Protokoll der Sitzung vom 24.08.2016

Ich kann aber keinen kühlen Kopf mehr behalten, wenn mir persönlich oder meinen Kolleginnen und Kollegen unterstellt wird, am Gängelband, am Infor mationsband oder am Büttel von irgendwem aus der Türkei – seien es Erdoğan, AKP oder sonst wer – zu hängen. Das ist eine bodenlose Unterstellung!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Noch einmal: Das weise ich für mich persönlich und für alle meine Kolleginnen und Kollegen zurück!

(Abg. Frau Böschen [SPD]: Diffamierung!)

Wir lassen uns nicht von nichtdemokratischen Kräften beeinflussen, sondern sind Abgeordnete, die jeden einzelnen Antrag und jede politische Entwicklung, die wir beobachten, mit Bedacht und mit größtmög licher Anstrengung um Sachlichkeit bedenken, statt Emotionen zu wecken.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Zum Antrag! Auch wir werden den ersten beiden Punkten zustimmen und die Punkte 3 bis 6 ablehnen.

Zu Punkt 3 möchte ich noch einmal sagen: Ich würde mich freuen, wenn wir bei allen Auseinandersetzun gen heute zu dem Friedensprozess in den kurdischen Gebieten vielleicht eine gemeinsame Initiative hin bekämen, denn das ist uns allen gemein.

Ich glaube, Sie unterschätzen die Gemeinsamkeiten im Raum, sowohl was die Situation in der Türkei an geht, als auch was den hoffentlich zu realisierenden Friedensprozess in den kurdischen Gebieten angeht. Wir sind da nicht weit voneinander entfernt. Aus wel chen Gründen auch immer so zu tun, als wären wir das, halte ich für diese Debatte und für die Situation der hier lebenden türkischstämmigen Mitbürgerinnen und Mitbürger für unangemessen. – Danke schön!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. vom Bruch.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte eigent lich nicht unbedingt vor, mich noch ein zweites Mal

zu melden. Herr Kollege Tuncel, Ihre Äußerungen haben mich aber jetzt doch noch einmal veranlasst, das Wort zu ergreifen.

Ich hatte eigentlich gedacht und gehofft – so hatte ich im Prinzip auch die erste Runde verstanden –, dass hier in diesem Parlament zu den Ereignissen in der Türkei vom vergangenen Juli insgesamt ein Konsens hergestellt werden könnte. Deshalb bin ich über den Verlauf dieser Debatte nicht so besonders glücklich. Auch in Ihrem ersten Beitrag ist deutlich geworden, dass es eigentlich mehr Gemeinsamkeiten gibt als Trennendes. In Ihrem zweiten Beitrag haben Sie sich dann ein wenig verrannt.

Ich finde es ehrlich gesagt schwierig, mit Unterstel lungen zu arbeiten und Dinge zu behaupten, die hier nicht gesagt und nicht zum Ausdruck gebracht worden sind. Frau Kollegin Dr. Müller hat darauf hingewiesen. Ich finde es insbesondere schwierig – das muss ich auch namens meiner Fraktion zurückweisen –, dass hier von einer Einflussnahme der AKP auf einzelne Abgeordnete oder auf gesamte Fraktionen ausge gangen wird und möglicherweise auch mit Blick auf unsere Fraktion behauptet wird. Das ist eine Wendung der Diskussion, die ich an dieser Stelle ausdrücklich zurückweise, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Es ist natürlich so: Man kann sich bei der Diskussion eines Antrages sehr auf semantische Spitzfindigkeiten und Diskussionen einlassen. Ich freue mich darüber, dass Sie unseren Ursprungsantrag gelobt haben. Umso mehr muss ich an dieser Stelle festhalten, es ist doch völlig klar, dass man nicht mit der Ursprungsvariante herauskommt, mit der man in die Beratung hinein gegangen ist, wenn vier Fraktionen und damit eine deutliche Mehrheit des Parlaments versuchen, in einer solchen Sachfrage zu einigen. Das ist doch ein völlig normaler Vorgang. Bei verständiger Lektüre unseres Antrags bestehen die Kernforderungen in der Grundtendenz und dem Grundanliegen, für die Tür kei die Gültigkeit der demokratischen Grundrechte, die Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit zu fordern und einzufordern, dass man sich an die Menschenrechte hält. Diese sind unberührt geblieben.

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Das möchte ich an dieser Stelle als den Kernbestandteil unseres gemeinsamen Antrags herausarbeiten und noch einmal deutlich machen. Deshalb glaube ich nicht, dass wir Veranlassung dazu haben, uns hinzu setzen und Sätze zu sezieren, an welcher Stelle was geändert worden ist. Wir haben Grund und Anlass, das Gemeinsame zu betonen. Das möchte ich an die ser Stelle hervorgehoben haben. – Herzlichen Dank!

(Starker Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Staatsrätin Hiller.

(Abg. Kastendiek [CDU]: Ich dachte, DIE LINKE entschuldigt sich! – Abg. Fecker [Bündnis 90/Die Grünen]: Oder stellt es zumindest mal klar! – Abg. Kastendiek [CDU]: Ja, das wäre hier richtig!)

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mich trotz aller Widersprüche sehr bei Ihnen für den Antrag und für die Debatte bedanken. Sie zeigt, wie hochemotional, wie vielfältig diese ganze Situation in der Türkei und um die Türkei herum zurzeit ist, und dass uns diese Situation sehr stark betrifft. Auch in Bremen wird in Freundeskreisen, Vereinen und überall darüber diskutiert: Wie geht es mit der Türkei weiter?

Für den Bremer Senat kann ich schon jetzt sagen, was heute alle deutlich gemacht haben. Der Putsch versuch von Teilen des Militärs ist glücklicherweise gescheitert. Trotzdem hat er tiefe Spuren hinterlassen. Insbesondere den Opfern der Putschnacht – 240 Tote und über 2 200 Verletzte – sowie deren Angehörigen sprechen wir als Bremer Senat unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme aus. Für uns hier in Bremen ist es gar nicht vorstellbar, solch eine Nacht zu erleben.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Es wurde schon betont, dass sich die türkische parla mentarische Opposition und auch die Zivilgesellschaft geschlossen gegen den Putschversuch in der Türkei gestellt haben. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen. Darin drückt sich die Zuversicht der parlamentari schen Kräfte in das Funktionieren einer türkischen Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit aus.

Es ist zu betonen, dass eine legitime politische und strafrechtliche Aufarbeitung der Ereignisse nur un ter rechtsstaatlichen Grundsätzen erfolgen muss. Die schwere innenpolitische Krise, in der sich die Türkei befindet, lässt sich nur mit funktionierenden rechtsstaatlichen Institutionen und demokratischen Grundsätzen aufhalten. Pauschale Verurteilungen und Beschuldigungen helfen nie weiter und tragen nur zur weiteren Spaltung und zum Misstrauen der türkischen Gesellschaft und ihrer Gruppierungen – übrigens auch hier in Deutschland und anderenorts – bei.

Wir müssen offen über die Themen sprechen, auch wenn es uns teilweise sehr schwerfällt. Wir müssen die Punkte ansprechen. Das ist auch unsere Verant wortung. Da das in der Debatte angesprochen worden ist, möchte ich noch einmal auf den Staatsvertrag mit allen Religionsgemeinschaften hinweisen. In Artikel 2 sind die verfassungsrechtlichen Grundlagen formuliert worden. Sie können das alles nachlesen. Darin geht es um unsere Grundwerte. Es geht um Rechtsstaatlich keit. Es geht um Völkerverständigung. All diejenigen,

die das hier in Bremen unterzeichnet haben, sind verpflichtet, diese Grundlagen einzuhalten.

(Beifall SPD)

In der Türkei muss daher auch der nach dem Putsch versuch verhängte dreimonatige Ausnahmezustand unbedingt auf die zwingend notwendige Dauer zur Stabilisierung der demokratischen Ordnung und der Rechtsstaatlichkeit beschränkt bleiben. Es darf keinen unendlichen Ausnahmezustand in der Türkei geben.

(Beifall SPD, FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in diesem Hause wurde schon sehr häufig über die Abschaf fung der Todesstrafe gesprochen. Ich weiß, weltweit haben wir immer wieder angeführt, wie notwendig die Abschaffung der Todesstrafe ist. Nun haben wir die Situation, dass dort über eine Wiedereinführung der Todesstrafe gesprochen wird. Das wurde von Ihnen allen schon angesprochen. Selbstverständlich kann das nicht akzeptiert werden. Der Bremer Senat hält es deswegen auch für richtig, dass die EU-Bei trittsverhandlungen bei einer Wiedereinführung der Todesstrafe ausgesetzt werden. Der Beitrittsprozess ist an klare Kriterien gebunden. Diese gilt es einzuhalten. Tut die Türkei dies nicht, sondern fällt hinter die positiven rechtsstaatlichen Entwicklungen der ver gangenen Jahre zurück, so muss und wird dies Aus wirkungen haben. Die Verhandlungen allerdings gänzlich abzubrechen, wie es jetzt teilweise gefordert wird, halten wir für kurzsichtig. Grundsätzlich muss die Beitrittsperspektive für die Türkei offen bleiben. Die historische Chance der Annäherung, die im Er weiterungsprozess liegt, darf nicht leichtfertig vertan werden. Der Abbruch wäre das falsche Signal, insbe sondere auch für die Menschen, die ihre Hoffnung in die Europäische Union und in einen funktionierenden türkischen Rechtsstaat setzen. Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zur Partnerschaft Bremens mit Izmir sagen. Unsere Motivation für die Städtepartnerschaft hat sich durch die jüngsten Entwicklungen nicht geändert. Im Gegenteil! Die Aufrechterhaltung des Dialogs und die Stärkung der Partner mit rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien sind das Gebot der Stunde. Der guten und teilweise sehr breit verankerten Partnerschaft der Stadtgemeinde und ihrer Bevölkerung aufgrund der politischen Großwetterlage nun die Grundlage zu entziehen, wäre verantwortungslos. Ich habe vor einigen Monaten in Brüssel noch mit einer Bür germeisterin aus Izmir gesprochen. Es ging um die Situation der Flüchtlinge. Es war ganz hilfreich, im Dialog gemeinsam die Dinge anzusprechen. Es wäre fatal, diesen Dialog jetzt zu beenden. Schließlich bieten gerade die Hochschulkooperati onen und unsere Sport- und Jugendaustausche die Chance, uns enger zueinander zu bringen und in

schwierigen, teilweise schwer auszuhaltenden po litischen Zeiten den lebendigen Kontakt zwischen staatlichen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Initiativen zu erhalten.

Wir alle sind durch die Ereignisse in der Türkei sehr besorgt und sensibilisiert. Das ist auch gut so. Man muss hinschauen. Man muss die Dinge ansprechen und sie auch – das fällt einem manchmal schwer – dem Gegenüber ins Gesicht sagen. Man muss sich das trauen. Wir sollten aber denen die Hand reichen, die in der Türkei und in unserer Partnerstadt für Demokratie, Meinungsfreiheit und Recht eintreten.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Diese Partner sollen und müssen wir unterstützen und dürfen sie nicht alleinlassen. – Herzlichen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tuncel.

Sehr geehrter Herr Prä sident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Da ich per sönlich angesprochen worden bin, möchte ich mich noch einmal dazu äußern. Ich finde es gut, dass wir zumindest die ersten fünf Punkte gemeinsam verab schieden werden. Die Positionen sind klar.

Frau Dr. Müller, sollte ich Sie persönlich verletzt ha ben – Sie haben von einer Frechheit gesprochen –, dann war das nicht meine Absicht. Es ist mir wichtig, dass ich das öffentlich sage. Ich schätze Ihre Arbeit. Trotzdem ist es mir wichtig – das wiederhole ich –, dass wir gemeinsam in Bremen miteinander hinschauen, wie es hier aussieht,

(Abg. Frau Böschen [SPD]: Genau das wurde von allen Rednerinnen und Rednern gesagt! Nichts anderes haben wir gesagt!)

mit wem wir zusammenarbeiten, wie dieser Dialog anders organisiert werden kann und wie wir gemein sam dazu beitragen können, dass es den Menschen in der Türkei besser geht und wir hier miteinander klarkommen. Das ist mir wichtig. – Vielen Dank!

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich lasse als Erstes über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU, der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP abstimmen. Hier ist getrennte Abstimmung beantragt worden.

(Abg. Frau Grotheer [SPD]: Bei uns?)

Ja!

Ich lasse zuerst über die Ziffern 1 bis 5 des Entschlie ßungsantrags abstimmen.