Protokoll der Sitzung vom 21.05.2014

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Kuhn, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben bereits im Januar hier im Haus über das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA debattiert. Inzwischen – das werden viele wahrgenommen haben, gerade in den letzten Wochen – hat die öffentliche Diskussion über die Verhandlungen mächtig Fahrt aufgenommen und auch deutlich an Kontur gewonnen. Mit dem heute von der Koalition vorgelegten Antrag für die Bürgerschaft wollen wir klar und deutlich sagen, das Parlament des Landes Bremen hat den Anspruch und ist bereit, an der politischen Meinungsbildung über die Ziele und Grenzen dieses Freihandelsabkommens mitzuwirken. Wir stehen auf dem Standpunkt, dass der Bundesrat und der Bundestag einem solchen Abkommen am Ende zustimmen müssen, und deshalb formulieren wir heute die politischen Leitlinien für das Land bei der politischen Mitwirkung in dieser Angelegenheit.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die breite öffentliche Debatte hat auch dazu geführt, dass die Kommission inzwischen Bruchstücke des Verhandlungsmandats veröffentlicht hat, was vorher angeblich nicht möglich war, aber eben nur Bruchstücke, und das schafft nach wie vor kein Vertrauen. Ich höre immer wieder, gerade jetzt im Wahlkampf zum Europäischen Parlament, auch die Bundesregierung redet mehr und mehr von Transparenz. Ich sage nur, sie war es mit anderen, die die Geheimhaltung durchgesetzt hat, und es wäre eigentlich an ihr, diese Geheimhaltung zu beenden. Es sollte doch den Verhandlungsführern wirklich klar sein, wenn sie die Bürgerinnen und Bürger und die Parlamente gewinnen wollen, dann müssen sie endlich die Karten auf den Tisch legen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich möchte in der ersten Runde drei Fragen ansprechen, und zwar den Verbraucher- und Gesundheitsschutz, den Investorenschutz und die sozialen Rechte. Das Chlorhühnchen ist ja inzwischen berühmt geworden, ich hätte fast gesagt, es ist in aller Munde,

(Heiterkeit)

weil es ein krasses Beispiel dafür ist, dass in den USA Verbraucher- und Gesundheitsschutz anders buchstabiert wird als bei uns. Die große Sorge ist, dass nun diese Hühnchen wie Genmais und Hormonfleisch auf unsere Teller kommen könnten. Ich weiß nicht, wer von Ihnen das erste Fernsehduell zwischen den beiden Kandidaten der großen Parteien gesehen hat, dort

hat Herr Junker auf die Frage, ob das so kommen solle, geantwortet: Nein, und im Übrigen wollen die Hühnchen auch gar nicht hierher. Das fand ich witzig und schlagfertig, aber die Metabotschaft, diese MerkelBotschaft ist: Macht euch keine Sorgen.

Das, meine Damen und Herren, glaube ich überhaupt nicht, dass wir uns keine Sorgen machen müssen,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

erstens, weil ich sehe, wie heute schon konservative Mehrheiten in der EU, auch dies leider wieder mithilfe Deutschlands, Genmais zulassen und bei Honig auf die Kennzeichnung von Gentech-Pollen verzichten wollen, aber vor allem, wenn ich mir die Verhandlungssituation anschaue. Es ist tatsächlich so, und das wird auch vonseiten der Wirtschaft und von Wirtschaftspolitikern hervorgehoben, dass ein solches Freihandelsabkommen für einige große Branchen aus Europa Vorteile bringen kann. Es ist andererseits so, dass die große Agrarindustrie der USA mit ihren Methoden auf unseren Markt kommen möchte, und deswegen ist da die Sorge vollkommen berechtigt, dass hier ein Handel auf unsere Kosten, auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger, stattfinden könnte. Deswegen formulieren wir in unserem Antrag ganz klare Grenzen, damit unsere Standards weder heute noch morgen irgendwie angetastet werden können.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die Europäische Kommission hat erklärt, sie wolle über den geplanten Investorenschutz noch einmal nachdenken und hat uns öffentlich zum Mitdenken aufgefordert. Wir haben uns als Fraktion an der öffentlichen Konsultation beteiligt, haben unsere Meinung gesagt und haben vor allen Dingen die Frage beantwortet, die die Kommission vorsichtshalber gar nicht gestellt hat, nämlich: Brauchen wir zwischen Wirtschaftsräumen mit entwickelten Rechtssystemen überhaupt ein gesondertes, außergerichtliches, nicht öffentliches Schiedsverfahren? Unsere Antwort ist und war: Nein, wir brauchen es nicht!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Es ist unnötig, weil wir zum Schutz ausländischer Investoren und anderer unsere ordentlichen Gerichte haben, und es ist im Gegenteil gefährlich, weil es nur diesen ausländischen Investoren und nicht anderen und nicht den Bürgern und nicht den Staaten selbst Sonderrechte mit starken Klagemöglichkeiten einräumt. Das stellt das Recht und die Fähigkeit der Staaten infrage, Regeln für die Wirtschaft in vielerlei Hinsicht zu erlassen, und gefährdet am Ende nach unserer Auffassung die Demokratie.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ich will abschließend noch einen letzten Punkt ansprechen, es geht bei dieser Diskussion nicht um Europa gegen die USA, es geht vielmehr darum, dass wir die Standards, die wir hier in langen Jahren in vielen Auseinandersetzungen mit der Gestaltung des Binnenmarktes gewonnen haben, nicht wieder verlieren. Wir sind uns hier mit den Umweltschützern in den USA genauso einig, wie sich die Gewerkschaften auf beiden Seiten des Atlantiks einig sind, dass wir die sozialen Rechte auf beiden Seiten wiederum gemeinsam verbessern wollen. Auch deshalb ist dieser Teil, der sich auf die sozialen Rechte bezieht, so wichtig.

Ein abschließender Satz: Wir sprechen in unserem Antrag davon, dass diese Verhandlungen eine Chance zur politischen Gestaltung der ökonomischen Globalisierung sein können, ja, eine solche Chance gibt es. Wir wollen diese Chance auch ergreifen und mischen uns deshalb ein: für klare Regeln im Interesse der Bürgerinnen und Bürger. – Herzlichen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Rupp, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben das letzte Mal schon über das TTIP, das Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaftsabkommen, gesprochen, wir machen das heute noch einmal, weil jetzt ein Dringlichkeitsantrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vorliegt.

Dieser Antrag benennt viele wichtige Kritikpunkte zu dem, was da gerade am Entstehen ist. Der wichtigste Kritikpunkt ist nach wie vor, das teile ich, die Geheimhaltung. Angeblich müssen diese Verhandlungen geheim gehalten werden, weil sonst die Amerikaner mitbekommen, was die Europäer im Sinn haben.

(Zuruf von der SPD: Das ist ja logisch!)

Bei uns in der Firma sagen sie immer: „Da lachen ja die Huhns.“ Das ist absurd, denn erstens, bin ich mir vollständig sicher, dass die amerikanischen Behörden bestens informiert sind, was wir unter Geheimhaltung verstehen, und zweitens, geht es doch offensichtlich bei diesen Verhandlungen gar nicht darum, dass der eine Verhandlungspartner den anderen über den Tisch zieht,

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das kann man nicht ausschließen!)

sondern eigentlich soll es doch darum gehen, offenzulegen, an welchen Stellen Hemmnisse abgebaut werden könnten und so weiter. Ich wüsste jetzt nicht, wenn man ohnehin alles auf den Tisch legt und prüft, was Gegenstand von Abkommen sein kann, warum die eine Seite sagen sollte, na ja, ich mache das lieber im Geheimen und erzähle dir hinterher alles. Diese Begründung ist absurd!

Ich teile vollständig die Auffassung, dass Bürgerinnen und Bürger, die es unmittelbar betrifft, wenn es solche Verhandlungen gibt, wenn solche Verhandlungen geführt werden, immer ein Recht haben zu erfahren, was da passiert, um dann möglicherweise auch bei Wahlentscheidungen dafür zu sorgen, dass bestimmte Dinge passieren oder eben nicht. Deswegen ist Transparenz die erste Pflicht in diesem Zusammenhang.

Interessanterweise ist aber mittlerweile schon so viel herausgekommen an Dingen, die in der Debatte sind, sodass ich einen anderen Schluss ziehe als dieser Antrag. Dieser Antrag benennt, wie gesagt, ein paar Dinge, auf die man achten muss. Wir wollen uns auf jeden Fall gegen die Senkung von Verbraucherschutzstandards wehren, aber ich sage, dieses Abkommen ist dazu gemacht, um Verbraucherschutzstandards zu senken.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist nicht die Frage einer Verhandlung. Dieses TTIP soll das machen, dieses TTIP ist dazu gedacht, es ist Ziel dieses TTIP, Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte einzuschränken, weil sie vermeintliche Handelshemmnisse sind und weil sie vermeintlich profitschmälernd sind. Das ist das Ziel. Wenn man erkennt, dass ein solches Abkommen nur deswegen abgeschlossen werden soll, weil man diese Standards senken will, weil man diese sogenannten Hemmnisse beseitigen will, dann, bin ich der Meinung, ist das ein wichtiger Grund, warum man die Verhandlungen mit diesem Ziel, dem Abbau der sogenannten Hemmnisse, nicht führen sollte.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens: Die Bürgerschaft soll aufgefordert werden, bei der Umsetzung folgender Grundsätze und so weiter zu helfen. Interessanterweise habe ich nicht gefunden, wo der sogenannte Investorenschutz benannt wird. Sie haben gerade gesagt, dass man den nicht wirklich braucht, vielleicht habe ich das überlesen.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das ist so ein langer Absatz!)

Gut, dann habe ich es vielleicht überlesen!

Unabhängig von dieser Frage ist der zweite wichtige Grund für das Abkommen eben der Investorenschutz.

Dieses Abkommen soll mit dem Ziel abgeschlossen werden, weitere sogenannte Investorenschutzabkommen auf einer anderen Ebene einzurichten und privatrechtliche Schiedsgerichte auf einer höheren Ebene einzuführen, damit Unternehmen für entgangene Profite oder für entgangene Investitionsmöglichkeiten gegen einen Staat klagen können. Der Staat kann nicht gegen das Unternehmen klagen, immer nur das Unternehmen gegen den Staat.

Es ist das Ziel dieses Abkommens, einen solchen sogenannten Investorenschutz zu etablieren. Wenn man erkennt, dass ein solcher Investorenschutz erstens überflüssig ist, weil wir ausgefeilte Rechtssysteme haben, und zweitens in aller Regel unter anderem einen Nachteil bei Umweltschutzauflagen generiert, dann muss man auch nicht weiter über diese Frage verhandeln, weil es in diesem Zusammenhang keinen guten Investorenschutz gibt, er ist einfach überflüssig. Wenn das das zweite wichtige Ziel ist, das das TTIP hat, dann wäre es der zweite wichtige Grund, einfach zu sagen, wir stellen die Verhandlungen über diese beiden Ziele ein und entziehen dem Verhandlungspartner, der EU, das Mandat. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Grobien, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuletzt haben wir über TTIP, den Begriff brauche ich hier angesichts der breiten öffentlichen Diskussion nicht mehr zu erklären, im Januar dieses Jahres gesprochen, Herr Kuhn erwähnte es eben.

Als mich Ende der vergangenen Woche der Dringlichkeitsantrag von Rot-Grün erreichte, hatte ich mir meine Meinung zu dem Antrag eigentlich schon gebildet: typischer Wahlkampfpopulismus kurz vor der Europawahl am Sonntag, das Schüren von Ängsten bei den Bürgern et cetera, aber wie viele andere der auch hier im Parlament sitzenden Kollegen habe ich das Wochenende zur Debattenvorbereitung genutzt und dann beim näheren Studieren des Antrags gemerkt, dass wir den so pauschal in Bausch und Bogen gar nicht ablehnen können, sondern eigentlich fast alle Punkte mittragen. Deshalb beantragen wir auch getrennte Abstimmung und lehnen lediglich den zehnten Spiegelstrich Ihres Antrags ab.

Es ist natürlich schön, dass Ihr Antrag von positiver Stimmung und endlich auch einmal von Chancen eines solchen transatlantischen Handelsabkommens spricht. Bei der Rede von Herrn Dr. Kuhn kamen mir allerdings erste Zweifel, weil es sich doch schon wieder um eine arge Regierungsschelte handelte, aber ich möchte auch wie Sie zu drei Punkten dieses TTIP noch einmal Stellung nehmen.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Begründet!)

Die Sorge um die Nivellierung der anerkanntermaßen hohen Umwelt-, Arbeits- und Verbraucherschutzniveaus in der EU! Auch dazu gibt es wie immer im Leben zwei Seiten. Zunächst ist festgelegt, dass die EU-weiten, nationalen Verbraucherstandards unantastbar sind. Man darf ja auch nicht außer Acht lassen, dass es immer auf die Betrachtungsweise ankommt. So wie die Europäer sich vor dem Chlorhühnchen ekeln, befürchten amerikanische Verbraucher, dass demnächst französischer Rohmilchkäse ihre Supermärkte mit Bakterien verseucht.

(Abg. W e r n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Dürfen sie das nicht?)

Die Amerikaner haben ähnliche Sorgen, etwa dass sie ihre Regeln für die Zulassung von Pharmazeutika und Elektrogeräten auf europäisches Niveau absenken müssen.

Sie sehen, es kommt wie im richtigen Leben immer auf die Betrachtungsweise an!

(Beifall bei der CDU)

Ziel für alle muss also sein, hohe Standards und Zertifizierungsverfahren gegenseitig anzuerkennen und insbesondere neue Technologien auch gemeinsam zu entwickeln.

Zweites Thema, der Vorwurf der Geheimverhandlungen und des nicht öffentlichen Mandats! Immer wieder ist von Geheimverhandlungen die Rede, womit der Eindruck erweckt wird, dass hinter verschlossenen Türen über die Interessen der Bürger hinweg entschieden wird.