Protokoll der Sitzung vom 27.02.2014

Ich finde, dass wir in Bremen seit dem Fall Kevin große Fortschritte gemacht haben, ich finde, dass der runde Tisch gute Arbeit leistet, und ich finde es dennoch richtig, dass wir hier im Parlament immer wieder neu darauf achten, dass die Arbeit vorangeht.

Lassen Sie mich noch einen Punkt sagen, der mir ganz wichtig ist! Fehler werden in dem Bereich des Jugendamtes, der Casemanager gemacht –

(Glocke)

ich komme gleich zum Schluss –, die Frage ist, wie wir mit den Fehlern umgehen. Jeder einzelne Fehler muss offen diskutiert werden können, ohne Druck, ohne Angstzustände der jeweiligen Casemanager. Wir brauchen eine Fehlerkultur, die in der Lage ist, das aufzuarbeiten, um aus den Fehlern jeweils zu lernen.

Ich sage an dieser Stelle abschließend noch einmal einen ganz riesengroßen Dank an all die Akteure, die sich in diesem schwierigen Arbeitsfeld bewegen. Das ist eine Aufgabe, die unser aller Achtung erwarten darf. Ich habe großen Respekt genau davor! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Schlenker, Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Möhle hat die wichtigen Dinge alle beim Namen genannt. Trotzdem will ich versuchen, auch hier noch einmal unsere grüne Position ein wenig klarer zum Ausdruck zu bringen. Ich bin der CDU dankbar, dass dieses Problem hier noch einmal in den Fokus der Bürgerschaft rückt. Wir haben uns die letzten drei Jahre, 2011, 2012, 2013, nicht wenig mit diesem Thema auseinandergesetzt. Aber das Thema ist es wert.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der CDU)

Ein wenig enttäuscht bin ich von der Anfrage. Es geht um Kinder und Jugendliche im Drogenumfeld. Wenn man das so hört, denkt man erst einmal: Donnerwetter, das ist ein großer Aufschlag. – Aber in der Anfrage selbst, die vom Senat dankenswerterweise gut beantwortet worden ist, findet man im Grunde nicht die Fokussierung auf das Problem „Kinder im Drogenumfeld“, sondern leider im Wesentlichen nur auf das Problem „Kinder in Methadonfamilien“. Ich denke, es ist uns allen klar: Das ist eine große Überschrift, und es ist fast nur eine Frage, die sich im Wesentlichen auf Methadonfamilien bezieht.

Wir sind uns, so hoffe ich, einig, dass wir nur mit den Familien im Methadonprogramm Vereinbarungen treffen können, die einen relativen Schutz für in ihnen lebende Kinder bedeuten. In allen anderen Familien, in denen Drogen vorkommen, können wir das nicht, und alle anderen Familien sind uns häufig gar nicht bekannt. Es ist also hier eine Sondersituation. Methadonbeigebrauch oder Methadongebrauch in Familien führt ja überhaupt erst zu der Möglichkeit, hier mehr Kontrollen in Gang zu setzen.

Dass im Kinderkörper – das war vorhin Ihre Aussage – Drogen gefunden wurden, kann man so nicht sagen. An den Haaren wurden sie gefunden, aber Haare sind nicht im Kinderkörper, sie sind außerhalb, oberflächlich.

(Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Es ist ein Teil des Körpers, sie hängen daran fest!)

Das bedeutet – nur das will ich damit sagen –, dass das eine relativ unsichere Methode ist, irgendwelche Drogen nachzuweisen. Es wäre einfach, wenn wir Blut abnehmen und im Kinderkörper Drogen nachweisen könnten, aber das gelingt nicht.

Bei allen anderen Familien im Drogenfeld, im Drogenmilieu gibt es eben keine Möglichkeit von Kooperationen; diese Familien sind uns eben oft leider gar nicht bekannt. Elternteile, die alkoholkrank sind, und deren Kinder werden oft erst bei Dekompensation eines erkrankten Elternteils auffällig.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Hier sind wir auf ein Netzwerk von Kinderärztinnen und Kinderärzten, Kitas, Schulen und dem Jugendamt angewiesen. Dieses Netz muss zuverlässig funktionieren. Ich denke, da gibt es immer wieder Punkte zu kritisieren und Punkte zu verbessern.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Die erfragten Haaranalysen mit den oft positiven Befunden wurden bisher aus wissenschaftlicher Sicht

als nicht sicher verwertbar beurteilt, dennoch führten die Haaranalysen bei Kindern zu dem Schluss, dass in Methadonfamilien Drogenbeigebrauch stattfindet, und darauf wurde am sogenannten runden Tisch in der KV, in der Kassenärztlichen Vereinigung, reagiert. Seit 2013 finden Alkohol- und andere Drogentests bei Erwachsenen statt, Sanktionen finden bei positiven Tests statt.

Da in allen Methadonfamilien für die Kinder eine Kindeswohlgefährdung besteht, haben wir das Hilfenetz um diese Familien noch deutlich kleinmaschiger angelegt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Casemanager, Jugendamt, Kinderärztinnen und Kinderärzte, Kitas und Schulen sind nun Indikatoren für das Kindeswohl. Ergeben sich über die Gefährdung hinaus Anhaltspunkte für eine mangelhafte Kinderbetreuung, wird mit Augenmaß – bis hin zum Kindsentzug – reagiert. Dennoch muss ich wie mein Vorredner sagen: Wir sind keine Götter, wir wissen nicht genau, was in den einzelnen Familien im Einzelnen stattfindet, dennoch gibt es eben weiterhin Lücken, an denen wir massiv arbeiten müssen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Um dem Vorwurf „zu spät“ gleich zu begegnen, sei ad eins gesagt, dass es ein Grundgesetz gibt, und dieses Grundgesetz gibt den Eltern das Recht auf Kindererziehung. Zum Zweiten: Entzögen wir allen Familien im Methadonprogramm die Kinder von vornherein, gäbe es schnell keine Familien mehr hier in Bremen, denn die ziehen ins Umland, und was dann mit den Kindern und ihrer Entwicklung geschieht, wissen wir nicht.

(Zuruf der Abg. Frau A h r e n s [CDU])

Nichtsdestotrotz gibt es im Umkreis hier kein Methadonprogramm, sodass das alles untergeht! Das ganze Thema ist also eine Gratwanderung, aber eine notwendige, bei der die Familien wie auch die Kinder von einem engmaschigen und zuverlässigen Netz betreut werden müssen, das dann reagiert, wenn Gefahr für das Kindeswohl entsteht.

Die Familien im Drogenumfeld übrigens in die Nähe von Misshandlern und Missbrauchern zu rücken – das ist in den Fragen 5 und 6 passiert –, ist falsch.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Misshandlungen und Missbrauch von Kindern finden in allen gesellschaftlichen Schichten statt. In den Fragen 17 und 18 rücken Sie Familien im Methadonprogramm in die Nähe von Straftätern als Suggestivfrage.

(Glocke)

Außerdem müssten Sie wissen – ich bin gleich fertig –, dass Kinder von allen Straftäterinnen und Straftätern immer über das Jugendamt geschützt und betreut werden. Es ist schade, dass Ihre Meinung manchmal bei Methadonfamilien von Schuldzuweisungen und Strafe geprägt ist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir alle haben sicher das Ziel, Kinder so gut wie möglich zu schützen, aber der Schutz muss nachhaltig sein und ständig überprüft werden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Ahrens, Fraktion der CDU.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte noch einmal ein paar Punkte in den Fokus stellen. Erstens, Herr Möhle, Sie haben zu Recht die Schnittstellen angesprochen und gesagt, dass, wenn das Netzwerk nicht richtig zusammenarbeitet, genau diese Probleme entstehen. Wenn Sie meinem Vortrag wirklich zugehört hätten, dann hätten Sie mitbekommen, dass die Erzieher in Gröpelingen, die ja tagtäglich mit diesen Fällen und mit ganz vielen anderen multiplen Problemlagen konfrontiert sind, explizit auf dieses Problem hingewiesen haben.

Das war auch am Mittwoch Thema im Beirat. Ich weiß nicht, ob die Sozialsenatorin in der Beiratssitzung dabei war. Dieses Papier wird dankenswerterweise in die Sozialdeputation und in den Jugendhilfeausschuss eingeführt werden, wenn ich das richtig der Zeitung entnommen habe, sodass wir uns auch vor Ort mit dem Thema auseinandersetzen können. Darin steht: Es ist formal geregelt, aber nicht hinreichend. – Das sagt mir doch deutlich, dass die Praktiker sagen: Theorie eins plus; Praxis fünf, bitte verbessern!

Ich höre dann, dass genau mit Blick auf diese Schnittstellen, die Sie eben gerade genannt haben, die einzelnen Akteure gesagt haben: Wir sind personell unterbesetzt. – Der Gesundheitsbericht in Bremerhaven sagt im Jahr 2013 – ich zitiere das wörtlich –: Die Leistungsfähigkeit des Arbeitsbereiches bei den Familienhebammen war im Jahr 2012 stark eingeschränkt. Die Arbeitszeit wurde daher überwiegend durch spezielle Situationen gebunden. Es wurde ständig im Bereich der Überlastung gearbeitet; verbunden mit der Sorge, dass auftretende Notsituationen nicht früh genug erkannt und Kinder und deren Eltern zu Schaden kommen könnten. – Das ist doch ein Hilferuf! Das ist doch ein Hilferuf, wie er deutlicher nicht sein könnte, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU)

Das hat auch nichts damit zu tun, dass die CDU-Fraktion irgendetwas herbeireden möchte, sondern das sind Fakten, die Sie uns schriftlich in Ihren eigenen Unterlagen mitgeteilt haben. Die waren gerade aktuell im November in der Gesundheitsdeputation. Es ist doch unsere Aufgabe als Politiker, solche Hilferufe zu hören.

Ich sage Ihnen noch etwas. Wir haben auch über die Früherkennungsprogramme, über die Präventionsprogramme gesprochen. Wenn wir da so personell unterbesetzt sind, dann leiden die Präventionsprogramme darunter wie zum Beispiel „TippTapp – Gesund ins Leben“. Da ist die Anzahl der Hausbesuche deutlich zurückgegangen. Während es 2010 noch 1 350 waren, waren es 2012 nur noch 1 000. Auch das hat konkrete Auswirkungen, meine Damen und Herren.

Wenn ich dann höre, dass die Anfragen hier so gut beantwortet worden seien, dann muss ich dazu sagen: Diese Auffassung teilen weder ich noch mein Kollege von der LINKEN, der an mehreren Stellen deutlich gesagt hat, dass der Senat die Fragen gar nicht beantwortet hat. Ich habe es mir erspart, Ihnen aufzuzählen, bei wie vielen Fragen er keine Ahnung hatte. Das wäre eher eine große Anzahl von Fragen gewesen als eine geringe Anzahl von Fragen. Das sage ich auch an der Stelle. Deswegen stellt sich mir die Frage: Warum hat der Senat keine Antworten?

(Abg. F e c k e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Wollen wir jetzt einmal über Ahnungslosig- keit sinnieren!)

Warum kann er in diesem speziellen Bereich, den wir alle doch gemeinsam in den Fokus genommen haben, keine Antwort geben? Nicht die CDU ist auf die Idee gekommen, sondern wir hatten hier in Bremen einen konkreten Fall, den Fall des kleinen Kevin, der gezeigt hat, dass wir in diesem speziellen Teilbereich massive Probleme haben. Nicht umsonst hat uns der Untersuchungsausschuss seitenweise Handlungsempfehlungen mitgegeben.

Wir haben gemeinsam darum gerungen, diese Untersuchungsausschussempfehlungen umzusetzen. Es ist doch die Pflicht für uns als Opposition, in regelmäßigen Abständen zu gucken, wenn die Ergebnisse nach wie vor so sind, wie sie sind: Wie hat sich das verbessert? Sind wir auf dem Weg, im Sinne der betroffenen Kinder und Jugendlichen, weiter vorangekommen oder nicht? Die Antwort ist leider: Nein, wir sind nicht weiter vorangekommen.

(Abg. F e c k e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Seit Kevin ist also nichts passiert?)

Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt: in diesem kleinen Teilbereich. – In ganz vielen anderen

Teilbereichen sind wir weiter vorangekommen. Wenn Sie richtig zuhören würden, Herr Fecker, hätten Sie das auch wahrgenommen.

(Abg. F e c k e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Fällt mir gelegentlich schwer!)

Wenn Sie es bewusst falsch verstehen wollen, bleiben Sie natürlich bei Ihrer Auffassung.