Protokoll der Sitzung vom 17.07.2014

Herr Senator Mäurer, ich gehe davon aus, dass

Sie darauf verzichten wollen, sodass wir gleich in die Aussprache eintreten können.

Die Aussprache ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete

Hinners.

Herr Präsident, meine

sehr verehrten Damen und Herren! Sexualstraftaten gehören zu den schwersten Verbrechen in unserer Gesellschaft – ich glaube, darüber sind wir uns alle einig –, denn neben den körperlichen Schäden sind die psychischen Folgen einer Vergewaltigung oder sexuellen Nötigung viel schlimmer, und nicht selten folgt eine lebenslange Traumatisierung. Häufig – das geht im Übrigen auch aus der Antwort des Senats hervor – stammen die Täter aus dem Beziehungs umfeld, was das Vertrauen der Opfer nachhaltig negativ beeinflusst. Die Anzeigenbereitschaft bezie hungsweise Beweisbarkeit dieser Taten – das ist ganz entscheidend – ist in der Regel erheblich beeinflusst.

Das Kriminologische Forschungsinstitut Hannover

hat in einer aktuellen Studie festgestellt, dass immer häufiger Frauen, die Opfer sexueller Gewalt gewor den sind, diese Verbrechen zur Anzeige bringen. Aus den Ergebnissen der Studie geht jedoch auch hervor, dass in den letzten 20 Jahren die Verurtei lungsquote von Sexualstraftätern erheblich gesunken ist, nämlich von 21,6 Prozent auf aktuell 8,4 Prozent. Die CDU-Fraktion hat dieses Phänomen zum Anlass genommen, eine Große Anfrage an den Senat zu den Ergebnissen im Land Bremen zu stellen.

Aus den Antworten des Senats geht hervor, dass die

Anzahl der angezeigten Fälle von sexueller Nötigung

und Vergewaltigung sowohl in Bremen als auch in Bremerhaven zwischen 2009 und 2013 schwankt und im Ergebnis zwischen 221 Fällen im Jahr 2009, 238 im Jahr 2010 und 211 Fällen im Jahr 2011 liegt und damit relativ geringe Schwankungen aufweist. Eine objektive Statistik über die Verurteilungsquote der Täter – das ist das, was das Kriminologische Forschungsinstitut Hannover festgestellt hat – kann der Senat leider nicht vorlegen. Hingewiesen wird lediglich auf die Anzahl der erhobenen Anklagen und Einstellungen bei diesen Taten und die Anzahl der Abgeurteilten. Danach hat sich die Quote der Ankla gen seit dem Jahr 2009, nämlich 23,7 Prozent, bis zum Jahr 2013 auf 17,3 Prozent kontinuierlich verringert, während gleichzeitig die Quote der Einstellungen von 76,3 Prozent auf 82,7 Prozent gestiegen ist.

Die Anzahl der Verurteilten hat sich seit dem Jahr

2000 – frühere Erfassungen kann der Senat nicht vorlegen – von 35 Fällen auf 13 Fälle im Jahr 2012 verringert. Allein von 2009 bis 2012 hat sich die Anzahl der Verurteilten von 25 auf 13 verringert, obwohl, wie oben schon dargestellt, die Anzahl der angezeigten Taten relativ gleich geblieben ist. Die Frage nach den Gründen für diese Entwicklung der Verurteilungsquote, die ja eigentlich hochinteressant ist, kann der Senat nach eigenem Bekunden nur nach eingehender Praxisbeteiligung beantworten.

Meine Damen und Herren, für die CDU-Fraktion

hat diese Frage aufgrund der schwerwiegenden Straf taten eine so große Bedeutung, dass wir den Senat auffordern, diesbezüglich einen Forschungsauftrag an die Universität Bremen oder die Hochschule für öffentliche Verwaltung zu vergeben,

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

denn unseres Erachtens kann nur eine detaillierte Analyse Aufschluss über diese Entwicklung geben. Liegen die Fehler bei der Polizei, bei der Justiz, gibt es mangelnde gesetzliche Grundlagen, ist die Beweisbarkeit der angezeigten Taten schwieriger geworden und so weiter?

Aus den weiteren Antworten des Senats geht

hervor, dass fast alle Tatverdächtigen männlichen Geschlechts im Erwachsenenalter waren. Der An teil der Nichtdeutschen unter den Tatverdächtigen wird nach Angaben des Senats für den Zeitraum der Jahre 2009 bis 2013 mit knapp über 50 Prozent angegeben, was deutlich über dem Durchschnitt des Bevölkerungsanteils von Nichtdeutschen im Land Bremen liegt.

Hinsichtlich der Opfer teilt der Senat mit, dass über

90 Prozent weiblichen Geschlechts sind, was nicht großartig verwundert, und es in etwa zwei Drittel aller Fälle eine Opfer-Täter-Beziehung gab.

Die Frage nach der Dunkelziffer beantwortet der

Senat mit dem Hinweis, dass für Bremen keine ent sprechenden Forschungsergebnisse bekannt seien.

In der einschlägigen Literatur, so sagt der Senat, wird eine Anzeigenquote von nur 10 bis 15 Prozent angenommen.

Meine Damen und Herren, die auch für die CDU

Fraktion wichtige Möglichkeit der anonymen Spu rensicherung für Frauen, die in Bremen ja vorhanden ist, hat sich bewährt und wird mittlerweile sehr gut angenommen. Ich glaube, dass sich dadurch auch die Anzeigenbereitschaft vieler Opfer – häufig natürlich einige Tage oder Wochen später – erhöht hat. Hier ist das Engagement der psychologischen Beratungsstelle Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen e. V. ausdrücklich zu loben und zu würdigen.

(Beifall)

Mich hat allerdings gewundert, dass es in Bre

merhaven diese Möglichkeit der anonymisierten Spurensicherung für Frauen nach Sexualstraftaten nicht gibt. Die CDU-Fraktion erwartet, dass diese Möglichkeit auch in Bremerhaven schnellstens ge schaffen wird.

Meine Damen und Herren, die CDU-Fraktion

fordert angesichts der Schwere von Sexualstraftaten und der in der Regel schwerwiegenden Folgen für die Opfer den Senat auf, die Bemühungen bei der Präventionsarbeit, der Aufklärung der Taten und der Verurteilung der Täter weiter zu verstärken und insbesondere auch die Arbeit der in diesem Bereich tätigen Opfereinrichtungen ausreichend finanziell zu unterstützen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat das

Wort die Abgeordnete Frau Böschen.

Herr Präsident, meine

Damen und Herren! Herr Hinners, herzlichen Dank für Ihre Große Anfrage! Dieses Thema haben wir an dieser Stelle ja schon häufiger debattiert, und die Antwort des Senats liefert uns viele Zahlen, die Sie ja auch genannt haben, deshalb verzichte ich auf ein Wiederholen dieser Zahlen. Es wird ganz deutlich, dass eigentlich nur eine relativ geringe Anzahl von Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen zur An zeige kommt, die Anzahl Einstellungen der Verfahren sogar gestiegen ist und die Zahl der Verurteilungen geringer geworden ist. Ich unterstütze Sie sehr da rin, Herr Hinners, dass der Senat das vielleicht zum Anlass nehmen sollte, diese komplexe Problematik, die man sicherlich nicht einfach einmal so anhand der Zahlen bearbeiten kann, hier einmal intensiver zu untersuchen, damit uns die Erkenntnisse darüber, woran das eigentlich liegt, dann tatsächlich auch irgendwann erreichen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Der Senat spricht davon, dass ihm keine Kenntnisse

über die Dunkelziffer vorliegen. Wir kennen aber die Dunkelfeldstudien aus dem Jahr 2004 für das gesamte Bundesgebiet und aus dem Jahr 2012 für das Land Niedersachsen, nach denen insgesamt gerade einmal fünf Prozent der Frauen, die von strafrechtlich relevanter sexueller Gewalt betroffen sind, dieses Verhalten auch tatsächlich nur zur Anzeige bringen. Ergänzend dazu sagen die Damen vom Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen, dass sie in den letzten sechs Jahren lediglich zwei Fälle hatten, die tatsächlich zu einer Verurteilung geführt haben.

Die zentrale Frage ist deshalb, wie man einer

seits das Anzeigeverhalten der Frauen stärken und unterstützen kann, denn wir wissen alle, dass die Vergewaltigungen in der Regel von Tätern aus dem näheren Umfeld begangen werden und es natürlich aus dieser Situation heraus sehr schwer ist, eine sol che Tat zur Anzeige zu bringen. Andererseits wissen wir aber auch, dass der Ablauf eines Prozesses viele Frauen eher abschreckt als einlädt, eine Vergewal tigung tatsächlich zur Anzeige zu bringen.

Deshalb, denke ich, ist es auch notwendig, sich

den Rahmen noch einmal anzusehen, der dann hier vor Gericht eine Rolle spielt. Diesbezüglich wurde in Ihrer Anfrage auch abgefragt, wie es mit den Bild- und Tonaufnahmen im Rahmen der Erstbefragung aussieht. Der Senat antwortet darauf, dass dies in begründeten Fällen durchaus gemacht wird, aller dings sagen uns die Beratungsinstitutionen, dass es eher die Ausnahme ist. Da frage ich mich, warum. Die Aussagen werden von den Polizistinnen bereits während der Vernehmung am PC transkribiert und den Betroffenen anschließend zur Unterschrift vorge legt. Eine Videoaufzeichnung, eine Videovernehmung mit anschließender Transkription würde, das ist mir schon klar, einen Mehraufwand bedeuten, der aber, wie ich finde, gerechtfertigt wäre.

Es gibt außerdem die Möglichkeit der Simultanü

bertragung bei Gericht. Ich glaube, wir können uns alle vorstellen, wie einem Opfer zumute ist, wenn es vor Gericht dem Täter wieder begegnen muss, und es ist nachvollziehbar, dass das für viele Frauen ein Hemmnis ist. Es gäbe die Möglichkeit, das Ganze in einem anderen Raum per Video aufzunehmen und in den Gerichtssaal zu übertragen. Die technischen Möglichkeiten dafür sind vorhanden, werden aller dings nicht genutzt. Ich würde mich freuen, wenn der Senator auch darauf noch einmal eine Antwort gibt.

Herr Hinners, Sie sind auf die anonyme Spurensi

cherung eingegangen, das ist eine gute Sache. Wir haben uns sehr gefreut, als sie in Bremen eingeführt wurde, stellen allerdings fest, dass sie noch nicht überall bekannt ist, das heißt, das muss natürlich kommuniziert werden. Wir benötigen eine entspre chende Öffentlichkeitsarbeit, die sicherstellt, dass die Frauen auch wissen, dass es dieses Mittel gibt.

Bezüglich Bremerhaven habe ich mich, ehrlich

gesagt, fast verschluckt, denn wir haben schon vor

zwei Jahren besprochen, dass die anonyme Spuren sicherung am Zentralkrankenhaus Reinkenheide gewährleistet werden soll. Ich persönlich bin davon ausgegangen, dass das schon lange umgesetzt ist, aber das ist nicht der Fall. – Deshalb gerade hierfür noch einmal herzlichen Dank für Ihre Anfrage!