Protokoll der Sitzung vom 08.11.2017

Das Gefährlichste, das wir machen können, ist, diese Diskussion unter dem generalideologischen Ansatz zu führen, dass auf der einen Seite jede Videokamera Teufelszeug ist und dass auf der anderen Seite Fußfesseln jeden Salafisten davon abhalten, sich in die Luft zu

sprengen. Wir müssen es schaffen, zu einer differenzierten Sichtweise der einzelnen Punkte zu kommen. Vorhin habe ich versucht, dafür zu werben, dass wir uns anschauen: Es gibt Vorschlag A, den kann man auf folgende Zielgruppen anwenden; es gibt Vorschlag B, der ist total untauglich; es gibt Vorschlag C, den kann man aber für diese oder jene Zielgruppe verwenden. Wenn wir das tun, nähern wir uns dem, wofür wir eigentlich gewählt sind, nämlich durch Gesetze die Arbeit der Sicherheitsbehörden zu regulieren, damit nicht das geschieht, was als Damoklesschwert immer über uns schwebt, und wir nicht in einen totalen Überwachungsstaat kommen.

Für diese differenzierte Sichtweise werben wir. Ich glaube, dass wir vor allem später, wenn es einen konkreten Gesetzentwurf gibt, darüber diskutieren werden.

Liebe Frau Kollegin Vogt, die Zitate, die Sie auf der Fraktionsseite der Grünen gefunden haben, waren alle richtig, und ich habe eben auch nichts anderes gesagt.

Ich habe zur Fußfessel gesagt, dass sie kein Attentat verhindert. Nichts anderes steht im Positionspapier. Wir können das jetzt noch einmal gemeinsam durchdeklinieren, aber ich komme nicht umhin anzuerkennen, dass die Fußfessel in bestimmten Bereichen, beispielsweise bei der Aufenthaltsüberwachung, im Vergleich zu einer Observation das mildere Mittel ist. Darüber können wir aber gern noch einmal im Detail diskutieren.

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Aber wir wissen doch beide, dass das niemanden von einer Straftat abhält!)

Sich hinzustellen und zu sagen, es funktioniere gar nicht, finde ich genauso falsch, wie zu sagen, wenn alle eine Fußfessel trügen, passiere in unserem Land nichts mehr. Das halte ich schlichtweg für Quark.

Nun zur Videoüberwachung! Wenn Sie sich all die schrecklichen Bilder ansehen, die es beispielsweise bei den versuchten Tötungsdelikten in der S- oder U-Bahn in Berlin gab, war doch am Ende das Ergebnis, den Täter gefunden zu haben, eine gute Nachricht. Deswegen darf ich aber nicht sagen, ich hänge jetzt, wie es in London ist, an jeder Ecke eine Videokamera auf, sondern ich muss mir genau überlegen, wann ich das Instrument Videoüberwachung brauche, wo es bei Straftaten hilfreich sein kann und wo es nur zu einem Verdrängungseffekt kommt. Das sind alles Dinge, die man diskutieren muss. Deswegen aber das Instrument Videoüberwachung

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komplett abzulehnen - das sage ich Ihnen hier und heute -, halte ich für falsch.

Nun zur Frage der Überwachung! Man kann natürlich sagen, alles wird einfach anlasslos überwacht. Aber wir müssen anerkennen - das haben Sie eigentlich auch getan -, dass das klassische Überwachen - ein Polizist öffnet einen Brief, der von A nach B geschickt wird, unter Wasserdampf und schaut, was geschrieben wurde, wenn sich zwei Terroristen irgendwie miteinander verabreden -, nicht mehr funktioniert. Das geschieht alles - völlig richtig erkannt, Frau Vogt - über die Medien, die wir zurzeit nutzen, über WhatsApp, über SMS, über den Facebook-Messenger, mittlerweile sogar über Videospiele.

(Abg. Rupp [DIE LINKE]: Mittlerweile? Seit zehn Jahren!)

Wir müssen eine vernünftige Balance zwischen dem Ermittlungsinteresse, schwerste Gefahren abzuwehren, und dem vollkommen legitimen Grundrecht, dass der Staat nicht in alles seine Nase steckt, erreichen. Das werden wir nicht anhand von Reden lösen können, sondern tatsächlich später mit dem konkreten Gesetzestext. Damit sind wir bei der Frage der Verhältnismäßigkeit. Dieser Diskussion will ich mich gern stellen, aber ich würde es lieber auf Basis eines Gesetzentwurfs tun.

Zur Zielzahl der Polizeistellen ist schon viel gesagt worden. Ich sage es gefühlt das 25. Mal: Aus meiner Sicht war es ein schwerer politischer Fehler der rot-grünen Koalition der letzten Legislaturperiode, diese Einstellungszahlen beschlossen zu haben. Nicht nur ich habe das schon häufiger gesagt. Es war eine der Konsequenzen der rot-grünen Regierung im Anschluss an die Wahlauswertung 2015, hier zu Veränderungen zu kommen. Ich finde, Fehler darf man machen, aber man darf sie kein zweites Mal machen.

Dieser Erfolg hat viele Väter und Mütter. Das ist geschenkt. Ich will nur noch einmal darauf hinweisen, was unserer Sicht dazu geführt hat.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Ist das die Fecker- Delle?)

Nein, anders als Sie, Herr Kollege Röwekamp, war ich nicht Innensenator.

(Abg. Hinners [CDU]: Zum Glück! - Abg. Röwekamp [CDU]: Also ist es die Mäurer- Delle?)

Ich will aber noch etwas zum Vorwurf des Zeitablaufs sagen, weil auch das, wie ich finde,

eine unfaire Diskussion ist.

(Glocke)

Herr Präsident, ich mache es kurz.

Wir haben es mit höchst schwierigen rechtlichen Thematiken zu tun. Der Bund hatte damals angekündigt, im Rahmen des BKAGesetzes wichtige Teile dieser Fragestellungen zu lösen. Das hat er dann auch irgendwann getan, aber auch der Bund hat dafür Zeit gebraucht. Sehen Sie es der Verwaltung in Bremen nach, dass sie jetzt versucht, das alles vernünftig auf bremische Verhältnisse zu übersetzen, sodass wir dann hoffentlich Ende des Jahres einen Entwurf haben, auf dessen Basis man vernünftig diskutieren kann, an der Sache und über die Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit. - Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Staatsrat Ehmke.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Verschiedentlich ist darauf hingewiesen worden, dass wir diese Debatte in Etappen führen. Wir haben in der letzten Bürgerschaftssitzung zum CDU-Antrag geredet, in der Innendeputation haben wir gemeinsam über diesen, den CDU-Antrag und über viele andere Anträge geredet. Wir hatten Einbringungsdebatten. Ich glaube, dies ist immer noch nicht der letzte Antrag aus der Innendeputation, der auf dem Rückweg in das Parlament ist, sondern da steht noch etwas auf der Tagesordnung. interjection: (Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Stimmt!)

Da wir die Debatte also noch einmal führen werden, fasse ich mich jetzt kurz. Ich will zu den beschriebenen Maßnahmen vorweg nur zwei allgemeine Bemerkungen machen.

Erstens: Es ist nicht so, dass seit Januar und der Vorstellung des Papiers der beiden Senatoren nichts geschehen wäre. Vielmehr hat der Senat inzwischen eine ganze Reihe von Entscheidungen getroffen. Frau Vogt hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass für unsere Maßnahmen im zukünftigen Haushalt Vorkehrungen getroffen sind. Auch wenn Sie nicht alle diese Maßnahmen teilen, so ist doch Geld vorgesehen, zwei Mal 15 Millionen Euro. Der Senat wird also insgesamt 30 Millionen Euro zusätzlich für Sicherheit und Stadtsauberkeit zur Verfügung stellen. Ein Großteil davon entfällt auf die hier beschriebenen Maßnahmen. Insofern gibt es nicht nur Planungen, sondern es gibt auch

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Ressourcen dafür, und die Planungen können entsprechend umgesetzt werden.

Zweitens sind die gesetzlichen Grundlagen angesprochen worden. Wir befinden uns mit der Novellierung des Polizeigesetzes derzeit in der Ressortabstimmung. Das heißt, unser Entwurf ist fertig, wird jetzt mit dem Senator für Justiz und Verfassung, der Landesdatenschutzbeauftragten und anderen Bürgern abgestimmt. Ich bin sehr optimistisch, dass wir in Kürze einen solchen Entwurf vorlegen können und dass wir dann spätestens im Januar in den parlamentarischen Gremien in die konkrete Beratung einzelner Maßnahmen einsteigen können.

Da jedoch, anders als in vorherigen Debatten, die in Aussicht stehende Novelle des Bremischen Polizeigesetzes, insbesondere was die Bereiche TKÜ, Videoüberwachung und Fußfessel angeht, schon eine größere Rolle gespielt hat, erlauben Sie mir, zu diesen drei Punkten einige kurze Anmerkungen, denn unser Gesetzentwurf - das will ich schon ankündigen - wird Vorschläge zu allen drei Bereichen enthalten. Wir werden vorschlagen, sowohl die Möglichkeit zur elektronischen Fußfessel als auch die Möglichkeit zur präventiven Telefonüberwachung als auch die Möglichkeit zur Auswertung der Videoüberwachung wahrzunehmen. Ich bin der Auffassung, dass man diese Maßnahmen jeweils gut begründen kann.

Ich will einmal von hinten, mit der Videoüberwachung, anfangen. Vieles ist gesagt worden. Ich will auf ein aktuelles Beispiel verweisen. Wenn es uns gelingt, das Tötungsdelikt im Bremer Steintor aufzuklären und des mutmaßlichen Täters habhaft zu werden, dann wird das ganz viel mit dem Fahndungsinstrument einer Videoaufzeichnung zu tun haben, wenn auch keiner öffentlichen, sondern einer privaten. Das ist das Instrument gewesen, mit dem wir einen ganz entscheidenden Durchbruch in den Ermittlungen erzielt haben und auf dessen Grundlage wir im Moment auf der Suche nach dem Täter sind und auch hoffen, seiner bald habhaft zu werden.

In der Tat verhindert also nicht jede Videoüberwachung Straftaten, wobei die Erfahrungswerte insbesondere bei Eigentums- und Sachbeschädigungsdelikten gar nicht so schlecht sind. In vielen Fällen ist das Instrument der Videoüberwachung aber ein hilfreiches Instrument der Strafverfolgung, auch bei schwersten Delikten.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Hört, hört!)

So auch hier. Deshalb glauben wir, dass man sich nicht immer darauf verlassen kann, dass irgendein Privater irgendwo eine Kamera hängen hat, sondern dass es in bestimmten Bereichen angezeigt ist, dass der Staat, die Polizei, auf die Möglichkeit der Videoüberwachung zurückgreift.

(Abg. Hinners [CDU]: Sehr gut!)

Das gibt es übrigens auch heute schon. So neu ist der Vorschlag nicht. Das gibt es auch nicht nur in Bremen. Wir werden die gesetzlichen Vorschriften dazu präzisieren und dann im Einzelnen zur Beratung vorlegen.

(Beifall CDU - Abg. Röwekamp [CDU]: Dass wir das noch erleben dürfen!)

Wir werden auch vorschlagen, das Mittel der elektronischen Fußfessel vorzusehen. Das Mittel der elektronischen Fußfessel ist inzwischen im BKA-Gesetz auf Bundesebene und im Übrigen im Aufenthaltsgesetz vorgesehen. Richtig ist, dass die elektronische Fußfessel nicht regelmäßig dazu geeignet sein wird, konkrete Straftaten zu verhindern, aber sie ist trotzdem ein wirkungsvolles Instrument der Gefahrenabwehr. Sie kann nämlich insbesondere dort eingesetzt werden, wo es um Aufenthaltskontrollen und auch um die Überwachung von Kontaktverboten geht. Ich will zwei konkrete Beispiele nennen.

In Bremen gibt es eine Reihe von Gefährdern und gefährlichen Personen, von denen wir nicht unbedingt möchten, dass sie aufeinandertreffen. Jetzt können wir sie natürlich die ganze Zeit überwachen, in der Hoffnung, dies zu verhindern. Gerade für einen solchen Personenkreis wäre aber die Anwendung einer elektronischen Fußfessel zur Überwachung eines ausgesprochenen Kontaktverbots unserer Überzeugung nach eine durchaus erwägenswerte Maßnahme. Das ist einerseits ressourcenschonend, andererseits aber auch weniger eingriffsintensiv für die Betroffenen. Sie haben dann nämlich nicht immer eine ObsGruppe im Nacken, sondern es wird lediglich überprüft, dass die beiden Personen, die nicht zusammentreffen sollen, sich nicht am selben Ort aufhalten.

Eine andere Variante ist - das haben wir im Rahmen der Führungsaufsicht bei verurteilten Straftätern häufiger -, dass man sagt: Du darfst dich zwar im Prinzip frei bewegen, aber bestimmte Orte nicht aufsuchen. Wenn wir zum Beispiel wissen, dass in einer Moschee radikalisiert wird, und wir auch Personen kennen, die dort radikalisieren, dann wäre möglicherweise darüber nachzudenken, ein

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Aufenthaltsverbot auszusprechen und dieses durch eine Fußfessel zu überwachen.

Das sind verschiedene Anwendungsbereiche, über die man nachdenken kann, die man miteinander diskutieren kann, die beschreiben, dass die Fußfessel durchaus ein Instrument der Gefahrenabwehr ist. Man muss ja nicht immer gleich an den bewaffneten Terroristen denken, der auf dem Weg zum nächsten Anschlag ist.

Ich möchte noch kurz auf die Telekommunikationsüberwachung eingehen. In der Debatte ist zum Teil der Eindruck erweckt worden, die Polizei würde ins Geschäft der Nachrichtendienste einsteigen. Das ist falsch. Die Polizei überwacht auch derzeit schon Telekommunikation, und zwar im Rahmen von Strafverfahren. Das ist sozusagen Kern polizeilicher Tätigkeit.

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Genau! Das habe ich auch gesagt!)

Die Nachrichtendienste führen derzeit keine Telekommunikationsüberwachung zur Gefahrenabwehr, sondern nur in ihrem eigenen Auftrag der Ergründung und Erforschung extremistischer Strukturen durch. Es ist nicht Aufgabe des Landesamts für Verfassungsschutz, Gefahrenabwehr zu betreiben. Das ist Aufgabe der Polizei. Man muss sich die Frage stellen, ob man dieses Instrument zur Gefahrenabwehr zur Verfügung stellen will oder nicht. Wenn man das will, dann muss man es auch der Polizei an die Hand geben. Wenn man das nicht will, dann lässt man es, aber dann darf man diese Aufgabe nicht beim Verfassungsschutz abladen. Der ist dafür weder vorgesehen noch befugt. Wir glauben, dass es sinnvoll ist, der Polizei dieses Instrument zur Verfügung zu stellen. Das tun mittlerweile auch fast alle Bundesländer.

Ich will einmal mit der Idee aufräumen, dass die Polizei dann anlasslos und flächendeckend die Telefonate sämtlicher Bürgerinnen und Bürger abhört. Auch im Bereich der gefahrenabwehrenden TKÜ wird es natürlich immer eine einzelfallbezogene Entscheidung eines Gerichts darüber geben, ob die Polizei berechtigt ist, einen bestimmten Telefonanschluss abzuhören. Das heißt, diese Maßnahmen werden selbstverständlich der gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Sie werden einzelfallbezogen sein, sie werden auf einen konkreten Gefahrensachverhalt gerichtet sein. Anlasslose Massenüberwachung ist überhaupt nicht Gegenstand der gefahrenabwehrenden Telekommunikationsüberwachung, und ich würde davor warnen, dieses Bild aufzubauen.

Man kann das ja trotzdem nicht wollen. Man kann sagen: Ich bin dagegen, ich möchte nicht, dass die Polizei diese Instrumente zur Verfügung hat. Dann möge man sich aber auf den Kern beschränken, um den es tatsächlich geht. Wenn wir sagen, wir wollen dieses Instrument zur Verfügung stellen, dann macht es wenig Sinn, zu sagen, wer sozusagen oldfashioned, normal telefoniert und SMS schickt, der darf abgehört werden, und diejenigen, die ihre Nachrichten ein bisschen schlauer mit WhatsApp, Facebook oder Skype verschicken oder darüber telefonieren, nicht. In diesem Fall kann man es auch gleich sein lassen. Wenn man sich entscheidet, diesen Schritt zu gehen, dann sollte man ihn auch wirkungsvoll gehen, sonst hat nämlich keiner etwas davon. - Herzlichen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)