Protokoll der Sitzung vom 21.09.2017

Man kann die Fußfessel als Mosaiksteinchen einführen. Man darf jedoch nicht glauben, dass dann die 300, 400 oder 500 Personen, die wir in Bremen als Gefährder aus der salafistischen Szene identifiziert haben, alle mit einer Fußfessel herumlaufen. Diese Vorstellung dürfen wir der Bevölkerung nicht suggerieren. Dennoch ist die Fußfessel ein richtiger Mosaikstein, und wir finden sie in Ordnung.

Von der Schleierfahndung halten wir gar nichts. Wir haben sie schon vor einigen Monaten hier debattiert. Wir halten sie für verfassungsrechtlich bedenklich. Sie ist für den Grenzverkehr, für internationale Einrichtungen, Flughäfen, Bahnhöfe und für den Straßenverkehr, der internationalen Bezug hat, eingerichtet worden. Wir halten ihre Einführung für überzogen. Den Bahnhof und den Flughafen kann auch die Bundespolizei absichern. Wir halten es für vernünftig, entsprechende Kontakte herzustellen. Wir haben

die Möglichkeit, besondere Kontrollorte, die eine Kriminalitätsaffinität haben, auszuweisen. Man kann dann immer schauen - und das kann man prüfen -, ob sich Aktivitäten verlagert haben. Das sollten wir in den Fokus dieser Betrachtung nehmen. Also letztlich ein Nein zur Schleierfahndung!

(Glocke - Abg. Frau Leonidakis [DIE LINKE]: Wofür steht das „F“ bei der FDP noch einmal? - Glocke)

Ich werde abgeklingelt, dann melde ich mich noch einmal, aber einen Satz möchte ich noch sagen!

Die Videoüberwachung kann man durchführen, aber vorsichtig. Es geht bei der Videoüberwachung auch um Bürgerrechte. Es muss nicht jeder beobachtet werden, wann er über den Marktplatz geht, und wann man am Samstagvormittag zum Einkaufen geht. Wir benötigen keine flächendeckende Videoüberwachung. Sie wird flächendeckend auch gar nichts hervorbringen. Wenn wir die Videoüberwachung einführen, dann ist es wichtig, dass wir über eine exzellente Technik verfügen, die wirklich etwas Brauchbares liefert, dass die Auswertung funktioniert und dass entsprechendes Personal zur Verfügung steht.

(Glocke)

Die Aufnahmen der Videoüberwachung müssen schnell ausgewertet werden, sodass schnell gehandelt werden kann. Weiteres im nächsten Beitrag! - Danke schön!

(Beifall FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Vogt.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Anschläge in Europa und auch der Anschlag in Berlin haben Debatten in Deutschland beeinflusst. Ich kann mich daran erinnern, dass wir in der letzten Legislaturperiode angesichts des furchtbaren Anschlags auf die Redaktion von Charlie Hebdo hier einen gemeinsamen Entschließungsantrag debattiert haben, bei dem wir auch festgehalten haben, dass wir nicht wollen, dass sich unsere Republik in Grundsätzen verändert, weil wir auch der Meinung waren, dass dann der Terrorismus gesiegt hat.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn man sich aber die Realität dieser Legislaturperiode anschaut - ganz ehrlich, ich hätte

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mein Redemanuskript aus der letzten, der vorletzten und der vorvorletzten Debatte einfach recyceln können -, dann ist gefühlt bei fast jeder Bürgerschaftssitzung ein halber Tag mit einer Debatte zur inneren Sicherheit, die eigentlich überhaupt nicht mehr zielgerichtet ist, verbracht worden.

(Beifall DIE LINKE)

Jetzt liegt ein CDU-Antrag aus dem Januar mit dem erbetenen Deputationsbericht vor. In diesem Antrag fordert die CDU die Einführung der elektronischen Fußfessel. Ich habe hier schon einmal erklärt, dass der Nutzen der elektronischen Fußfessel sehr begrenzt und dass der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte sehr hoch ist. Ich möchte noch einmal an einem Beispiel deutlich machen, warum der Nutzen sehr begrenzt ist.

Im Mai 2014 nahm ein per Fußfessel überwachter bekannter Salafist und Islamist im Flughafen Frankfurt einen Flug in die Türkei und reiste von dort nach Syrien aus, um sich dem IS anzuschließen. Die Behörden konnten dank der Fußfessel seine Bewegungen nachverfolgen, aber eingreifen konnten sie nicht. Ich sage daher, dass diese elektronische Fußfessel ein Placebo ist und dass sie Polizeibeamte an einer Stelle bindet, obwohl wir sie sinnvoller nutzen könnten.

(Beifall DIE LINKE)

Trotzdem - und das ist interessant und geht über diesen Antrag hinaus, die Verstärkungsmittel sind gestern bekannt geworden -, hat der Innensenator vorgestern zwölf neue Stellen für die Bereiche Fußfesseln und zusätzliche Telefonüberwachung genehmigt bekommen, obwohl für beide Maßnahmen im Moment gar keine rechtliche Grundlage vorhanden ist. Dieser CDU-Antragspunkt ist also von der Koalition schon weitgehend erledigt worden.

Die CDU fordert eine Ausweitung der Videoüberwachung. Ich habe auch hier meine Zweifel, ob sie überhaupt sinnvoll ist, denn sie bindet Polizeikräfte bei der Echtzeitüberwachung. Anis Amri grüßte nach seinem vollzogenen Anschlag auf dem Breitscheidplatz dreist in eine Überwachungskamera, weil er genau wusste, dass die Videoaufnahme überhaupt keine Auswirkung auf seine Verhaftung und Festnahme haben wird. Aber wie auch immer, der Senat hat vor, diesen CDU-Antragspunkt zu übernehmen. Er hat dafür vorsorglich auch schon einmal acht Stellen bei der Polizei bewilligt.

Man sieht also an diesem Beispiel, wenn man eine Debatte immer wieder aufwärmt -

und das ist in den letzten zwei Jahren passiert, denn Herr Kollege Hinners hat immer wieder das Gleiche beantragt -, dass die Beharrlichkeit wirkt. Ehrlich gesagt, von den Grünen hätte ich an der Stelle ein bisschen mehr Widerstand erwartet.

(Beifall DIE LINKE)

Außerdem fordert die CDU konkret eine Unterbringungshaft von bis zu zwei Wochen im Vorfeld einer möglichen Tat, also Präventivhaft. Das ist übrigens nach dem Bremischen Polizeigesetz mit einem Richtervorbehalt schon möglich, und zwar sogar ohne zeitliche Begrenzung. Das ist aus meiner Sicht sehr problematisch. Wenn demnächst das Polizeigesetz novelliert wird, dann bin ich auch dafür, dass eine zeitliche Begrenzung vorgesehen wird, zwei Wochen halte ich aber für zu lange.

(Beifall DIE LINKE)

Der letzte Punkt des CDU-Antrags ist allerdings der interessanteste. Zu diesem Punkt, der es wirklich in sich hat, hätte ich mir tatsächlich eine qualifizierte Auseinandersetzung, und zwar vielleicht auch erst einmal außerhalb dieses Plenarsaals, gewünscht. Wir müssen wirklich einmal darüber nachdenken, denn die CDU schlägt trotz Föderalismus vor, bestimmte Kompetenzen stärker zentral zu regeln, also auf der Bundesebene zu verankern.

Ich finde prinzipiell bundeseinheitliche Standards auch richtig, beispielsweise dann, wenn es um die Kategorisierung von mutmaßlichen Gefährdern geht. Wir finden es aber schwierig, Riesenbehörden zu bilden, beispielsweise ein Bundesamt für Bundesverfassungsschutz, in dem alle anderen Landesbehörden aufgehen. Der Föderalismus hat in Deutschland einen Hintergrund, nämlich die Erfahrungen aus der Nazizeit mit dem Reichssicherheitshauptamt und Ähnlichem.

(Beifall DIE LINKE)

Im Föderalismus vertreten die Länder im Übrigen gegenüber dem Bund ihre Interessen. Ich weiß, dass die rechte Seite diese Struktur hier gern aufweichen will. Wir führen hier einen Wahlkampf, der an dieser Stelle richtig widerlich ist.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Ich habe 70 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus die große Sorge, dass Ihre Saat aufgeht. Ich kann Ihnen versichern, dass sich

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zumindest in dieser Frage hier auch einige Demokratinnen und Demokraten entgegenstellen werden.

(Beifall DIE LINKE)

Ich komme noch einmal auf die Föderalismusdebatte im Konkreten zurück. Die Länder vertreten natürlich gegenüber dem Bund ihre eigenen Interessen. Im Übrigen weiß es auch die Bremer CDU, Herr Hinners, dass eine Zusammenlegung von Landeskompetenzen im Bund im Moment keine Mehrheit findet. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass der CSUInnenminister Herrmann beispielsweise die Kompetenzen des bayerischen Staatsschutzes an den BKA-Chef Münch, der Mitglied der SPD ist, übertragen will. Ich kann es mir nicht vorstellen, und bei anderen Ländern sieht es ähnlich aus.

(Glocke)

Deshalb finde ich die Föderalismusdiskussion im Moment hier, zumindest hier, ohne realen Bezug zu vorhandenen politischen Mehrheiten. Meine persönliche Meinung ist - und das sind meine letzten drei Sätze -, dass wir das ernsthaft diskutieren müssen, denn der Fall Anis Amri hat gezeigt, dass jemand unter dem Radar unterschiedlicher Landesbehörden und der Bundesbehörde BKA tatsächlich einfach agieren konnte. Es gibt gute Gründe für einen engeren Austausch. Vielleicht gibt es sogar gute Gründe dafür, bestimmte Aufgaben zentral zusammenzuführen, aber es gibt auch inhaltliche Gründe, die dagegensprechen. Ich würde es mir tatsächlich wünschen, diese Debatte in Ruhe führen zu können. Ich möchte nicht immer wieder einen Antrag nach dem anderen debattieren, mit denen man eigentlich nur Stimmungen bedient, ohne dem Problem wirklich nur ansatzweise näherzukommen.

(Beifall Die LINKE)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Fecker.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschland und Europa sind aufgrund ihrer offenen Gesellschaft durch Terrorismus verwundbar, das haben nicht zuletzt die Anschläge in mehreren europäischen Metropolen, unter anderem auch in Berlin, gezeigt. Unsere Bevölkerung erwartet zu Recht, dass der Staat dieser menschenverachtenden Brutalität des Terrors entschieden und wirkungsvoll entgegentritt.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Dieser ernsten Herausforderung stellen wir uns und halten es für zwingend erforderlich, dass sich Menschen im öffentlichen Raum sicher und frei bewegen können. Aber wir dürfen als Politik keine Ängste schüren, sondern müssen ruhig und sachlich die Dinge abarbeiten. Dabei ist Besonnenheit unsere Richtlinie und die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit unser Ziel, wir wollen unseren Rechtsstaat stärken, ohne damit die Freiheit einzuschränken. Vorschnelle und ungeprüfte Gesetzesverschärfungen mögen die rasche Schlagzeile garantieren, Sicherheit aber werden sie eben nicht garantieren. Deutschland hat schon jetzt starke Gesetze zur Gefahrenabwehr, und gerade im Fall des Attentats auf dem Breitscheidplatz war doch ziemlich deutlich, dass wir in erster Linie ein Problem der Umsetzung des bestehendes Rechts und ein Problem bei der Zusammenarbeit diverser Sicherheitsbehörden hatten, meine Damen und Herren!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Innensenator Mäurer hat ein Positionspapier ebenso vorgelegt, wie unsere grüne Bürgerschaftsfraktion. Die Koalitionsfraktionen haben daher einen gemeinsamen Antrag eingebracht, der die Leitlinien unserer Sicherheitspolitik beschreibt und etwas später in der Tagesordnung aufgerufen wird. Für uns Grüne stehen bei allen Veränderungen drei Fragen im Mittelpunkt, erstens, ist der Vorschlag wirksam, löst er tatsächlich ein Problem, oder ist er ein reines Placebo? Zweitens, ist der Vorschlag rechtsstaatlich, also mit den Grundsätzen unserer Verfassung vereinbar? Drittens, ist der Vorschlag verhältnismäßig, überwiegen also am Ende die Vorteile gegenüber den Nachteilen? SPD und Grüne stellen gemeinsam die Prävention in den Vordergrund. Wir müssen uns doch fragen, warum junge Menschen, vornehmlich junge Männer, die in diesem Land aufgewachsen sind, in einer Gesellschaft mit all ihren Werten und Freiheiten, sich so radikalisieren, wie wir es in jüngster Zeit erlebt haben. Deswegen muss unser erstes Ziel sein, diesen Radikalen den Nährboden zu entziehen und ihnen den Nachwuchs zu entziehen, meine Damen und Herren!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Wir sind bereit auch als Grüne, zu Verbesserungen im Bereich der Arbeit der Sicherheitsorgane gesetzlich beizutragen. Indem wir beispielsweise die Telekommunikationsüberwachung zielgerichtet und verhältnismäßig, Herr Hinners, ausbauen.

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(Abg. Hinners [CDU]: Das steht im Polizeige- setz bereits!)

Die Videoüberwachung ist kein Allheilmittel, das ist hier schon häufiger genannt worden, sie ist, das gestehen wir zu, geeignet, Straftaten aufzuklären und da bei dieser Aufklärung zu helfen. Verhindern wird die Videoüberwachung aber keine Straftaten. Hier gilt es, wie immer betont, die einzelnen Aspekte der Verhältnismäßigkeit der Wirksamkeit und des Grundrechts abzuwägen. Das tun wir, indem wir eben nicht pauschal die Videoüberwachung ablehnen, sondern uns die konkreten Orte und die Begründungen der Innenbehörde und der Sicherheitsbehörden anschauen werden, und wenn wir der Auffassung sind, dass sie stichhaltig sind, werden wir uns auch gegen den Einsatz von Videoüberwachung an bestimmten Orten nicht verschließen, meine Damen und Herren!

Aus unserer Sicht liefert der gemeinsame Antrag der Koalitionsfraktion eine gute Antwort auf die aktuellen Sicherheitsherausforderungen, dieses sehen wir beim Antrag der CDU nicht und werden ihn daher ablehnen. Ich will jetzt nicht den gesamten Deputationsbericht noch einmal vorlesen, aber vielleicht auf einige Aspekte eingehen, die auch teilweise in der Diskussion schon darangekommen sind. Die Frage der Schleierfahndung! Da hatte ich so ein bisschen das Gefühl, Herr Hinners, wenn ich ganz offen bin, man geht an seine große Schublade, zieht alles heraus, was da möglich ist, landet beim Buchstaben S und zieht die Schleierfahndung heraus, ohne sich einmal wirklich darüber Gedanken gemacht zu haben, ob das eine wirksame Maßnahme für dieses Bundesland ist. Das ist es eben nicht.