Protokoll der Sitzung vom 23.08.2017

Es ist interessant: Gesundheitsminister Seehofer hat 1977, zumindest in den Krankenhäusern, eine solche Pflegepersonalregelung, PPR genannt, eingeführt und anschließend gleich wieder abgeschafft. Die Regelung hätte nämlich zu viele Stellen in der Pflege ergeben, und man hat nicht gewusst, wie man sie finanzieren kann. Es gab also mit PPR ein System, das heute nicht mehr gilt. Zu Kalkulationszwecken, das kann ich Ihnen sagen, rechnet man in den Krankenhäusern PPR-Wert minus 30 Prozent, und dann ist man beim heutigen Personalschlüssel.

Die Pflegepersonalbemessung setzt, wenn man man sie umsetzen will, einen Stationsstamm, wenn Sie so wollen, eine durchschnittliche Zahl von Pflegekräften voraus, und sie erfordert einen großen Springerpool, und zwar mit besser Vergütung, der dann die jeweiligen auf den Stationen auftretenden aktuellen Bedürfnisse von Patienten - sie wechseln ja, und sie haben unterschiedliche Krankheiten - befriedigen kann.

Stadtbürgerschaft 3555 47. Sitzung/23.08.17

Diese Systeme gibt es. Die Pflegewissenschaften haben diese Systeme ausgearbeitet, und man könnte sie anwenden, wenn man wollte.

Die Pflegepersonalbemessung, das haben wir von der Charité in Berlin gelernt, funktioniert nur dann, wenn Zuwiderhandlungen sanktioniert werden. Man muss sich also gesetzlich ausdenken, was passiert, wenn ein Träger oder die öffentliche Hand das Personal, das eigentlich nach der Personalbemessung auf der Station oder in den Altenheimen vorhanden sein müsste, nicht zur Verfügung stellt. Darauf muss man eine Antwort finden. Ich selbst habe auch noch keine endgültige Antwort, wir müssen über die Situation noch nachdenken.

Die Forderung der Grünen, den Pflegevorsorgefonds in einen Pflegepersonalfonds umzuwandeln, unterstützen wir als LINKE, weil wir sagen, das ist zumindest eine Übergangslösung, mit der etwa 38 000 Stellen in der Altenpflege geschaffen werden könnten. Das ist ein Weg.

Bei alledem sage ich jetzt noch einmal, derjenige, der den Pflegenotstand bekämpfen will, der muss die Pflegeberufe aufwerten. Anders wird es nicht gehen, denn für die Pflege finden wir ansonsten niemanden mehr.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grü- nen)

Meine Damen und Herren, diese Aufwertung muss durch eine bessere Bezahlung durch bessere Arbeitsbedingungen und durch zusätzliches Personal erfolgen. Ich sage auch ganz deutlich, wenn die Politik nach dem Wahltag nichts unternimmt, dann werden die Beschäftigten einen gewerkschaftlichen Kampf um eine tarifliche Personalbemessung führen, und zwar im Häuserkampf, das heißt, Krankenhaus für Krankenhaus, Altenheim für Altenheim. Es muss einfach klar sein: keine Nacht allein - Frau Kappert-Gonther hat es erwähnt -, Personalbemessung jetzt, mehr von uns, ist besser für alle. Das Logo der Berliner Charité wird uns gemeinsam in den Kampf führen.

(Beifall DIE LINKE)

Lassen Sie mich noch zwei Merkpunkte sagen, die ich wichtig finde. Eine bessere Bezahlung! Eine bessere Bezahlung heißt aber nicht ausschließlich immer mehr Gehalt. Eine bessere Bezahlung könnte auch Folgendes bedeuten: eine umfangreichere Mitbestimmung auf den Stationen und im Betrieb, eine geregelte und verlässliche Dienstplangestaltung, also Lebensplanung, eine Gesundheitsvorsorge über Betriebssport, Studios, ein Recht auf Fort- und

Weiterbildung, die tatsächliche Vereinbarkeit von Beruf und Familie, das Recht auf Arbeitszeitgestaltung sowie das gesicherte Einsteigen und der gesicherte Ausstieg bei Teilzeit und Vollzeit sowie umgekehrt. Das kostet zwar alles Geld, aber es bedeute nicht immer ein besseres Gehalt, sondern es bedeutet, die Arbeitsbedingungen und die Lebensbedingungen der Pflegenden zu verbessern, damit Menschen in die Pflege zurückkommen und die Ausbildung wählen.

(Beifall DIE LINKE)

Zuletzt: Es stellt sich immer die große Frage, wer das bezahlen soll. Wir sind der Meinung, dass es weder ökonomisch noch zeitgemäß ist, dass man sich einen ganzen Dschungel von Krankenkassen, von privaten Krankenkassen und Betriebskrankenkassen leistet, die auch noch teilweise gegeneinander arbeiten, aber nicht miteinander zum Wohle der Patienten. Wir benötigen - und da sind wir uns, das muss man als LINKE so sagen, mit den Grünen einig - eine Kasse, in die alle einzahlen, und zwar alle Einkommensarten.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90 die Grünen)

Wir brauchen eine solidarische Bürgerversicherung und solidarische Gesundheitsgesetze. Das ist auf jeden Fall nötig. Es kann nicht sein, dass Gewinne aus Vermietung und Verpachtung, dass Gewinne aus Aktiengeschäften und aus Unternehmen nicht zur Finanzierung des Gesundheitswesens herangezogen werden. Es kann auch nicht sein, dass Selbstständige und Beamte nicht in diese eine Versicherung einzahlen. Das müssen wir ändern, eine Versicherung für alle.

(Beifall DIE LINKE)

Zum Schluss meiner Ausführungen sage ich noch einmal ganz klar, und das sollte man sich immer vor Augen führen: Gesundheit ist auch immer eine Frage der Gerechtigkeit, der sozialen Gerechtigkeit, denn die Besserverdienenden, die Reichen in dieser Gesellschaft werden mit ihrem Geld für sich und ihre Angehörigen immer eine gute Gesundheitsversorgung organisieren können. Die zeitweise arbeitslose alleinerziehende Mutter in Gröpelingen oder in Lüssum wird nach der Statistik zwei Jahre früher sterben, als die in Schwachhausen. - Danke!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Grönert.

Stadtbürgerschaft 3556 47. Sitzung/23.08.17

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Juni haben wir hier auf Antrag der CDU-Fraktion debattiert, ob Menschen mit Demenz in Bremer Pflegeeinrichtungen optimale Bedingungen vorfinden. Im September werden wir wohl über die Neuausrichtung des Bremer Wohn- und Betreuungsaufsichtsgesetzes - im allgemeinen Sprachgebrauch, das Heimgesetz - debattieren, über dessen Mängel wir uns aber bereits seit Monaten in Bremen die Köpfe heiß reden.

Kurz danach steht der Antrag der CDU-Fraktion auf einen neu aufzustellenden Alten- oder Seniorenplan auf der Tagesordnung. Weil das alles noch nicht reicht, findet heute noch - ja, wohl auch, weil bald die Wahlen sind und Frau Kappert-Gonther für den Bundestag kandidiert - noch diese Aktuelle Stunde statt. Alle Redner sprechen sich natürlich für eine menschenwürdige Pflege aus und loben den Einsatz der Pflegekräfte, die in ihrer Arbeit oft an ihre Grenzen kommen. Ich werde in dieser Debatte meinen Blick maßgeblich auf die Altenpflege richten und die Krankenhäuser eher allgemein einschließen.

Wir alle wollen, dass pflegebedürftige Menschen liebevoll versorgt und betreut werden und dass Pflegekräfte ihre Arbeit wieder mit Freude machen können. Wir alle sind auch davon überzeugt, dass sich dafür die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern müssen, dass in der Pflege arbeitende Menschen mehr Anerkennung benötigen und dass es in der Zahl ausreichendes und auch angemessen bezahltes Personal geben muss. Doch, wie kann man das erreichen?

Frau Kappert-Gonther hat neulich gesagt, dass sie dafür den Pflegevorsorgefonds des Bundes, der zukünftig notwendig werdende Erhöhungen in der Pflegeversicherung abfedern soll, in einen Pflegepersonalfonds umwandeln möchte. Die Einrichtungen könnten dann quer durch das Land sofort zusätzliches Personal einstellen. Allerdings würde das wohl ohne Rücksicht auf die regionalen Unterschiede geschehen, und im Gegenzug müssten dann auch alle Bürger wesentlich mehr als heute in die Pflegeversicherung einzahlen.

Könnte das wirklich die Lösung sein? Warum haben Sie Ihre Forderung heute nicht wiederholt, Frau Kappert-Gonther? Die Hoffnung ist natürlich, dass durch mehr und vielleicht auch besser bezahltes Personal sozusagen selbst regulierend auch bessere Arbeitsbedingungen entstehen. Nach unserer Überzeugung lassen sich die jetzigen großen Probleme aber nicht mehr so einfach lösen.

Ja, wir benötigen mehr Personal in der Pflege, doch das kann man doch heute auf dem Markt schon nicht mehr bekommen. Das ist vorrangig keine Frage von mehr Geld. Wenn man mit mehr Geld jemanden anwirbt, dann wird er anderswo ganz sicher eine schmerzhafte Lücke hinterlassen. Die Altenpflege wird ohne motivierte Menschen, die sich für diesen Beruf entscheiden, nicht funktionieren. Obwohl wir das alle wissen, wird jungen Menschen zurzeit in der Familie und im Freundeskreis eher vehement von diesem Beruf abgeraten. Warum? Weil die Pflege einen schlechten Ruf hat!

Natürlich könnte man durch bessere Arbeitsbedingungen wieder mehr Menschen für diesen Beruf gewinnen. So könnte man auch diejenigen halten, die jetzt die Arbeit machen, und vielleicht könnte man sogar Pflegekräfte zurückgewinnen, die ihrer Arbeit wegen der schlechten Bedingungen aufgegeben haben. Wir stecken mit der Pflege bereits in einem riesigen Dilemma, das ich nicht mehr so einfach auflösen lässt.

Dabei beißt sich die Katze doch irgendwie stellenweise in den Schwanz, meine Damen und Herren. Wir brauchen eindeutig nicht nur mehr Geld - das würde andererseits natürlich auch nicht schaden -, sondern wir brauchen beispielsweise auch mehr Bewusstsein einiger Verantwortlicher dafür, dass die Pflegeeinrichtungen nicht dafür gedacht sind, möglichst hohe Gewinne zu erzielen. Trotzdem müssen die Anbieter natürlich unbestritten auch wirtschaftlich arbeiten können.

Ich glaube, es wäre sogar sinnvoll, wenn sich alle noch einmal, die mit der Pflege zu tun haben, zusammensetzen und abwägen, ob man die Pflege nicht vielleicht grundsätzlich ganz anders strukturieren muss, als wir das heute tun. Es gibt dazu Ideen, und man sollte auch immer bereit sein, neue Ideen zu entwickeln, wenn dadurch die Pflegearbeit wieder von Herzen getan werden könnte, wenn Gepflegte wieder mehr geachtet und natürlich auch gut versorgt werden würden.

(Beifall CDU)

Trotz solcher Denkansätze muss man aber das System, das wir jetzt haben, so gut wie möglich aufstellen. Die Bundesregierung hat auch in den letzten Jahren richtig viele positive und finanziell enorm unterfütterte Verbesserungen auf den Weg gebracht. Mit den drei Pflegestärkungsgesetzen und dem Pflegeberufsgesetz wurde die Pflege neu ausgerichtet. Die Leistungen wurden insgesamt um 20 Prozent erhöht. Dadurch stehen jetzt jährlich fünf Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung.

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Das Gesetz befindet sich jetzt quasi noch in der Umsetzung und muss sich beweisen, aber es sind bereits Schritte erkennbar, denn im ersten Quartal 2017 kamen auf 80 000 Menschen mehr als sonst Leistungen aus der Pflegeversicherung.

Die Pflegeheime! konnten seit 2015 quer durch Deutschland über 20 000 zusätzliche Betreuungskräfte einstellen. Demenzpatienten bekommen jetzt durch die Veränderung der drei Pflegestufen in fünf Pflegegrade endlich mehr Geld aus der Pflegeversicherung. Ich könnte das jetzt noch eine Weile so fortführen.

Es stellt sich jedoch auch die Frage, was hier in Bremen bewegt wird. Werden zum Beispiel die Chancen auf die Verbesserung durch die Neuausrichtung unseres Heimgesetzes ausreichend genutzt? Es gibt darin, sogar unbestritten, gute Ansätze. Leider bleiben sie jedoch fast alle in den Kinderschuhen stecken. Es sollten zum Beispiel für alle Einrichtungen Gewaltschutzkonzepte erarbeitet werden. Das ist sehr gut. Es gibt jedoch keinen Hinweis, wann diese Konzepte fertig sein sollen, und das ist enttäuschend.

Bewohner im betreuten Wohnen sollen zukünftig regelmäßig vom Haus kontaktiert werden, damit sich nicht das wiederholt, was vor ungefähr drei Jahren stattgefunden hat, als eine Bewohnerin tagelang unbemerkt in ihrer eigentlich betreuten Wohnung gelegen hat. Es ist ein guter Ansatz, dass jetzt eine regelmäßige Kontaktaufnahme angeboten werden soll, doch ihre grüne Sozialsenatorin, Frau Kappert-Gonther, will nicht definieren, was „regelmäßig“ in der Praxis bedeuten soll. Warum schreibt sie nicht einfach das Wort täglich in das Gesetz? Natürlich kann man den Bewohnern die Kontaktaufnahme nicht aufzwingen, sondern lediglich anbieten.

Solche Punkte stellen uns nicht zufrieden, denn Bewohner, die immer schwächer und orientierungsloser werden, haben nicht mehr wie früher die Kraft, eigenständig für ihre Rechte zu kämpfen. Ich will jetzt auch nicht mehr auflisten, da dieses Thema, wie ich es verstanden habe, für September ohnehin auf der Tagesordnung steht. Meine Damen und Herren, mit halbherzigen Verbesserungen wird man nicht viel verbessern können.

(Beifall CDU)

Große Diskussionen finden auch zur Personalquote für die Nacht statt - das wurde eben gerade ja schon angesprochen-, die in Bremen weiterhin bei eins zu fünfzig festgeschrieben werden soll. So hatte es die Sozialdeputation

mehrheitlich beschlossen. Wir haben uns dagegen ausgesprochen. Wenn es aber tatsächlich so ist, wie es die Senatoren behauptet, dass die meisten Einrichtungen schon von sich aus mit eins zu vierzig arbeiten, dann wäre es doch ein Kleines, wenigstens das in das Gesetz zu schreiben. Die Beschäftigten in der Pflege, die pflegebedürftigen Menschen und auch ihre Angehörigen benötigen dringend sichtbare Zeichen, dass sich, und wenn auch nur in ganz kleinen Schritten, etwas verbessern wird.

Frau Kappert-Gonther, zu all diesen Diskussionen haben Sie sich in den letzten Monaten nie geäußert. Sie haben lediglich heute einige Sätze dazu gesagt.

(Abg. Frau Dr. Kappert-Gonther [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist auch nicht richtig! Es gab auch noch Anhörungen! - Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Es gab ei- nen Parteitag dazu!)

Hier hätten Sie sich aber direkt doch schon längst vor Ihrer Haustür für Verbesserungen für Bremer Heimbewohner einsetzen können.

(Beifall CDU)

Es gibt bereits Bundesländer, in denen die Personalquote in den Pflegeeinrichtungen höher ist als in Bremen, gerade auch für die Nacht. Ich finde, es lohnt sich, dafür zu kämpfen, dass sich in Bremen etwas bewegt. Warum sollen wir denn auch noch im Pflegebereich zum Beispiel weit hinter Bayern zurückliegen?

Ja, ich bin dankbar, dass die Grünen in den letzten Jahren in Bremen die Zahl der Ausbildungsplätze erhöht haben, doch der Einsatz für Verbesserungen muss mit dem Leben Schritt halten. Es ist doch kein Geheimnis, dass die Menschen, die in ein Pflegeheim ziehen, zunehmend gebrechlicher als vor einigen Jahren sind. Sie sind älter, sie leiden häufiger an Demenz und an anderen Erkrankungen. Die Verweildauer ist deswegen auch pflegeintensiver und mit im Schnitt unter zwei Jahren auch deutlich kürzer als früher. Das hat starke Auswirkungen auf die Arbeit der Pflegekräfte, doch die Personalquote ist in Bremen, und zwar nicht nur nachts, schon seit weit über zehn Jahren dieselbe. Wo ist und war hier Ihre Stimme, Frau Kappert-Gonther?

(Beifall CDU)

Die Pflege ist auch ein Thema, das auf zwei Ebenen, auf jeden Fall nicht nur auf Bundesebene, bewegt wird. Der Einsatz für eine bessere Pflege fängt dort an, wo man Einfluss darauf hat. Den haben Sie hier in Bremen bislang

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nicht gezeigt. Was werden Sie uns zu diesen Fragen im September sagen, wenn das Wohn- und Betreuungsaufsichtsgesetz debattiert wird? Oder werden Sie diese Debatte Ihren Kollegen überlassen?