Protokoll der Sitzung vom 23.08.2017

nicht gezeigt. Was werden Sie uns zu diesen Fragen im September sagen, wenn das Wohn- und Betreuungsaufsichtsgesetz debattiert wird? Oder werden Sie diese Debatte Ihren Kollegen überlassen?

Es ist so schnell gesagt, dass es mit dem Dreiklang aus besseren Arbeitsbedingungen, besserer Bezahlung und höherer gesellschaftlicher Anerkennung gelingen kann, den Pflegenotstand abzuwenden oder vielleicht wieder umzukehren. Wir benötigen aber auch konkrete Schritte, und deshalb verstehe ich nicht, wie Sie mit dem Entwurf des Bremer Heimgesetzes zufrieden sein können.

Zum Schluss möchte ich noch einige Sätze an die Investoren in der Pflege richten. Warten Sie doch nicht auf Gesetze, sondern tun Sie eigeninitiative mehr für das Arbeitsklima in Ihren Einrichtungen, damit Ihre Mitarbeiter die Arbeit motiviert machen können. Es zahlt sich am Ende für alle aus, denn die Bewohner und ihre Angehörigen werden kostenfrei positive Werbung für Ihr Haus machen. Die Pflege ist kein Betrieb wie jeder andere. Die Pflege soll und muss meiner Meinung nach eine Herzensangelegenheit sein.

(Beifall CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Möhle.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einmal sagen, ja, es ist Wahlkampf, und ja, ich finde, auch im Wahlkampf ist es möglich, solche Fragen zu diskutieren. Ich halte es für ganz absurd, jetzt den Vorwurf zu erheben, Frau Kappert-Gonther nimmt Stellung, weil sie kandidiert. Im Gegenteil, ich freue mich, wenn sie ihre Position darstellt, denn das machen andere Parteien auch, und in der Pflege gibt es eine Menge zu diskutieren.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Lassen Sie schlicht einmal den Unsinn weg, dass Kandidaten hier nicht mehr zu inhaltlichen Fragen Stellung nehmen dürfen. Das wäre eine Umkehrung dessen, und das geht gar nicht!

(Abg. Röwekamp [CDU]: Wenn sie nur reden, weil sie Kandidaten sind, ist es etwas anderes! - Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das kann man Frau Kappert-Gonther nicht vorwerfen!)

Der zweite Punkt ist, dass aus meiner Sicht die Pflege eine der größten sozialpolitischen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft ist. Ich glaube, dass es eines der schwierigsten

Themen überhaupt ist, weil es extrem sensibel, extrem angstbesetzt ist. Wenn man einmal selbst darüber nachdenkt, ob man selbst in ein Altenpflegeheim gehen möchte, dann wird man ganz schnell merken, dass man selbst sehr viele Vorbehalte hat, dass man sehr viel Angst davor hat, denn es ist ja auch die Angst vor dem Tod ist. Altenpflegeheime sind in der Regel die Vorstufe zum Sterben. Das ist so. Das ist angstbesetzt, und deswegen ist es eine ganz schwierige und - wie ich finde - eine ganz sensible Debatte. Man sollte sie auch ganz sensibel führen.

Wir haben schon einiges gehört. Ich glaube, dass gerade der große Anteil der Angehörigen, die ihre Verwandten selbst pflegen, sehr alleingelassen wird.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich habe vor denjenigen, die die Pflege wahrnehmen, einen großen Respekt. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das immer die richtige Entscheidung ist, und zwar sowohl für denjenigen, der zu pflegen ist, als auch für diejenigen, die pflegen. Eine Unterstützung ist allemal notwendig, im Übrigen auch eine finanzielle Unterstützung, damit sie sich Hilfe „dazukaufen“ können. Das ist ganz entscheidend.

(Beifall SPD)

Der dritte Punkt ist, dass wir immer darüber reden, dass die Pflege einen schlechten Ruf hat. Wir tun aber ganz wenig gegen diesen Ruf- auch heute in den Reden hier im Plenum nicht - und wir sollten einmal den Respekt für diejenigen ausdrücken, die den Beruf ausüben. Man kann natürlich sagen, dass es manchmal hier und da Gewalt und Schwierigkeiten gibt. Das wird dann hier ganz schnell zum Thema. Das wird dann über die Medien verbreitet. Die Altenpflege ist das Thema, und zwar immer nur dann, wenn es eine Katastrophe gegeben hat. Ich will Katastrophen nicht schönreden, ganz im Gegenteil, ich glaube, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Das muss auch bis zum Lebensende gelten. Das muss auch in den Heimen gelten, und das muss auch in den Heimen sichergestellt werden.

Dafür ist die Heimaufsicht zuständig. Sie übt die Kontrolle aus. Aus meiner Sicht würde ich sofort sagen, sie muss verbessert und gestärkt werden. Das ändert aber nichts daran, dass es unzählig viele Menschen gibt, die den Beruf ausüben, die ihn gut ausüben und die ihn mit Herzblut ausüben.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Stadtbürgerschaft 3559 47. Sitzung/23.08.17

Vor diesen Menschen möchte ich meinen großen Respekt und ein großes Dankeschön aussprechen! Anschließend kann man über die Probleme reden.

Ein Problem ist in der Tat der Personalschlüssel. Es ist mehr Personal notwendig. Es ist aber auch notwendig, das zusätzlich ausgebildet wird, denn - das hat Frau Kappert-Gonther auch schon gesagt - Personal steht zurzeit gar nicht zur Verfügung. Es macht doch überhaupt keinen Sinn, Frau Grönert, jetzt einen Personalschlüssel aufzustellen, wenn wir schon im Vorfeld wissen, dass er überhaupt nicht realisierbar ist. Im Augenblick können wir den dann aufstellen Personalschlüssel nicht umsetzen, weil wir das Personal am Markt gar nicht finden. Man bringt dann lediglich die Anbieter in die missliche Situation, dass sie verpflichtet sind, etwas zu tun, was sie gar nicht tun können. Deswegen muss man das langfristig und sorgfältig vorbereiten.

Wir werden - und das ist ja auch zum Bereich Ausbildung ausgeführt worden - natürlich nachlegen. Es muss viel passieren.

Lassen Sie mich noch einmal zu einem anderen Gesichtspunkt kommen. Ich habe auf der IRMA-Messe gesehen, dass es sehr viele Mobilitätshilfsmittel und Pflegehilfsmittel gibt, die im Augenblick vergleichsweise noch sehr teuer sind. Ich glaube, wenn wir ein Augenmerk darauflegen, dass wir uns die technischen und die wissenschaftlichen Möglichkeiten für die Pflege zu Nutze machen, dass dann der Beruf deutlich einfacher wird.

(Beifall SPD)

Die Menschen müssen dann nicht mehr mit Körperkraft gehoben werden. Mittlerweile gibt es sehr, sehr gute elektronische Geräte, die helfen können. Sie können helfen, diesen Beruf leichter zu machen.

Natürlich ist das Ansinnen sauber, trocken und satt - wie Sie es bereits gesagt haben, Frau Kappert-Gonther - nicht ausreichend. Wenn man diese Hilfsmittel einsetzen kann, dann hat man vielleicht die Gelegenheit, das eine oder andere zuwendende Gespräch zu führen, denn oftmals ist hierfür in der Pflege überhaupt keine Zeit vorhanden, weil man das Grundlegende erledigen muss, beispielsweise die Medikamentenvergabe und die ordnungsgemäße Dokumentation. Das ist ja mit einem Riesenaufwand verbunden, und dann ist die Zeit, um mit den zu pflegenden Menschen ein liebevolles Gespräch führen zu können, nicht vorhanden.

Wir müssen dafür sorgen, dass diese Zeit als ganz wichtige Zeit angesehen wird, und wir müssen dafür sorgen, dass das zukünftig möglich ist.

(Beifall SPD)

Aus meiner Sicht ist ein ganz elementarer Punkt, insbesondere für den Bereich der Altenheimversorgung, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob die Altenheime zu sehr abgeschottet sind. Wir haben gesagt - und das ist in dem Heimgesetz auch festgeschrieben -, wir wollen, dass sich die Altenheime in den Sozialraum hinein öffnen. Das hört sich irgendwie ein bisschen sperrig an, es bedeutet aber nichts anderes, als dass man einfach einmal in ein Heim hineingehen kann und dass man mit den Menschen in dem Heim reden kann. Es gibt Heime, die bereits einen Mittagstisch für Außenstehende anbieten. Man kann unangemeldet in die Heime gehen, und man kann dort zusammen mit den Heimbewohnern für vier Euro sein Mittagessen einnehmen. Es gibt Aktionen in den Stadtteilen, an denen sich die Heime beteiligen sollten. Die Heimbewohner sollten an diesen Aktionen teilnehmen.

Das waren einige Beispiele für den sperrigen Begriff „in den Sozialraum hinein öffnen“. Darauf lege ich ganz besonderen Wert, denn auch die Frage der Kontrolle ist immer davon abhängig, wie abgeschottet ein Heim ist, und wie transparent sich eine Einrichtung für die Bürger darstellt. Man muss einfach vor Ort sehen, wenn irgendetwas nicht stimmt.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Mein letzter Punkt ist mir relativ wichtig. Es gibt deutlich viele Menschen, die sich darüber beschweren, dass ihre Angehörigen nicht gut behandelt worden sind. Auf der Veranstaltung, die gestern stattgefunden hat und schon angesprochen worden ist, waren sehr viele Menschen, die sich genau darüber beschwert haben. Es ist ganz oft auch so - und das muss man, finde ich, auch bedenken -, dass diejenigen, die ihre Eltern in einem Pflegeheim durch den Tod verloren haben, sich zum einen in einer schweren Trauer befinden und zum anderen manchmal traumatisiert sind.

Man muss sorgfältig darüber nachdenken, in welchen Bereichen etwas nicht richtig läuft und in welchen Bereichen es zu Beschwerden kommt, weil man sehr traurig ist und weil man mit der Tatsache, die passiert ist, nicht umgehen kann. Nicht alle Beschwerden weisen darauf hin, dass die Pflege nicht in Ordnung gewesen ist, trotzdem müssen sie sorgfältig geprüft werden.

Stadtbürgerschaft 3560 47. Sitzung/23.08.17

Ich habe es schon gesagt, die Kontrolle, die Heimaufsicht, ist als ein ganz zentraler Punkt anzusehen. Es muss möglich sein, dass sich Angehörige beschweren, ohne Angst davor haben zu müssen, dass ihre Familienangehörigen hinterher schlechter in dem Heim behandelt werden. Diese Angst hält Menschen davor ab, sich zu beschweren, wenn sie etwas nicht in Ordnung finden. Ich finde, das ist schlecht.

Es muss ein offenes Beschwerdemanagement installiert werden. Das kann dann auch dazu führen, dass Verbesserungen in einem kleinen Maßstab hergestellt werden. Für mich lautet die Devise: Die Würde des Menschen ist unantastbar, und zwar auch in den Heimen und im hohen Alter. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Buhlert

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir reden über einen Pflegenotstand. Der Pflegenotstand ist nicht irgendetwas, das droht, sondern ist etwas, in dem wir uns befinden. Man könnte auch sagen: Die Pflege ist inzwischen selbst ein Pflegefall.

(Beifall FDP)

Wenn wir den Pflegenotstand diskutieren, dann müssen wir uns überlegen, wie wir Wege aus diesem Pflegenotstand finden. Das ist entscheidend, denn wir befinden uns in einer Situation, in der es in Deutschland fast 3 Millionen Menschen gibt, die pflegebedürftig sind. Etliche von ihnen werden zu Hause gepflegt. Ich muss sagen, dass das gut und anerkennenswert ist, denn die meisten Menschen, die ich kenne, sagen mir - so ist es in der Familie, aber auch ansonsten, wenn ich mit anderen rede -, ich wünsche mir, möglichst lange zu Hause bleiben zu können. Ich möchte möglichst lange in dem vertrauten Bereich mit den vertrauten Menschen bleiben. Das wird möglich gemacht, und ich sehe Menschen, die sich sehr aufopfern, die sich um ihre Angehörigen kümmern, damit sie zu Hause bleiben können.

Sie überfordern sich jedoch mit der Pflege, und sie überfordern damit häufig auch die Gepflegten. Sie benötigen Unterstützung, und dafür gibt es die ambulante Unterstützung. Die Anerkennung und die Finanzierung dieses Bereichs sind sehr mangelhaft. Ich glaube, dort muss auch etwas getan werden. Wenn wir das als gesellschaftlichen Wunsch identifizieren, dann muss

das auch entsprechend mit Geld unterlegt werden, das die pflegenden Angehörigen bekommen. Das ist dann lange noch nicht mit den Kosten vergleichbar, die für die ambulante und stationäre Pflege entstehen. Im Moment ist es ja so, dass man die Pflege durch Angehörige als Selbstausbeutung bezeichnen muss. Das kann und darf nicht so bleiben.

(Beifall FDP)

Es ist zu Recht angesprochen worden, dass wir zu wenig Menschen haben, die in der Pflege tätig sein wollen. Wir müssen dann doch genau überlegen, wie man das machen kann. Das Stichwort Ausbildungskapazitäten ist angesprochen worden. Sie sind erhöht worden, aber meiner Meinung nach nicht ausreichend.

Die Einbettung des Pflegeberufs in die duale Ausbildung ist ein weiteres zu lösendes Problem. Gleiches gilt für die modular spezialisierte Ausbildung für die integrative Pflege, damit jeder entscheiden kann, in welchem Pflegebereich er tätig werden will. Das macht den Pflegeberuf attraktiver und den Einsatz der Menschen flexibler. Es garantiert nicht, dass wir mehr Menschen gewinnen können, aber attraktiver macht es den Beruf allemal.

Auszubildende gewinnt man aber auch über eine attraktive Entlohnung. Bei der Entlohnung müssen wir wirklich darauf achten, dass die Entlohnung endlich der Qualifikation und der Verantwortung entspricht. Das ist lange nicht der Fall. Wir sind auch hier gefordert.

Wenn ich mir anschaue, wenn wir über Quoten und die Entlohnung reden, dass die Krankenkassen nach einer Meldung von heute Morgen einen Überschuss von einer Milliarde Euro erwirtschaftet haben und inzwischen über 16 bis 17 Millionen Euro Rücklagen verfügen,

(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Milliarden!)

- Milliarden! Entschuldigung, falsche Einheit! - eine Milliarde Überschuss im Jahr und 16 bis 17 Milliarden Rücklagen! Wenn das der Fall ist und wenn die Konsequenz ist, die die Krankenkassen daraus ziehen, die Beiträge nicht zu erhöhen, dann frage ich mich, ob das angesichts des Pflegenotstands die richtige Konsequenz ist, und ob nicht mehr Geld für die Pflege von den Krankenkassen gezahlt werden kann und auch muss.

(Beifall FDP)