Protokoll der Sitzung vom 24.08.2016

Das ist es meiner Meinung nach nicht. Davor schützt uns unser Verfassungsgericht. In anderen Staaten gibt es solche Institutionen mit einer solchen Macht nicht. Das muss man wissen. Demokratie kann und soll man nicht demokratisch abschaffen. Deswegen gilt es, da genau hinzusehen und sich nicht mit demokrati schen Prozessen herauszureden. Menschenrechte, Grundrechte, Religionsfreiheit, Pressefreiheit und Meinungsfreiheit sind unteilbar und können nicht durch Mehrheiten abgeschafft werden.

(Beifall FDP, SPD – Abg. Dr. vom Bruch [SPD]: Wer bezweifelt das?)

Insofern gilt es, weiterhin genau hinzusehen.

Wir haben einen Antrag der LINKEN mit der Druck sachen-Nummer 19/679. Dazu beantragt die FDP eine getrennte Abstimmung. Es geht uns darum, auch hier ganz klar zu sagen, was wir davon mittragen und was nicht. Es ist ganz klar: Wenn die Todesstrafe kommt, kann es keinen EU-Beitritt geben. Dann kann man es nicht weiterverhandeln. Deshalb haben wir überhaupt kein Problem damit, Punkt 1 zuzustimmen. Zu Punkt 2,Vereine nicht zu instrumentalisieren, müssen wir, wenn wir die Debatte verfolgen und nach Bremen schauen, ganz klar sagen: Die Ausei nandersetzung, die in der Türkei stattfindet, findet natürlich auch in Bremen statt. Es ist ein frommer Wunsch, zu sagen, wir wünschten, dass das hier nicht stattfände! Die Menschen haben ihre Wurzeln. Eini ge Menschen, auch hier aus dem Parlament, waren sogar während des Putsches dort und haben das alles miterlebt. Sie könnten noch viel genauer berichten. Sie haben ihre Wurzeln dort. Sie sind involviert und emotional betroffen. Dass das keine Auswirkungen auf die politische und gesellschaftliche Auseinander setzung hier hat, kann ich mir nicht vorstellen. Das wäre naiv. Das wäre Quatsch. Deswegen ist auch an dieser Stelle eine klare Aussage gefordert.

(Beifall FDP)

Ganz klar und deutlich zu fordern, dass die Krimina lisierung der Opposition endlich aufhören und der Kurdenkonflikt friedlich beigelegt werden muss, wie es in Punkt 3 des Antrages heißt, ist für uns als FDP selbstverständlich. Man kann darüber streiten, ob man so miteinander umgeht. Auch da muss man aber irgendwann ein mal sagen: Genug ist genug! Wenn gefordert wird, genauer zu beobachten, was in der Türkei passiert, ist das angesichts dessen, was passiert, angemessen. Die Türkei beobachtet uns schon längst, wie wir jetzt aus Anfragen wissen.

(Beifall FDP)

Insofern sind das die Punkte, die wir mittragen, weil sie gerechtfertigt sind. – Herzlichen Dank!

(Beifall FDP, DIE LINKE)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Schäfer.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kollegen! Im Grunde und dem Prinzip nach unterstützen wir den Antrag der CDU, dem sich die meisten anderen Fraktionen angeschlossen haben.

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Nein, der ist danach ein biss chen anders geworden! Den gemeinsamen Antrag!)

Es ist ein gemeinsamer Antrag der meisten Fraktionen geworden! Sagen wir es einmal so!

Dem Grunde nach unterstützen wir ihn und finden ihn richtig, weil das auch für uns ein emotionales Thema ist. Wir hatten eine Phase, in der wir alle miterlebt haben und froh waren, auf welchem guten Weg die Türkei lange Jahre lang war. Die Türkei hatte eine gute wirtschaftliche Entwicklung. Das Durchschnittseinkommen der Arbeitnehmer in der Türkei hat sich in der Regierungszeit des derzeitigen Präsidenten verdreifacht. Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich sagen, es war immer eine Freude, mit türkischen Unternehmen zusammenzuarbeiten. In meiner konservativen Branche – ich komme auf dem Schiffsbau – waren das mit die modernsten Unternehmen. Die Anzahl der Frauen in Führungs positionen war nicht mit dem zu vergleichen, was ich aus Deutschland gewohnt bin. Viele gute Dinge sind lange Jahre in der Türkei vor sich gegangen. Umso mehr nimmt es uns mit und berührt es uns, wenn wir sehen, dass diese positive Entwicklung, die dazu hätte führen können, dass die Türkei auch ein Innovations- und Wirtschaftsmotor für die EU wird, dabei ist, zu kippen. Natürlich verurteilen wir diesen Putsch. Diese Ent wicklung hat aber nicht erst mit diesem Putsch be gonnen. Es sind nicht nur diese Listen, die bereits vor diesem Putsch erstellt worden sind. Die Frage, ob das Regime Erdoğan von dem Pfad abweicht, den wir als demokratischen Pfad bezeichnen würden, stellt sich schon ein bisschen länger. Er kündigt im mer wieder selbst an, dass das nicht sein Ziel ist. Er sagt: Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufspringen, bis wir am Ziel sind! Das haben andere schon in ähnlicher Form gesagt. Wir finden es richtig, es zu verurteilen, wenn dort rechtsstaatliche Prinzipien verletzt werden. Wir ma chen das mit und rufen mit dazu auf, zu demokrati schen Prinzipien zurückzukehren. Wir fürchten nur, dass sich Erdoğan wenig davon beeindrucken lässt und sagt: „Da haben die Bremer recht, vielleicht überlege ich mir das mit der planvollen Islamisie rung noch einmal“, wenn er morgens beim Tee im „Weser-Kurier“ liest, was die Bremische Bürgerschaft beschlossen hat. Womöglich verhallt unsere Stimme ungehört.

Noch wichtiger, als nach außen Stellung zu bezie hen, ist deswegen die Frage, wie wir hier bei uns nach innen mit diesen Entwicklungen umgehen. Wir müssen prüfen, was ist, wenn die Türkei tatsächlich nachhaltig den Pfad der Demokratie verlässt und womöglich zu einem totalitären Regime wird oder vielleicht sogar schon ist. Wir wissen das nicht. Wenn es so ist: Stimmt es eigentlich, dass die Türkei in Deutschland Tausende von Agenten unterhält, und was machen die hier eigentlich? Stimmt eigentlich, was der BND sagt?

(Abg. Frau Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Leute!)

Er sagt, die Türkei unterstützt religiösen Fanatismus. Stimmt es eigentlich, was wir aus Nordrhein-Westfalen hören, wonach tatsächliche oder vermeintliche An hänger der Gülen-Bewegung in Deutschland unter Druck gesetzt werden? Wie gehen wir eigentlich mit den Organisationen um, die mittelbar oder unmit telbar der türkischen Regierung unterstellt sind, die in Zukunft oder auch in der Gegenwart womöglich keine demokratische Regierung mehr ist? Herr Tuncel hat das eben dankenswerterweise angesprochen. Was bedeutet das für unsere Zusammenarbeit ins besondere mit Organisationen wie der DITIB, die der türkischen Religionsbehörde Diyanet unterstellt ist? Diese unterliegt dem direkten Einfluss der türkischen Regierung und – Herr Tuncel hat eben schon darauf hingewiesen – lässt Predigten verlesen, die direkt aus Ankara geliefert werden.

Das sind Dinge, die wir bei uns angehen müssen. Wir müssen die Zusammenarbeit mit diesen Organi sationen überprüfen. Wir müssen die Frage stellen, wie wir die Zukunft vernünftig gestalten können. Wir müssen infrage stellen, inwieweit die Verträge, die wir mit diesen Organisationen haben – wie zum Beispiel den Staatsvertrag in Bremen –, noch länger in dieser Form aufrechtzuerhalten sind. – Vielen Dank!

(Beifall FDP, Abg. Tassis [AfD])

Meine Damen und Herren, bevor ich den nächsten Redner oder die nächste Rednerin aufrufe, begrüße ich auf der Besuchertribüne recht herzlich Teilnehmer eines Integrationskurses der Volkshochschule Bremen. – Seien Sie herzlich will kommen!

(Beifall)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Grotheer.

(Zurufe)

Nein, auf meiner Liste steht zuerst Frau Grotheer und danach Frau Dr. Müller!

(Abg. Frau Grotheer [SPD]: Schade, eigentlich!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Präsident, vielen Dank. Ich bitte um Entschuldigung. Wir waren noch in der Abstimmung zu der inhaltlichen Frage der getrenn ten Abstimmung. Ich versuche, jetzt zu erklären, zu welchem Ergebnis wir gekommen sind.

Es tut mir leid. Die Debatte nimmt zum Teil eine Richtung an, die ich nicht gewollt habe und die auch von uns nicht angeregt worden ist. Weil Sie es noch einmal versucht haben, Herr Tuncel, weise ich für meine Fraktion aber noch einmal zurück, dass wir uns von irgendwem in irgendeiner Debatte instru mentalisieren lassen!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Diese Versuche, zu diskreditieren, dass sich auch Menschen in Deutschland und Menschen ohne türki schen Hintergrund inhaltlich mit Themen beschäftigen und sich dazu eine Meinung bilden können, weise ich entschieden zurück! Das ist an der Grenze zum – –. Ich möchte das nicht aussprechen, weil ich sonst vom Präsidenten gerügt werde. Den Abgeordneten dieses Hauses gegenüber ist das aber nicht nur unfair, sondern auch fast unparlamentarisch!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Weil ich weiß, worüber Sie reden, könnte ich hier schmutzige Wäsche waschen. Das mache ich nicht. Das klären wir besser draußen. Solche Sachen macht man nicht öffentlich. Wir möchten nicht fortsetzen, was Sie gestern anzufangen versucht haben.

(Abg. Tuncel [DIE LINKE]: Das hat Ihre Kollegin aber gesagt!)

Ich bin immer noch an der Reihe. Deswegen darf ich weitersprechen und werde für meine Fraktion gern noch einmal erklären, wie wir uns zum Antrag der LINKEN positionieren. Da ich gerade gehört habe, dass die FDP für eine getrennte Abstimmung ist, möchte ich das aufnehmen und öffentlich erklären, wie sich die SPD positioniert, soweit mir das in der Schnelligkeit gelingt. Richtig ist, dass eine Wiedereinführung der Todes strafe in der Türkei auch für die sozialdemokratische Fraktion das sofortige Ende der Beitrittsverhandlun gen bedeutet.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP)

Ich weise nur kurz darauf hin, dass das ebenfalls in dem zwischen uns Koalitionsfraktionen mit der FDP und der CDU vereinbarten Entschließungsantrag steht. Das ist also nichts Neues. Es wird Sie nicht verwundern, dass wir dem zustimmen.

Richtig ist auch, dass Verbände und Vereine nicht als außenpolitische Instrumente genutzt werden und keine Kooperation mit türkischen Behörden auf der Basis grundloser Verdächtigungen und so weiter stattfindet. Auch diesem Teil – das ist Punkt 2 – werden wir zustimmen.

Zur Kurdenfrage würde ich gern einmal in Ruhe diskutieren. Es ist wichtig, darüber und über die Frage zu sprechen, wie ein Friedensprozess auch mit den Kurdinnen und Kurden in der Türkei hergestellt werden kann. Ich halte das für elementar wichtig. Ich glaube nur, es hat im Moment in diesem Antrag nichts zu suchen. Deswegen werden wir diesem Teil nicht zustimmen.

Wir werden auch den Punkten 4, 5 und 6 nicht zu stimmen.

Zu den anderen Punkten, die jetzt noch bei mir offen geblieben sind, wollte ich sagen: Wir als Bremische Bürgerschaft sind ein Parlament eines europäischen Landes, das sich als demokratisch gewählt versteht und trotz aller inhaltlichen Unterschiede hier immer diskutiert. Bei uns gibt es immer Möglichkeiten, auf rechtsstaatlichem Wege Kritik zu äußern und gegebenenfalls Wahlergebnisse anzuzweifeln. Ich bin darauf nicht wenig stolz, auch wenn ich dafür nicht verantwortlich bin. Das haben sich Menschen ausgedacht, die viel schlauer waren als ich. Trotz dem freut es mich, dass wir einen so rechtssicheren Zustand haben.

Ich hoffe, dass wir so etwas wie das, was wir derzeit beobachten müssen, nicht wieder erleben müssen! – Vielen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Müller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, lieber Herr Tuncel! Sie sind mich persönlich angegangen und haben meine Rede sozusagen verdreht. Sie haben das komplette Gegenteil von dem behauptet, was ich vorhin gesagt habe. Deswegen muss ich reagieren.

Zu behaupten, meine Fraktion oder ich würden die Augen vor Ängsten verschließen, die Mitbürgerinnen und Mitbürger in Bremen mit türkischen Wurzeln haben, ist wirklich eine Frechheit!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU)

Das muss ich einmal so deutlich sagen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU)

Wir sind nicht blind vor den Ängsten. Wir sind nicht blind vor der Situation in der Türkei. Das habe ich

vorhin zehn Minuten lang ausführlich erläutert. Wie man mir das unterstellen kann, ist mir wirklich ein Rätsel. Noch einmal: Eigentlich wollte ich gar nicht darauf eingehen, weil ich dachte: Was soll es? Ma chen wir nicht solch eine emotionale Debatte daraus.

Ich habe jedes Verständnis dafür, dass die Situation in der Türkei bei hiesigen Abgeordneten bestimmte Emotionen weckt, die sie bei mir per se zuerst einmal nicht weckt. Ich kann das relativ sachlich abhandeln.

Ich kann aber keinen kühlen Kopf mehr behalten, wenn mir persönlich oder meinen Kolleginnen und Kollegen unterstellt wird, am Gängelband, am Infor mationsband oder am Büttel von irgendwem aus der Türkei – seien es Erdoğan, AKP oder sonst wer – zu hängen. Das ist eine bodenlose Unterstellung!