Protokoll der Sitzung vom 23.01.2014

Damit ist die Aussprache geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats, Drucksache 18/1105, auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU Kenntnis.

Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA nicht hinter verschlossenen Türen verhandeln

Große Anfrage der Fraktionen Bündnis 90/ Die Grünen und der SPD vom 26. September 2013 (Drucksache 18/1078)

D a z u

Mitteilung des Senats vom 3. Dezember 2013

(Drucksache 18/1187)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Günthner.

Meine Damen und Herren, gemäß Paragraf 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort, Drucksache 18/1187, auf die Große Anfrage hier in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.

Herr Senator, ich gehe davon aus, dass Sie darauf verzichten wollen, sodass wir gleich in eine Aussprache eintreten können.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Kuhn, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte, Herr Kollege Dr. Kuhn, Sie haben das Wort!

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Gegenstand dieser Debatte sind die Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und den USA über ein Freihandelsabkommen, Transatlantic Trade and

Investment Partnership, kurz immer TTIP genannt. Die Verhandlungen sind im vergangenen Sommer aufgenommen worden. Es wird mit einer langen Dauer gerechnet. Die Ergebnisse werden oder können jedenfalls Auswirkungen für uns alle im alltäglichen Leben haben.

In der öffentlichen Debatte – und das spiegelt auch die Große Anfrage wider – wird wenig über Fakten geredet – es geht ja auch um die Zukunft –, sondern mehr über Hoffnungen und Erwartungen und noch mehr über Risiken, über Ängste und Befürchtungen.

Hoffnungen, dass es zu einem weiteren Abbau von Handelsschranken, also der Senkung von Zöllen, der Vereinheitlichung technischer Normen und zu einer größeren Kohärenz von Standards kommen wird, damit zu Ausweitungen des Handels und damit zu wirtschaftlichen Vorteilen auf beiden Seiten führen wird. Das ist auch grundsätzlich möglich und natürlich wünschenswert. Aber die Zahlen, die bisher genannt werden, sind hoch spekulativ und bewegen sich auf mittlere Sicht eher knapp über dem Promillebereich.

Befürchtungen und Ängste – und das ist schon der Kern der Diskussion –, dass bei dem Versuch, eine Kohärenz der Regelsysteme hier und drüben herzustellen, unsere europäischen Standards ins Rutschen kommen würden. Bei uns gilt ja grundsätzlich das Prinzip, dass die Hersteller und die Verkäufer die Unschädlichkeit der Produkte nachweisen müssen; in den USA ist es praktisch umgekehrt. Dort dürfen dauerhafte Verbote nur ausgesprochen werden, wenn die Schädlichkeit bewiesen ist. Wo soll da ein Kompromiss gefunden werden, ist dann der Weg frei in die EU für das Hormonfleisch, für die chlorbehandelten Hühnchen, für Zusatzstoffe im Spielzeug und was da die Gefahren noch sind?

Befürchtungen und Ängste gibt es, dass eine Liberalisierung im Agrarbereich die Industrialisierung der Landwirtschaft in Europa mit allen negativen Folgen für die Umwelt, die Tiere und den Menschen vorantreiben würde; und Befürchtungen und Ängste gibt es, dass mit der geplanten Einführung eines Investor-Staat-Streitschlichtungsmechanismus, der dann außerhalb der normalen Rechtsverfahren liegen würde, Investoren nicht nur das Recht des Staates, Regeln souverän neu zu setzen – ich nehme als Beispiel den Atomausstieg – durch nachträgliche Klagen aushebeln könnten – solche Klagen gibt es in Deutschland von Vattenfall –, sondern durch Androhung von Schadensersatzklagen solche Entscheidungen für bessere Regelungen schon im Vorfeld verhindern könnten. Dafür gibt es Beispiele in Kanada und in den USA.

Meine Damen und Herren, die Verhandlungsführer der Europäischen Union beteuern gegenwärtig fast täglich, dass all diese Befürchtungen ganz und gar unberechtigt seien, weil die Kommission nichts vereinbaren werde, was negativ wäre. Aber sehr viele – und ehrlich gesagt: ich zähle mich dazu – werden

diesen Beteuerungen so lange nicht trauen, wie die Kommission die Verhandlungen geheim führt

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

und die Dokumente als Verschlusssache behandelt. Das heißt zum Beispiel: Der Senat hat den Text des Verhandlungsmandats. Aber er sagt – vermutlich hat er völlig recht –, er darf das an uns nicht herausgeben.

Diese Entscheidung hat der Europäische Rat – und leider maßgeblich von der Bundesregierung betrieben – der Kommission auferlegt. Begründung: Die Gegenseite dürfe von der Verhandlungstaktik nichts wissen. Ehrlich gesagt: Dieses Argument ist in Zeiten der weltweiten Geheimdienstausspähungen und in Zeiten von WikiLeaks relativ lächerlich.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Damit wird die Verhandlungsposition nicht vor den USA, sondern allein vor den Bürgerinnen und Bürgern in Europa geheim gehalten. Wie gesagt: Es ist nicht nur lächerlich, sondern auch dumm. Denn wenn es stimmt, was die Kommission über ihre Ziele sagt, dann müsste sie doch selbst alles tun, um die Unterstützung der europäischen Öffentlichkeit – und „Öffentlichkeit“ ist das Wort – zu gewinnen. So aber lenkt sie gegenwärtig alle Kritik auf sich, und das ist einfach falsch.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die Kommission beginnt ja Gott sei Dank so langsam, neu nachzudenken. Die Stellungnahme vom Kommissar De Gucht zeigt, dass sie jetzt über den Streitschlichtungsmechanismen zunächst einmal eine öffentliche Anhörung durchführen wollen und dafür die Dokumente öffentlich machen werden. Es ist also offensichtlich, dass der öffentliche Druck bei dem Thema etwas bewirkt hat.

Für uns Grüne ist deshalb die erste Grundforderung: Es muss mit der Geheimniskrämerei in dieser Frage Schluss gemacht werden!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir können uns auch nicht vorstellen, dass es zu einem Freihandelsabkommen kommen kann, bevor nicht der Schutz unserer persönlichen Daten umfassend vereinbart wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man sich über diese Frage ohne die andere einigen kann.

Die zweite Forderung ist: Kein Abkommen darf dazu führen, dass das gegenwärtige und in Zukunft hoffentlich steigende Niveau von europäischen Standards im Verbraucherschutz, im Natur- und Umweltschutz,

bei Arbeitnehmer- und sozialen Rechten infrage gestellt wird.

Drittens. Die europäische Landwirtschaft darf nicht unter weiteren Druck zur Industrialisierung gesetzt werden.

Schließlich darf die souveräne Entscheidung der Staaten und der Staatengemeinschaft der EU, Recht zu verändern und sich davor vor ihren Gerichten zu verantworten, nicht durch außergerichtliche und dann nicht anfechtbare Schiedssprüche ausgehebelt werden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, die Antwort des Senats auf unsere Große Anfrage ist nur der Auftakt. Die öffentliche Diskussion zu der Frage hat gezeigt, dass es ein großes Interesse dafür gibt. Ich habe den Senat in der Antwort so verstanden, dass wir ihn bei diesen Forderungen auf unserer Seite haben. – Herzlichen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Gottschalk, Fraktion der SPD.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Verhandlungen über das Transatlantische Freihandelsabkommen haben insbesondere bei politischen Aktivisten, bei Nichtregierungsorganisationen, aber auch bei Gewerkschaften große Befürchtungen und auch eine anhaltende Kritik ausgelöst.

Man kann natürlich sagen, dass manche dieser Befürchtungen und Kritiken einer ausgeprägten WorstCase-Sichtweise und einem gewissen Hang zu einer überspitzenden Schwarzmalerei entspringen. Aber man muss sehen – und das hat Hermann Kuhn eben schon aufgezeigt –, dass diese Kritiken und Befürchtungen nicht von ungefähr kommen und dass es Gründe gibt, die zu Recht Misstrauen erzeugen.

Auch wir sehen dabei vor allem drei Punkte. Das ist erstens die ausgeprägte regelrechte Geheimdiplomatie, mit der diese Verhandlungen nach dem Drehbuch, was sie jetzt haben, betrieben werden sollen. Die Geheimhaltung selbst des Mandats, des Verhandlungsauftrages, der privilegierte Zugang nur für die Exekutive, das sind Dinge, die dazu führen, dass die Öffentlichkeit weitgehend ausgeschlossen ist. Dies weckt Misstrauen, und das kommt nicht von ungefähr.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Der zweite Punkt, der damit verbunden ist – auch das müssen wir sehen –, ist natürlich der nur begrenzte Einfluss, der schwache Einfluss der Parlamente. Dass

nicht einmal wir Zugang zu diesen Papieren haben, ist eigentlich ein Unding. Das Gesamtverfahren, dass am Ende die Parlamente zwar darüber entscheiden dürfen, aber nur über das Gesamtpaket und dann nur mit Ja oder Nein stimmen können und wir auf einzelne problematische Sachen sozusagen keinen Einfluss mehr darauf haben, ist eigentlich ein No-Go. Das kann eigentlich nicht so sein!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Man muss drittens sehen, dass der Einfluss von Interessentengruppen sehr ungleich verteilt ist. Es heißt zwar, dass auch Interessentengruppen informiert und angehört werden. Aber die Einwirkungsmöglichkeiten sind sehr ungleich verteilt. Schon die Entstehungsgeschichte dieses Großprojektes ist davon geprägt, dass wesentliche Gedanken in kleinen elitären transatlantischen Businesszirkeln vorgedacht und eingeleitet worden sind. Wenn man sich eines Artikels in der „Süddeutschen Zeitung“ erinnert, dann sieht man, dass an diesen Verhandlungen bis zu 600 Vertreter der Wirtschaft unmittelbar beteiligt sind. Das kann auch nicht anders sein, wenn man Wirtschaftsfragen verhandeln will. Aber Wirtschaftsfragen sind keine Fragen, bei denen allein die Wirtschaftsvertreter die Interessenswalter für alle sind. Sie sind eben Interessensvertreter, und es kann in diesem Bereich eigentlich nicht sein, dass Wirtschaftszirkel Papiere zur Verfügung haben, die Parlamenten vorenthalten werden.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Ferner wecken die besonderen Pläne für einen intensiven Investorenschutz Misstrauen und Befürchtungen. Das ist vor allem die vorgesehene Einrichtung oder – wie man auch sagen kann – der Ausbau von besonderen Schiedsgerichten im Innenverhältnis von Staaten und Investoren. Solche Schiedsgerichte – das muss man einfach sehen – sind ein Fremdkörper in unserem Rechtssystem. Sie sind im Grunde genommen eine Sondergerichtsbarkeit, ein Sonderklagerecht für große Konzerne. Denn es ist klar: Wer wird denn diese Möglichkeiten nutzen, um gegenüber Staaten möglicherweise milliardenschwere Klagen auf den Weg zu bringen? Das werden keine kleinen Unternehmen sein, das werden keine kleinen Verbände sein, sondern das werden – und das sehen wir schon jetzt – große Konzerne sein. Es ist verwiesen worden auf Kanada, auf die USA, auf Vattenfall, aber es gibt auch ein Beispiel aus Australien, wo Philip Morris dagegen klagt, dass dort auf Zigarettenpackungen Warnhinweise gedruckt werden.

Man kann zwar sagen, dass es so etwas schon gibt. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man dies weiter ausbaut, dann setzt man eine kaum abschätz

bare Dynamik in Gang, denn wir wissen gerade aus den USA, dass insbesondere die großen Rechtsanwaltskanzleien sehr findig sind und dass sie zu eigenen Akteuren werden, die nach Ansatzpunkten suchen, um großen Konzernen Klageverfahren vorzuschlagen, um auf diesem Wege Milliarden herauszuholen. Dies ist eine Gerichtsbarkeit, wozu ich sagen würde: Das kann nicht sein. Da besteht ein erheblicher Aufklärungsbedarf.

Misstrauen und Befürchtungen erwecken insbesondere die Verhandlungsinhalte. Ich glaube, es wird weniger um den beabsichtigen Abbau von tarifären Hindernissen, also von Zöllen und Quoten, gehen, sondern insbesondere um den Abbau nicht tarifärer Hemmnisse. Dabei geht es nicht nur um Bürokratie, was man noch verstehen könnte, sondern um Qualitätsstandards, Verpackungsvorschriften, Herkunftsund Inhaltsangaben, technische und rechtliche Anforderungen an Produkte.

Hermann Kuhn hat darauf hingewiesen: Wir haben die Versicherungen, dass keine bestehenden Schutzstandards abgebaut werden. Ich glaube auch nicht, dass wir Chlorhühnchen oder hormonell verseuchte Rindfleischangebote sehen werden. Aber der Teufel steckt im Detail, und vor allem: Wie wirkt sich das eigentlich darauf aus, Vorschriften und Schutzstandards in der Zukunft zu verbessern? Das sind Fragen, die aufgeworfen worden sind.