Protokoll der Sitzung vom 25.02.2016

Den Mindestlohn überzustrapazieren, um damit soziale Ziele zu erreichen, ist nicht hilfreich. Das ist in erster Linie Aufgabe unseres Steuer- und Transfersystems.

(Abg. Frau Strunge [DIE LINKE]: Wäre schön, wenn man von Arbeit leben kann!)

Bei der Bestimmung der Mindestlohnhöhe müssen ökonomische Faktoren im Vordergrund stehen, denn ein Mindestlohn, der sich ausschließlich an Verteilungsaspekten orientiert, läuft Gefahr, gerade niedrigschwellige Arbeitsplätze zu vernichten. Deswegen ist es auch richtig, dass eine unabhängige Kommission von Tarifpartnern auf Basis vorher festgelegter Indikatoren über die Anpassung des Mindestlohns entscheidet.

Das Bremische Landesmindestlohngesetz hat sich im Jahr 2015 durch den Bundesmindestlohn im Grunde erledigt. Ich finde gut, dass der Senat dies erkennt, daraus die richtigen Konsequenzen zieht und das Landesmindestlohngesetz außer Kraft setzt. Ihn als zukünftiges handlungspolitisches Instrument durch Abschaffung ganz aus der Hand zu geben, halten wir für riskant und werden uns daher zum Antrag der FDP enthalten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall CDU)

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort an die Abgeordnete Frau Steiner.

Sehr geehrter Herr Präsident! Jetzt ist Frau Vogt leider nicht da, deshalb spreche ich jetzt zu Ihnen, Frau Bernhard, weil Sie zu dem Thema gesprochen haben: Ich entschuldige mich für diesen Begriff „Pamphlet“. Er war nicht negativ gemeint, sondern einfach falsch gewählt. Deswegen möchte ich das hier gern richtigstellen.

(Beifall)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Schmidt.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eigentlich gedacht, dass der Beitrag der FDP derjenige sein würde, der an Zynismus kaum zu überbieten gewesen wäre, aber die Kollegin Frau Bergmann war hier eben schon – wie soll ich das sagen? – für mich als Arbeitnehmervertreter nicht ganz nachzuvollziehen!

(Beifall SPD, DIE LINKE)

Die Große Anfrage der LINKEN vom 5. November ist am 22. Dezember beantwortet worden. Man kann darüber sinnieren, da haben Sie auch recht, dass sie erst in dieser Sitzung heute behandelt wird. Das ist sicherlich auch vielen Diskussionen geschuldet, die hier im Hause stattfinden müssen, und auch richtig. Der Senat kommt aber in seiner Antwort auf die Anfrage zu den Schlüssen, zu denen übrigens auch gerade die Arbeitnehmerkammer, die immer wieder einen Lagebericht zum Zustand des Arbeitsmarktes und auch zur Lage der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Lande Bremen gibt, sowohl im Jahr 2013 als auch in den Jahren 2014 und 2015 gekommen ist. Man soll sich also wundern, dass die Arbeitnehmerkammer zu dem Schluss kommt, und das ist jetzt ein Zitat: „Bremen und Bremerhaven sind an den Themen dran, die die Zukunftsfähigkeit unserer Städte ausmachen. In den Städten entscheiden sich die heute wichtigen Fragen der Integration, des sozialen Zusammenhalt, neuer Arbeitsmärkte und wirtschaftliche Entwicklungen. Diese Rolle des Treibers müssen wir im Land Bremen selbstbewusst wahrnehmen, und dafür muss auch die Politik ihren Gestaltungswillen auf den Arbeitsmärkten und bei der angemessenen Ausstattung unseres Gemeinwesens behaupten.“ Ich kann es komplett nachvollziehen, wenn die Arbeitnehmerkammer das so sieht, denn sie hat die Märkte dementsprechend untersucht. Genauso wichtig ist aber, dass die Anpassung des Landesmindestlohns durch eine Kommission entschieden wird, die auf Grundlage des Gesetzes eingesetzt worden ist. Im Übrigen ist der Lohn ja schon von 8,50 Euro im Jahr 2012 auf jetzt aktuell 8,80 Euro angehoben worden. Es ist keineswegs so, dass der Senat – auch nicht in der Vorlage für die Sitzung der Deputation für Wirtschaft, Arbeit und Häfen am 10. Februar – beantragt hat, das Landesmindestlohngesetz auszusetzen, sondern lediglich die weitere Anhebung und die Empfehlung der Kommission dann hier in diesem Haus vorzulegen und dann zu einer Entscheidung zu kommen, ob angehoben wird, angeglichen wird oder eben nicht. Dieses Instrument sollten wir uns, glaube ich, auch nicht nehmen lassen.

(Beifall SPD)

Was aber eindeutig wichtig ist, und das habe ich hier eigentlich von niemandem gehört – ich glaube, das

ist vielen nicht bekannt, bei Ihnen, Frau Steiner, kann ich sogar noch nachvollziehen, dass Ihnen das ein bisschen fremd ist –, in der Landesmindestlohnkommission sitzen zwei Mitglieder der Arbeitnehmerorganisationen, zwei Mitglieder der Arbeitgeberorganisationen und ein Vorsitzender, der von beiden Spitzenorganisationen benannt worden ist, um sich in genau diese Findung des Landesmindestlohns einzubringen.

Iich glaube, das ist auch der entscheidende Impuls, den Politik in diese Richtung eigentlich nur geben kann, in Richtung Rückkehr zur Sozialpartnerschaft. Das habe ich bei Ihnen noch nicht gehört. Ich weiß nicht, ob Sie in Ihren Betrieben, in denen Sie arbeiten oder die Ihnen vielleicht sogar gehören, so etwas wie Tarifvertragsparteien kennen, denn eigentlich ist der Landesmindestlohn – darin muss ich den LINKEN widersprechen – nicht das adäquate Mittel, sondern das sind Tarifverträge und -löhne,

(Beifall SPD)

die nicht das untere Ende der Lohnskala beschreiben, sondern die Grundlage der Sozialpartnerschaft und der Wirtschaft darstellen. Das habe ich von Ihnen überhaupt noch nicht gehört.

(Abg. Professor Dr. Hilz [FDP]: Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie gehört, dass sie das gesagt hat!)

Aus dem Bericht geht hervor, dass wir immer noch 19 244 Kolleginnen und Kollegen haben, die aufstocken müssen, und wenn hier eine Kollegin der CDU, Frau Bergmann, leider sagt, sie halte das für normal und richtig, dafür gebe es diese Instrumente – ich halte es nicht für richtig und normal, wenn jemand in Vollzeit arbeitet und noch aufstocken muss. Das kann nicht sein. Ich weiß nicht, ob Ihnen bewusst ist, was das bedeutet: Wenn jemand für 8,50 Euro Vollzeit arbeitet, sprechen wir von knapp 1 400 Euro brutto im Monat. Was davon übrig bleibt, haben wir hier immer wieder gehört.

(Beifall SPD – Abg. Frau Bergmann [CDU]: Ich habe von Teilzeit gesprochen!)

Ja, das mag ja sein. Es ist die richtige Entscheidung, hier genau diese Impulse zu setzen, damit es nicht noch weiter zur Tarifflucht kommt, denn das Beschäftigungs-Plus, das nach Inkrafttreten des Landes- und des Bundesmindestlohnes erfolgt ist, kann man nicht wegdiskutieren, denn diese ganzen Herbeiredner von Katstrophen und „der Arbeitsmarkt bricht zusammen“, „wir kollabieren komplett bei 8 Euro“ hat es, daran kann ich mich erinnern, leider nicht gegeben, als die Diskussion begann. Was heißt „leider“, Gott sei Dank hat es das nicht gegeben, Entschuldigung!

(Beifall SPD)

Auch in dem Bericht für 2015 sagt die Arbeitnehmerkammer dazu ganz klar: „Fachkräfte einbinden, fördern und wertschätzen“, und gute Fachkräfte arbeiten nicht für 8,50 Euro, sondern sie arbeiten für Tariflöhne.

(Beifall SPD)

Werkverträge einzudämmen führt nämlich genau dazu, was Sie gerade ansprachen, und ich denke, die FDP weiß das auch, dass die Arbeit dann nicht mehr im Land bleibt, sondern sie wird von externen Dienstleistern übernommen, die hier anreisen und irgendetwas erledigen. Niemand hat etwas gegen Werkverträge, aber was heute alles so als Werkvertrag angeboten wird, hat, denke ich, nichts mehr mit normaler Beschäftigung und schon gar nichts mit nachhaltiger Beschäftigung zu tun.

(Beifall SPD)

Tariflohn und Lohndumping stoppen, soziale Berufe stärken, Alleinerziehende fördern – auch das geht ganz klar aus der Antwort hervor –, dafür hat der Senat einiges getan, und das werden wir auch weiter tun. Die Arbeitgeberverbände bemängeln jedes Mal, es fehlen Fachkräfte, auch in der Diskussion, die wir heute den halben Tag geführt haben. Fachkräfte muss man ausbilden, Fachkräfte muss man einsetzen, Fachkräfte muss man nach Tariflohn bezahlen, und in den allermeisten Branchen liegen die Tariflöhne deutlich höher als das, was wir heute besprochen haben. – Danke schön!

(Beifall SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Fecker.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Schön, dass an diesem Punkt wieder einmal die ganze Bandbreite des Parlaments deutlich wird. Aber auch ich habe mir vorgenommen, heute etwas ruhiger einzusteigen.

(Abg. Frau Böschen [SPD]: Warum denn?)

Lassen Sie mich deutlich sagen: Die Einführung des Landesmindestlohns im Bundesland Bremen durch Sozialdemokraten und Grüne ist ein Erfolg.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Dieses Gesetz hat den Weg für viele andere Bundesländer geebnet und am Ende maßgeblich dazu beigetragen, dass auch im Bund ein bundesweiter Mindestlohn eingeführt wurde, und selbst die BundesCDU hat sich überzeugen lassen, dass es wichtig ist,

dass Menschen von ihrem Vollzeitjob leben können müssen. Es gibt politische Diskussionen, ob dieses Ziel mit dem gesetzlichen Mindestlohn bereits erreicht ist. Diese Debatten sind aus meiner Sicht mehr als berechtigt, sollen uns aber nicht aus den Augen verlieren lassen, welch großer und historischer Schritt hier im Grundsatz gelungen ist.

Mit der Einführung des Mindestlohns auf Bundesebene stellt sich natürlich die Frage des eigenen Gesetzes im Land Bremen. Die eine Seite des Hauses will dieses Gesetz abschaffen, die andere Seite will es weiterhin fortführen und die Anpassung des Mindestlohns fortsetzen. SPD und Grüne haben sich für keines der beiden Modelle entschieden.

(Abg. Professor Dr. Hilz [FDP]: Was wollen Sie denn genau?)

Wir werden das polemische Mindestlohngesetz nicht aufheben, Frau Bernhard, wie eben im ersten Teil Ihrer Rede behauptet; so gut es ist, dass es einen bundesweiten Mindestlohn gibt, denn wir haben lange dafür gekämpft, dass der Wettbewerb nicht länger über Lohndumping ausgetragen wird.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Wir haben lange dafür gekämpft, dass Löhne von 5 oder 6 Euro brutto pro Stunde endlich der Vergangenheit angehören.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Deshalb haben die Grünen im Bundestag auch als Oppositionskraft dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zugestimmt. Leider müssen wir aber auf der anderen Seite konstatieren, dass es einen ganzen Schwung Ausnahmetatbestände in diesem Bundesgesetz gibt und unser Gesetz in Bremen dem des Bundes einfach um Längen voraus ist. Wir halten es aber auf der anderen Seite auch für richtig, dass es keine unterschiedlichen Mindestlöhne in Deutschland gibt, und werden daher warten, bis die unterschiedlichen Höhen harmonisiert wurden, also die Höhen gleich sind.

Eine Bemerkung zum Abschluss, was ich doch ein wenig putzig fand, Frau Kollegin Bernhard, Sie sagten, der Senat bremse den Bundesmindestlohn. Ich glaube ganz ehrlich, dass nicht die Bundesregierung oder der Gesetzentwurf in irgendeiner Weise Auswirkungen darauf hat, was wir hier tun, sondern es ist doch vollkommen klar, dass das Dinge sind, die auf Bundesebene entschieden werden, und so viel Beachtung man dem kleinsten Bundesland in der politischen Bedeutung auch schenken sollte, diese große Ehre dem Senat zuteilwerden zu lassen, halte ich für falsch. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Bernhard.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich muss einräumen, es gibt wirklich Momente, in denen ich besonders froh bin, dass hier rot-grün regiert und nicht – –.

(Beifall SPD – Abg. Bolayela [SPD]: Woher will man das wissen?)

Es ist bei aller Kritik, die ich immer wieder habe und die sich mit Sicherheit auch nicht schmälern wird, doch immer wieder ein ungeheuerlicher Unterschied, das muss ich feststellen. Noch einmal ganz kurz zu den einzelnen Punkten. Erstens einmal, Frau Bergmann, Sie sehen ja komplett durch die Brille der Unternehmen: Diese müsse man entlasten, sie hätten ja so viel Bürokratie. Das ist falsch. Die Sonderkommission arbeitet mit dem Hauptzollamt zusammen. Sie stimmen sich ab, sie werden informiert, und es gibt keine zusätzliche Kontrolle in der Weise, dass der Aufwand exorbitant groß ist, wenn Sie sich noch um den Staat Sorgen machen. Zweitens, ich finde, es ist ein riesengroßer Unterschied. Wenn man sich das ausrechnet, dann hat man in Bremen über den Landesmindestlohn aktuell 576 Euro mehr in der Tasche, als wenn es ihn nicht gäbe. 350 Euro mehr sind durchaus ein Unterschied. Ich möchte noch einmal betonen, ich halte es für unglaublich hochmütig festzustellen, das mache ohnehin keinen großen Unterschied, für die Menschen müssten wir uns gar nicht groß verantwortlich fühlen, das würde praktisch mehr oder weniger der Staat ausgleichen können und so weiter. Das ist eine solche Ignoranz gegenüber dieser Zielgruppe!

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Das finde ich wirklich völlig indiskutabel. Es ist auch festgestellt worden, und ich muss ebenfalls sagen, die Antwort des Senats ist durchaus ausführlich und ehrlich gestaltet, und ich finde es gut, dass wir diese Antwort haben. Ich sehe diese Arbeit auch nicht als umsonst oder überflüssig an, aber es fällt zum Beispiel auf, dass Bremen einen unglaublich hohen Anteil von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hat, die überhaupt nicht mehr unter die Tarifbindung fallen, und sie sind wirklich darauf angewiesen, dass wir auch einen ordentlichen Bundesmindestlohn bekommen werden. Machen wir uns doch nichts vor: Natürlich ist es nicht so, dass Bremen diese Entwicklung aufhalten und allein stemmen könnte, aber es ist schon ungünstig, wenn das andere Bundesland deutlich über dem liegt, was man in Berlin verhandelt. Das spielt ja eine Rolle. Etwas anderes kann mir kein Mensch erzählen.