Ich fürchte, sie müssen Demokratie üben, denn ein Großteil der jungen Bremerinnen und Bremer kennen keine anderen als die demokratischen Zustände, das ist gut und gefährlich zugleich.
Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitten wir Sie um Unterstützung auch für unseren Antrag zu ERASMUS+ und natürlich um Kenntnisnahme der Strategie. – Vielen Dank!
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ob Zufall oder nicht, der Zeitpunkt für diese Debatte zur Europapolitik Bremens ist, wie ich finde, gut gewählt. Einer von drei großen Gründungsverträgen, der Maastrichter Vertrag, ist jüngst 25 Jahre alt geworden. Er prägt das Gesicht und die Struktur, so wie wir Europa heute kennen, ganz entscheidend mit. Ein Vierteljahrhundert ist eine lange Zeit, und das ist sicher auch ein Grund zur Würdigung.
Dennoch stellen sich viele neue Fragen: Brexit, Griechenland, Flüchtlingskrise, Ukraine oder auch die Entscheidungsprozesse um CETA sind Beispiele und Stichworte für komplexe Fragen. Das heißt für uns, die Antworten von vor 25 Jahren oder mehr sind zwar nach wie vor ein solides Fundament, sie reichen aber nicht mehr aus. Es ist deshalb ausdrücklich richtig, auch hier in Bremen über unser Verhältnis und unseren Beitrag zu Europa nachzudenken. Deshalb begrüßen wir diese Debatte und unterstützen die zugrunde liegenden Vorlagen im Grundsatz.
Denn es reicht nicht. Häufig ist es sogar ungerechtfertigt, einfach in den vielstimmigen Chor der EuropaSkeptiker und -Kritiker einzustimmen. Europa ist kein abstraktes Brüssel. Europa sind ganz konkret wir. Wenn Europa es nicht leicht hat, hat Europa es häufig mit uns nicht leicht,
mit den Mitgliedstaaten, die eher an Finanzströmen und Fördertöpfen als an Solidarität und gemeinschaftlichem Vorgehen interessiert sind. Europa funktioniert aber nicht ohne Europäer und eignet sich schon gar nicht als Sündenbock für alles, was nicht oder was vermeintlich misslingt.
Es ist deshalb wichtig, auch in diesem Hause die europäische Idee zu betonen, dieses im Grundsatz gemeinschaftlich zu tun und mit strategisch-inhaltlichen Ansätzen einen konstruktiven Beitrag zur Fortentwicklung dieser Idee zu leisten, meine Damen und Herren.
Der Gedanke des einigen Europas unterliegt einer gewissen Tragik, auch aus Sicht Deutschlands. 70 Jahre Friede, weitgehende Freizügigkeit, eine gemeinsame Währung, freundschaftliche Beziehungen zu allen Nachbarn, ein gemeinsamer Wirtschafts- und ein gemeinsamer Handelsraum, eine gemeinsame Wertebasis, eine gemeinsame Basis von Demokratie und Menschenrechten und auch von Rechtsstaatlichkeit;
an all das haben wir uns offenbar gewöhnt, obwohl es alles andere als selbstverständlich ist, denn diese Errungenschaften werden von den tatsächlichen oder vermeintlichen Krisen und Problemen überstrahlt. Deshalb ist Europa heute manchmal in der öffentlichen Wahrnehmung ein begründungsbedürftiges Produkt.
Ja, meine Damen und Herren, es gibt Probleme, aber ohne ein gemeinsames Europa gäbe es mehr und gäbe es ganz andere Probleme. Die Alternative Großbritanniens, deshalb heraus aus Europa, ist falsch! Im Gegenteil, wir brauchen in Teilbereichen vielleicht ein verändertes Europa, wir brauchen aber jedenfalls eher mehr als weniger Europa. Dies gemeinschaftlich deutlich zu machen, ist unsere Aufgabe, auch in diesem Raum, meine Damen und Herren.
Dazu gehört für uns vor allem eines: Europa muss erlebbarer werden, insbesondere für junge Menschen. Wir halten deshalb den Antrag mit dem Ziel, ERASMUS+ zu stärken und auch in Bremen noch mehr zu nutzen, für richtig. Das gilt aber auch für andere Bereiche. Wir brauchen Europa zum Beispiel in der Wirtschaftsförderung und als Netzwerke in einer globalisierten Welt, für regionale Projekte und für nachprüfbare Maßnahmen in Wirtschaftsbereichen, die gerade aus der bremischen Struktur heraus, denken Sie an die Raumfahrt, denken Sie an die Automobil- oder Lebensmittelindustrie, auf internationale Märkte und überregionale Zusammenarbeit angewiesen sind. Dazu bedarf es dann auch einer konsistenten solidarischen und vor allem glaubwürdigen Politik vor Ort bei uns. Hier Politik für Häfen und eine exportorientierte Wirtschaft machen zu wollen, in Straßburg aber gegen CETA zu stimmen, ist das Gegenteil davon.
Es ist ein Zeichen für die viel zu häufige Doppelbödigkeit Ihrer Politik, auch in Europa meine Damen und Herren! Wichtig ist aber für uns, wir brauchen zusätzliche Impulse für eine europäische Entwicklung seiner Ideen und für die Durchsetzung seiner Grundsätze. Ohne Ideen, Ziele, Leitbilder und mehr Beteiligung bleibt die Zusammenarbeit in der Wirtschaft, bei den Finanzen und in gemeinsamen Strukturen vordergründig. Sie wird allein langfristig keine Orientierung und Identifikation bieten. Umgekehrt muss es sein, die Idee Europas muss in diesen Feldern erlebbar und konkret werden, sie ist aber nicht die Idee selbst. Darum brauchen wir zusätzliche und neue Handlungsfelder. Für mich ist das zum Beispiel das der Sicherheit. Ich will hier gar nicht über den Bereich der militärischen Zusammenarbeit reden, das ist auch ein Feld, da gäbe es sicherlich viel zu verbessern, aber das gehört vielleicht nicht hierher. Ich meine insbesondere den Bereich, den wir im
mer schwieriger abgrenzbar als innere Sicherheit bezeichnen. Terrorismus im Großen, organisierte Einbruchskriminalität im vermeintlich Kleinen. Cyber- und Umweltkriminalität oder Schleuserkriminalität und Grenzsicherung als weitere Stichworte, meine Damen und Herren, die erkennbar nur gemeinsam bewältigt werden können.
Lassen Sie mich abschließend sagen, es ist auch in diesem Hause zum neuen amerikanischen Präsidenten vieles gesagt worden, derzeitige Botschaften aus Washington haben in der Tat eher etwas Verwirrendes, manchmal sogar etwas Destruktives. Vielleicht lassen sie sich aber zumindest zum Teil konstruktiv wenden, wenn wir sie als Aufforderung zur Rückbesinnung auf mehr Gemeinsamkeit, Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit im Denken und Handeln mit unseren europäischen Partnern auffassen. – Herzlichen Dank!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kastendiek, wenn Sie zum Europaabgeordneten Dr. Schuster Fragen haben, dann schlage ich vor, dass Sie zu ihm Kontakt aufnehmen oder seine Veröffentlichungen lesen, weil er nämlich in der Lage ist, Ihnen vielleicht seine Haltung zu erklären.
(Abg. Kastendiek [CDU]: Haben Sie keine Meinung zur Haltung des Abgeordneten Dr. Schuster? – Zu- rufe CDU – Abg. Kastendiek [CDU]: Sagen Sie doch einmal etwas dazu!)
Ich muss das weder rechtfertigen noch hier debattieren, weil wir gar nicht über CETA reden. Wenn Sie jetzt versuchen, hier mit Nebelkerzen zu arbeiten, dann können wir uns gleich gern in Ruhe vor der Tür bei einer Tasse Kaffee treffen und einmal darüber reden, wie die Haltung der SPD in Ihrer Gänze sein könnte oder einzelner Personen.
Abgeordnete anderer Fraktionen sind auch ausschließlich, und das garantiert Ihnen sogar in Deutschland die Verfassung, ihrem Gewissen verpflichtet. Ich betreibe nicht die Ausforschung des Gewissens anderer Personen.
(Beifall SPD – Abg. Kastendiek [CDU]: Sie können doch eine Meinung haben! – Vizepräsident Imhoff übernimmt den Vorsitz.)
Wenn Sie es jetzt geschafft haben, mir anderthalb Minuten meiner Redezeit zu klauen, möchte ich jetzt
gern zu dem eigentlichen Thema reden, nämlich zur europapolitischen Bildung und der EU-Strategie der Freien Hansestadt Bremen. Gestern habe wir in diesem Hause die Frage diskutiert, dass es in Europa Menschen gibt, die die Europäische Union nicht für sinnvoll oder sogar für ihre Interessen für schädlich halten. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen ein gemeinsames Europa, ein solidarisches und soziales Europa. Erlauben Sie mir die Anmerkung auch in diese Richtung, dass die SPD die erste internationale politische Organisation war, die für eine Verständigung über die Landesgrenzen hinweg eingetreten ist.
Trotzdem müssen wir feststellen, dass es erforderlich ist, insbesondere die jungen Menschen davon zu überzeugen, dass das gemeinsame Europa es auch wert ist, sich dafür zu engagieren. Der Senat hat im April 2016, leider ist es schon fast ein Jahr her, eine EU-Strategie vorgelegt, mit der er sein klares Bekenntnis zur europäischen Integration und den Grundwerten der EU erneuert. Ein wesentlicher Grundpfeiler der Europastrategie ist dabei auch ein systematischer, öffentlicher Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern. Der Senat hat dabei vor allem den jugendpolitischen Dialog betont. Hier setzt auch der Antrag an, den die Koalition heute zur Abstimmung stellt. Nur informierte Menschen sind in der Lage, rational begründete Entscheidungen jenseits von gefühlten Wahrnehmungen, Stimmungen oder alternativen Fakten zu treffen.
Es muss festgestellt werden, dass es dringend nötig ist, vor allem jungen Menschen ganz konkret aufzuzeigen, wie sie in ein Europa passen, das dem Einzelnen mehr Möglichkeiten, aber auch mehr Verantwortung zubilligt, als er es in einem kleinen Nationalstaat vielleicht hätte. Um dort Unterstützung zu leisten, investiert die EU in verschiedene Bildungsprogramme, unter anderem in ERASMUS+. Man kann feststellen, dass sich eine hohe und erfolgreiche Nutzung des Programms in Bremen im Bereich der Hochschulen, der beruflichen Bildung und im Bereich des Jugendaustausches zeigt.
Für den Bereich der allgemeinbildenden Schulen ist die Teilnahme an ERASMUS+ niedrig. Offenbar werden dort vor allem der hohe zeitliche Aufwand bei der Antragstellung und der Programmverwaltung als Problem gesehen. Dies verwundert mich nicht.
Im Bereich der Hochschulen, der Berufsschulen und der Jugendaustausche sind die beteiligten Kräfte schon länger in der eigenverantwortlichen Mittelbewirtschaftung und Beantragung geübt. Die vielfältigen Anforderungen, die an die allgemeinbildenden Schulen gerade in den letzten Jahren durch die heterogene
Schülerschaft gestellt werden, machen vermeintlich neben dem Wissensvermittlungsauftrag liegende Wünsche nicht einfacher. Hier setzt der Antrag an.
Er richtet sich zum einen auf eine konkrete Unterstützung der Schulen, denen künftig bei der Beantragung von Mitteln aus dem ERASMUS+-Programm angeboten werden soll – wie eine Förderung des Konzepts der Europaschulen –, die sich im besonderen Maße für das Thema Europa engagieren wollen. Außerdem soll die Kooperation zwischen europapolitischen Bildungseinrichtungen und Schulen gestärkt werden. Schließlich gilt es auch zu prüfen, welche anderen bremischen Institutionen die Schulen beim Thema europapolitische Bildung unterstützen können. Denn auch für Europa gilt das alte Sprichwort: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“. – Vielen Dank!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Europa ist ein großes Projekt, eigentlich ein Jahrhundertprojekt, das auf die Tagesordnung der Europäischen Völker nach zwei schlimmen Weltkriegen, nach dem Ersten Weltkrieg, besonders nach dem Zweiten Weltkrieg, gesetzt worden ist.
Das Projekt ist auf Frieden und auf Freiheit gerichtet. Es geht von einem gemeinsamen liberalen Verfassungsverständnis aus, wünscht die Verzahnung der Wirtschaften, wünscht die Aufgabe von nationalen Grenzen und den Austausch. Dies war das Gedankengut von großen Politikern der Weimarer Zeit, von Rathenau und Stresemann, der Bundesrepublik Deutschland, Scheel, Genscher und Brandt mit der Ostpolitik, Schmidt, Giscard d´Estaing mit der Schaffung des Euros, Joschka Fischer von den Grünen oder von Adenauer und de Gaulle in den Fünfzigerjahren.
Es gilt eigentlich immer noch der Satz von Adenauer: „Europa muss geschaffen werden.“ Das war einmal die Aufbruchsstimmung, und dies gilt es für die weiteren Jahre zu festigen und neu zu beleben. Weiterhin gilt auch der Satz von Hans-Dietrich Genscher: „Wir haben keine andere Zukunft als Europa“.
An dem Vermächtnis dieser Politiker aus allen politischen Strömungen sollten wir festhalten, und wir sollten dieses Vermächtnis auch den weiteren Generationen weitergeben. Das Gebäude Europa hat in den letzten Jahren starke Risse bekommen: Griechenlands Finanzkrise, Flüchtlingskrise mit beklagter mangelnder Solidarität, mangelnder Rechtsstaat, mangelnde Medienfreiheit in Ungarn und Polen. Die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden ist nicht
voll erfüllt. Wir haben den Brexit. Wir haben antieuropäische, populistische und rechtslastige Strömungen in Frankreich und in den Niederlanden. Dies alles gilt es aufzufangen, wenn man eine Perspektive für Europa erhalten will und wenn man nicht mit ansehen will, wie Europa weiter zerbröselt.
Aus den Berichten, die Ihnen vorliegen, kann man feststellen, dass Bremen in Europa gut eingebunden ist, dass sich Bremen zu Europa bekennt, dass Bremen den wirtschaftlichen, den wissenschaftlichen Austausch forcieren möchte, etwas für die regionale Entwicklung zu tun und für die Ausbildung. Das ist alles in Ordnung und findet uneingeschränkt unsere Unterstützung.
Konkret muss es darum gehen, europäische Projekte wirklich auch zu nutzen und sie finanziell für Bremen und die Region um Bremen herum fruchtbar zu machen. Diese Projekte müssen dann auch verwaltungstechnisch stringent abgearbeitet werden, damit auch das, was europäisch für die Regionalentwicklung zur Verfügung gestellt wird, genutzt wird. Europa wird nur dann eine Zukunft haben, wenn die Menschen in Europa, Europa persönlich erfahren, wenn sie an einem Europa persönlich teilhaben. Dazu gehört insbesondere ein großer Rahmen, der eingehalten werden muss. Er muss die persönliche Freizügigkeit garantieren, und er muss auch die Freizügigkeit für die Wirtschaft gewährleisten.