Protokoll der Sitzung vom 08.03.2017

Es gibt nämlich in den untersuchten Feldern dieser Studie einen Teil, der sich um die Förderbedarfe dreht. Da sind wir eindeutig als das am geringsten exkludierende Land genannt. Das ist ein schwieriges Fremdwort. Das heißt einfach, dass die Kinder nicht mehr in Sonderschulen ausgesondert werden. Vielmehr werden wir in dieser Studie eindeutig mit dem größten Inklusionsgrad benannt.

(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Quantitativ!)

Obwohl viele das nicht meinen, haben wir auch nicht die meisten Kinder mit Förderbedarf. Es gibt andere Bundesländer mit wesentlich höheren Zahlen.

Wenn man hinter dem Thema Inklusion steht, dann ist es eine gute Nachricht, dass wir mit einer Exklusionsquote – also der Quote, die Kinder in Sonderschulen aussondert – von nur 1,5 Prozent den absoluten niedrigsten Wert in Deutschland haben. Das ist auch ein Ergebnis der umgesetzten Schulreform. Ich bin sehr gespannt, zu welchem Ergebnis die neutrale Evaluierung der Schulreform kommt, die im Moment läuft und gerade bei der Inklusion einen Schwerpunkt

hat. Diese Studie kommt jedenfalls zu dem Ergebnis, dass wir dort sehr gut dastehen.

Ein zweiter Komplex ist der Ganztagsbereich. In der Frage, wie viele Schüler in eine gebundene Ganztagsschule gehen, stehen wir ebenfalls an der Spitze. Auch das haben Sie einfach weggelassen. Mit 30,7 Prozent Kindern, die einen gebundenen Ganztag besuchen, stehen wir unter den Bundesländern in Deutschland ganz weit vorn. Das ist die eigentliche Ganztagsschule, die für den Bildungserfolg und die verschiedenen Zwecke, für die Schule da ist, die größten Erfolgsaussichten hat. An gebundenen Ganztagsschulen haben wir mit die beste Quote in dieser Republik. Das ist ein gutes Ergebnis dieser Studie.

Dann haben Sie angesprochen, wie das mit dem Übergang auf das Gymnasium ist. Das ist ein weiterer Komplex dieser Studie. Logischerweise ist die Übergangsquote zum Gymnasium in einem Land, in dem wir nur noch acht Gymnasien in Bremen und ein Gymnasium in Bremerhaven haben, aber in dem auch die Oberschulen zum Abitur führen, niedrig. Die Quote derer, die wir zur Hochschulreife führen, ist sehr hoch. Das ist ein absolut positives Kriterium für Bremen.

(Beifall SPD)

Das heißt, wir kommen auch über andere Schulen als die Gymnasien zur Hochschulreife. Wenn Sie das zum Beispiel mit Bayern vergleichen, bringen wir wesentlich mehr Kinder mit einem über alle Bundesländer vergleichbaren Abitur zur Hochschulreife. Das ist ein gutes Zeichen, ein sehr gutes Zeichen sogar.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD – Zurufe FDP)

Das haben Sie auch weggelassen.

In Bayern und Baden-Württemberg erwerben 28 Prozent aller Kinder eines Jahrgangs die Hochschulreife. Bei uns sind es 42,4 Prozent. Das sind Fakten, die in der Eingangsrede von Frau Steiner irgendwie nicht vorkamen, habe ich den Eindruck. Das ist dieser Komplex.

Dann haben wir die Frage, wie viele Schüler ohne Schulabschluss abgehen. Wir sind uns wahrscheinlich einig, dass jeder Schüler und jede Schülerin, der oder die ohne Abschluss von der Schule abgeht, zu bedauern und ein schlechtes Zeichen für unser Bundesland ist. Sie haben vorhin die Sachsen gelobt und gesagt, diese hätten viel bessere Ergebnisse als wir. In Sachsen verlassen 8,3 Prozent aller Schülerinnen und Schüler die Schulen ohne Schulabschluss. In Bremen sind es 7,3 Prozent, also ein Prozentpunkt weniger. Bei diesem Kriterium liegen wir vor Sachsen. Das ist sozusagen kein Kriterium, welches zu vernachlässigen wäre. Es ist eines unserer bildungspolitischen Ziele, in diesem Bereich besser zu werden, damit immer

weniger Kinder die Schulen ohne Schulabschluss verlassen.

Lassen Sie mich einen letzten Punkt aus dieser Studie erwähnen. Das ist ein ziemlich heikler und schwieriger Punkt. Die Studie bezieht sich auf den IQBBildungstrend. Da wird noch einmal die Differenz im Kompetenzbereich Lesen zwischen den Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund betrachtet. Ich bin der Erste, der sagt, dass jede Differenz in diesem Kompetenzbereich zwischen diesen beiden Gruppen schlecht ist. Immer, wenn diejenigen mit Migrationshintergrund schlechtere Ergebnisse haben, ist das ein Arbeitsauftrag an uns, dort mehr zu tun und mehr zu fördern.

Wenn wir uns aber mit den Stadtstaaten vergleichen, stellen wir fest, diese Differenz liegt 2015 in Bremen bei minus 42. In Berlin liegt sie bei minus 61 und im hochgelobten Hamburg bei minus 65. Die Differenz zwischen den Leseergebnissen der Deutschen und derjenigen mit Migrationshintergrund ist in den beiden anderen Stadtstaaten 20 Punkte höher. Das muss man an dieser Stelle auch erwähnen, wenn man eine Aktuelle Stunde zu einer solchen Studie beantragt. Jedes Kind, das in dieser Differenz steckt, ist ein Kind zu viel – darüber sind wir uns völlig einig –, denn es sind reale Kinder.

An dieser Stelle vergleichen wir uns immer mit den anderen Stadtstaaten und Bundesländern. Wenn wir uns aber vergleichen, dann müssen wir auch die Vergleiche erwähnen, in denen wir deutlich besser dastehen als die anderen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Sonst ist das ein Bild, das meines Erachtens niemandem in unserem Schulwesen nützt: den Schülerinnen und Schülern, ihren Eltern und den Lehrerinnen und Lehrern und damit allen nicht, die mit Schule zu tun haben. Niemandem nützt ein solches Bild einer totalen Bildungstragödie.

Uns nützt es, präzise zu benennen, wo wir in der Tat sehr, sehr große Probleme haben. Da bin ich mit einigen meiner Vorrednerinnen und Vorredner einig. Das sind Stadtteile, in denen wir sehr große soziale Probleme, sprachliche Probleme und Inklusionsprobleme haben. Dort müssen wir die Schulen besser unterstützen. Dort müssen wir mehr tun, weil Schulen dort absaufen, auf gut Deutsch gesagt, weil sie überfordert sind und hinter der Menge an Problemen nicht hinterher kommen. Das ist ein ganz konkreter Arbeitsauftrag.

Wenn man sagt: „Alle Schulen sind in allen Kriterien eine Bildungstragödie“, erwächst daraus weder ein politischer, noch ein praktischer Arbeitsauftrag, den man irgendwie umsetzen könnte. Das redet den Leuten einfach nur ein, dass sie jeden Tag ein Schulwesen besuchen, das komplett desaströs ist und an dem man gar nichts ändern kann. Das ist eine politische

Haltung, die gerade einer Opposition völlig unwürdig ist. Meines Erachtens wird sie den Leistungen unseres Bildungswesens auch nicht gerecht. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Remkes.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kollegen! Chancenspiegel 2017: Schüler bleiben ohne Abschluss! Dies hat leider mehrere Gründe hier bei uns in Bremen.

Ein ganz großes Problem ist die Armut, besonders die Kinderarmut, in unserem Land. Im Jahr 2000 wurde eine PISA-Studie veröffentlicht. Erschreckend ist eines der Ergebnisse, nämlich dass in einem Industrieland wie Deutschland alles vom sozialen Hintergrund und von der Armut der Menschen abhängt. Sie sehen, das Problem ist viel größer.

Der Chancenspiegel 2017 hat jedoch eine neue Herausforderung wie zum Beispiel die Integration der vielen bei uns lebenden Flüchtlingskinder ausgemacht. Durch das teilweise schlechte Sprachverständnis und schlechte Verständnis unserer Lebenswerte sind die Ergebnisse leider nicht so, wie sie sein sollten und müssten. Ohne Abschluss von der Schule abzugehen, findet man leider noch viel zu viel im Bremer Alltag. Es fehlt die Chancengleichheit, die ebenfalls zu miserablen Ergebnissen führt.

Dennoch gibt es Fortschritte in den letzten 15 Jahren. Wir haben im Durchschnitt nur noch neun Prozent Schulabgänger ohne Abschluss bei den deutschen Kindern zu verzeichnen. Bei den Kindern mit Migrationshintergrund sind es leider 16 Prozent. Daran muss dringend etwas getan werden. Das ist immer noch zu viel, wenn man bedenkt, dass diese Menschen in Zukunft noch mehr Anforderungen bewältigen müssen. Die Leistungen lassen zu wünschen übrig. Dadurch entstehen natürlich auch weniger Jobchancen für diese Klientel.

Bremen liegt nicht unbedingt auf den vorderen Plätzen, wie wir alle wissen. Was heißt das für Bremerhaven und Bremen? Es muss verstärkt in die Bildung investiert werden, um nicht zu kleckern, sondern zu klotzen.

Dies wird sich in der Zukunft für unsere Kinder und unsere Gesellschaft auszahlen.

Erschreckend ist die Gesamtzahl der Schüler ohne Abschluss in Deutschland. Es sind rund 50 000 Schüler. Meine Damen und Herren, das sind 50 000 zu viel!

Wie sieht es seit 2002 in Bremen aus? In der Stadt Bremen ist die Zahl der Schüler, die ohne Abschluss von der Schule abgehen, von 314 auf 370 Kinder gestiegen. In Bremerhaven sind es 112. In Bremen

Land ist die Zahl von 426 auf 482 gestiegen. Jedes Kind ohne Schulabschluss ist eines zu viel!

Nun kommt ein zusätzliches Problem hinzu, nämlich die Integration der Sonderschüler und der Inklusionsschüler. Es gibt gewisse Hemmschwellen, um die zügige Ausbildung mit Lehrstoff für die anderen Schüler gleichmäßig zu gewährleisten. Eine Bekannte von mir, die Grundschullehrerin für die Klassen eins bis vier ist, sagte mir kürzlich: Erstens sind wir für die Kinder mit Inklusion gar nicht ausgebildet. Zweitens sind wir von der Politik einfach vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Drittens kann ich nur sagen: Wer nicht mitkommt, kommt halt nicht mit. Sonst schaffen wir den Stoff, den wir lehren müssen, nicht.

Das war die Rede einer Kollegin, die in der Praxis steht. Theoretisch ist die Inklusion zwar mit gutem Vorsatz angedacht, doch wieder einmal, ohne vorher zeitig geplant zu haben. Wer hilft denn den Lehrern? Was müssen unsere Lehrer denn noch alles machen? Nicht nur Inklusion und Migration der Kinder, sondern leider kommt noch die Notwendigkeit hinzu, einige der Kinder zu erziehen, da die Eltern gar keine Zeit mehr dafür haben. Zum Schluss leidet das eigentliche Thema der Lehrer, den Stoff zu vermitteln, darunter.

Ein großes Lob an unsere Lehrer, die hervorragende Arbeit in unserem Land und in unserer Stadt leisten! Sie sind dadurch total überlastet. Da muss man sofort reagieren. Es ist einfach zu wenig Personal da. Sparen Sie bitte nicht an Investitionen in die Zukunft, an Investitionen in unsere Kinder. Das sind die Menschen, die morgen und übermorgen unseren Staat gestalten.

Bildungsforscher schlagen den Ausbau der Ganztagsschulen vor. Das sollte man in Bremen ebenfalls verstärkt angehen und weiterführen.

Leider finden wir auch in Deutschland immer noch große Lern- und Wissensunterschiede bei den Schülern. Wenn man Bayern mit Bremen vergleicht, sind das Welten, obwohl die Menschen und die Kinder doch eigentlich die gleichen sind. Wie eingangs schon erwähnt, hängt das auch mit der Armut und der Wohngegend zusammen. Wir haben nun einmal leider in Bremen einen anderen Bildungsstand als bei den Schülern in Bayern und in Baden-Württemberg. Das beweisen leider die PISA-Zahlen. Das muss dringend geändert werden, denn wie ich in meinem vorherigen Beitrag schon gesagt habe: Bildung ist der Einstieg in den Ausstieg aus der Armut.

Wo bleibt die Gerechtigkeit, wenn Bildungsforscher herausfinden, dass zum Beispiel Sachsen und Bremen drei Lernjahre Unterschied im Lehrstoff haben? Lieber Senat, da müssen doch alle Alarmglocken läuten. Wo ist da Ihr Ehrgeiz, das zu ändern? So wird Bremen immer nur Schlusslicht bleiben. Das ist unverantwortlich.

Wir benötigen in der gesamten Republik vergleichbare Chancen, wobei alle Kinder ein gleiches Grundgerüst an Fähigkeiten mitbekommen müssen. Das nennen wir

Gerechtigkeit. Das wäre auch eine Zukunftsvision für den Senat, dieses Mindestziel zu erreichen. In Bremen sind die Inklusionskinder angekommen. Dafür sind die Leistungen der anderen Kinder zurückgegangen.

Vergessen Sie bitte auch nicht: Jedes Kind ohne Schulabschluss hat weitaus weniger Chancen am Markt als andere Kinder. Große Probleme wie die soziale Herkunft – das heißt Wohnumfeld –, die Migration und die Armut sind ebenso zu bewältigen wie das Problem der Förderschüler, die in Bremen in der Theorie gut aufgenommen sind. In der Praxis klagen die Schulleiter, dass die Kinder auf der Strecke bleiben, denn es fehlt an Sozialpädagogen und Schulassistenten für die Förderkinder und die Inklusionskinder.

Die Lehrer sind überlastet und ständigem Stress ausgesetzt. Darunter leiden logischerweise der normale Unterricht und die Gesundheit der Lehrer. Schauen Sie sich die Krankenmeldungen an! So kann man keinen guten Unterricht halten. Es fehlt an pädagogischen Mitarbeitern. Die Stellen sind einfach nicht besetzt.

Kinder mit Inklusion sollen sogar zu Hause bleiben, weil kein pädagogischer Fachlehrer da ist, sagen bereits einige Schuldirektoren. Wie schrecklich ist das denn? Das steht im Chancenbericht 2017. Erinnern Sie sich bitte an früher. Da gab es Sonderschulen und Förderschulen. Es gab Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien. Komischerweise waren die Ergebnisse damals besser, und die Kinder lernten mehr.

(Abg. Frau Böschen [SPD]: Welcher Studie haben Sie das denn entnommen? Deshalb wollte auch keiner mehr auf die Hauptschule gehen!)

Es war aber politisch gewollt, alle zusammenzustecken. Das ist alles schön und gut. Dann benötigt man aber auch das Fachpersonal dafür.

Hat man da den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht?

Nehmen wir doch das Beispiel der Lesekompetenz. Meine Vorredner sagten es bereits. Bremen steht bei PISA immer am Schluss. Kinder aus der neunten Klasse in Bremen hinken den Kindern in Sachsen um fast drei Jahre hinterher. Da muss doch der Ehrgeiz beim Senat geweckt werden. So darf es nicht weitergehen, meine Damen und Herren!

Man muss die Probleme globaler sehen. Unsere Kinder in Bremen sind keineswegs dümmer oder zurückgeblieben. Nein, das Umfeld, die Mehrbelastung durch die Kinder mit Migrationshintergrund und die große Armut in Bremen sind Faktoren, die hier stark mit beeinflussen.

Der Vergleich 2017 vergleicht Chancengerechtigkeit und Leistungsfähigkeit der Schüler in Deutschland. Das ist das Ziel. Wir als Liberal-Konservative Reformer hoffen, dass der Bericht „Chancenspiegel 2017“ im Senat Ansporn gibt, durch Investitionen einiges für

unsere Kinder in Bremen und Bremerhaven in der Zukunft zu verbessern. Rechnen Sie bitte das Problem im nächsten Haushalt ein! – Vielen Dank!