Protokoll der Sitzung vom 23.01.2014

Es gibt doch am Ende drei Möglichkeiten.

Erstens: Wir machen uns gemeinsam auf den Weg. Ich habe gesagt, im Europaparlament gibt es dafür eine Mehrheit. Das sind nicht die Grünen, die die Mehrheit haben, sondern es gibt viele, die gemeinsam arbeiten, um zu einer Neubestimmung des Mandats und der Arbeitsweise nicht nur von Frontex, sondern von Frontex mit den nationalen Küstenwachen zu kommen.

Das ist nicht leicht. Dabei gibt es viele Widerstände, gerade aus dem Rat, also von den europäischen Regierungen. Dies ist der erste Weg. Ich bin absolut für diesen ersten Weg.

Das Zweite ist, einfach zu sagen: Sicherung der Außengrenzen ist überhaupt keine Aufgabe. Wir tun mal so, als gäbe es diese Aufgabe nicht! – Ich halte das für blauäugig und für schädlich in der Folge.

Und das Dritte ist, auf die gemeinsame Sicherung der EU-Außengrenzen zu verzichten und das wieder zu renationalisieren. Auch das wollen wir nicht.

(Abg. Frau V o g t [DIE LINKE]: Das haben wir nicht beantragt! Das findet sich in un- serem Antrag gar nicht wieder!)

Deswegen wollen wir den Weg, den Sie gehen, absolut nicht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächster hat das Wort Herr Kollege Reinken, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In aller Kürze: Frau Vogt, im Mittelpunkt Ihres Antrags steht ja nicht die Kritik an

Frontex. Im Mittelpunkt Ihres Antrags und im Beschlussteil steht, dass wir das mit MARISSA lassen sollen. Das ist der Antritt, den wir hier beschließen sollen: Forschungsprojekte an öffentlichen Hochschulen und Institutionen, industriepolitische Cluster, sonstige Subventionsprojekte, an denen OHB, Signalis, RDE, EADS Astrium in Bezug auf Grenzsicherung, maritime Überwachung, Überwachung der Küsten, Bekämpfung sogenannter illegaler Migration beteiligt sind, umgehend aufzulösen. – Das ist Ihr Antritt und nicht die Kritik an Frontex.

(Zuruf der Abg. Frau V o g t [DIE LINKE])

Jetzt frage ich Sie aus Ihren Worten heraus: Was ist denn falsch daran, wenn wir im Zusammenhang mit Ihrer Feststellung, wir haben 4 000 Beschäftigte in Rüstung in Bremen – ich weiß nicht genau, ob es stimmt; aber egal! –, mit MARISSA ein Projekt fördern, dessen zentrale Ansage es ist, Unternehmen, die einen überwiegenden Teil, einen geringen Teil oder einen mittleren Teil im Rüstungsbereich beschäftigt haben, dazu zu befähigen, ein ziviles Standbein auszubauen? Das genaue Gegenteil von dem, was Sie wollen, ist doch richtig! Mit MARISSA, mit diesen Projekten der maritimen Sicherheit, befähigen wir im Rahmen dieses Clusters Unternehmen dazu, ihre zivilen Potenzen auszubauen. Das ist doch im Grunde genommen etwas, was wir wollen müssen und was wir auch unterstützen müssen. Das nur als abschließende Bemerkung dazu!

Lassen Sie uns von daher versuchen, gemeinsam das Thema Flüchtlingspolitik, Migration nach Europa, Kritik an Frontex und an Zuständen, die dort gegenwärtig herrschen, zu transportieren! Aber lassen Sie uns bitte nicht alles in einen Pott schmeißen! – Danke schön!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als Nächster hat das Wort Herr Staatsrat Dr. Heseler.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich dem, was die Abgeordneten Kuhn und Reinken hier ausgeführt haben, voll zustimme. Das ist meine persönliche Meinung, und das ist auch die Meinung des Wirtschaftssenators, des Senats. Ich glaube, dass wir eine klare, eine einheitliche Position mit einer großen Mehrheit auch des bremischen Parlaments haben. Wir wollen keine Jagd auf Flüchtlinge, wir wollen nicht, dass Flüchtlingsboote zurückgeschickt werden, und es ist auch klar, dass es einer Reform von Frontex bedarf; dabei gibt es keine Missverständnisse.

Ich stimme dem Abgeordneten Reinken ausdrücklich zu! Es geht Ihnen eigentlich um etwas ganz an

deres. In Ihren Forderungen sprechen Sie von einer Frontex-bezogenen Wirtschaftsförderung. Die gibt es überhaupt nicht. Es gibt keine Frontex-bezogene Wirtschaftsförderung. In Ihrem Vordergrund steht das Projekt MARISSA, das Cluster MARISSA. Dazu muss ich sagen – da sind wir ganz eindeutig –: MARISSA ist ein Cluster von führenden Bremer Unternehmen, das mit Unterstützung des Wirtschaftssenators entstanden ist, ein Netzwerk, das sehr erfolgreich gewesen ist und worauf wir eigentlich sehr stolz sind. Wir werden das auch weiter unterstützen. Dazu gehören Unternehmen, die ein Highlight am Standort Bremen sind, wie etwa OHB oder EADS Astrium, Rheinmetall, Atlas Elektronik und viele andere, mit denen wir als Wirtschaftsressort in sehr engem Kontakt sind, die wir fördern und unterstützen, aber nicht so sehr mit Geld – denn davon haben wir nicht mehr so viel –, sondern vor allen Dingen, indem wir Kompetenzen, Netzwerke stützen, wovon MARISSA ein ganz wichtiges ist.

Wenn man heute weltweit fragt, wo denn die Kompetenzzentren in der Raumfahrt in Europa sind, dann werden drei Standorte genannt: Toulouse, München, Bremen. In den letzten Jahren ist zunehmend von Bremen die Rede, weil wir hier so erfolgreiche Unternehmen haben und weil wir inzwischen auch der führende Standort in der Forschung in diesen Bereichen sind: DLR-Institut, DFKI, das IUP, eines der führenden Universitätsinstitute im Bereich der Erdfernerkundung, und vieles andere mehr.

Wir haben in 10, 20 Jahren, also über einen sehr langen Zeitraum, durch die gute Infrastruktur in Bremen und durch die Vernetzung von Unternehmen und Forschungseinrichtungen erfolgreich dazu beigetragen, dass wir heute wettbewerbsfähig sind und dass viele, sehr viele Arbeitsplätze hier entstanden sind. Sie haben selbst Zahlen genannt, die ich zu hoch finde, nämlich 12 000. Wir haben 4 000, 5 000 direkt in den Unternehmen. Es gibt Hunderte von Arbeitsplätzen in hervorragenden Forschungseinrichtungen, und ein Schwerpunkt dabei ist maritime Sicherheit, ist Erdfernerkundung. Vor allen Dingen sind wir in den letzten Jahren in der Verbindung maritimer Unternehmen und Raumfahrtunternehmen sehr erfolgreich gewesen. Das ist einer der ganz großen Standortvorteile von Bremen.

Wir haben es geschafft, mit relativ wenig bremischem Geld viele Bundesmittel in diese Region zu holen, denn die Förderung von vielen Projekten, die hier stattfinden, findet überwiegend mit Mitteln des Bundes oder der EU statt, und Bremen leistet eine gewisse Grundfinanzierung dazu.

Wir sind so erfolgreich, dass inzwischen Bremer Institute im nationalen maritimen Technologieprogramm die Federführung haben. Ich glaube, in Berlin weiß man, welche Kompetenzen hier sind, und das sichert Arbeitsplätze, das stärkt den Standort. Deswegen werden wir, was MARISSA angeht, weiterfahren.

Es wäre für uns, Frau Vogt, ein Leichtes gewesen, zu sagen: Das, was das DLR im Forschungsverbund Maritimer Sicherheit hat, wollen wir nicht. – Denn es gab vier Bundesländer – das kann ich Ihnen sagen, weil wir in einem Verbund von Bundesländern stehen –, die das sofort genommen hätten: Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Hamburg, Bayern wären sofort bereit gewesen, diesem – –. In Deutschland wäre das Gleiche passiert, aber es wäre nicht in Bremen passiert, es wäre an einem anderen Ort in Bayern passiert. Wir haben es geschafft, dass mit dem DLR-Forschungsverbund zusätzlich zu dem bestehenden DLR-Institut ein Forschungsverbund nach Bremen gekommen ist. Das ist deswegen bemerkenswert, weil die Leiterin dieses Instituts aus München, aus Oberpfaffenhofen, nach Bremen gekommen ist. Wir haben es also in Raumfahrtaktivitäten, in Erdfernerkundung geschafft, Kompetenzen aus Bayern nach Bremen zu holen, weil wir inzwischen eine relativ starke Stellung im DLR-Institut haben. – Das hätten wir also verhindert

Ich will Ihnen einmal die Aufgaben nennen, die dieser Forschungsverbund durchführt: die Verbesserung der Erstellung maritimer Lagebilder, unter anderem – daran sehen Sie, wo die Probleme wirklich liegen, und die haben nichts mit Flüchtlingen zu tun! – Verfolgung illegaler Ölverklappung, Tankspülungen auf offener See – das sind zentrale Probleme, die wir haben –, die Erhöhung der Sicherheit im Schiffsverkehr auf dicht befahrenen Strecken der Nord- und Ostsee, die Gewährleistung der Hafen- und Offshoresicherheit. Wenn wir mit der Offshore-Windindustrie in Deutschland erfolgreich sind, werden künftig Hunderte von Menschen täglich in der Nordsee arbeiten. Wir brauchen dort eine vernünftige Sicherheit, und die ist heute ohne Erdfernerkundung nicht mehr zu leisten.

Ich glaube, der Abgeordnete Kuhn war es, der auf die DGzRS, die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, zu sprechen gekommen ist. Das ist eine Gesellschaft, die, wie Sie wissen – Sie haben ja gestern über die Eiswette gesprochen –, seit über 100 Jahren in Bremen ansässig ist. Diese Gesellschaft ist ein Netzwerk, nicht staatlich gefördert, mit hohen Kompetenzen. Die DGzRS hat inzwischen ihr Zentrum für Offshore-Sicherheit hier in Bremen. Das sind Aufgaben maritimer Sicherheit.

Dazu kommen die Gewährleistung der Sicherheitsinteressen des Bundes im Rahmen der Export- und Kriegswaffenkontrolle – auch das ist ein ganz zentraler Punkt – und die Ortung von Schiffen mit abgeschalteten Transpondern. Das alles sind Tätigkeiten, die in Deutschland benötigt werden, wofür wir Technologien und Kompetenzen brauchen. Und diese Kompetenzen haben wir hier in Bremen.

Weiter: Unterstützung beim Küsten- und Meeresschutz. Dabei kommen wir auf das Dual-Use-Problem, was schon angesprochen worden ist.

Wir als Wirtschaftsförderer – das wissen Sie, und darauf haben wir mehrfach hingewiesen – fördern

keine wehrtechnischen Projekte und Maßnahmen. Wir fördern die zivile Anwendung von Technologien. Allerdings – und das ist genauso klar –: Die Unternehmen, die wir hier haben und die hohe Kompetenzen haben, sind auch im Bereich der militärischen Produktion, Aufklärung tätig. Das ist völlig klar. Bremen ist – Sie können das so nennen! – einer der großen Rüstungsstandorte in Deutschland. Das ist seit sehr, sehr langer Zeit so. Viele Menschen arbeiten dort. Ich will ein Projekt nennen, das bisher nicht genannt wurde: SAR-Lupe ist ein Projekt des Bundesverteidigungsministeriums bei der Firma OHB. Dort ist Hightech zur Erdfernerkundung für militärische Zwecke entwickelt worden. Was spricht gegen ein solches Projekt, das die Bundeswehr durchführt, und was spricht dagegen, dass ein Bremer Unternehmen eine solche Technologie führt?

(Abg. R u p p [DIE LINKE]: Das ist eine spannende Frage!)

Ja, das kann ich Ihnen sagen! Wenn es eine Bundeswehr, ein Bundesverteidigungsministerium gibt, dann ist es doch wohl auch sinnvoll, dass, wenn Firmen in Bremen die entsprechenden Kompetenzen haben, sie sich darum bewerben. Die Firma Airbus sehen Sie nur auf dem zivilen Bereich. Ich kann Ihnen sagen, dass viele Hundert Beschäftigte in der Firma Airbus für den militärischen Transporter A400M arbeiten und auch dabei ein Schwerpunkt hier in Bremen ist. (Glocke)

Frau Vogt, Sie können gleich fragen. Aber ich will Ihnen das einfach deutlich sagen. Das ist Fakt. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, was wir wollen oder nicht. Bremen ist ein ganz wichtiger Standort der wehrtechnischen Industrie. Darin sind einige Tausend Arbeitnehmer beschäftigt. Diese Arbeitnehmer und diese Industrien werden wir auch stärken.

Herr Staatsrat, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vogt?

Ja!

Das ist tatsächlich nur eine kleine Frage. Dass wir eine andere Meinung zu diesem Rüstungsstandort haben, ist ja bekannt. Ist Ihnen aber bekannt, dass die SAR-Lupe, die OHB entwickelt hat, auch von Frontex eingesetzt worden ist? interjection: (Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: In Afghanistan wird sie eingesetzt!)

In Afghanistan wird sie eingesetzt, ja, auch, aber auch von Frontex!

Zu der Frage, wo sie eingesetzt wird: Das weiß ich nicht so genau, weil das der

Geheimhaltung unterliegt. Dass damit weltweit Bilder gemacht werden, ist völlig klar, und dass sie militärisch genutzt werden, ist auch völlig klar. Also insofern können Sie – –.

(Abg. Frau V o g t [DIE LINKE]: Auch von Frontex!)

Es mag sein, dass das auch von Frontex genutzt wird. Aber Frontex ist die Organisation zum Schutz der europäischen Grenzen. Dass Frontex Fehler gemacht hat, hat ja auch der Europäische Gerichtshof festgestellt. Dass die Praxis von Frontex zu reformieren ist, wie es der Abgeordnete Kuhn hier gesagt hat, ist doch völlig klar. Aber das ist doch keine Verbrecherorganisation. Das ist eine Organisation der Europäischen Union, eine vom Staat eingesetzte Agentur. Die müssen wir reformieren. Sie hat Fehler gemacht, wie das auch in vielen anderen Bereichen vorkommt.

Dass wir diese Flüchtlingspolitik nicht wollen, ist, wie hier sehr deutlich geworden ist, ganz klare Meinung des Senats. Aber wir dürfen uns nicht einfach darüber hinwegtäuschen, dass wir in Bremen aufgrund des Dual-Use-Charakters Technologien haben, die zivil wie militärisch zu nutzen sind. Wir können und wollen dies auch nicht verhindern. Wir wollen diesen Standort weiter stärken. Diese Unternehmen, die Sie zum Teil ja sogar diffamieren, sind für uns ganz wichtige Akteure am Standort. Damit wird der Senator für Wirtschaft weiter eng zusammenarbeiten, und er wird sie auch stärken und die Arbeitsplätze in diesem Bereich unterstützen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktion DIE LINKE mit der Drucksachen-Nummer 18/1110 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür DIE LINKE)

Gegenprobe!

(Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und BIW)

Enthaltung?