Sehr geehrte Frau Präsidenten, meine Damen und Herren! Ich finde bezeichnend, dass die CDU-Fraktion heute einen Antrag vorlegt, der die geschlossene Unterbringung von kriminellen jugendlichen Flüchtlingen fordert, während die meisten in Deutschland – gerade auch auf Bundesebene und auch wir gestern hier in Bremen – diskutieren, wie wir die zu uns kommenden Flüchtlinge adäquat unterbringen und versorgen können. Ich überlege, warum Sie das gemacht haben. Ich werde den Verdacht nicht los, dass Sie mitbekommen haben, dass wir, was die Einschätzung und Bewertung der geschlossenen Unterbringung angeht, mit der SPD nicht immer ganz auf einer Linie sind. Ich kann Ihnen aber schon jetzt sagen, dass wir zu dem stehen, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Wir werden Ihren Antrag ablehnen. Das möchte ich gleich begründen.
Ganz ehrlich, ich finde die Überschrift des Antrages mehr als irritierend, die da lautet: „Robuste Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge schaffen – Jugendliche vor Kriminalität schützen!“ Meinen Sie allen Ernstes, dass Jugendliche vor Kriminalität geschützt werden, wenn man sie wegsperrt?
Meine Damen und Herren, Freiheitsentzug ist ein massiver Eingriff in ein Grundrecht. Das kann nach unserer Meinung nur die UItima Ratio sein.
(Beifall Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Mit Kampfbegriffen wird das auch nicht bes- ser!)
Frau Grönert, Sie haben gerade gesagt – ich habe mir das ganz genau gemerkt –, Freiheitsentzug sei ein wichtiger Baustein des Jugendhilfesystems. Es sei die letzte Chance für einen Neuanfang. Diese Einschätzung teilen wir überhaupt nicht, meine Damen und Herren!
Herr Möhle, robuste Einrichtungen schützen meines Erachtens nicht davor oder verhindern nicht per se, dass Menschen hinterher in einem Strafvollzugssystem landen. Es ist ein Irrglaube, anzunehmen, robuste Einrichtungen würden Menschen davor schützen, eingesperrt zu werden. Ich glaube das nicht.
Ich möchte die Probleme, die diese Gruppe mit sich bringt, nicht schönreden, meine Damen und Herren, aber man muss sich vielleicht auch einmal die Zahlen ansehen. Worüber reden wir? Nach dem Bericht und den Zahlen, die die Staatsanwaltschaft vorlegt,
belief sich die Zahl der Täter im Juni 2015 auf 24. Die Zahl der Straftaten, die verübt worden sind, betrug 42. Man kann also nicht sagen, wie dies in Ihrem Antrag steht, dass Drogendelikte und kriminelle Handlungen an der Tagesordnung seien.
24 Täter im Vergleich zu den Tausenden von Flüchtlingen, die jeden Tag nach Deutschland kommen, im Vergleich zu den vielen Flüchtlingen, die zu uns nach Bremen kommen – das ist eine sehr geringe Anzahl. Ich finde es nicht richtig – das besagt die Überschrift und das ergibt sich aus dem Duktus Ihres Antrages –, dass eine solche Einrichtung, wenn sie denn errichtet wird, explizit nur für diese unbegleiteten Flüchtlinge eingefordert werden sollte. Für uns Grüne ist klar: Wenn eine solche Einrichtung kommt, dann für alle kriminellen Jugendlichen, und zwar egal welcher Herkunft, meine Damen und Herren!
Sie schreiben in Ihrem Antrag im Anschluss an die Passage, dass Raubüberfälle, Wohnungs- und Geschäftseinbrüche und so weiter an der Tagesordnung seien, eine weitere zeitliche Verschiebung der Schaffung dieser Einrichtung sei auch mit Blick auf die zunehmend negative Stimmung in der Bevölkerung nicht länger hinnehmbar. Erstens finde ich, dass solche Anträge zur negativen Stimmung beitragen.
Zweitens finde ich es nicht erträglich, dass damit im Grunde jeder unbegleitete minderjährige Flüchtling unter eine Art Generalverdacht gestellt wird, kriminell zu sein. Solche Anträge schüren Unsicherheit in der Bevölkerung. Ich finde, das ist verantwortungslos, meine Damen und Herren!
(Beifall Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Die Verweigerung der Realität bestimmt die Stimmung!)
Die Koalition plant seit Februar die Errichtung einer geschlossenen Einrichtung für auffällige unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Bremen. In Bremen ließ sich aber kein Träger finden, der eine solche Einrichtung unterhalten will, in Hamburg fand sich übrigens auch keiner. Die Bremer Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege lehnt eine solche Einrichtung in Bremen ab, wie übrigens auch eine ganze Vielzahl von Verbänden und Vereinen, wie zum Beispiel die Vereinigung Niedersächsischer und Bremer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger oder der Deutsche Kinderschutzbund.
Sie würden die Probleme nur für eine kurze Zeit wegschließen, denn Jugendliche dürfen nicht unbefristet weggeschlossen werden. Solche robusten Einrichtungen sind Ausdruck unserer Ohnmacht und Hilflosigkeit. Sie helfen nicht den Jugendlichen, sondern – das ist unsere Einschätzung – Sie verschlimmern eher noch deren Probleme. Sie radikalisieren sie. Sie nehmen ihnen eine Perspektive, die sie nach unserer Ansicht mit einem intensiv-sozialpädagogischen Einzelbetreuungsangebot oder mit sozialen Trainingskursen eher hätten.
Bei den Jugendlichen handelt es sich um eine sehr heterogene Gruppe. Für jeden Jugendlichen ist ein individuelles Konzept notwendig. Eine geschlossene Unterkunft kann aus unserer Sicht diesem Anspruch eigentlich nicht gerecht werden. Deswegen halten wir Grüne eine geschlossene Unterbringung nicht für eine glückliche Antwort auf die Problematik einer kleinen Anzahl von mehrfach und intensiv auffälligen Kindern und Jugendlichen. Man muss sich auch noch einmal den Hintergrund dieser Jugendlichen klar machen. Es handelt sich meistens um Straßenkinder. Sie kennen nur das Gesetz der Straße. Sie sind traumatisiert.
(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Das macht die Sache auch nicht besser! – Zuruf CDU: Dann haben die Opfer ein- fach Pech gehabt?)
Wir haben im Koalitionsvertrag geregelt, dass eine robuste Unterbringung nur die Ultima Ratio sein kann, aber – ich komme sofort zum Schluss, Frau Präsidentin – wo soll der Standort sein? Das Gelände der JVA Blockland ist offensichtlich nicht geeignet oder müsste für einen zweistelligen Millionenbetrag für 24 Jugendliche hergerichtet werden. Für eine kleine Gruppe würde eine millionenschwere Investition notwendig sein, nicht zu reden von den Folgekosten. Also kann doch nur eine Kooperation mit anderen Einrichtungen die Lösung sein. Die CDU fordert in ihrem Antrag gleich die Gründung eines Eigenbetriebes. Was für ein Bürokratiemonster! Außerdem müsste aus dem Haushalt dafür aufgekommen werden, wenn die Einrichtung nicht ausgelastet ist. Meine Damen und Herren von der CDU, das ist doch absurd. Aus diesen Gründen lehnen wir den Antrag ab. – Herzlichen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Bremen als Bundesland leistet sich in vielen Politikfeldern einen eigenen Weg. Wir sind ein eigenes Bundesland, und wir schaffen es auch immer wieder, in den verschiedensten Politik
feldern eine ganz herausragende Position in Vergleichsstatistiken einzunehmen. So gelingt uns das auch in der Kriminalitätsstatistik. Die Kriminalität in Bremen ist besonders hoch. Natürlich hat das auch damit zu tun, dass wir die Dinge anders handhaben als andere Bundesländer. Die Verurteilungsquote bei Straftätern, die einer Straftat überführt wurden, liegt in Bremen bei einem Drittel von dem, was im Bundesdurchschnitt üblich ist, weil Bremen lieber mit Auflagen als mit Strafen arbeitet. Den Erfolg dieser Politik kann jeder für sich bewerten. Wenn die CDU sagt, sie will Jugendliche vor Kriminalität schützen, so ist das kein Widerspruch, denn wenn man sich die Kriminalitätsstatistiken anschaut, stellt man fest, dass Jugendliche, junge Erwachsene und ganz besonders auch Kinder besonders häufig Opfer von Straftaten sind. Es ist nicht so, dass das Bild, das man im Kopf hat, dass jugendliche Straftäter im Wesentlichen Rentner überfallen oder andere Delikte begehen, im Vordergrund steht, sondern tatsächlich sind Jugendliche im ganz besonderen Maße Opfer von Straftaten, auch von Straßenkriminalität. Sie sind aber eben auch in einem besonderen Maße Tatverdächtige. Im Jahr 2014 waren nach der Kriminalitätsstatistik des Landes Bremen ungefähr ein Viertel aller Tatverdächtigen Minderjährige und junge Heranwachsende. Innerhalb dieser Gruppe – auch das darf man nicht vergessen – haben die sogenannten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge einen besonderen Anteil. 30 Prozent aller Straftaten, die in dieser Altersgruppe begangen worden sind, werden den sogenannten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zugerechnet. Warum nenne ich sie „sogenannt“? Es gibt Länder, wie zum Beispiel Hamburg, die sehr viel Mühe darauf verwenden, um zunächst einmal zu schauen, ob diejenigen, die zu uns kommen, unseren Vertrauensvorschuss in Anspruch nehmen und uns erzählen, sie sind minderjährig, wirklich minderjährig sind. Hamburg hat ein sehr aufwendiges Altersfeststellungsverfahren, das den Vorgaben der EU folgt.
Die letzte Vergleichszahl aus Hamburg besagte, dass nur 44 Prozent derer, die als sogenannte unbegleitete Minderjährige nach Hamburg kamen, tatsächlich minderjährig waren. 56 Prozent waren das nicht. Ich weiß, dass Bremen das nicht so handhabt. Das mag ein Grund sein, warum so viele sogenannte minderjährige Flüchtlinge ganz besonders gern nach Bremen kommen und warum die Zahl dieser Leute in Bremen so vergleichsweise hoch ist, nämlich weil Bremen hier geradezu ein paradiesisches Laisser-faire verfolgt.
(Abg. Tschöpe [SPD]: Deshalb hat Hamburg auch je- des Verfahren in der Altersfeststellung verloren! Ein bisschen informiert, wäre nicht schlecht, Herr Kol- lege!)
Wir wissen, dass sogenannte minderjährige Flüchtlinge schon im Alter jenseits von 30 Jahren aus ihren Betreuungen herausgenommen worden sind.
Wir unterstützen den Antrag der CDU nach einer robusten Unterbringung und fordern darüber hinaus, dass Bremen seiner Sorgfaltspflicht gerecht wird und prüft, ob die Angaben derjenigen, die zu uns kommen und um Schutz bitten, auch der Wahrheit entsprechen. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Mir ist doch aufgefallen, dass die meisten Redner und Rednerinnen, die gesprochen haben, ihre Rede vielleicht zu Hause gut vorbereitet und sich gefragt haben, was man denn hier heute kundtun könnte. Aber vielleicht hätten Sie dem zuhören können, was ich in der Debatte gesagt habe.
Dann hätte man manches vielleicht ein bisschen anders sagen können und nicht einfach das vorgetragen, worauf man sich vorher eingestellt hatte.
(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Dann müssen Sie an- dere Anträge stellen! Oder haben Sie Ihren Antrag nicht gelesen?)
Herr Zenner hat gesagt, dass, wenn man Jugendliche in eine geschlossene Einrichtung schicken würde, man das natürlich nur mit der Entscheidung eines Richters machen könne und dass ihm das gefehlt habe.
Wir haben vorausgesetzt, dass es in Deutschland überhaupt nicht möglich ist, einen Jugendlichen ohne familiengerichtlichen Beschluss einzusperren. Es ist ja Quatsch, davon auszugehen, dass man willkürlich Jugendliche einsperrt.
(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Dann hätte ich Sie auf einen rechtlichen Irrtum in der Debatte hinweisen können!)
Frau Leonidakis hat eben geredet. Sie haben gesagt, dass es keine Fälle mehr gebe. Dazu würde ich glatt sagen, dass das Quatsch ist. Nur weil die Medien über die Fälle, die es gibt, nicht mehr berichten,
ist es doch nicht so, dass es die Fälle nicht mehr gibt. Dass die Zahlen nicht mehr so sind, wie sie im Februar/März waren, ist auch mir klar.