Protokoll der Sitzung vom 25.02.2016

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Bernhard.

(Zuruf Abg. Dr. vom Bruch [CDU])

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir sind ja hier fast unter uns.

(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Nehmen Sie es nicht per- sönlich!)

Trotzdem ist es ein ernstes Thema, das muss ich schon sagen, also, es geht ja um etwas.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Es heißt „Auswertung und Perspektive“, darauf würde ich gern noch einmal eingehen. Vor zehn Jahren hat der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder beim Weltwirtschaftsforum in Davos den schrecklichen Ausdruck geprägt: „Wir haben einen funktionierenden Niedriglohnsektor“. Er sagte das ganz stolz, und ich muss sagen, das ist nicht unbedingt etwas, worauf man stolz sein könnte. Heute würde das niemand mehr sagen, aber es war auch zum damaligen Zeitpunkt, ehrlich gesagt, nicht gerade sehr klug. Aber es gibt ihn mehr denn je, in Deutschland und vor allem in Bremen.

Die Grenze zum Niedriglohn ist definiert als „zwei Drittel vom mittleren Lohn“, also der sogenannte Median. Für das Jahr 2010 bleibt diese untere Grenze bei einem Stundenlohn von 10,36 Euro. Das war die Zahl, die das Statistische Bundesamt in seinem Bericht „Niedriglohn und Beschäftigung“ vorgelegt hat. Das heißt, mehr als ein Fünftel aller Beschäftigten arbeitet für diesen Niedriglohn. Es gibt Branchen, in denen der Niedriglohn die Norm ist: Reinigung, Gastronomie, Einzelhandel, Sicherheitsdienste. Besonders bedenklich ist auch die Tatsache, dass 15 Prozent der Männer den Niedriglohn bekommen und 25 Prozent der Frauen.

Die Einführung des Mindestlohns war seit Jahren der erste ernsthafte Versuch, politisch und eben auch wirtschaftspolitisch dagegen vorzugehen. Daneben kann man eigentlich nur noch die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifen nennen. Eigentlich müsste der Mindestlohn dieser Niedriglohngrenze entsprechen. Das tut er aber nicht; 8,50 Euro sind davon weit entfernt. Die Auseinandersetzungen dazu haben wir auch hier in den letzten Jahren immer wieder geführt, wenn es darum ging, die Höhe festzulegen.

Im Juni dieses Jahres beginnen die Auseinandersetzungen um den Bundesmindestlohn, der ja am 1. Januar 2017 vor einer Erhöhung steht. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns das heute auch ansehen. Warum der Bremer Senat gerade jetzt aus dem Landesmindestlohn aussteigen will, erschließt sich aber aufgrund dieser Antwort in keiner Weise.

(Beifall DIE LINKE)

Denn ganz offensichtlich – das finde ich insbesondere für Bremen eklatant ausschlaggebend – hat der Mindestlohn für Bremen Erfolge erzielt. Nach seiner Einführung hat sich die Situation ungelernter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer deutlich verbessert. Der Anstieg der Zahl der Aufstockerinnen und Aufstocker ist zumindest gestoppt beziehungsweise sogar ein klein wenig zurückgegangen. Das heißt, der Mindestlohn hat gewirkt, und er hätte eine starke Wirkung haben können, wenn er tatsächlich an die Niedriglohngrenze herankommen würde.

(Beifall DIE LINKE)

Trotzdem möchte der Senat den Landesmindestlohn auf unbestimmte Zeit einfrieren. Der Gesetzentwurf lag, glaube ich, in der Deputation für Wirtschaft, Arbeit und Häfen auch schon vor. Bremen war damit im Jahr 2012 Vorreiter, zu Recht, und wir haben dies immer sehr unterstützt. Jetzt wird der Senat aber zum Bremser, und zwar auf ganzer Linie, und das ist unverantwortlich. Es ist doch völlig klar, wer jetzt den Landesmindestlohn einfriert, statt ihn turnusmäßig zu erhöhen, verringert den Druck auf die Auseinandersetzung um den Bundesmindestlohn. Das ist mit Sicherheit ein Zusammenhang, den man sich vor Augen halten muss, denn nur ein Mindestlohn, der durch seine Höhe eine ernst zu nehmende Lohngrenze nach unten zieht, verdient überhaupt diesen Namen.

(Beifall DIE LINKE)

Dabei sind die Ansprüche des Senats exorbitant bescheiden. Das zeigt sich in der Antwort auf unsere Anfrage, ob sich der Landesmindestlohn nicht am untersten Entgelt im öffentlichen Dienst orientieren sollte. Schleswig-Holstein hat das seinerzeit so begründet, und auch der DGB in Hamburg nimmt darauf Bezug. Der Mindestlohn liegt in Schleswig-Holstein bei 9,18 Euro, und der Hamburger Landesmindestlohn würde eine ähnliche Erhöhung auf 9,28 Euro betragen.

Der Bremer Senat sagt dagegen, dies ginge über die reine Existenzsicherung hinaus, und das käme nicht in Betracht. Ich muss ganz ehrlich sagen, das ist entlarvend und erschütternd zugleich, denn das heißt faktisch, der Mindestlohn soll nicht mehr sein als ein Armutslohn, die Übertragung von Hartz IV auf die Lohnpolitik. Das kann man nicht akzeptieren.

(Beifall DIE LINKE)

Ich würde gern in meinem nächsten Beitrag noch einmal auf die spezifische Bremer Situation eingehen. Das war sozusagen erst einmal der Zusammenhang für die erste Erläuterung. – Danke!

(Beifall DIE LINKE – Präsident Weber übernimmt wie- der den Vorsitz.)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Steiner.

Herr Präsident, liebe Kollegen, meine Damen und Herren! Ja, die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE hat, glauben wir, ganz schön viel Zeit in Anspruch genommen, wenn man sich einmal anschaut, wie dick dieses Pamphlet ist. Wir denken, wir hätten diese Zeit ein wenig besser nutzen können.

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Überlegen Sie sich ei- gentlich, was Sie da sagen?)

Was sind die Haupterkenntnisse? Das haben wir uns gefragt. Wenn man es sich einmal anschaut, so zahlt Bremen im Vergleich der Stadtstaaten den höchsten Mindestlohn. Das war das Erste. Die Anzahl der Aufstocker hat sich in Bremen seit dem Jahr 2012 um ganze 42 Personen reduziert. Es bleiben immer noch circa 19 250. Ungelernte Arbeitnehmer haben im Verhältnis die höchste Veränderung der Arbeitnehmerverdienste bekommen – 0,4 Prozent im Jahr 2013 –, und die Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen gehen zurück. Für mich war noch sehr schön zu lesen, dass der Senat eine Angleichung an die Bundesund Landesmindestlohnregelung anstrebt.

Nun fragen wir uns: wofür eigentlich diese ganze umfassende Große Anfrage? Es war zu erwarten, dass die Zahl der Aufstocker, die den Landesmindestlohn erhalten und damit unmittelbar beziehungsweise mittelbar beim Staat beschäftigt sind, nicht so hoch ausfällt, denn der Staat selbst zahlt selten schlecht, auch das ist kein Geheimnis. Der Landesmindestlohn in Bremen hat die Besonderheit, dass er sich über das Tariftreue- und Vergabegesetz auch auf private Unternehmen, die staatliche Aufträge erhalten, erstreckt. Es lässt sich also trefflich darüber streiten, ob sich der Staat einmal wieder in Dinge einmischt, die ihn eigentlich gar nichts angehen, denn für uns ist die Höhe des Verdienstes nach wie vor Aufgabe der Tarif- beziehungsweise Vertragspartner und eben nicht des Staates.

(Beifall FDP)

Selbst Hamburg hat festgestellt, dass mehrere Mindestlöhne zu einer unzumutbaren Bürokratie führen. Zu diesem Thema findet sich in dem umfassenden Pamphlet leider überhaupt kein Wort.

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Ich bitte Sie!)

Falls Sie mit dieser Anfrage die kurzfristige Forderung einer Erhöhung des Mindestlohnes anstreben, so sage ich Ihnen allen Ernstes: Es kann doch nicht im Interesse der LINKEN sein, Menschen erster und zweiter Klasse zu produzieren nach dem Motto „Nur wer beim Staat oder für den Staat arbeitet, ist privilegierter, und der Rest ist eben nur der Rest“, und wenn es sich dann umkehrt und sich beim Bund eine Erhöhung ergeben würde, dann wendet sich einfach das Blatt? Wo ist denn hier bitte das Bestreben nach Gleichmacherei, wie wir Sie sonst immer kennen, geblieben? Für uns steht jedenfalls fest, der Mindestlohn ist in seiner Beschaffenheit einfach nur ein ausuferndes Bürokratiemonster geworden, das in dieser Form niemandem hilft. Die Abschaffung ist die einzig richtige Entscheidung.

(Beifall FDP)

Die Ausnahmeregelungen des Bundesmindestlohnes laufen ja bekanntlich aus, und wir sollten in Bremen mit positivem Beispiel, wie eben viel zitiert, vorangehen und den Landesmindestlohn abschaffen. Daher haben wir auch unseren Entwurf hier eingebracht. – Danke!

(Beifall FDP)

Das Wort erhält zu einer Kurzintervention die Abgeordnete Frau Vogt.

Vielen Dank, Herr Präsident! Ich möchte die Fraktionsvorsitzende der FDP bitten, Antworten auf Anfragen – Anfragen sind ein parlamentarisches Recht, insbesondere der Opposition – nicht als Pamphlet zu bezeichnen, denn damit leistet man dem Populismus Vorschub, dass wir hier nur eine Schwatzbude wären!

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Bergmann.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU-Bürgerschaftsfraktion begrüßt die Absicht des Senats, den bremischen Landesmindestlohn im bundesweiten Mindestlohn aufgehen zu lassen, der seit dem 1. Januar 2015 gilt.

(Beifall CDU)

Ein mittelständischer Betrieb, der sich auf eine öffentliche Ausschreibung im Lande Bremen bewirbt, muss die Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten für den bundesweiten Mindestlohn von derzeit 8,50 Euro

erfüllen. Zusätzlich muss er umfangreiche Nachweise darüber führen, dass er den Landesmindestlohn von derzeit 8,80 Euro einhält. Dazu gehören insbesondere auch Verpflichtungserklärungen für sämtliche Nachunternehmer, was einen erheblichen Verwaltungsaufwand darstellt, und das ist schon ein wenig heftig

Doch nicht nur die getrennten Nachweise führen zu einem hohen Mehraufwand, nein, wenn der Betrieb Pech hat, kann es sein, dass er heute vom Zoll auf die Einhaltung des Bundesmindestlohns kontrolliert wird, und in der nächsten Woche kommt dann die bremische Sonderkommission Mindestlohn vom Wirtschaftssenator. Beide Male heißt es, Bücher und Gehaltszettel offenzulegen und umfangreiche Fragen zu beantworten, und dabei ruht schlimmstenfalls die Arbeit!

Die bürokratischen Belastungen, die mit den Dokumentationspflichten verbunden sind, sind beträchtlich. Wenn ich mir aber vorstelle, dass sich diese für 30 Cent mehr pro Arbeitsstunde verdoppeln, so ist das einem Arbeitgeber kaum mehr zu vermitteln. Schließlich müssen sich die Betriebe hin und wieder auch um ihr Kerngeschäft kümmern.

Die Gefechte um den Mindestlohn als solchen sind, soweit mir bekannt ist, ausgefochten. Eine Begrenzung gegen Lohndumping und unwürdigen Wettbewerb nach unten hat die Bremer CDU-Bürgerschaftsfraktion bereits befürwortet, als das in unserer Bundespartei noch kontrovers diskutiert wurde, und wir halten es auch weiterhin so für gut und richtig, wie es ist.

(Beifall CDU, SPD)

Gestritten wurde um den richtigen Weg dorthin, und das ist auch in Ordnung so, denn beim Bundesmindestlohn handelt es sich um ein sensibles Instrument, dessen Überziehen die gute Wirkung ja auch ins Gegenteil umschlagen lassen kann.

Der Bundesmindestlohn, so wie er im Juli 2014 beschlossen wurde, ist ein guter und auch tragfähiger Kompromiss aus den Positionen von SPD und Union, an dem wohl niemand in diesem Haus rütteln will. Eine Anpassung auf Bundesebene gemäß der tariflichen Entwicklung wird noch in diesem Jahr verhandelt und der Betrag mit hoher Wahrscheinlichkeit nach oben angepasst.

Uns ist wichtig, dass eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer ohne ergänzende Zuschüsse von ihrem oder seinem Verdienst leben können soll. Allerdings bezieht sich das auf vollzeitbeschäftigte alleinstehende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die CDU hat auch schon weit vor meiner Zeit vor dem Trugschluss gewarnt, dass der Mindestlohn die Zahl der Aufstockerinnen und Aufstocker signifikant reduzieren würde. Warum? Weil für die Sicherung des Existenzminimums neben der Lohnhöhe eben noch

weitere Faktoren ausschlaggebend sind, zum Beispiel Familienstand, Beschäftigungsumfang und so weiter.

Es ist doch klar, selbst wenn der Mindestlohn bei zehn Euro liegen würde, könnte zum Beispiel ein teilzeitbeschäftigter Familienvater damit nicht für sich, seine Frau und seine zwei Kinder sorgen. Genau für Fälle wie diese gibt es eben ergänzende Sozialleistungen und Zuschüsse. Warum sollte man das verteufeln? Dafür sind Sozialleistungen da.

(Abg. Frau Böschen [SPD]: Je mehr, desto besser, nicht?)

Den Mindestlohn überzustrapazieren, um damit soziale Ziele zu erreichen, ist nicht hilfreich. Das ist in erster Linie Aufgabe unseres Steuer- und Transfersystems.