Protokoll der Sitzung vom 21.01.2016

Es kommen in Bremen immer mehr Menschen an, als in Bremen bleiben, so auch im letzten Jahr. Bei den Jugendlichen haben wir die Quote um 400 Prozent übererfüllt, wenn man den Königsteiner Schlüssel, dessen Anwendung jetzt erst vereinbart worden ist, anwenden würde. Am Ende des Tages nimmt Bremen ein Prozent auf. Das ist durch das Ausgleichssystem vorgesehen.

Frau Kollegin, eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Das heißt, dass sich jetzt nicht mehr 10 oder 15 Prozent zusätzliche Flüchtlinge in Bremen aufhalten, als Bremen nach dem Königsteiner Schlüssel aufnehmen müsste, und zwar mit Ausnahme der Flüchtlinge, die aktuell nach Bremen kommen und gleich weitergeleitet werden? Es ist insgesamt ja ein bisschen kompliziert!

Es kommen in Bremen immer doppelt so viele Flüchtlinge an, als letztlich in Bremen bleiben. Das werden wir letztlich nicht vermeiden können. Die Arbeit in den Ämtern läuft auf Hochtouren. Wir nehmen durchaus mehr Flüchtlinge als andere Großstädte oder Länder auf, wir verteilen sie dann allerdings weiter. Bremen gehört mit zu den Orten, die von den Flüchtlingen angesteuert werden. Deshalb ist zunächst einmal das Ankommen zu bewältigen und dann die Verteilung. Die Umverteilung – Sie haben die Zahlen gehört – führen wir in einem großen Maße durch.

Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.

Mit der Beantwortung dieser Anfrage ist die Fragestunde beendet.

Landeskompetenzzentrum für Asyl und Flüchtlinge schaffen! Antrag der Fraktion der CDU vom 17. November 2015 (Drucksache 19/156) Wir verbinden hiermit: Bremen braucht einen Flüchtlingsbeauftragten! Antrag der Fraktion der CDU vom 17. November 2015 (Drucksache 19/157) sowie

In Bremen zu Hause Integration gestalten und sozialen Zusammenhalt sichern Eckpunkte eines mittelfristig ausgerichteten Integrationskonzeptes des Senats Mitteilung des Senats vom 12. Januar 2016 (Drucksache 19/242)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Stahmann.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Ich gebe Ihnen die Reihenfolge der Redner, wie sie vereinbart worden ist, bekannt: Senat, CDU, SPD, DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen und FDP.

Das Wort hat Frau Senatorin Stahmann.

Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst den Präsidenten des Senats, Herrn Dr. Sieling, entschuldigen, der leider erkrankt ist! Er hätte die Debatte heute gern mit uns gemeinsam bestritten.

Ich wünsche ihm von hier aus eine gute Besserung!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Sehr verehrte Damen und Herren, noch nie waren weltweit so viele Menschen auf der Flucht wie im vergangenen Jahr. Laut Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen sind fast 60 Millionen Menschen vor Krieg, Terror, Hunger und Vertreibung aus ihrer Heimat geflohen. Über eine Million Flüchtlinge haben im vergangenen Jahr Zuflucht allein in Deutschland gesucht. Schweden, Ungarn, Österreich und das kleine Malta haben im Verhältnis zu ihrer Größe sehr viele Flüchtlinge aufgenommen.

Inzwischen steht die gesamte Europäische Union vor einer ihrer größten Bewährungsproben. Das Bundesland Bremen hat auch in den vergangenen Monaten alle Kräfte mobilisiert, um den circa 10 000 Menschen, die zu uns gekommen sind, Schutz und Unterkunft zu bieten. Zusätzlich hat eine große Anzahl von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in der Stadt Bremen Zuflucht gesucht, und zwar weit mehr als 2 000 Menschen. Wir haben hier in diesem Hause oft besprochen, welche Probleme und Umsetzungsschwierigkeiten es gab und gibt.

Haupt- und Ehrenamtliche in den vielen Behörden, Initiativen, Verbänden in Bremen und Bremerhaven leisten seit vielen Wochen und Monaten großartige Arbeit. Dafür möchte ich mich im Namen des Senats noch einmal ganz ausdrücklich bedanken!

(Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, ALFA)

In den letzten Monaten ist es vor allen Dingen darum gegangen, die Erstversorgung der vielen Menschen sicherzustellen. Dabei war insbesondere mein

Haus ganz stark gefordert, denn wir mussten das erste Ankommen, die Sprachkurse, die ersten Behördengänge gemeinsam schultern. Es ging darum, Strukturen aufzubauen, um die unterschiedlichen notwendigen Hilfeleistungen erbringen zu können.

Das ist dank des großen Engagements der vielen Akteure alles in allem sehr gut gelungen, und das ist auch außerhalb Bremens anerkannt worden. Wir können natürlich immer noch besser werden, aber ich will ganz deutlich sagen: Angesichts der Herausforderung haben hier wirklich alle beteiligten Stellen Herausragendes und Hervorragendes geleistet.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Natürlich ist auch richtig, dass unter normalen Umständen einige Entscheidungen ganz anders getroffen worden wären, aber es sind eben keine normalen Umstände, und es sind auch keine normalen Zeiten. Es ist eine ganz außergewöhnliche Situation, in der sich unser Land befindet. Es ist eine Situation, in der wir alle gefordert waren, und ich will auch sagen, in der wir weiterhin alle gefordert sind. Das ist ein Zustand, der weiter andauern wird.

Wir sind gefordert, unserer humanitären Verantwortung gerecht zu werden und Hilfe zu leisten. Deshalb mussten die Kommunen überall in Deutschland – und wir auch – beispielsweise Turnhallen als Notunterkünfte belegen und Zelte aufbauen, die wir nachträglich, so gut es geht, für den Winter rüsten.

Der Senat hat im vergangenen Jahr drei Sofortprogramme in Millionenhöhe aufgelegt, um so schnell wie möglich Unterkünfte zu erstellen, Personal zu gewinnen und die Verwaltung bei der Bewältigung der Herausforderungen und dem Aufbau von Strukturen zu unterstützen. Parallel dazu liefen und laufen die Arbeiten, um uns für die Zukunft zu wappnen, und das gilt nicht nur für uns in Bremen. Um die vielen Herausforderungen, die noch vor uns liegen, erfolgreich zu bewältigen, brauchen wir einen handlungsfähigen Staat, der die zentralen Aufgaben der Daseinsvorsorge für alle Menschen leisten kann.

Sie haben den Senat beauftragt, genau dies für Bremen in einem Konzept für die Bremische Bürgerschaft darzulegen. Der Senat legt Ihnen heute dieses Konzept vor. Das Konzept berücksichtigt die drei übergeordneten Herausforderungen, um alles auf Landesebene Mögliche zu tun, um Zuflucht zu bieten, um Integration zu gestalten und den sozialen Zusammenhalt zu sichern.

Das ressortübergreifende Konzept bündelt die hierfür notwendigen politischen und organisatorischen Maßnahmen, die wir als Senat für eine gelingende Integration zum Teil bereits ergriffen haben, zum Teil aber auch noch aufsetzen müssen. Es ist notwendigerweise ein atmendes Konzept, also ein Konzept, das sich im Laufe seiner Umsetzung verändern wird. Es ist nicht in Stein gemeißelt, sondern wir werden genau hin

schauen, welche Maßnahmen sich als besonders effektiv erweisen, und vielleicht werden wir auch Korrekturen vornehmen müssen. Das Konzept ist anpassungsfähig, und das muss es auch sein, denn die Zeiten sind schnelllebig.

Wir müssen in der Lage sein, auf Veränderungen rasch und angemessen zu reagieren, und zwar im Sinne der Flüchtlinge, der Bürgerinnen und Bürger, die bereits bei uns leben, und zum Wohle Bremens. Unser Konzept ist daher auch keine reine flüchtlingspolitische Agenda des Senats. Der Senat denkt vielmehr bei allen Entscheidungen auf allen Handlungsfeldern die bereits bei uns lebenden Mitmenschen ebenso mit wie die nach Bremen zugewanderten.

In den Beiräten begegnet mir ganz oft die Frage: Aus welchen Gründen werden plötzlich für Flüchtlinge Finanzmittel zur Verfügung gestellt? Es ist wichtig, dass wir als Politiker vor Ort sind und erklären, dass wir den Menschen aus humanitärer Überzeugung heraus helfen, aber auch deswegen, weil das Grundrecht auf Asyl existiert, weil es gilt, weil es richtig und weil es gut so ist. Wir müssen auch erklären, dass es sich um eine gesetzliche Aufgabe handelt, für die wir als Staat einstehen, und dass wir unsere Bürger darüber hinaus nicht vergessen. Diese Aufgabe leistet der Senat!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir sind davon überzeugt, dass die Integration dann gelingt, wenn alle Menschen, ob zugewandert oder einheimisch, die existenziellen Probleme ihres Lebens lösen können. Dazu gehört es, einen Arbeitsplatz zu finden, in einer glücklichen Partnerschaft zu leben und den Kindern eine Zukunftsperspektive zu bieten. Manche sind auch ohne eine Partnerschaft glücklich, das will ich auch noch sagen.

(Heiterkeit)

Die Menschen sollen glücklich sein, wenn sie in Bremen sind. Sie müssen am Bildungssystem teilnehmen können. Man muss eine Perspektive finden können. Kurz gesagt: Die Menschen sind auf der Suche nach einem guten Leben, und unser Konzept soll dazu dienen, ihnen zu helfen, ihren Wunsch umsetzen zu können.

Das Fundament unseres Konzepts ist deshalb die Sprachvermittlung und der Spracherwerb.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich finde richtig, dass Sie an dieser Stelle Beifall klatschen! Ich will es ruhig noch einmal wiederholen: In den Neunzigerjahren wurden vielen Menschen Sprachkurse und eine sprachliche Integration vorent-halten. Viele Bürger äußern heute in den Beiräten, manche leben seit 20 Jahren hier, aus wel

chen Gründen sprechen sie bis heute nicht richtig Deutsch! Wir haben hier doch alle miteinander begriffen, dass Menschen vom ersten Tag an – egal, ob Menschen aus Afghanistan oder Syrien kommen – die Chance haben müssen, die Sprache zu lernen, denn sonst kom-men sie bei uns nie an. Das kann nicht unser Ziel sein.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Für den Senat sind die zentralen politischen Handlungsfelder Bildung, Arbeit und das Wohnen. Zuflucht bieten heißt: Wir werden die Kapazitäten der Erstaufnahmestellen ausbauen und die Erstaufnahmeverfahren bündeln. Dazu zählen die Themen Registrierung, die ED-Behandlung und auch die medizinische Versorgung.

Zuflucht bieten heißt auch, dass wir die psychosoziale Betreuung der Geflüchteten weiterentwickeln, und natürlich werden wir auch die Inobhutnahme unbegleiteter Minderjähriger zukünftig gewährleisten. Bremen ist nach dem Königsteiner Schlüssel verpflichtet, ein bestimmtes Kontingent aufzunehmen. Im letzten Jahr ist die festgelegte Zahl um über 400 Prozent überschritten worden. Seit dem November ist eine Verteilung auf andere Bundesländer möglich. Davon machen wir Gebrauch, und es wird den einzelnen Jugendlichen gerechter.

Zusammengefasst: Wir werden all denjenigen, die eine sichere Zufluchtsstätte brauchen, eine sichere Zufluchtsstätte bieten. Wir werden aber auch diejenigen, die keine Bleibeperspektive haben und deren Antrag auf Asyl abgelehnt wurde, in ihre Herkunftsländer zurückführen, sofern es rechtlich vertretbar ist. Die freiwillige Rückführung hat dabei nach wie vor Priorität.

Integration gestalten heißt, dass wir von Anfang an auf die Integration setzen. Wir werden deshalb den Spracherwerb und die Sprachförderung ausbauen. Zusammen mit den Akteuren werden wir in Bremen einen Sprachgipfel initiieren. Das haben der Bürgermeister und ich anlässlich des Integrationstags mit der Volkshochschule und den weiteren 13 Anbietern in diesem Bereich verabredet. Wir werden die Vorkurse ausbauen müssen, und zwar für alle von Anfang an.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir werden den Kita-Ausbau vorantreiben und kurzfristig ein Umsetzungskonzept zur Integration der wachsenden Kinderzahlen in die schulischen Strukturen entwickeln.

Wir werden schließlich auch die ausbildungs- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen erweitern, um sie mit Blick auf die neuen Herausforderungen, die durch die Zuwanderung entstehen, anzupassen. Ich bin sehr froh, und ich weiß auch, dass Bürgermeister Sieling,

Bürgermeisterin Linnert und der gesamte Senat von dem Engagement sehr begeistert sind, dass das Bremer Handwerk und die Handelskammer an den Tag legen. Sie sagen, dass sie die Betriebe sind, die die jungen Leute brauchen, denn das sind die Kollegen von morgen.

Die Wirtschaft und das Handwerk fordern ungeduldig, dass bundesweit restriktive Regelungen für den Arbeitsmarkt und für die Wirtschaftsförderung beraten werden, um die Menschen möglichst schnell ankommen zu lassen. Ich glaube, dass die Sprache der eine und die Arbeit der andere Schlüssel ist, damit die Menschen das Gefühl haben, hier angekommen zu sein,

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

eine Familie gründen und ernähren, hier studieren zu können. Das wird uns Tag für Tag geschildert.