Beschäftigungsverhältnisse an bremischen Hochschulen Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 6. Oktober 2015 (Drucksache 19/100) Dazu Mitteilung des Senats vom 23. Februar 2016 (Neufassung der Drucksache 19/189 vom 1. Dezember 2015) (Drucksache 19/307)
Gemäß Paragraf 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort, Drucksache 19/307, auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.
Ich gehe davon aus, Herr Staatsrat, dass Sie die Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE nicht mündlich wiederholen möchten, sodass wir gleich in die Aussprache eintreten können.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich sagen, dass die Beantwortung unserer Großen Anfrage alles andere als glänzend verlaufen ist. Wir haben die Große Anfrage Anfang Oktober 2015 eingereicht, und wir haben die Antwort des Senats nicht im Dezember, nicht im Januar, sondern heute in der Mittagspause erhalten. Ich denke, dass das kein angemessener Umgang mit Großen Anfragen der Opposition ist.
Nun zur Sache! Im Land Bremen gibt es vier staatliche Hochschulen, die sehr gute Arbeit leisten und viele junge Menschen nach Bremen locken. Unsere Hochschulen haben einen sehr guten Ruf. Viel zu selten schauen wir uns aber an, wer die ganze Arbeit trägt, wer dafür verantwortlich ist, dass qualitativ hochwertige Lehre angeboten werden kann. Deshalb hat DIE LINKE eine Große Anfrage zu Beschäftigungsverhältnissen an bremischen Hochschulen gestellt und den Blick insbesondere auf den wissenschaftlichen Mittelbau gelegt.
Eines vorweg: Die Beschäftigungsverhältnisse an den bremischen Hochschulen sind leider alles andere als exzellent.
Die Antwort des Senats zeigt deutlich, dass an den Hochschulen ein ernsthaftes Befristungsproblem besteht. Von 3 800 Vollzeitstellen sind die Hälfte befristet.
Bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern haben wir den traurigen Rekord von 80 Prozent Befristungen. Einige Wissenschaftler haben in zehn Jahren an der Universität zehn Arbeitsverträge unterschrieben. Diese hohe Befristungszahl ist nur durch das Sonderarbeitsrecht des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes möglich, das Befristungen bis zu zwölf Jahren erlaubt und bei mit Drittmitteln finanzierten Projekten sogar Kettenbefristungen bis zur Rente möglich macht.
An der Universität ist jede zweite Stelle nicht aus dem Grundhaushalt finanziert, sondern aus Mitteln des Hochschulpaktes, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder aus Drittmittelprojekten, und deshalb ist die Befristungslage noch einmal dramatischer. Die Antwort des Senats zeigt es deutlich: Die hohe Drittmittelabhängigkeit, vor allem an der Universität, drückt massiv auf die Qualität der Arbeitsplätze.
Für die Beschäftigen bedeutet die ständige Befristung ihrer Arbeitsverträge eine maximale Unsicherheit für die Lebensplanung. Wenn ich nicht weiß, ob ich im nächsten Jahr noch meine Stelle habe, dann fällt es mir schwer, Entscheidungen für die Zukunft zu tref
fen. Die Familienplanung wird dann zu einem Risikofaktor. Frauen stellen sich oft die Frage: Job oder Kind? Wir finden, es muss beides möglich sein!
Wir brauchen dringend Wege, um von den Kettenbefristungen hin zu regulären unbefristeten Arbeitsverträgen für wissenschaftliche Mitarbeiter zu kommen.
Das Hauptproblem ist und bleibt die unzureichende Grundfinanzierung. Mit einer höheren Grundfinanzierung könnten in einem größeren Umfang unbefristete Beschäftigungsverhältnisse geschaffen werden, und die Abhängigkeit von der Drittmitteleinwerbung wäre abgemildert.
Die Länder Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg haben Geld in die Hand genommen und systematisch die Arbeitsverträge von Wissenschaftlern entfristet.
Daran kann sich Bremen ein Beispiel nehmen. Auf diese Weise könnten über einen längeren Zeitraum mehr und mehr Stellen entfristet und Daueraufgaben mit Dauerstellen versehen werden.
Das würde sich für die Beschäftigen lohnen. Es würde die Hochschulen als Arbeitsplatz wesentlich attraktiver machen, und auch die Studierenden würden von guter Lehre profitieren und müssten sich nicht mehr beklagen, dass Dozenten nach zwei Semestern die Hochschule verlassen haben und nicht mehr erreichbar sind.
Wenn wir uns die Situation der wissenschaftlichen Mitarbeiter vergegenwärtigen, dann sprechen wir nicht nur über Zukunftsangst aufgrund von Befristung, sondern wir sprechen auch über unbezahlte Mehrarbeit in einer Größenordnung, die uns schwindelig werden lässt. Viele arbeiten in Vollzeit, obwohl sie nur in Teilzeit angestellt sind. Sie tun dies einfach deshalb, weil das Arbeitspensum und die dafür veranschlagte Stundenzahl vorn und hinten nicht zusammenpassen.
Den ersten Platz in der Kategorie „schlechte Arbeitsbedingungen“ erhalten sie trotzdem nicht, denn der geht an die Gruppe der Lehrbeauftragen. Natürlich muss man hier unterscheiden: Es gibt in meinen Augen zwei Kategorien, nämlich die echten Lehrbeauftragten und die Schein-Lehrbeauftragten. Die echten Lehrbeauftragten sind die Personen, die ihre Arbeit genauso ausfüllen, wie die Grundidee aussieht: Sie haben eine feste Stelle außerhalb der Hochschule, und sie haben zusätzlich einen Lehrauftrag – als ergänzendes Angebot – als eine Person, die aus der Praxis berichtet. So weit, so gut!
Schein-Lehrbeauftragte sind für mich diejenigen, die seit Jahren grundständige Aufgaben in der Lehre übernehmen, keine feste Anstellung außerhalb der Hochschule haben und im Studiengang unersetzlich sind. Sie können eine feste sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vergessen, weil es wesentlich billiger ist, ihnen in jedem Semester neue Lehraufträge zu geben.
Für die Betroffenen hat das massivste Unsicherheit zur Folge, keine Aufstiegsmöglichkeiten, schlechte Bezahlung – die Honorare der Lehrbeauftragen wurden in Bremen seit 2003 nicht erhöht –, Vertragslaufzeiten von einem Semester, keine Bezahlung im Krankheitsfall, kein Mutterschutz und keine arbeitnehmerrechtliche Vertretung durch den Personalrat! Sie merken, die Aufzählung der Nachteile hört gar nicht mehr auf. So sieht es aber aus, und das darf der Bremer Senat nicht weiter hinnehmen!
Die Antwort des Senats ist hier leider mehr als ernüchternd. Er hält es nicht für nötig, dass Lehrbeauftragte eine arbeitnehmerrechtliche Vertretung durch die Personalräte erhalten. Er sieht keinen Bedarf, Lehraufträge in feste Stellen umzuwandeln. Das ist falsch! Wir fordern: Heraus aus der Einbahnstraße Lehrbeauftragte! Der Senat muss für neue Einstellungsmöglichkeiten, für sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung und für faire Arbeitsbedingungen eintreten.
Ich habe noch ein bisschen Zeit und möchte deshalb in der ersten Runde kurz noch auf die Lehrbeauftragten im Fachbereich Musik der Hochschule für Künste eingehen. Sie leisten offiziell 52 Prozent der Lehre. Natürlich übernehmen sie dabei Regelaufgaben wie beispielsweise Klavierunterricht. Da sie aber nur sechs Stunden Lehre pro Woche pro Bundesland arbeiten dürfen, reisen sie teilweise zwischen drei Bundesländern hin und her und verbringen zum Teil 20 Stunden in der Woche im Zug. Man muss es sich einmal vorstellen: 20 Stunden! Für diese Stunden erhalten sie selbstverständlich keine Vergütung. Wenn sie das alles machen, kommen sie am Ende vielleicht auf 1800 Euro Bruttoentgelt. Ich glaube nicht, dass das das Verständnis des Senats von guten Arbeitsbedingungen an der Hochschule ist.
Wir fordern deshalb den Senat auf, gemeinsam mit den Hochschulen unbefristete Beschäftigungsmöglichkeiten anzuvisieren und verlässliche Karrierewege jenseits der Professur zu ermöglichen. Dabei sind die Lehrbeauftragten ganz besonders in den Blick zu nehmen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn es etwas länger gedauert hat, möchte ich mich doch zunächst beim Ressort für die sehr ausführliche Beantwortung der vielen Fragen und für das umfangreiche Datenmaterial, das zur Verfügung gestellt worden ist, bedanken. Es gibt sicherlich noch die eine oder andere Lücke, die künftig zu schließen wäre, etwa bei den Befristungen der Arbeitsverträge an der Universität, aber hier ist natürlich auch die Universität selbst in der Pflicht. Als Anregung an das Ressort: Es wäre hilfreich, wenn bei solchen Datensätzen die eine oder andere ergänzende Berechnung vorgenommen würde, denn nicht jeder dürfte Excel haben, und nicht jeder kann unbedingt damit umgehen. Das vorweg!
Die Zahlen selbst zeigen zunächst, welche wichtigen Arbeitgeber die Universität und die Hochschulen in Bremen sind. Zusammen kommen sie, wenn man die Köpfe zählt, auf rund 4 400 Personen, und es ist erfreulich, dass diese Zahl in den letzten Jahren stabil gehalten werden konnte. Das ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit.
Schaut man sich die Struktur dieser Beschäftigungsverhältnisse an, dann fällt in der Tat vor allem bei der Universität der sehr hohe Anteil befristet Beschäftigter auf. Es sind – Frau Strunge hat es ja auch herausgestrichen – rund 50 Prozent der Beschäftigten. Man muss allerdings auch sehen, dass sich dieser hohe Anteil nicht zuletzt mit dem sehr hohen Anteil der eingeworbenen Drittmittel erklärt. Es sind ebenfalls 50 Prozent der Beschäftigten, die ganz oder teilweise aus diesen Drittmitteln finanziert werden. Frau Strunge, man muss eben auch hervorheben: Der hohe Anteil der befristeten Stellen ist deshalb auch eine Folge der Exzellenz, der Forschungsstärke der Universität, ihrer Stärke, Projekte zu akquirieren, sie in die Universität zu holen. Das heißt, das, was Sie beklagen, ist eben auch ein Teil und ein Resultat des Erfolgs dieser Universität.
Auf der anderen Seite haben Sie natürlich recht, die Befristungen sind mit Problemen verbunden. Zum einen gibt es die unnötig kurzen Befristungen bei Drittmittelprojekten. Bremen ist zwar nicht ganz so extrem aufgefallen wie manche anderen Universitäten mit Mini-Befristungen, aber es ist auch hier so, dass manche Befristung kürzer war als die Projektlaufzeit, und das ist natürlich für sich genommen auch ein Problem.
Zum anderen besteht das Problem der wiederholten befristeten Arbeitsverträge im Mittelbau – Frau Strunge hat es hervorgehoben –, die eben dazu führen, dass
möglicherweise über sehr lange Jahre hinweg befristet gearbeitet werden muss. Es ist deshalb – und das muss man auch sagen – richtig und wichtig, dass das Wissenschaftsressort gemeinsam mit Gewerkschaften, der Arbeitnehmerkammer, den Leitungen und Personalräten der Hochschulen an einem Rahmenkodex arbeitet, mit dem dem Befristungsproblem zu Leibe gerückt werden soll und Verbesserungen geschaffen werden sollen. Es ist gut, dass das gemacht wird, und ich bin gespannt darauf, welche Verbesserungen es geben wird.
Es ist auch richtig und wichtig, dass mit dem Hochschulgesetz eine stärkere Abgrenzung zwischen befristeten Qualifizierungsstellen und unbefristeten wissenschaftlichen Dienstleistungsstellen erfolgen soll. Ich denke, das ist der richtige Ansatz, und er muss damit verbunden werden, dass dann auch tatsächlich gerade im Bereich der wissenschaftlichen Dienstleistungsstellen, dort, wo Daueraufgaben sind, auch unbefristete Beschäftigungsverhältnisse geschaffen werden.
Perspektivisch müssen wir allerdings auch noch ein Problem angehen, das nicht so explizit angesprochen worden ist, das aber der eine oder andere vielleicht auch aus seinem Freundeskreis kennt, nämlich dass Wissenschaftler mitunter bis in die Nähe des fünfzigsten Lebensjahres darauf hoffen und darum zittern, ob sie eine Professur bekommen, und am Ende an einer Klippe stehen, wo sich dann nur noch die Frage stellt: W 2 oder Hartz IV? Das ist eine Situation, die nicht akzeptabel ist. Hier muss es Verbesserungen geben.