Protokoll der Sitzung vom 10.11.2011

Suchtkranke, wie mein Kollege Herr Möhle auch gesagt hat, brauchen Unterstützung, das gilt noch viel mehr, wenn sie Kinder haben. In Hamburg gibt es offene Anlaufstellen für suchtkranke Eltern und Kinder. Diese niedrigschwelligen Hilfen unterstützen die Bewältigung des Alltags und ermöglichen gleichzeitig, wenn nötig, eine schnelle Reaktion in brenzligen Situationen.

Wir sind prinzipiell nicht dagegen, dass die Sicherstellung des Kindeswohls bei Substitution der Eltern endlich einmal überwacht wird. Das gleiche gilt auch für Kinder von Eltern mit anderen Suchtproblemen wie Alkoholabhängige oder psychisch Kranke, die mein Kollege Herr Möhle auch genannt hat. Wir sind aber gegen eine Kriminalisierung von Suchtkranken, wie die CDU das macht. Stattdessen braucht es niedrigschwellige Angebote wie zum Beispiel in Hamburg.

(Abg. H i n n e r s [CDU]: Wegen des Kin- deswohls!)

Der Presse war zu entnehmen, dass der Abschlussbericht des runden Tisches auf die Verschärfung des Methadonprogramms abzielt. Zum Beispiel sollen Substituierte ausgeschlossen werden, bei denen der Beigebrauch anderer Drogen festgestellt wird. Diesen restriktiven Ansatz unterstützen wir nicht, in unseren Augen ist dies ein Rückschritt. Wir schlagen dennoch vor, dass der Abschlussbericht des runden Tisches, wenn er öffentlich ist, in der Sozialdeputation diskutiert wird. Die Konsequenzen für die Kinder- und Jugendhilfe müssen auch im Jugendhilfeausschuss besprochen werden. Schnellschüsse, wie die CDU jetzt vorgelegt hat, können wir aber nicht unterstützen. Auch vor den Wahlen war es so, dass die CDU Populismus gemacht hat und versucht hat, durch dieses Thema an Stimmen zu kommen. Aber sie haben ja gemerkt, dass es nicht ausgereicht hat.

(Abg. Frau D r. M o h r - L ü l l m a n n [CDU]: Was ist mit den Kindern? Denken Sie an die Kinder!)

Wir lehnen den Antrag der CDU ab! – Danke schön!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Dr. Schlenker.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Motschmann – –.

(Abg. Frau D r. M o h r - L ü l l m a n n [CDU]: Nein, Mohr-Lüllmann!)

Frau Mohr-Lüllmann, ich wollte es aber jetzt einmal absichtlich sagen.

(Abg. Frau D r. M o h r - L ü l l m a n n [CDU]: Motschmann? – Abg. Frau B ö - s c h e n [SPD]: Eigentlich ist der Name nicht so schwer!)

Nein, Frau Mohr-Lüllmann! Ich bin so stolz, dass ich das jetzt weiß, wer Sie sind und dass das Frau MohrLüllmann ist, die hier vor mir sitzt.

Herr Kollege, mit Namen spielt man eigentlich nicht im Parlament!

Nein, ich habe ein persönliches Problem mit Frau MohrLüllmann, weil ich sie aus Versehen häufiger mit Frau Motschmann angesprochen habe.

Dass Sie heute hier einen Dringlichkeitsantrag bezüglich des Kindeswohls stellen und in vier Wochen einen Antrag stellen, dass Sie eine Enquete-Kommission einsetzen wollen, zeigt jedenfalls sicher Ihre starke Betroffenheit. In diesem Punkt können wir Sie gut verstehen, und ich bin da auch ganz bei Ihnen. Allerdings finde ich es nicht in Ordnung, dass Sie hier so ein bisschen ein Spießrutenlaufen für die Familien machen, die Methadon nehmen und Kinder haben. Nichtsdestotrotz werden wir Ihren Antrag in die Deputation für Soziales, Kinder und Jugend überweisen.

Ich habe mir gedacht, es ist ganz gut, einmal ein bisschen zu reminiszieren, oder neudeutsch, reminden, was bedeutet eigentlich Kindeswohl? Kindeswohl ist Kontinuität und Stabilität von Erziehungsverhältnissen, die inneren Bindungen des Kindes, die positiven Beziehungen zu beiden Eltern und die Haltung der Eltern und des Kindes zur Gestaltung der nach- und ehelichen Beziehungen. Ich zitiere: „Das Kindeswohl ist in dem Maße gegeben, in dem das Kind einen Lebensraum zur Verfügung gestellt bekommt, in dem es die körperlichen, gefühlsmäßigen, geistigen, personalen, sozialen, praktischen und sonstigen Eigenschaften, Fähigkeiten und Beziehungen entwickeln kann, die es zunehmend stärker befähigen, für das eigene Wohlergehen im Einklang mit den Rechtsnormen und mit der Realität sorgen zu können.“ Letztlich ist also der Maßstab für das Kindeswohl das Lebenswohl, wie geht es mir in meinem späteren Leben. Wir können vermuten, dass das Kindeswohl in Methadonfamilien per se schon einmal sehr stark eingeschränkt ist.

Woran messen wir Kindeswohl? Ich will zwei Beispiele nennen! Erstens verstoßen zum Beispiel Eltern, die ihre Kinder auf dem Rücksitz nicht anschnallen und deren Kinder beim Unfall schwer verletzt werden, gegen unsere Vorstellung von Kindeswohl. Muss solchen Eltern Elternkompetenz abgesprochen werden? Wie ist es bei kranken Eltern, die aufgrund

ihrer Erkrankung den Überblick im täglichen Allerlei nicht mehr haben? Bestehen Zweifel an ihrer Erziehungsfähigkeit? Diese Fragen, denke ich, und da werden Sie mir recht geben, lassen sich nur im Einzelfall beantworten, und darauf kommt es an. Sie müssen im Einzelfall hingehen und genau schauen, was da passiert ist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Nun zum Kindeswohl in Methadonfamilien! Eine Gefährdung des Kindeswohls besteht in jeder dieser Familien, darüber sind wir uns, glaube ich, einig. Nun gibt es drei Möglichkeiten, das Kindeswohl zu verteidigen. Die erste Möglichkeit besteht in der Herausnahme aller Kinder mit positiven Haarbefunden aus den Familien. Das würde auf den ersten Blick dem Kindeswohl dienen, so wie Sie das wollen. Das Problem dabei ist, dass es zu kurz geschaut ist. Wenn wir uns anschauen, welche Kriterien Kindeswohl ausmachen, dann können wir nicht sagen, wie sich die Folgen einer solchen Herausnahme für das Kind längerfristig auswirken. Es bilden sich katastrophale Szenen bei der Trennung – hier bitte ich dann jeden, bei der Herausnahme eines Kindes einmal dabei zu sein –: langer Rechtsstreit, möglicherweise wieder Rückführung des Kindes in die Familie, da möglicherweise die Jugendrichter in diesem Einzelfall es anders sehen, Abtauchen der Familien in den Untergrund oder Wegzug aus Bremen, nicht nach Bremerhaven, sondern nach Niedersachsen, wo wir sie nicht weiter verfolgen können. Dies würde langfristig kaum eine Verbesserung des Kindeswohls bedeuten, sondern nur für unsere Statistik gut aussehen, denn um die realen Verhältnisse der Kinder, die mit ihren Familien hier aus Bremen wegziehen, würde es äußerst schlecht aussehen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Die zweite Möglichkeit ist die Rund-um-die-UhrÜberwachung jeder Methadonfamilie durch Sozialarbeiter, ständige Entwicklungskontrollen der Kinder, ständige Haarkontrollen, vielleicht sogar Videoüberwachung in der eigenen Wohnung. Um es kurz zu sagen, ein sehr enges Netzwerk, was den Familien möglicherweise die Luft abschnürt und sie nicht mehr atmen lässt. Wozu würde das führen? Drogenabhängige Frauen und Männer würden sich weniger für ein Methadonprogramm melden, wenn sie wissen, was auf sie zukommt, sie würden dem ausweichen. Für die Kinder wäre es eine immense Belastung und Verunsicherung, wenn ihnen nicht nur regelmäßig Haarproben entnommen, sondern auch noch ständige Befragungen durchgeführt und sozialpädiatrische Gutachten über sie verfasst werden müssten. Familien, die bereits erfasst sind, würden abtauchen, und damit wäre das Kindeswohl wieder sehr in Frage gestellt.

Die dritte Möglichkeit wäre, vorsichtig ein Netz aller Helfer mit Einverständnis der Eltern und der Familien zu spinnen mit möglichst hoher Sicherheit für die Kinder. Dieser Weg ist aus unserer Sicht möglich und der einzig sinnvolle und gangbare Weg, und genau auf diesem Weg sind wir. Allerdings müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass Sie mit dem Begriff Kindeswohlsicherung, und der findet sich auch in der ersten Forderung Ihres Antrags wieder, meine Damen und Herren von der CDU – es ist jetzt aber nur noch Frau Dr. Mohr-Lüllmann da, die den Antrag gestellt hat,

(Abg. I m h o f f [CDU]: Sie erzählen doch nur Quatsch!)

ich sehe Sie alle, und ich habe Sie alle im Herzen –, so, wie Sie das formuliert haben, vorsichtig sein sollten. Egal, wie engmaschig das Netz ist und egal wie genau Absprachen getroffen wurden, in dem einen oder anderen Fall kann dennoch eine Kindeswohlgefährdung nicht oder nicht rechtzeitig erkannt werden. Der Grund ist, dass die Menschen, die mit den Familien Kontakt haben, häufig einem hohen Täuschungsgrad ausgesetzt sind. Wir müssen dabei gar nicht in die Methadonfamilien schauen, diese Art von Verleugnung der Realität finden wir auch häufig in ganz normalen Familien. In meiner Praxis war gelegentlich schon so, dass eine Ehefrau erzählte, dass sie zum 130. Mal ihrem Mann geglaubt hat, er würde nun endlich aufhören, Alkohol zu trinken und sie zu schlagen, aber sie glaubt nach diesen vielen Erklärungen immer noch daran.

Ich weiß nicht, wie oft sie schon mit süchtigen Menschen näher zu tun hatten, aber es mag Ihnen bekannt sein, dass in diesem Milieu ein hohes Maß an Selbsttäuschung und Fantasie vorhanden ist.

(Glocke)

Noch fünf Sätze! Es bedeutet eine große Herausforderung für Sozialarbeiterinnen, Ärzte, Ärztinnen, Familienhebammen und andere Fachleute, die mit den Familien zu tun haben, den Grad der Kindeswohlgefährdung einzuschätzen. Der Weg dahin, das Kindeswohl in Methadonfamilien zu sichern oder zumindest zu stärken, ist unheimlich schwer. Wir müssen ihn möglichst gemeinsam mit den Familien gehen, weil wir sonst nur dauernde Verunsicherung, Abtauchen der Familien und damit auch Verunsicherung bei den Kindern hervorrufen.

Im Übrigen sind die Haaranalysen für die Überprüfung des Kindeswohls aus unserer Sicht ein ganz wichtiger Mosaikstein, den wir als Teil eines ganzen Instrumentariums verstehen. Sie sind auch ein wichtiger Bestandteil der Ergebnisse und der Empfehlungen des runden Tisches der Qualitätssicherungskommission. Wir glauben aber nicht, dass bei allen anderen Bundesländern und auch Großstädten, in de

nen Methadonprogramme laufen, die aber keine Haaranalysen machen, eine völlige Fehleinschätzung dieser Leute vorliegt. Sie haben auch Ahnung und eine Vorstellung davon, was mit Methadonfamilien zu tun ist. Hier allerdings sind bis heute keine Haaranalysen gemacht worden. Ich glaube einfach nicht, dass wir denen eine Fehleinschätzung vorwerfen können, sondern wir können eigentlich nur sagen, sie ahnen, was wir wissen.

Ein zu schnelles Vorgehen und eine zu schnelle und folgenschwere Bewertung der Ergebnisse der Haaranalysen können aus unserer Sicht eher zur Kindeswohlgefährdung führen als der Weg, gemeinsam mit allen Beteiligten zu reden, gemeinsam Kontrollen und Hilfen in Gang zu setzen und die Umsetzung dann vor allen Dingen regelmäßig zu überprüfen. – Ich danke Ihnen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Senatorin Stahmann.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die CDU hat einen Antrag eingebracht zu einem Thema, das mich seit meinem Amtsantritt beschäftigt, das will ich auch ganz deutlich sagen. Als ich am 30. Juni dieses Jahres als Senatorin gewählt wurde, lag schon wenige Tage später das zweite Untersuchungsgutachten zu den Haaranalysen vor. Ich will es noch einmal ganz deutlich sagen: Bremen ist die einzige Kommune bundesweit, die diese Haaranalysen durchführt.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wir machen das, und wir bekommen Ergebnisse, die beängstigend sind, die höchste Besorgnisse hervorrufen und die auch staatliches Handeln nach sich ziehen. Ich möchte auch deutlich sagen, Frau Dr. Mohr-Lüllmann, ich muss keine Aufforderung als Senatorin bekommen, mich an Recht und Gesetz zu halten. Seitdem diese Untersuchungen auf dem Tisch der Ämter für Soziale Dienste und der senatorischen Behörde lagen, haben die Sozialzentren und die CaseManager und -Managerinnen ihren Job gemacht. Sie sind in die Familien hineingegangen, manchmal jeden Tag, und haben Kinder herausgeholt. Wir haben schon bei den ersten Haaranalysen 13 Inobhutnahmen gehabt. Wir haben jetzt nach den Haaranalysen am Freitag Herrn Professor Dr. Pragst aus Berlin eingeladen gehabt – er ist eine Koryphäe, dazu komme ich gleich auch noch einmal, Frau Dr. Mohr-Lüllmann, weil sie ja versucht haben, auch ein bisschen Zweifel an Herrn Professor Dr. Pragst zu wecken –, der ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

die Ergebnisse frisch aus Berlin mitgebracht hat. Das will ich auch deutlich sagen, dass Sie mir Heimlichtuerei vorwerfen, finde ich ein starkes Stück.

(Abg. Frau D r. M o h r - L ü l l m a n n [CDU]: Das stimmt nicht!)

Doch, so klang es aber! Ich hatte ganz stark den Eindruck, dass jetzt auch noch daran herumgemäkelt wird, dass das Ressort informiert.

(Abg. Frau D r. M o h r - L ü l l m a n n [CDU]: Das habe ich nicht gesagt!)

Die Journalisten, die anwesend waren, waren über diese Transparenz positiv überrascht. Ich will es deutlich sagen, eine fast ungefilterte Pressekonferenz gemacht zu haben und die Journalisten auch vor Ort informiert zu haben, halte ich für gut. Ich halte es auch für notwendig,

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

denn wenn wir es machen, müssen wir über die Ergebnisse reden – auch ungeschminkt, wie Sie sagen – und Konsequenzen ziehen. Das Familiengericht erkennt aber eine einzelne Haaranalyse, an der Drogenspuren sind, nicht als Grund an, um ein Kind aus einer Familie in Obhut zu nehmen. Wir müssen mit anderen Beweisen kommen. Ich kann es nur noch einmal deutlich sagen, eine Haaranalyse ist kein Beweis dafür – und das haben Sie als Pharmakologin falsch behauptet –, dass Kindern absichtlich von Eltern Drogen verabreicht worden sind.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Es hat mich auch geärgert, das habe ich auch in der Deputation gesagt, weil ich mir schon eine gewisse Fachlichkeit und auch eine Ernsthaftigkeit von den Abgeordneten in dieser Sache wünsche.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Kinderschutz ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiges Thema. Kinderschutz betrifft alle gesellschaftlichen Schichten in Bremen. Es gibt Familien, die arm sind, in denen Eltern arbeitslos sind, Drogen nehmen, in denen es um die Kinder manchmal erstaunlicherweise auch gut bestellt sein kann. Man kann nicht alle über einen Kamm scheren. Da gibt es nicht schwarz oder weiß, da gibt es viele Nuancen, das hat Herr Dr. Schlenker ja auch gesagt. Kinderärzte sortieren Familien nicht in die eine oder in die andere Schublade ein, sie sehen manchmal ein Elternteil, das drogenfrei ist, während das andere Elternteil Drogen

nimmt. Sie müssen an dieser Stelle auch Abwägungen treffen!

Das machen auch die Mitarbeiterinnen vor Ort, sie gehen in die Familien hinein und schauen auch, wo man Familien unterstützen kann, wo man systemisch stabilisieren kann, was alles getan werden muss, damit das Kindeswohl geschützt ist. Sie wirken auch auf Menschen ein, die Drogen- und Suchtprobleme haben, um diese davon zu überzeugen, dass sie Hilfe brauchen. Das ist eine harte Arbeit, und da muss ich mich auch vor die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellen: Man darf in Bremen nicht den Eindruck erwecken, dass die Casemanager und Casemanagerinnen – oder sagen wir es einfach auf Deutsch: die Sozialarbeiter – ihren Job nicht machen. Wir haben die Anstrengungen verbessert, Herr Dr. Schuster und Frau Rosenkötter haben viel daran gearbeitet. Da gibt es Menschen, die einen harten Job machen,

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)