Protokoll der Sitzung vom 23.01.2014

Europa ist vermutlich das erfolgreichste Friedensprojekt der Geschichte, und wir können froh sein, hier zu leben. (Beifall bei der CDU)

Dass Europa Probleme hat, ist unwidersprochen. Ich hätte daher gerne mit Ihnen über Flüchtlingspolitik gesprochen, aber auf ernsterer Grundlage und nicht mit solch einer fast schon europafeindlichen Polemik. Jeder Staat hat Außengrenzen, und diese gilt es zu schützen. Das ist allein schon eine Verpflichtung gegenüber der Bevölkerung. Vor Kriminalität muss geschützt sein, vielleicht vor externen Aggressoren, und, ja, auch Einwanderung muss kontrolliert sein, wobei ich Flüchtlinge ausdrücklich von normaler Migration ausnehme. Europa steht hier sicherlich vor einer großen Herausforderung. Aber das wird Europa nur mit einer klaren Außen- und Sicherheitsstrategie schaffen, von der Ihr Antrag leider meilenweit entfernt ist. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als Nächste hat das Wort Frau Kollegin Vogt, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon ganz

witzig oder interessant, was hier alles gefallen ist: von Heimatfront bis zu Europafeindlichkeit.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das sind Ihre eigenen Begriffe! Die kommen von Ihnen!)

Aber darum geht es hier eigentlich gar nicht! Um alles das geht es hier überhaupt nicht!

Zunächst, Kollege Reinken, diese Diskussion mit den Menschen vor Ort, die in den Betrieben arbeiten, haben wir schon an anderer Stelle gehabt, zum Beispiel als wir über Rüstungsexporte nach SaudiArabien geredet haben. Ja, es ist so: Wir haben in Bremen 12 000 Beschäftigte in der Raum- und Luftfahrtindustrie. Davon ist ein großer Teil über Airbus in zivilen Projekten beschäftigt. Es ist aber auch so, dass circa 4 000 Beschäftigte unmittelbar in Rüstungsprojekten oder in der Rüstungsindustrie in Bremen arbeiten. Auch das ist hier thematisiert worden.

Ich habe an dieser Stelle schon durchaus thematisiert, lieber Kollege Reinken, dass die Beschäftigten nicht dafür verantwortlich sind, was für ein Geschäftsmodell sich das Unternehmen aussucht. Es ist nun einmal leider so, dass bei Hochtechnologie im Rüstungsbereich mit vergleichsweise wenig Arbeitskräften eine hohe Rendite eingefahren wird, und zwar eine größtmögliche. Es ist auch völlig klar, lieber Kollege Reinken, dass man das auf Landesebene so gut wie gar nicht lösen kann, wie wir wissen. Es gab ein Landeskonversionsprogramm, was irgendwie in großen Teilen gescheitert ist, weil es nämlich keine entsprechenden europäischen und deutschen Rahmenbedingungen gab.

Das alles ist hier schon mehrfach diskutiert worden, und das brauchen wir nicht weiter auszuführen.

Ich komme aber noch einmal auf das zurück, was der Kollege Kuhn gesagt hat, nämlich die Frage: Ist Frontex reformierbar? Das kann ja sein, und es ist übrigens nicht nur die europäische Grünen-Fraktion, die daran arbeitet. Es gibt durchaus noch andere Kräfte im Europaparlament, die daran arbeiten, dass die europäische Asyl- und Aufenthaltspolitik und damit auch die Grenzschutzagentur Frontex anders aufgestellt werden. Aber im Moment hat Frontex einen klaren Auftrag. Dieser Auftrag ist angesichts der Tragödie von Lampedusa sogar noch verschärft worden, wenn man sich die Regierungschefs anguckt. Deren Reaktion war nämlich unmittelbar: Wir müssen noch mehr abschotten.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das stimmt nicht!)

Es gibt Beispiele, dass Bremer Firmen da leider eben zuliefern.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Was heißt denn „zuliefern“?)

Ich kann das hier noch ein bisschen erläutern! Es gibt das EU-Projekt Dolphin. Dolphin ist im Rahmen von PERSEUS ein Projekt. Es hat den direkten Auftrag, illegale Immigration zu vermeiden. Das steht sogar in dem Auftrag drin. Daran ist über LuxSpace OHB beteiligt. Die Daten werden über das Zentrum für Luftfahrt- und Raumindustrie – also das DLR in Bremen – direkt ausgewertet, und die Daten werden an Frontex zurückgegeben.

Das Gleiche haben wir bei dem Radarsatelliten, von dem ich eben gesprochen habe: TerraSAR-X. Die Daten werden in München – das ist eine hundertprozentige Astrium-Tochter – ausgewertet und direkt an Frontex weitergegeben und verkauft.

Das ist das, was wir hier kritisieren. Man kann doch nicht immer nur Anträge mit Blick auf die höchstmögliche Ebene stellen, sondern man muss auch gucken: Was passiert hier vor Ort, und wer ist daran beteiligt.

(Beifall bei der LINKEN)

Das WFB-Cluster MARISSA besteht praktisch nur aus Firmen, die wir aus Rüstungszusammenhängen kennen, also Firmen, die Satelliten und Drohnen für Überwachung herstellen. Das ist der erste Punkt, bei dem man auf die Idee kommen könnte, dass hier ein problematisches Projekt subventioniert wird. Auch wenn es heißt, das sind jetzt nur noch 250 000 Euro – ich weiß, die Vorgänger GAUSS und CEON haben erheblich mehr gekriegt –, diese 250 000 Euro dienen dazu, diesen riesigen Topf an EU-Subventionen für dieses Forschungsprojekt anzuzapfen.

Der zweite Punkt: In offiziellen Dokumenten der Wirtschaftsförderung für einen Kongress im Jahr 2012 wird von maritimer Grenzsicherung geschrieben. Aber es ist relativ unwahrscheinlich, dass die hochauflösenden Hightech-Satelliten von OHB und Astrium die Seegrenze zu Dänemark oder Holland überwachen sollen. Es ist nicht nur unwahrscheinlich, sondern sie sagen in ihren eigenen Berichten und Projekten selber, dass sie über der Meerenge von Gibraltar eingesetzt werden.

Und natürlich: Es gibt Echtzeitsimulationen – die können Sie sich gerne angucken –, die darauf abzielen, die Boote schon direkt an der afrikanischen Küste vor Marokko abzufangen, beziehungsweise es soll simuliert werden, wann sie in einem Gebiet sind, in dem man sie mit den Grenzschutzbooten abfangen kann.

Dritter Punkt: Die WFB hilft bei der Akquise von EU-Subventionen in entsprechenden Forschungsprojekten; das habe ich eben schon gesagt. Dass es mehrere Projekte von MARISSA-Unternehmen gibt, die im Rahmen des Forschungsrahmenplans der EU eindeutig Frontex und dem Grenzschutz zuarbeiten, ist nachgewiesen. Das haben schon seriöse Medien berichtet. Wie gesagt, das ist nicht nur das, was wir irgendwie recherchiert haben. Sie machen auch gar keinen Hehl daraus.

(Glocke)

Der vierte Punkt: Es ist gelungen – dann komme ich auch zum Schluss! –, MARISSA an ein Projekt des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt zu koppeln, was 2012 ins Leben gerufen worden ist. Dieses Bund-Länder-Projekt heißt etwas sperrig „Forschung und Entwicklung für die Maritime Sicherheit und entsprechende Echtzeitdienste“ und wurde am 12. Oktober 2012 im HaFa, also im Haushalts- und Finanzausschuss der Bremischen Bürgerschaft, beschlossen. Zu diesem Forschungsprojekt, das laut Beschluss des Bundestags mit dem Bremer Verbund MARISSA eng kooperieren soll, sagt zum Beispiel Dr. Dennis Göge vom DLR ganz eindeutig in einem Interview der Fachzeitschrift „Homeland Security“ von 2012: Man will damit einen Beitrag zum Bereich Sicherung der europäischen Außengrenzen liefern. – Es ist auch ganz klar, worauf das bezogen wird.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Wieso ist das eigentlich ganz klar?)

Was wir hier einfach sagen: Es gibt mit Sicherheit eine Menge sinnvoller Projekte, die die WFB fördern kann. Aber warum muss ausgerechnet eine Förderung immer in eine Richtung mit Unternehmen gehen, die ganz klar im Rüstungsbereich arbeiten und die Frontex zuarbeiten, was hoch problematisch ist? Das passt einfach auch nicht mit der Beschlusslage in diesem Haus zusammen, Herr Kuhn. Ich kann mich sehr gut an die Debatte im November erinnern. Aber warum kritisiert man dann nicht, dass der Senat Unternehmen subventioniert beziehungsweise dafür sorgt, dass sie weitere Subventionen erhalten, die ein hoch problematisches Eigenverständnis haben und hoch problematisch in die EU-Ebenen von Frontex und Eurosur eingebunden sind, was wir hier zu Recht – zumindest diesseitig – kritisiert haben?

Ich finde, es gibt überhaupt keinen Grund, zu sagen: Das muss unhinterfragt so bleiben.

(Glocke)

Das kann man kritisieren, und das tun wir. Ich finde es durchaus logisch und konsequent von uns, dass wir sagen: Wir wollen so eine Art Zivilklausel für Wirtschaftsförderung. – Das wäre nämlich der zweite Schritt.

(Beifall bei der LINKEN)

Als Nächster hat das Wort Herr Kollege Dr. Kuhn, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will versuchen, auf ein, zwei Dinge einzugehen!

Sie hatten in Ihrem ersten Beitrag gesagt, dass von einem Bremer Unternehmen „Daten im Rahmen der Grenzüberwachung“ erhoben werden. Darin ist das ganze Knäuel des Missverständnisses enthalten.

Die Daten, die über den Satelliten erhoben werden, sind Daten, die sich auf die Erdoberfläche und auf bestimmte Abschnitte und so weiter – ich muss nicht erklären, worum es da geht! – beziehen. Die werden erhoben. Die werden nicht im Rahmen der Grenzüberwachung erhoben, sondern sie werden erhoben, und dann werden sie ausgewertet. Es ist nicht so, dass diese Firma darangeht und sagt: Jetzt gehen wir mal hin und sagen, das sind Daten für euch. – Vielmehr kommen dann andere mit einem politischen Auftrag, der eigentlich darauf gerichtet ist, Menschen zu retten – eigentlich, aber sie haben sich nicht daran gehalten! –, und wollen die Daten haben, wobei sie dann immer noch sagen werden: Wir wollen die Daten haben, um rechtzeitig zu wissen, wo sich kleine Schiffe auf dem großen Meer befinden, die wir möglicherweise retten müssen, wenn es hart auf hart kommt.

Dass das dann nicht so ist, ist wiederum eine Frage von politischen Entscheidungen und von menschlichen Entscheidungen. Aber es ist nicht die Frage einer Firma, die gute Kenntnisse über das Meer verkauft. Das ist genauso, als früher eine Firma bessere Kenntnisse über das Meer durch Radar und durch andere Instrumente entwickelt hat. Um Ihnen noch einmal klar zu machen, wo der Unterschied liegt: Sie tun so, als wären diejenigen, die Daten liefern, die zu zehn, 20 verschiedenen Zwecken nutzbar sind, für die Art und Weise verantwortlich sind, wie Daten dann am Ende der Kette genutzt werden. Das ist der entscheidende Fehler, den Sie machen. Dann kommen Sie zu solchen Kurzschlüssen auf Plakaten, womit am Ende Firmen beziehungsweise der Senat für Menschen verantwortlich gemacht wird, die tragischerweise ihr Leben verlieren. Das ist der politische Fehler, den Sie immer wieder machen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das Zweite ist, dass Sie maritime Sicherheit – der Kollege Reinken hat diese fünf Punkte aus dem Programm „Forschungsverbund Maritime Sicherheit“ zitiert – von vornherein auf die Frage einengen, ob und wie im Mittelmeer mit Flüchtlingsbooten umgegangen wird. Ich meine, maritime Sicherheit ist ein weiter Begriff. Ich will nicht das wiederholen, was er gesagt hat. Die Verbesserung maritimer Lagebilder zum Beispiel gegen illegale Ölverklappung: Dabei handelt es sich um Vergehen, Verbrechen, die von der Polizei geahndet werden müssen. Dazu braucht man bessere Informationen.

Was gerade den illegalen Kriegswaffenexport angeht: Auch dazu braucht man Instrumente der Sicherheitsüberwachung. Man braucht sie im Hafen. Das

ist dann ganz nah bei der Polizeiaufgabe, aber ganz fern von eigentlichen militärischen Sicherheitsfragen.

Natürlich brauchen wir – dazu hat der Kollege Reinken das Nötige gesagt – auch eine Kontrolle der Außengrenzen. Wollen Sie denn im Ernst sagen, wir brauchen keine Kontrolle unserer Außengrenzen gegen illegale Schmuggelei, gegen Kriegswaffen, gegen Menschenhandel? Wollen Sie ernsthaft sagen, wir brauchen das gar nicht? Oder wollen Sie das wieder an die nationalen Außengrenzen zurückverlegen? Das ist die Entscheidung, die Sie treffen müssen, und darum drücken Sie sich mit nebulösen Dingen.

(Glocke)

Herr Kollege Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vogt?

Bitte schön!

Herr Kollege Kuhn, es geht nicht darum, dass Daten gesammelt und von unterschiedlichen Nutzern aufgekauft werden, sondern es geht um EU-Projekte, die im Rahmen von Frontex oder jetzt Eurosur als Test- und Pilotprojekte gelaufen sind und bei denen es darum ging – das war unter Beteiligung von LuxSpace, einer OHBTochter –, Migration am Entstehungsort zu verhindern, und unter anderem diese Daten werden in Bremen ausgewertet. Das ist ein ganz klarer politischer Auftrag. Es geht nicht um eine Firma mit einem Satelliten, der zur Umweltüberwachung oder zur maritimen Sicherheit Daten speichert und Daten sendet, die dann von Frontex aufgekauft werden, sondern der Weg war ein umgekehrter, und das ist doch zu kritisieren. Oder sehen Sie das anders?

Ja, das will ich Ihnen gern beantworten! Die Frage, ob man zum Beispiel die libysche oder die tunesische Regierung frühzeitig über Bewegungen auf dem Mittelmeer informiert – möglicherweise mit entsprechenden Vereinbarungen darüber, wie die dort reagieren –, kann man politisch diskutieren, also ob das ein richtiger Weg ist. Das kann man abwägen. Möglicherweise werden die einen sagen: Das ist immerhin besser, als die Menschen auf solchen Nussschalen auf das Meer zu schicken, wobei man nicht weiß, wo sie dann ankommen. Dazu kann man auch anderer Meinung sein. Ich will Ihnen gerne zugestehen, dass es dazu eine offene Debatte gibt. Gemessen an dem Schicksal der Menschen, bin ich mir nicht so sicher, zu welchem Ergebnis wir kommen. Aber die Daten, die dafür benutzt werden, für die möglicherweise falsche oder richtige Entscheidung verantwortlich zu machen, das ist der Fehler, den Sie machen. Deswegen halte ich nichts von dem, was Sie sagen und was Sie angreifen.

Es geht immer um die politischen Entscheidungen, um die Wege, die man wählt. Darüber können wir uns gerne streiten. Aber es geht nicht um die Frage, ob dort gute Lagebilder über Schiffsbewegungen erstellt werden oder nicht, denn das kann und soll eine Hilfe sein. Wenn sie nicht als Hilfe benutzt werden, ist es falsch, und wenn es als Hilfe benutzt wird, dann hat es genutzt.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen – Abg. Frau V o g t (DIE LIN- KE) meldet sich zu einer Zwischenfrage. – Glocke)

Herr Kollege Kuhn, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der – –?

Nein, ich würde gerne einfach den letzten Gedanken zu Ende führen! Ich glaube, das war ja die wesentliche Frage.

Es gibt doch am Ende drei Möglichkeiten.