Protokoll der Sitzung vom 26.05.2016

Als nächster Redner hat das Wort Herr Professor Dr. Hilz.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt kein Wenn und kein Aber für uns Freie Demokraten. Die Hintergründe, die Verantwortung, die Versäumnisse, die diesen massenhaften Sozialbetrug ermöglicht haben, müssen lückenlos aufgeklärt werden.

(Beifall FDP)

Seit wir in der Aktuellen Stunde im April hier darüber debattiert haben, ist einiges in Bewegung geraten. Zwar hatte man während der Stadtverordnetenversammlung darauf, am 28. April, den Eindruck, die Verantwortlichen im Magistrat, Oberbürgermeister Grantz und Sozialstadtrat Rosche, tun sich schwer mit der lückenlosen Aufklärung. Allerdings hat sich dieser Eindruck in den darauffolgenden Ausschusssitzungen Gesundheit und Öffentliche Sicherheit nicht bestätigt. Die Aufklärung ist hier angepackt worden.

Am kommenden Montag gibt es eine öffentliche Sondersitzung des Sozialausschusses zu dem Thema. Dort wird sich zeigen, wie ernst es den Verantwortlichen mit der Aufklärung wirklich ist und ob die Aussagen ausreichend Licht ins Dunkel bringen. Umso erstaunter waren wir darüber, dass die SPD-Fraktion hier als Antragsteller den Senat auffordert, sich gegenüber dem Magistrat nachdrücklich für die drei aufgeführten Punkte einzusetzen. Braucht der SPD-geführte Magistrat tatsächlich diese Aufforderung vom Senat?

Wir Freie Demokraten sind zum derzeitigen Zeitpunkt der Meinung und haben das Vertrauen, dass es den beiden auch aus eigenem Antrieb gelingt, das hier zu schaffen. Vielleicht wissen Sie, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, mehr.

(Beifall FDP)

Die Unterstützung des Senats kann natürlich bei der Aufklärung helfen. Deswegen gibt es diesen Punkt in unserem Änderungsantrag, sich nicht nachdrücklich dafür einzusetzen, sondern den Magistrat zu unterstützen.

(Beifall FDP)

Wenn wir von Aufklärung sprechen, muss ich meine Aufforderung an Sie, Herr Öztürk, aus der Aktuellen Stunde wiederholen. Sie haben als Abgeordneter hier in der Bremischen Bürgerschaft die Pflicht, vollumfänglich zur Aufklärung beizutragen. Deswegen erwarten wir Freie Demokraten, dass Sie nicht nur im Bereich der strafrechtlichen Ermittlungen, sondern auch im politischen die Aufarbeitung aktiv vorantreiben. Brechen Sie Ihr Schweigen. Gehen Sie in die Öffentlichkeit, statt hier nur klamm und heimlich in der hinteren Reihe dafür zustimmen, dass Senat und Magistrat aufklären sollen.

(Glocke)

Herr Kollege, hier sitzt niemand klamm und heimlich. Hier sind gewählte Abgeordnete, frei gewählte Abgeordnete, weder klamm noch heimlich. Das weise ich zurück!

(Beifall SPD und Bündnis 90/Grüne)

Herr Präsident! Ich nehme das zurück. Herr Öztürk sitzt hier öffentlich im Plenum, genau wie ich.

(Abg. Frau Böschen [SPD]: Genau wie Sie, Herr Dr. Hilz! – Zuruf Abg. Liess [SPD])

Nein, ich stehe jetzt hier am Rednerpult!

(Heiterkeit)

Was wurde bisher vorgetragen? Fakt ist, staatsanwaltliche Ermittlungen laufen. Lassen Sie uns nicht über die Ergebnisse spekulieren, sondern diese Ergebnisse abwarten. Wenn Sie, Herr Janßen, hier nebulös von Berichten über Unterernährung und so weiter sprechen, machen Sie genau das: Sie spekulieren. Was wissen wir? Ja, viele Kinder sind nach den Osterferien nicht mehr in die Schule gekommen. Ja, fast 750 Betroffene sind nicht mehr in ihren Wohnungen

anzutreffen. Wo sie sind, ob sie zurück nach Bulgarien gereist sind, ob sie weitergereist sind, ob sie kriminelle Energien im Verborgenen entwickeln, all das sind reine Spekulationen. Ich warne davor, sich auf solche Spekulationen einzulassen. Wir brauchen auch nicht über Sonderwege für diejenigen zu debattieren, die aus welchen Beweggründen auch immer hier den Sozialbetrug begangen haben oder in den Sozialbetrug gedrängt wurden.

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Das ist unerträglich, was Sie hier gerade erzählen!)

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Rechtsstaat mit klaren Regeln, die in Gesetze gefasst sind und die für alle gleichermaßen gelten. Unsere weiteren Änderungsanträge gehen in diese rechtsstaatliche Richtung.

(Abg. Frau Böschen [SPD]: Ja, genau! Sprache ist verräterisch!)

Beispielsweise haben wir uns gefragt, was Sie unter Punkt zwei eigentlich mit sozialen Grund- und Menschenrechten meinen und warum Sie diese explizit gegenüber allen Grund- und Menschenrechten hervorheben. Deswegen schlagen wir hier vor, „soziale“ zu streichen. Genauso wollen wir in der Formulierung unter Punkt eins allgemeiner und nicht nur auf sozialpolitische Notmaßnahmen eingehen. Auch halten wir es für unglücklich, dass Sie weiter unter Punkt zwei explizit von Obdachlosigkeit und Verelendung sprechen, obwohl die Vermeidung der beiden bereits durch Kindeswohl und die bestehende staatliche Fürsorge abgedeckt ist.

All das führt zu Spekulationen, die wir so nicht wollen. Zuletzt schränken Sie die Behinderung der Aufklärung und die Beweissicherung unnötig ein. Wir wollen keine Behinderung der Aufklärung und Beweissicherung wie auch immer geartet. Ich bitte Sie, aus diesen Gründen unserem Änderungsantrag zuzustimmen. Damit bekundeten wir alle gemeinsam Interesse, Vorgänge aufzuklären, damit sich solche Vorgänge zukünftig nicht wiederholen. – Vielen Dank!

(Beifall FDP)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Janßen.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal ein paar Anmerkungen zur Debatte machen. Zunächst einmal bedanke ich mich auch bei der Koalition dafür, dass der Antrag jetzt gemeinsam getragen wird. Ich halte das für ein gutes Signal, und es ist auch ein klares Signal, dass es ein Interesse gibt, diese Dinge aufzuarbeiten und hier zu unterstützen. Ich finde es auch gut, dass

zumindest bei der FDP einige Punkte mitgetragen werden, auch wenn der Änderungsantrag im Prinzip ein Weichwaschen des Antrags ist. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle Danke dafür sagen, dass diese Initiative mitgetragen wird.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich hätte gern in der Rede der CDU eine Zwischenfrage gestellt, dann hätten Sie mir darauf vielleicht direkt antworten können. Ich habe gesehen, dass Sie sich gemeldet haben, Sie können darauf gern eingehen. Natürlich gibt es eine Rechtsgrundlage für den Bezug von Sozialleistungen auch außerhalb des SGB II, das ist das SGB XII. Es gibt eine Vorlage für die Sitzung der staatlichen Deputation für Soziales, Kinder und Jugend aus dem Jahr 2014, in dem der Senat die Einschätzung teilt, dass auch Ausländer und Ausländerinnen mit tatsächlichem Aufenthalt in Deutschland Zugang zu Sozialleistungen nach dem SGB XII haben.

Es gibt Ausnahmeregelungen, da stimme ich Ihnen zu. Es sind zwei. Es geht nämlich um die Frage des Grundes des Aufenthaltes, ob er mit dem Ziel des Bezugs von Sozialleistungen oder mit dem Ziel der Arbeitssuche begründet ist. In einigen Fällen haben tatsächliche Arbeitsverhältnisse stattgefunden. Ich sage nicht, dass es für alle zutrifft. Es haben individuell zu überprüfende Arbeitsverhältnisse bestanden, sodass nicht von diesen Ausnahmeregelungen ausgegangen werden kann und eine Prüfung im Rahmen des SGB XII nötig wäre. Das sind Sie einfach nicht rechtsfest.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen – Zuruf Abg. Dr. Güldner [Bündnis 90/Die Grünen])

Wenn wir dann darüber diskutieren, wie es eigentlich mit der Gesundheitsvorsorge ist, ist auch das ein Punkt. Nach SGB II kommt zumindest eine allgemeine Gesundheitsversicherung zustande; zurzeit aber an vielen Stellen nicht. Wir haben hier ein Problem bei der Gesundheitsversorgung. Auch da muss jetzt nachgesteuert werden. An dieser Stelle verstehe ich die Einwände der CDU nicht.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich gehe auf zwei, drei Punkte des Änderungsantrags der FDP ein. Dass Sie zumindest Teile des Antrags mittragen, finde ich richtig. Ich finde es trotzdem richtig, sich an den Magistrat der Seestadt Bremerhaven zu wenden, weil Aussagen des Sozialdezernenten durch die Presse kursierten, in denen er davon sprach, dass als letzte Maßnahme Ausweisungen durchzuführen sind. Solche Ausführungen weisen wir zurück. Wir glauben schon, dass es der Magistrat in Bremerhaven gut gebrauchen kann, wenn auch der Senat noch einmal deutlich kommuniziert, dass hier für Aufklärung gesorgt werden muss.

Die FDP streicht aus dem Abschnitt zwei die Frage der Individualüberprüfung von Rechtsansprüchen nach dem SGB II und XII. Das halten wir für falsch. Die Individualüberprüfung muss stattfinden. Die FDP streicht aus Punkt drei die Ermittlungsbehinderungen. Wir fügen explizit hinzu, dass wir diese Aussagen für die Ermittlungen gegen Dritte, gegen Nutznießer dieses Systems brauchen. Das ist ein ganz zentraler Punkt. Wenn Sie diesen Punkt an dieser Stelle herausnehmen, nehmen Sie nicht den Fokus auf, den wir Ihnen vorschlagen, nämlich den Fokus, diese Ausbeutungsstrukturen klar zu benennen. Deshalb werden wir Ihren Änderungsantrag ablehnen. – Danke schön!

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Grönert.

Meine Damen und Herren, Herr Präsident! Ich möchte noch etwas zu dem Thema der vielbeschworenen Verhinderung von Verelendung sagen. Ob es Ihnen nun gefällt oder nicht, eine Verelendung von obdachlosen EU-Bürgern gibt es im Land Bremen schon längst. Ich erinnere nur an die Verelendung derer, die zu Höchstpreisen einzelne Matratzen in heruntergekommenen Häusern mieten und sich mit Schwarzarbeit durchschlagen.

Wir haben das hier schon mehrfach debattiert, doch was hat sich geändert? Deutlich zu sehen ist die Verelendung auch, wenn man mit dem Zug nach Bremen hineinfährt. Man kann sehen, wie Menschen entlang der Strecke auch mit Kindern in leerstehenden Hallen kampieren. Sie können gerne auch Menschen fragen, die sich beruflich oder ehrenamtlich um Obdachlose kümmern. Diese ganze Verelendung wird in Bremen bereits zugelassen. Sie haben noch nie etwas gestoppt, meine Damen und Herren!

(Beifall CDU)

Letztlich haben wir auch die Verelendung von Obdachlosen aus Deutschland, die immer weiter zunimmt. Die Koalition tut heute so, als wenn sie irgendetwas im Griff hätte oder irgendetwas verhindern würde. Doch das hat bislang nicht funktioniert. Warum sollte es jetzt funktionieren?

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Ach, und dann sollen wir es gar nicht erst versuchen?)

Ich höre und lese in dem Antrag schöne Worte, die gut klingen. Für mich sind es aber eben hohle Worte. Das wird auch so bleiben. Für manche Probleme haben Sie nämlich keine Lösung, und wir letztlich auch nicht. Sie könnten ruhig einmal den Mut haben, das auszusprechen. Das für viele Bremerhavener EU-Bürger entstandene Leid lässt sich nicht mehr wegbügeln, meine Damen und Herren. Das gefällt mir

nicht, das gefällt Ihnen sicher auch nicht. Ich finde es aber ehrlich, dazu zu stehen. Kein Betroffener sollte aber, wie ich vorhin schon gesagt habe, unfreiwillig obdachlos sein oder hungern müssen. Es kann aber eben auch niemand Leistungen bekommen, die ihm nicht zustehen.

(Beifall CDU)

Wir sind, Herr Janßen, eben auch unterschiedlicher Ansicht in dem, was jemandem zusteht oder auch nicht zusteht. Die LINKEN haben den Antrag gestellt. Sie als FDP sehen das anders. Oder lehnen Sie den Antrag der LINKEN ab?

(Abg. Professor Dr. Hilz [FDP]: Wir haben einen Änderungsantrag!)

Ich habe im Grunde genommen den Eindruck, dass Sie dem Antrag zustimmen! Sie haben in den Beschlusspunkten – –.

(Abg. Professor Dr. Hilz [FDP]: Das werden Sie dann ja sehen!)

Das dürfen Sie mir doch verraten!