Protokoll der Sitzung vom 24.02.2016

Als nächster Redner hat das Wort Herr Senator Günthner.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! 2016 droht zum Schicksalsjahr für die deutsche Stahlindustrie, für die europäische Stahlindustrie insgesamt zu werden. Das hat zum einen mit der schon beschriebenen Überkapazität zu tun, das hat zum anderen eben auch damit zu tun – das muss man sich einmal genauer anschauen –, was an politischer Strategie, was an wirtschaftspolitischer Strategie in China dahintersteckt.

Wenn man das Szenario der Stahlindustrie nicht auf die Fragen isoliert, welche Überkapazität es gibt und welche Folgen das für die deutsche und europäische Stahlindustrie hat, sondern das Szenario Stahlindustrie für europäische und deutsche Industriebranchen weiterdenkt, wird deutlich, wie notwendig es ist, bevor man mit China beim Thema Marktwirtschaftsstatus weiterkommt, intensive Gespräche darüber zu führen, wie denn das level plainfield – wie man neudeutsch sagt –, wie der Rahmen, den man braucht, wie die Wettbewerbsbedingungen insgesamt sind.

Ich beziehe mich auf all diejenigen, die sehr stark auf die exportorientierte deutsche Wirtschaft schauen, die wir auch im Blick haben, und sagen: Wir müssen versuchen, eine Balance zwischen den Bedürfnissen und Forderungen der Stahlindustrie und dem, was unsere exportorientierte Wirtschaft, unsere Wirtschaft, die zum Teil schon in China produziert, an Anforderungen hat, zu schaffen. Ich will darauf hinweisen, dass das im Grunde richtig ist. Ich will aber auch darauf hinweisen, dass man sich Folgendes anschauen muss: Im Moment haben wir eine gemeinsame Schnittmenge von Europa und China, von Deutschland und China, von ungefähr 15 Prozent bei Produktionen. Im Stahlbereich kann man das sehr eindrucksvoll sehen. Perspektivisch werden das 35 Prozent. Deswegen kommt es umso mehr darauf an, Marktbedingungen herzustellen, die es auch für den europäischen Markt, für die europäischen Produzenten möglich machen, wettbewerbsfähig produzieren zu können.

Das Beispiel ist schon beschrieben worden. Wenn Sie sich vor Augen führen, dass die chinesische Stahlproduktion auf den europäischen Markt drängt, und das in einer Situation, in der es dramatische Überkapazitäten gibt, in einer Situation, in der die europä

ischen Mechanismen, um gegen Dumping vorzugehen, nicht in der Geschwindigkeit greifen, in der das notwendig wäre, man aber sieht, dass sich Amerika faktisch abschottet, auf diesen Dumpingwettbewerb entsprechend reagiert, wenn Sie sich vor Augen führen, dass Indien das Gleiche macht, dann müssen Sie beispielsweise beim Thema kaltgewalzter Stahl, wo es einen Dumpingpreis von 50 bis 60 Prozent gibt, wissen, dass die Industrie erst einmal nachweisen muss, dass sie drei Quartale geschädigt worden ist.

Dann kann sie zur EU-Kommission gehen und sagen: Wir sind in den letzten drei Quartalen geschädigt worden, wir können das entsprechend belegen. Die Kommission hat dann neun Monate Zeit, zu untersuchen und vorläufige Maßnahmen einzuleiten, anschließend noch sechs Monate Zeit, um endgültige Maßnahmen einzuleiten. Insgesamt hat sie ein Zeitfenster von 25 bis 28 Monaten, in dem die Industrie diesem Preisdruck, diesem Preiswettbewerb ausgesetzt ist, ohne darauf reagieren zu können. Insofern wird deutlich, wie notwendig es ist, dass die Anti-Dumping-Strategie der EU vom Kopf auf die Füße gestellt wird, dass sie schneller wird, dass sie flexibler wird und auf die vorhandenen Anforderungen reagiert.

Ich habe eben gesagt, 50 bis 60 Prozent Preisdumping. Wie reagiert die EU-Kommission? Sie verhängt Schutzzölle im Bereich von 13 bis 16 Prozent. Da braucht man kein großer Mathematiker zu sein, um zu erkennen, dass das wahrscheinlich nicht die abschreckende Wirkung hat, die es am Ende eigentlich haben müsste. Im Vergleich dazu: Es sind 237 Prozent, die die USA verhängt haben!

Das bedeutet, wir müssen uns das Marktwirtschaftsthema anschauen. Vollkommen klar ist Folgendes: Zu sagen, davon sei zwar die Stahlindustrie betroffen, aber insgesamt habe es keine großen Auswirkungen auf Deutschland, halte ich für fatal, halte ich für falsch. Wir haben eine hochmoderne Stahlindustrie. Man kann das gerade in Bremen sehen. Diese hoch moderne Stahlindustrie, hoch produktiv, mit hohen ökologischen Standards in der Produktion, ein Arbeitsmarkt- und Arbeitsplatzmotor nicht nur für Bremen, sondern auch für Deutschland insgesamt, ist eben auch ein zentraler Kernbestandteil unserer deutschen Industrie, die wir insgesamt haben. Deswegen darf man nicht so leichtfertig sein und so tun, als könne man das riskieren, sondern muss auf die Sicherung setzen und darauf, dass das, was an Möglichkeiten insbesondere im Rahmen der EU gehoben werden kann, auch entsprechend schnell und konsequent vorangetrieben wird.

Der Senat, Bürgermeister Dr. Carsten Sieling, hat zu einem Stahlgipfel eingeladen. Schaut man sich die Diskussion an, die im Moment in Deutschland, in allen Bundesländern und auf der Bundesebene geführt wird, stellt man fest, dass immer das deutsche Modell der Sozialpartnerschaft im Mittelpunkt steht, wo nämlich Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinschaftlich dafür arbeiten, dass die Stahlindustrie in Europa

eine Perspektive hat und das, was an Hemmnissen und Hindernissen für die Stahlindustrie da ist, gerade im Wettbewerb mit China, aber auch im Wettbewerb mit Russland, nicht dazu führen darf, Arbeitsplätze hier zu zerstören.

Ich will einen zweiten Punkt ansprechen, der nach unserer Auffassung zentral ist. Bremen unterstützt im Bundesrat auch entsprechende Initiativen. Wir brauchen eine Regelung in Bezug auf Eigenstrom, die europarechtskonform ist. Sie wissen, dass in den Verhandlungen mit der EU-Kommission im Rahmen der EEG-Reform an die Regelung für Eigenstrom ein Sternchen gesetzt worden ist, weil es sich dabei um eine deutsche Spezialität handelt. Wenn Sie sich die Alternativen dieser Form der Nutzung eines Nebenprodukts der Stahlproduktion anschauen, ist klar, dass das eine absurde Vorstellung ist. Stellen Sie sich vor, dass man auf der Hütte – was man inzwischen, glaube ich, auch gar nicht mehr darf – das Gas abfackeln würde, das man heute dazu nutzt, um Energie zu erzeugen! Insofern ist es wichtig, dass wir dort zu klaren Regelungen kommen, und wir unterstützen diese entsprechenden Projekte.

Ein wesentliches Thema, über das wir gerade auch mit der Hütte in Bremen, mit den Gewerkschaften im Rahmen unseres Stahlgipfels gesprochen haben, ist das ganze Thema Emissionshandel. Man muss sich auch da vor Augen führen: Wir haben eine hoch effiziente Stahlproduktion. Sie kommt langsam an die physikalisch-technische Grenze. Das muss im Emissionshandel Berücksichtigung finden. Es kann doch nicht sein, dass am Ende diejenigen, die viel getan, viel investiert haben, um eine ordentliche, saubere Produktion hinzubekommen und die Abfallprodukte der Produktion weiter nutzen zu können, dafür bestraft werden, dass sie in den vergangenen Jahren so vorgegangen sind. Das sind nach meiner Auffassung die drei zentralen Herausforderungen, die wir für die Stahlindustrie haben.

Wir sind in engem Schulterschluss nicht nur mit den anderen Stahlländern in Deutschland, sondern wir sind in engem Schulterschluss mit vielen Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag, im Europäischen Parlament. Es muss uns aber ebenfalls gelingen, auch viele andere europäische Länder zu überzeugen. Der Brief, den Sigmar Gabriel zusammen mit einer ganzen Reihe von Kollegen geschrieben hat, ist ein wichtiger Anfang gewesen. Es muss gelingen, diejenigen innerhalb der Europäischen Union, die Freihandel über alles stellen und nicht sehen, welche dramatischen Folgen das für die Industrien in Europa haben kann, auch davon zu überzeugen.

Der Kollege Kottisch hat angesprochen, dass wir hohe Klimaschutzziele haben. Jawohl, wir haben hohe Klimaschutzziele. Diese hohen Klimaschutzziele wollen wir auch erhalten, aber wir brauchen auch Industrie, nicht nur in Deutschland, sondern in Europa, und viel mehr Industrie, als wir im Moment haben. Deswe

gen müssen wir uns auf einen Wachstumspfad begeben. Industrie ist der Kern unserer Wirtschaft.

Es wird viel über Digitalisierung diskutiert. Ohne die industriellen Kerne, die wir haben, ohne die industrielle Stärke, die wir haben, ohne das, was dort an Arbeitsplatzpotenzialen ist, wird die Digitalisierung nicht gelingen. Insofern müssen wir die Chancen ergreifen. Das setzt aber voraus, dass wir uns hinter den industriellen Themen versammeln, für Akzeptanz werben, für Stärke werben, dafür werben, dass wir unsere Stahlindustrie in Bremen und in Deutschland durch diesen Dumpingwettbewerb nicht weiter schädigen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Zuerst lasse ich über den Antrag der Fraktion der CDU abstimmen.

Wer dem Antrag der Fraktion der CDU mit der Drucksachen-Nummer 19/272 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür CDU, FDP, ALFA, Abg. Tassis [AfD])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Jetzt lasse ich über den Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen abstimmen.

Wer dem Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit der Drucksachen-Nummer 19/278 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu.

(Einstimmig)

Nein heißt Nein – Schutz von Opfern sexueller Gewalt verbessern Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom 23. Februar 2016 (Drucksache 19/301) Wir verbinden hiermit:

Sexismus und Gewalt gegen Frauen und Mädchen konsequent bekämpfen Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 23. Februar 2016 (Drucksache 19/299)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Günthner.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dogan.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrte Frau Hauffe! Bedrohungen, sexuelle Übergriffe und Gewalt gegen Frauen sind widerliche Taten. Situationen, wie sie in der Silvesternacht in Köln und in anderen Städten stattgefunden haben, dürfen sich hier nicht wiederholen!

(Beifall)

Nirgendwo darf es hingenommen werden, dass ein Klima der Bedrohung entsteht und Frauen oder andere Bevölkerungsgruppen Angst davor haben müssen, wenn sie sich im öffentlichen Raum bewegen.

In der Silvesternacht wurden Hunderte Frauen Opfer von sexualisierter Gewalt. Ihnen möchte ich zunächst mein tiefstes Mitgefühl und meine Solidarität ausdrücken.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Dass Frauenrechte auf das Übelste verletzt und ein vermeintlich rechtsfreier Raum geschaffen wurde, war ein neues Phänomen in Deutschland. Alt hingegen ist bedauerlicherweise die Tatsache, dass es immer wieder sexuelle Gewalt gegen Frauen gibt.

Meiner Meinung nach brauchen wir nicht nur eine grundsätzliche Auseinandersetzung über Geschlechterrollen und sexualisierte Gewalt in unserer Gesellschaft, sondern im Speziellen auch in muslimisch geprägten migrantischen Communities. Was wir jedoch nicht brauchen, sind populistische Scheindebatten über weitere Asylrechtsverschärfungen, die jeglicher Grundlage entbehrent.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, im Schnitt erfährt jede siebte Frau einmal im Leben sexualisierte Gewalt. Mit solchen Übergriffen wird Macht, Dominanz und Gewalt ausgeübt. Die meisten dieser Übergriffe werden aus Angst, aus Traumatisierung oder aus Verunsicherung von den Frauen nicht angezeigt. Hinzu kommt, dass Frauen oft erleben, dass ihnen einfach nicht geglaubt wird.

Das ist nach den Übergriffen in Köln anders geworden. Die Frauen haben alle Anzeige erstattet. Ihnen

wurde zugehört, und die Täter werden nun strafrechtlich verfolgt. Das ist gut so, denn Nein heißt Nein, meine Damen und Herren!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)