nehmen. Das ist mir am Anfang, als ich den Beipackzettel auspackte, wirklich schwergefallen. Ich glaube, so ging es damals auch den Frauen in der Schwangerschaft; sie hatten Beschwerden, gingen in die Sprechstunde, haben ihren Ärzten vertraut, und die Ärzte haben gesagt: Wir haben hier ein neues Präparat; das hilft Ihnen; Kopfschmerzen oder die Rückenschmerzen, die Sie haben, gehen weg. Die Medikamenteneinnahme lebt auch von einem Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt oder Patientin und Ärztin.
Vielen Eltern ist damals, als ihre Kinder mit Missbildungen zur Welt gekommen sind, unterstellt worden, sie hätten Erbkrankheiten übertragen, sie hätten getrunken und würden das nicht zugeben, sie hätten Drogen genommen. Manchen Eltern wurde geraten, ihre Kinder einfach wegzugeben; es gebe Heime; da könne man die Kinder heutzutage gut abgeben. – In den Sechzigerjahren war das wesentlich anders als heute. – Die Eltern sind wohl teilweise durch die Hölle gegangen. Wenn ich mir Weg der Beweisführung anschaut, den die Eltern mit ihren Kindern gegangen sind, indem sie den Kampf gegen die Firma Grünenthal aufgenommen haben, kann ich nur sagen: Respekt vor den Familien und Dank auch an
Die Firma Grünenthal ist dann auch mit einem Film bedacht worden. Es war ja nicht so, dass im Jahr 2007 bei der Firma Grünenthal Einsicht eingekehrt war; obwohl das Medikament im Jahr 1961 vom Markt genommen wurde und 1970 das Verfahren wegen geringfügiger Schuld der Angeklagten und wegen mangelnden Interesses der Öffentlichkeit – so wurde damals gesagt – gegen die Zahlungen der Summe, die Frau Hoch genannt hat – 58 Millionen Euro; 114 Millionen D-Mark waren es damals – eingestellt wurde. Man hat mit allen Hebeln versucht, die Ausstrahlung dieses Films, der die Geschichte erzählt hat, zu verbieten, und ist dafür bis zum Bundesverfassungsgericht gegangen. Der Film musste schließlich untertitelt und es musste gesagt werden, es handele sich um Fiktion, und das könne alles frei erfunden sein. Ich bin auch der ARD dankbar – deswegen ist es auch gut, dass wir öffentlich-rechtliches Fernsehen haben –,
dass dieser Film ausgestrahlt wurde. Genauso wie die Fernsehausstrahlung bekämpft wurde, wurde auch versucht, den Verkauf der DVD zu verhindern.
Man kann das Leid nicht wiedergutmachen, auch wenn Renten ausgezahlt werden, der Staat diese Zahlungen ergänzt und wir uns bemühen, dass wir in unseren Pflegeeinrichtungen, in unseren Beratungsstellen, den Menschen immer als Einzelfall gerecht werden und entsprechende Hilfen anbieten. Die Ärzte und Ärztinnen, die Conterganopfer als Patienten und Patientinnen haben, haben sich im Laufe der Jahre Expertise angeeignet und geben diese auch weiter, wenn an Fachärzte weitervermittelt wird.
Wenn ich am Ende dieser Debatte einen Wunsch äußern darf, so wünsche ich mir, dass die Firma Grünenthal es annimmt, dass sie eine Schuld trägt, und nicht meint, dass man das mit 50 Millionen Euro wiedergutmachen kann.