Protokoll der Sitzung vom 23.09.2015

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Abschließend möchte ich zwei Dinge sagen. Ich bin ganz froh über den Vortrag von Herrn Röwekamp gewesen. Ich habe eben gesagt, welche Diskussionen im Bund gerade geführt werden, sie werden zum Teil sehr unangenehm geführt. Damit ziele ich nicht auf die CSU ab. Ich merke durchaus, dass diese Situation genutzt wird, um Dinge, die gesellschaftlich und auf politischer Ebene erkämpft worden sind, wieder infrage zu stellen, zum Beispiel wenn auf Bundesebene der Vorstoß kommt, angesichts der Situation, dass wir jetzt so viele Flüchtlinge haben und sie vielleicht noch nicht so gut ausgebildet sind, gleich den Mindestlohn infrage zu stellen. So etwas finde ich absolut fatal, denn damit vergiftet man tatsächlich das gesellschaftliche Klima. Ich finde, auf der politischen Ebene im Bund, nicht hier, sind Brandstifter unterwegs, die es ganz klar in die Schranken zu verweisen gilt.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich hoffe sehr, dass die SPD im Bund ganz klare Kante zeigt und sagt: Das geht nicht!

Zu einer weiteren Diskussion, die ebenfalls gerade geführt wird, muss ich mich noch einmal an Herrn Röwekamp wenden. Ich habe sehr genau hingehört, wie Sie das Recht auf Asyl definiert haben. Sie haben schon gesagt, es müsse legale Einwanderung geben, das sehe ich auch so. Ich finde übrigens auch, es muss für die Menschen, die das wollen, auch Einwanderung auf Zeit geben. Sie haben gesagt, das Recht auf Asyl müsse erhalten bleiben, aber Sie haben dann von denen, die angeblich Roma aus dem Kosovo sind, gesprochen. Das stört mich an der Drittstaatendebatte im Zusammenhang mit den Balkanländern wirklich.Diese Diskussion zielt – und das ist tatsächlich Stammtisch – in erster Linie auf die Roma ab. Sie haben dort tatsächlich schreckliche Lebensbedingungen.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich bin hart im Nehmen, aber ich habe einmal ein Video gesehen, wie auf der Müllkippe in Mitrovica staatliche Behörden angerauscht sind und Bagger haben auffahren lassen, um die Slumhütten abzureißen. In den Hütten waren noch kleine Kinder. Das ist die Situation in den Balkanländern, so sieht sie für Roma dort aus. Ich rate dringend, vor allem angesichts der historischen Verantwortung aus der Verfolgung und dem Antiziganismus, worunter Roma und Sinti im Nationalsozialismus hier zu leiden hatten, von solchen Diskussionen Abstand zu nehmen. Wir können über die Balkanländer reden, denn sie brauchen tatsächlich eine Arbeitsmigration, aber bitte nicht mit diesem Touch, indem man von angeblichen Roma redet.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Herr Röwekamp, gehen Sie einmal nach Gröpelingen! Wenn man sich tatsächlich einmal vor Ort damit beschäftigt, sind dort sehr, sehr viele Roma-Familien, die aus den EU-Ländern Bulgarien und Rumänien kommen. Sie trauen sich aber meistens nicht zu sagen, dass sie Roma sind, weil sie in ihren Herkunftsländern so viel Verfolgung und Stigmatisierung aufgrund ihres Status erlebt haben. Das macht es für die Leute, die mit ihnen arbeiten, manchmal ganz schön schwierig, weil sie nämlich gar nicht wissen, dass sie einen Dolmetscher für Romanes brauchen und nicht für Rumänisch. Das ist die faktische Situation.

Ich will zum Abschluss kommen. Wir brauchen eine andere europäische Diskussion. Wir brauchen eine Diskussion über die Finanzierung von Bund, Ländern und Kommunen. Wir brauchen eine Diskussion, wie wir hier vom Fleck kommen. Wir sind lange Zeit auf Sicht gefahren. Das geht jetzt nicht mehr, und zwar nicht nur angesichts der dramatischen Zahlen, mit denen wir konfrontiert sind, sondern wir brauchen in vielerlei Hinsicht einen Paradigmenwechsel. Ich möchte, dass der gelingt und funktioniert. Dazu müssen wir aus Bremen aber auch den Mut haben, bestimmte Diskussionen über die Frage, wer das bezahlen soll, anders zu führen. Ich fürchte, ansonsten werden wir langfristig weiter auf Sicht fahren.

Eine Sache möchte ich dem Senat noch einmal konkret mitgeben. In der Frage der Notunterkünfte muss vom Senat etwas anderes kommen als in der Not auf Zelte oder Turnhallen zurückzugreifen. Es gibt viele Vorschläge, die in den letzten Jahren gemacht worden sind. Sie kommen zum Beispiel aus den Beiräten, wo Immobilien Bremen oder die WFB die Finger im Spiel hatten und dann nichts passiert ist. Die Begründungen waren teilweise absurd.

Wenn eine ehemalige Schule entwidmet ist und nur teilgenutzt wird, dann kann mir kein vernünftiger Mensch erklären, warum man sie nicht zu einer Flüchtlingsunterkunft umwidmen kann. Wenn ich dann höre, das ginge aus Brandschutzgründen nicht, dann frage ich mich, wie in dieser Schule ein paar Jahre vorher 500 Schüler beschult worden sind.

(Beifall DIE LINKE)

Ich finde, das geht nicht. Da müssen wir uns auch einmal ehrlich in die Augen sehen. Auch da müssen wir ein bisschen Dampf machen. Jede Unterbringungsform, die Zelte und Turnhallen verhindert, ist besser als das. Viele Sachen sind schon sinnvollerweise angesprochen worden, wie die Flexibilisierung des Baurechts und die Frage, welche Standards man hat und welche nicht. Es ist klar, jedes hergerichtete Haus ist für einen geflüchteten Menschen besser als eine Unterkunft im Zelt oder in einer Turnhalle. – Ich danke Ihnen!

(Beifall DIE LINKE)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Schaefer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Während wir hier debattieren, hat sicher jeder die dramatischen Bilder der vergangenen Wochen vor Augen. Menschen, die vor Krieg und Verfolgung in ihren Heimatländern fliehen, drängen nach Europa. Was passiert in Europa? Die Grenzen werden vor ihren Augen geschlossen. Abschottung löst kein Problem.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Das ist beschämend für Europa. Bürgermeister Sieling hat vorhin gesagt, es mache ihn traurig, wie sich Ungarn und gerade dessen Präsident Orban verhalten. Ich muss sagen, es macht mich traurig, aber es macht mir persönlich auch Angst, wenn in Europa wieder Zäune aufgebaut und Grenzen geschlossen werden.

Die Menschen fliehen vor dem Grauen in ihrer Heimat, darauf sind viele meiner Vorrednerinnen und Vorredner eingegangen. Sie sind dort ihres Lebens nicht mehr sicher, geraten wortwörtlich zwischen die Fronten, haben ihre Bleibe verloren und keine Perspektive mehr. Niemand flüchtet aus seiner Heimat, wenn er nicht einen überlebenswichtigen Grund dafür hat.

Auch auf die Ursachen der Flucht ist schon eingegangen worden. Was sind die Ursachen? Krieg! Es gehört zur bitteren Wahrheit, auch hier in der Bundesrepublik Deutschland zu diskutieren, welche Verantwortung wir in Krisengebieten durch deutsche Waffenexporte

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

und Patrouillenboote in Länder haben, von denen wir wissen, dass sie auch den IS unterstützen. Vor dem Anblick der vielen, vielen Flüchtlinge müssen wir in Deutschland unsere Verantwortung und die Frage der Waffenexporte ganz neu und ehrlich diskutieren.

Auf die Umweltkatastrophen wurde schon eingegangen. Leergefischte Meere, verfehlte Agrarpolitik und auch der Klimawandel führen dazu, dass die Menschen in ihrer Heimat keine Perspektive haben. Wir können noch so hohe Zäune ziehen, es wird keine Ruhe und keinen Frieden geben, solange die Lebenschancen der Menschen auf unserem Planeten so ungerecht verteilt sind und wir nicht die Ursachen in den Ländern angehen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Es ist das erste und oberste Gebot der Humanität, Menschen, die verfolgt werden oder von Krieg und Terror bedroht sind, eine Zuflucht zu gewähren. Das persönliche Recht auf Asyl ist im Grundgesetz gere

gelt. Herr Röwekamp, ich bin froh, dass Sie deutlich gemacht haben, dass dieses Recht auf Asyl unantastbar ist. Ich glaube, das teilen wir alle.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Unbestritten stellt uns die Dynamik der Flüchtlingszahlen in Deutschland und auch hier in Bremen vor ganz enorme Herausforderungen. Auch wenn meine Vorrednerinnen und Vorrednern den Menschen schon gedankt haben, möchte ich das noch einmal im Namen von uns Grünen machen. Man kann all den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Sozialbehörde und der vielen Träger und Vereine nicht genug danken, die sich Tag und – wortwörtlich – Nacht dafür einsetzen, um den ankommenden Menschen zuerst einmal eine Möglichkeit zum Schlafen zu organisieren und die Verpflegung sicherzustellen. Im Namen der Grünen möchte ich den vielen hilfsbereiten Bürgerinnen und Bürgern danken, die sich von der Kleiderund Sachspende bis zur Übernahme einer Vormundschaft engagieren. Gerade ein Bürgerprojekt wie „Gemeinsam in Bremen – Bremer*innen helfen Flüchtlingen“ zeigt, wie sehr Bremerinnen und Bremer Flüchtlinge unterstützen wollen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Unbestritten sind wir auch in Bremen inzwischen in einer Notsituation angelangt, das muss man ganz klar sagen. Vorhin wurde von Ad-hoc-Situationen gesprochen, Tag für Tag müssen wir neu schauen, wo wir die ankommenden Flüchtlinge unterbringen.

Mit dieser Dynamik der letzten Wochen hat in Wahrheit auch niemand gerechnet. Auch wir Grünen mussten erkennen, dass wir die Standards, die wir noch vor einem Jahr an Flüchtlingsunterkünfte angelegt haben, im Moment nicht mehr halten können. Das gehört auch zu der Selbsterkenntnis. Wir haben lange in der Fraktion diskutiert, ob wir Zelte akzeptieren können, ob wir Turnhallen akzeptieren können, was die Mindeststandards sind und ob wir Schiffe akzeptieren können, wie wir sie vor etlichen Jahren einmal in Bremen hatten.

Bis 2011 war man in Bremen und Bremerhaven ausschließlich mit dem kontinuierlichen Rückgang von Flüchtlingszahlen beschäftigt. Während damals die Schließung von Übergangswohnheimen in Betracht kam, stellt sich das Land seit vier Jahren immer wieder der Aufgabe, ausreichend Unterkünfte für alle ankommenden Personen bereitstellen zu können.

Man muss jetzt auch einmal positiv erwähnen, dass der Senat sehr erfolgreich sein Ziel verfolgt, Flüchtlinge nach drei Monaten Aufenthalt in einer Unterkunft in eine angemessene Wohnung zu vermitteln, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können und natürlich auch gleichzeitig für neu Ankommende Platz zu schaffen. Ohne dieses relativ erfolgreiche Wohnungsmanagement wären wir auch in Bremen und Bre

merhaven schon längst die Kapazitäten in den Gemeinschaftsunterbringungen erschöpft.

Andere Kommunen verfolgen das Bremer Vorgehen mit großem Interesse; denn es hat sich gezeigt, dass die Wohnortvermittler in den Unterkünften eine exzellente Arbeit leisten und erfolgreich Brücken in den privaten Wohnungsmarkt bauen. Bei aller Kritik an den Zuständen der Unterkünfte ist das ein Erfolgsmodell aus Bremen, meine Damen und Herren.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Es ist aber auch richtig, dass es jetzt gilt, schnellstmöglich winterfeste Unterkünfte zu finden, um die Versorgung von Ankommenden mit Essen, mit Kleidung, mit Hygieneartikeln und so weiter zu organisieren. An dieser Stelle möchte ich auch ausdrücklich den Einsatz der Bundeswehr loben. Sie unterstützt Bremen mit Man- und Womanpower und Know-how, packt nun auch tagtäglich die Herausforderungen an und hilft mit, ob es bei der Beschaffung von Betten und Zelten, bei der Essensausgabe oder auch dem wichtigen Sanitätsdienst ist. Die Gesundheitsvorsorge gerade in den großen Unterkünften wurde angesprochen.

Es gehört sich auch, an dieser Stelle einmal positiv zu erwähnen, dass der Senat ein weiteres Sofortprogramm zur Einstellung von 300 zusätzlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Flüchtlingshilfe beschlossen hat. Auch die Mittel für das Landesprogramm für Sprachförderung wurden ein weiteres Mal erhöht. Wir wissen alle, Sprache ist der Schlüssel, um in der Schule erfolgreich zu sein, um eine Lehrstelle oder Arbeit zu finden.

Insgesamt schultert Bremen in diesem Jahr über 196 Millionen Euro, um die Aufnahme von Flüchtlingen zu bewältigen. Das ist in einem Haushaltsnotlageland ein riesiger Kraftakt. Ich glaube, man sollte auch anerkennen, dass der Senat, das Finanzressort und das Sozialressort alle zusammen diese Kraftanstrengung unternehmen,

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

aber, es wurde auch schon angesprochen, meine Damen und Herren, das reicht nicht, und hier ist jetzt auch einmal der Bund gefragt. Der Bund muss viel mehr als in der Vergangenheit die Kommunen finanziell unterstützen, übrigens nicht nur bei der Unterbringung von Flüchtlingen, sondern gerade auch bei der Integration. Die bisher in Aussicht gestellten drei Milliarden Euro des Bundes bedeuten für Bremen ungefähr zehn Millionen Euro, das ist angesichts der riesigen Aufgabe realitätsfern. Wir Grünen fordern eine Pro-Kopf-Pauschale, weil wir davon überzeugt sind, dass nur so gewährleistet werden kann, dass jeder Flüchtling adäquat die Hilfe bekommt, die er braucht, und zwar unabhängig von der Finanzkraft seiner Kommune.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Die meisten Flüchtlinge wollen hierbleiben, wir müssen sie schnellstmöglich in unsere Gesellschaft integrieren, dazu gehört, dass das Erlernen der deutschen Sprache gefördert wird, die Kinder rasch in die Kindergärten und in die Schulen kommen, dass vor allem auch alle Flüchtlinge hier eine Arbeitserlaubnis erhalten und ihre im Ausland erworbenen Abschlüsse hier anerkannt werden.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Die Integration in den Arbeitsmarkt ist für uns Grüne ein ganz wichtiger Punkt, und auch in dem Bereich ist der Bund viel mehr in der Verpflichtung als bisher, die Mittel für Qualifizierungs- und Arbeitsmarktprogramme zu erhöhen. Das kostet zwar alles jetzt Geld, meine Damen und Herren, aber ich bin überzeugt, dass es sich langfristig millionenfach auszahlen wird.

Wir Grünen sind des Weiteren auch ganz entschieden gegen Sachleistungen, das möchte ich hier ganz deutlich sagen. Herr Röwekamp, Sie haben vorhin rhetorisch brillant versucht, uns das freie WLAN in Unterkünften als eine Sachleistung schmackhaft zu machen. Ich sage einmal ganz klar, freies WLAN in Unterkünften ist für uns Grüne keine Sachleistung, das ist eine Serviceleistung.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Sachleistungen sind ganz andere Dinge, und wir sind überzeugt, dass die Menschen mündig sind, für sich und ihre Familien selbst zu entscheiden, was sie gerade brauchen.

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Das gibt es doch noch gar nicht!)

Ja, ich sage auch nicht, Frau Ahrens, dass wir das WLAN schlecht finden, aber es ist eben keine Sachleistung, die man anrechnen kann, sondern es ist eine Serviceleistung.