Protokoll der Sitzung vom 17.03.2016

Auch ungeklärte Todesfälle in Haft sind bekannt. Vor einem halben Jahr schob die Schweiz eine Person nach Tunesien ab, die in Haft genommen wurde und keine Woche später tot war.

Die 2014 verabschiedete Verfassung Tunesiens ist vergleichsweise fortschrittlich. Sie verankert Glaubensfreiheit, Gleichberechtigung und Menschenrechte. Doch Papier ist geduldig. Eine Gruppe wird trotzdem systematisch verfolgt: Lesben, Schwule, Transund Intersexuelle! In allen drei Ländern steht Homosexualität unter Strafe, und zwar nicht nur auf dem Papier. Diese Haftstrafen werden vielmehr real verhängt. Was in den Haftanstalten passiert, habe ich eben ausgeführt. Es hätte nicht geschadet, Herr Hinners, wenn die CDU vor Antragstellung einmal den Bericht des Bundesratsausschusses für Recht und für Jugend zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung gelesen hätte. Darin heißt es wörtlich:

„Der Bundesrat betrachtet die Menschenrechtslage – insbesondere von Lesben und Schwulen – in … Algerien, … Marokko und in der Tunesischen Republik mit großer Sorge.“

Er sieht Homosexuelle weiterhin staatlicher Repression und Inhaftierung ausgesetzt. Weiter bemängelte er, dass „Berichte über die Anwendung von Foltermethoden … kaum Eingang“ in die Erstellung des Gesetzentwurfs gefunden hätten.

Der Bericht kommt zu dem Schluss:

„Die von der Bundesregierung... genannten … Grundlagen werfen in Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Maßstab aus Sicht des Bundesrates Fragen auf.“

Vor diesem Hintergrund begrüßen wir ausdrücklich, dass Bürgermeister Dr. Sieling die Enthaltung Bremens zu den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten Marokko, Tunesien und Algerien angekündigt hat.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Von dieser klaren Haltung können sich Baden-Württemberg, Hessen und Hamburg noch eine Scheibe abschneiden, Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege Hinners, zu dem von Ihnen angekündigten einzugrenzenden sogenannten Flüchtlingsstrom muss man zusätzlich sagen: Wir reden hier gerade einmal über 0,98 Prozent der Asylsuchenden, die im Februar aus Marokko, Algerien und Tunesien gekommen sind. Insofern muss man doch sagen: Für dieses Schattenboxen muss man wirklich nicht in den Boxring steigen!

(Beifall DIE LINKE)

Aber auch, wenn es mehr wären: Das Konstrukt sicherer Herkunftsstaat ist ein willkürliches Konstrukt, das eben nicht darauf basiert, dass die betreffenden Länder plötzlich sicher sind. Inzwischen wird das Konzept ja geradezu inflationär angewendet. Die CSU-Landesregierung hat ja schon eine Liste mit den nächsten zwölf Ländern vorgelegt. Selbst Afghanistan ist kein Tabu mehr. Man kann das Grundrecht auf Asyl natürlich auch so abschaffen, indem man nach und nach sämtliche Länder des Globus als sicher deklariert.

Herr Hinners, ich hätte mir gewünscht, dass Sie sich mit der Lage in den Maghreb-Staaten beschäftigt hätten,

(Abg. Leidreiter [ALFA]: Anmaßend!)

die Sie in Ihrem Antrag als sicher einzustufen fordern. Intensiv beschäftigt haben Sie sich hingegen wieder einmal mit delinquenten Jugendlichen mit Fluchthintergrund. Auch wir finden, dass es ein erhebliches Problem ist, dass letztes Jahr 49 jugendliche Intensivtäter 1 161 Straftaten begangen haben. Auf das Konto jedes dieser Jugendlichen gehen damit auf das Jahr gerechnet durchschnittlich 24 Delikte. Für die Opfer ist das extrem verunsichernd. Das ist nicht schönzureden.

Ich möchte aber noch einmal die Frage darauf lenken, was daraus folgt, welche Maßnahmen ergriffen werden. Schon von der bisherigen Forderung der SPD, Grünen und Ihnen nach einer geschlossen Jugendeinrichtung erwarten wir keine pädagogischen Erfolge. In der letzten Sitzung der Bürgerschaft haben Sie ja alle die Abschiebung bei Volljährigkeit beschlossen. Mir ist nicht klar, welchen Sinn es haben soll, das jetzt noch einmal zu beschließen. Aber vielleicht denken Sie ja: Doppelt hält besser!

In der Sache wird es damit aber nicht besser. Ob es Ihnen gefällt oder nicht, es handelt sich um Minderjährige,

(Abg. Schäfer [ALFA]: Angebliche Jugendliche!)

für die zuallererst die Jugendhilfe zuständig ist. Sie sagen, die Polizei darf nicht die Defizite der Jugendhilfe ausbaden. Da können wir sogar noch mitgehen. Wir haben konkrete Bereiche genannt, in denen die Jugendhilfe aus unserer Sicht nachlegen muss. Jetzt drehen der Senat und Sie den Spieß aber um: Künftig wird die Jugendhilfe die Maßnahmen von Inneres ausbaden müssen. Oder haben Sie einmal einen Pädagogen gefragt, ob die Erfolgsaussichten pädagogischer Maßnahmen größer werden, wenn anschließend die Abschiebung droht? Ich denke, sämtliche Pädagogen werden Ihnen mit Nein antworten.

Sie haben die geschlossene Unterbringung beschlossen und dazu immer gesagt, dass dort pädagogisch gearbeitet werden soll. Auch wenn wir den pädagogischen Ansatz für verkehrt halten – mit dem Damoklesschwert Abschiebung wird es noch weniger möglich sein, Vertrauen aufzubauen und die Jugendlichen zu erreichen.

Das Strafrecht hat mit guten Gründen immer einen Resozialisierungsgedanken. Im Jugendstrafrecht stehen erzieherische Ziele sogar im Vordergrund. Wenn Sie den Rechtsstaat und die Jugendhilfe für gescheitert halten, dann sagen Sie es. Wenn Sie finden, dass eben nicht jeder vor dem Gesetz gleich ist, sondern Straffällige nach Staatsangehörigkeit bestraft werden sollen, dann sagen Sie es doch bitte auch. Wenn Sie glauben, dass man gesellschaftliche Probleme löst, indem man Personen abschiebt, dann irren Sie sich. Das sage ich Ihnen! – Danke schön!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächste Rednerin hat die Abgeordnete Frau Dr. Schaefer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ja, wir haben gerade in der letzten Bürgerschaftswoche im Februar über das Thema Abschiebung von kriminellen Flüchtlingen debattiert. Es ist unbestritten, dass auch wir hier in Bremen – andere Großstädte in Deutschland allerdings auch – ein Problem mit Kriminellen, meist Jugendlichen, haben, auf deren Konto eine Vielzahl von Straftaten, von Taschendiebstahl bis hin zu Straßenraub, geht. Ich teile – das sage ich ausdrücklich – die Ansicht, dass der Begriff „Antanzdelikte“ die Taten eher verniedlicht. Es geht hier um Taschendiebstahl, um Raub, um sexuelle Übergriffe. Ich finde, da sollte man mit Verniedlichungen sehr vorsichtig sein. Für die Opfer ist es nämlich ein Schock.

Meine Damen und Herren, wir haben in Bremen eine Verantwortung gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürger, für ihre Sicherheit zu sorgen. Dazu gehört ganz klar der Opferschutz.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, ALFA)

Das habe ich, denke ich, in meiner Rede zu den intensivpädagogischen Maßnahmen vor drei Wochen klargemacht.

Eines ist für mich persönlich auch klar: Wir Grüne wollen in dieser Debatte – das spreche ich für uns alle – nicht Flüchtlinge, die hier herkommen, weil sie in ihren Heimatländern von Krieg, Verfolgung und Diskriminierung großes Leid erfahren, in einen Topf mit kriminellen Flüchtlingen werfen. Wir stehen dafür, dass wir, anders als andere Länder in Europa, diesen Menschen nach wie vor eine sichere Zuflucht bieten wollen. Wir unterstützen – das haben wir auch in der Vergangenheit getan – den Kurs von Frau Merkel.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Aber wir müssen feststellen: Wir haben hier in Bremen eben ein Problem mit kriminellen Flüchtlingen aus den Maghreb-Staaten, und wir brauchen hierfür auch Lösungen. Ich sage Ihnen: Wir in Deutschland gewähren Menschen aus Krisengebieten Schutz. Das ist auch richtig so. Aber wenn sich Menschen als Serientäter nicht an hiesige Gesetze halten und Bürgerinnen und Bürger schädigen und zu einem Unsicherheitsgefühl beitragen, dann ist das auch nicht hinnehmbar.

(Beifall SPD, ALFA)

Aus diesem Grund haben wir als rot-grüne Koalition im Februar beschlossen – das ist der Beschlussteil, den ich zitiere –, dass „Ausweisung und Abschiebung von Serienstraftätern, bei denen ein Ausweisungsinteresse nach §§ 53, 54 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) besteht, prioritär vor anderen Ausweisungsangelegenheiten zu bearbeiten“ sind. Der Beschlusspunkt eins des vorliegenden Antrags der CDU fordert die Abschiebungen von volljährigen straffälligen ausländischen Intensivtätern. Bei diesem Beschlusspunkt ist nicht so sehr das Problem, was darin steht, sondern eher, was nicht darin steht.

Mein Kollege Zicht hat in seiner Rede beim letzten Mal für unsere Fraktion schon erklärt, dass für reisende Serienstraftäter, die von Stadt zu Stadt ziehen, die überhaupt kein Interesse erkennen lassen, ein Mitglied unserer Gesellschaft werden zu wollen, die am laufenden Band schwere Straftaten begehen und damit vielen Menschen Leid zufügen, als Ultima Ratio auch das Mittel der Abschiebung zur Verfügung stehen muss. Aber Sie von der CDU beschränken sich in Ihrem Antrag eben nicht auf diese spezielle Gruppe, sondern Ihnen geht es um die Abschiebung ausländischer Intensivstraftäter generell – nach dem Motto: Intensivstraftäter gleich Ausweisung gleich Abschiebung! Das klingt zunächst einmal einfach. Aber ich sage Ihnen: So einfach ist es eben nicht!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Es entspricht eben schlicht nicht der geltenden Rechtslage des Aufenthaltsgesetzes. Demnach ist immer abzuwägen zwischen auf der einen Seite dem Ausweisungsinteresse und auf der anderen Seite dem Bleibeinteresse. Ja, das Ausweisungsinteresse ist bei Intensivtätern in der Regel beträchtlich. Aber es kann bei bestimmten Intensivtätern auch ein Bleibeinteresse vorhanden sein, zum Beispiel der Vater, der seit etlichen Jahren hier lebt und der in Deutschland geborene, als deutsche, Kinder hat. So etwas kann es natürlich auch bei sogenannten Intensivtätern geben.

Da wir nicht nur von unbegleiteten Minderjährigen sprechen, die gerade volljährig geworden sind, Herr Hinners, sondern auch von solchen Intensivtätern ausgehen müssen, kann man nicht sagen: Dann schieben wir den Familienvater eben einfach einmal ab. Da muss man sehr sorgfältig abwägen. Darauf bestehen wir Grüne. Hier gilt erst einmal unser Strafrecht. Das gilt für deutsche Staatsbürger genauso wie für Staatsbürger mit Migrationshintergrund. Die Einzelfallgerechtigkeit muss im Vordergrund stehen, meine Damen und Herren!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Was den zweiten Beschlusspunk des Antrags angeht: Hier beantragt die CDU, dass wir die diplomatischen Verhandlungen der Bundesregierung mit den Maghreb-Staaten begrüßen. Dem können wir uns durchaus erst einmal anschließen. Verhandlungen haben wir in unserem eigenen Antrag im letzten Monat selber ausdrücklich gefordert.

Die CDU beantragt allerdings gleichzeitig, dass wir diese Verhandlungen als erfolgreich feiern sollen. Dafür, meine Damen und Herren, ist es wahrlich viel zu früh. Der Bundesinnenminister ist vor allem mit vielen Absichtsbekundungen im Gepäck aus Nordafrika zurückgekehrt. Inwieweit sich diese Absichtsbekundungen nun tatsächlich umsetzen lassen, ist noch völlig unklar. Minister de Maizière hat selber zugegeben, dass er sich bei den Verhandlungen in mehreren Punkten eben nicht durchsetzen konnte. Das waren Punkte, die erheblich sind. Zum Beispiel war er mit die Forderung in die Verhandlungen gegangen, die Maghreb-Staaten mögen bei Personen, die keine Passpapiere mehr haben, die von deutschen Behörden ausgestellten Passersatzpapiere akzeptieren. Das haben alle Länder abgelehnt. Das war in der Vergangenheit aber das Grundproblem.

Sowohl Marokko als auch Tunesien als auch Algerien haben das abgelehnt. Alle drei Länder haben darauf bestanden, dass eine Rückführung erst erfolgt, wenn diese Länder eigene Passersatzpapiere ausgestellt haben. Eben dieser Vorgang hat bisher oft Ewigkeiten gedauert und Rückführungen – bisher zumindest – weitgehend unmöglich gemacht. Ob es jetzt wirklich gelingen wird, dass es hierbei künftig schneller geht, halte ich für fraglich. Marokko hat beispielsweise eine beschleunigte Ausstellung von Passersatzpapieren le

diglich für solche Fälle in Aussicht gestellt, in denen für die Betroffenen im Rahmen der Ausstellung von Personalausweisen Fingerabdrücke von den marokkanischen Behörden gespeichert worden waren. Meine Damen und Herren, glauben Sie wirklich, dass all die Jugendlichen, die oftmals als Kinder, auch als Straßenkinder, Marokko oder die anderen MaghrebStaaten verlassen haben und die über diverse Stationen, Spanien, Frankreich, irgendwann nach Bremen gekommen sind, in ihrem Heimatland jemals einen Personalausweis bekommen haben und dabei ihre Fingerabdrücke abgegeben haben? Mir erscheint das sehr unrealistisch.

Jetzt zum dritten und, wie ich finde, entscheidenden Beschlusspunkt Ihres Antrags! Mit diesem Beschlusspunkt soll der Senat aufgefordert werden, im Bundesrat der Einstufung von Marokko, Tunesien und Algerien als sogenannte sichere Herkunftsstaaten zuzustimmen. Es wird Sie nicht überraschen: Wir Grüne lehnen diesen Punkt entschieden ab!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Wir sind bereits skeptisch, ob die Maghreb-Staaten überhaupt die Kriterien erfüllen, die das Bundesverfassungsgericht für die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten aufgestellt hat. Aber selbst, wenn es so wäre – ich gehe gleich darauf ein, warum wir diese drei Länder für nicht sicher halten –, würden wir das nicht befürworten.

Besonders fatal finden wir: Seit dem Asylpaket I gilt für Menschen aus angeblich sicheren Herkunftsstaaten ein Beschäftigungsverbot selbst dann, wenn sie eine Duldung haben. Bisher war die Praxis in Bremen so: Unbegleitete Jugendliche konnten nach dem Schulabschluss eine Berufsausbildung machen und erhielten für die Dauer der Ausbildung eine Duldung. Wenn sie sich weiterhin straffrei verhalten und einen Job gefunden hatten, konnten sie irgendwann einen dauerhaften Aufenthaltstitel bekommen. Diese bewährte Praxis ist nun bei Jugendlichen aus sicheren Herkunftsstaaten eben nicht mehr möglich. Wenn wir Jugendlichen hier in Deutschland keine realistische Lebensperspektive mehr bieten, selbst wenn sie hier jahrelang zur Schule gegangen sind, dann steigt auch das Risiko, dass sie straffällig werden. Deshalb gilt: Wer die Ausweisung von sicheren Herkunftsländern befürwortet, macht das eigene Land auch ein Stückchen weit unsicherer.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Selbst wenn man diesen Punkt einmal außer Betracht lässt, haben wir Grüne bei diesen drei Staaten sehr große Bauchschmerzen, sie als sichere Herkunftsländer auszuweisen. Warum?

Tunesien scheint eigentlich nach dem Arabischen Frühling auf einem guten Weg zu einem Rechtsstaat

zu sein. Aber das Hauptproblem dort ist eine steigende Terrorgefahr durch den Islamischen Staat.

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Und die Arbeitslosig- keit!)

Im letzten Jahr gab es dort etliche Bombenanschläge mit sehr vielen Toten, die auf das Konto des IS gehen.