Protokoll der Sitzung vom 08.11.2017

Die Sozialstrukturdaten Armut und Migration - welche auch immer genannt werden - sind ja nicht etwas, was Bildung unmöglich macht. Wir haben in Deutschland, in Bremen und Bremerhaven, wir haben weltweit Beispiele, dass sich Pädagoginnen und Pädagogen vorgenommen haben, gerade diese Kinder aus diesen Familien besonders intensiv zu unterrichten, um sie zum Schulerfolg zu führen. Das heißt, man kann natürlich auch diese Kinder zu einem guten Schulabschluss führen. Es geht jetzt nicht darum zu sagen, wir haben schlechte Ergebnisse, weil wir zu viele arme Menschen und zu viele Migranten haben, sondern es besteht für uns die Herausforderung, Methoden zu entwickeln, mit denen wir ihnen am Ende gute Bildung angedeihen lassen können. Das ist die Aufgabe, die hier und heute im Mittelpunkt steht.

Lassen Sie mich zum Abschluss nur sagen, weil das in einigen Medien meines Erachtens falsch dargestellt worden ist, dass Grüne Finanzentscheidungen und ähnliche Dinge im Bildungsbereich blockieren: Das Gegenteil ist der Fall. Der Bildungshaushalt ist in den letzten zehn Jahren unter Mitwirkung der Grünen um mehrere 100 Millionen Euro aufgestockt worden. Heute befinden wir uns in der die Situation, dass der Senat den Haushalt gar nicht mehr aufstocken kann, weil er ihn bereits an die Bremische Bürgerschaft abgegeben hat. In den Beratungen der Koalitionsfraktionen zu den Änderungsanträgen, die den Haushalt tatsächlich in der zweiten Lesung im Dezember noch einmal verändern können, werden wir ganz klar und sehr konstruktiv, aber immer mit der Kopplung an die Frage der Qualität und der Veränderung wesentlicher Inhalte, selbstverständlich auch mehr Geld für die bremischen Schulen befürworten und beschließen. Von daher ist keine Blockade der Grünen bei den Finanzmitteln vorhanden.

Es gibt keine Blockade bei den Grünen zu der Frage, ob wir uns den grundsätzlichen Problemen unseres Schulwesens intensiver zuwenden müssen. Es gibt auch keine Blockade der

Grünen, sondern das Gegenteil, bei der Frage, ob wir bereit sind, Überzeugungen noch einmal auf den Prüfstand zu stellen, die uns seit den Siebzigerjahren bildungspolitisch geleitet haben, die aber heute möglicherweise bei den veränderten Rahmenbedingungen eine völlig andere Auswirkung haben, als man es damals beabsichtigt hatte.

Also alles auf den Prüfstand, alles auf den Tisch! Keine heiligen Kühe, grundsätzlich über die Frage der Qualität der Bildung neun nachdenken und dann die entsprechenden Beschlüsse fassen! - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Vogt.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir geht es ähnlich wie dem Kollegen Güldner: Den Titel der Aktuellen Stunde finde ich eher befremdlich. Wir sollten hier über die Bildung und die Schulen reden, aber nicht darüber, ob der Bürgermeister auf Pressemitteilungen der CDU reagiert.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grü- nen)

Ehrlich gesagt, es hilft auch nicht weiter, wenn die CDU gestern in einer Pressemitteilung schreibt, der Senat habe von ihr abgeschrieben.

(Abg. Rohmeyer [CDU]: Das war so!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, es hat auch bei Ihnen ein bisschen gedauert, bis Sie begriffen haben, dass Bremens Bildungssystem nicht nur am Unterrichtsausfall krankt, sondern dass die Bildungschancen in unserem Land extrem ungleich verteilt sind.

(Beifall DIE LINKE - Abg. Rohmeyer [CDU]: Blödsinn!)

Inhaltlich stimmt es auch nicht so ganz, denn Ihr Antrag, der jetzt von der Koalition mitgetragen wird, widerspricht teilweise den gestern im Senat beschlossenen Maßnahmen, aber darauf gehe ich später ein.

In einem Punkt hat die CDU natürlich recht: Die Schulen in Bremen und in Bremerhaven sind an einem neuen Tiefpunkt angekommen, der so dramatisch ist, dass ich der Meinung bin, dass nicht nur das Bildungsressort dafür in die Verantwortung genommen werden kann, sondern

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dass der gesamte Senat gefordert ist, um die Misere in den Griff zu bekommen. Dazu gehören der Bürgermeister, das Ressort des Bausenators und auch die Finanzsenatorin.

(Beifall DIE LINKE)

Wir haben in einigen Stadtteilen Bremens und Bremerhavens inzwischen eine Situation, in der Bildung nicht mehr der gesellschaftliche Reparaturbetrieb sein kann. Wir wissen, dass es in einigen Stadtteilen Kitagruppen und Schulklassen gibt, in denen kaum noch Sprachvorbilder vorhanden sind. Wir wissen, dass es Schulen gibt, in denen sehr, sehr viele Kinder beschult werden, die zu Hause ein schwieriges familiäres Umfeld haben und die mit Gewalterfahrung in die Schule kommen.

Wir wissen, dass es Stadtteile gibt, in denen 60 Prozent der Kinder aus einem armen Elternhaus kommen. Bei diesen Elternhäusern ist selbst der Besuch des Bürgerparks ungefähr das, was in anderen Familien eine größere Reise bedeutet. Wir wissen, dass das alles Voraussetzungen sind, die natürlich die Lernbedingungen bestimmen und auf den Lernerfolg drücken. Man kann und muss sich natürlich überlegen, ob unter diesen Bedingungen die Anwendung der bisherigen didaktischen Konzepte noch sinnvoll sein kann. Darin bin ich mit meinen beiden Vorrednern einig.

Einmal ganz praktisch: Wir haben eine Sprachförderung, die darauf basiert, dass Kinder in ihren Lerngruppen Deutsch lernen, wenn es aber in diesen Lerngruppen keine Kinder mehr gibt, die Deutsch sprechen, dann muss das auf den Prüfstand. Das ist ganz klar. Man muss sich dann etwas anderes einfallen lassen. Man könnte über den bildungspolitischen Tellerrand hinaus auch endlich einmal auf die Idee kommen, dass eine gezieltere Stadtentwicklung in den Fokus des Senats gehört. Das ist hier allerdings leider nicht zu erkennen.

(Beifall DIE LINKE)

Man kann - ich möchte nur kurz darauf eingehen - die Debatte zum Bildungssystem in Bremen nicht führen, ohne darauf hinzuweisen, dass das System sehr wohl in den letzten 15 Jahren chronisch unterfinanziert gewesen ist. Die Herausforderungen, die in Bremen vorhanden sind, sind noch größer als in Hamburg und in Berlin. Wir haben eine höhere Migrationsquote und eine höhere Armutsquote. Der Mangel an Gebäuden ist nicht zu übersehen.

Der Personalnotstand ist eigentlich nichts Neues, aber neu ist, dass der Senat inzwischen durch die Zuweisungsrichtlinie, die wir haben,

eigentlich die Personalkosten in ihrer Gesamtheit dem Ressort überstellen muss, weil wir einen bundesweiten Fachkräftemangel haben und weil deshalb die Schulleitungen immer noch nicht alle Stellen besetzt haben.

Die Probleme Bremens sind aber - und natürlich gebe ich auch darin den Vorrednern recht - nicht nur finanzieller Art. Die Ergebnisse in Bildungsstudien weisen darauf hin, dass auch die pädagogische Arbeit in den Schulen verändert werden muss. Deswegen ist der Blick auf die Unterrichtsqualität, der sicher inzwischen interfraktionell eingestellt hat, richtig und wichtig. Uns ist wichtig, dass beide Bereiche nicht gegeneinander diskutiert werden. Wir werden deshalb natürlich auch sinnvolle Änderungsanträge zum Haushalt stellen, die genau das, was wir heute beschließen, unterfüttern sollen.

Wir denken auch, dass eine Entlastung von Lehrern und Schulleitungen überhaupt erst die Voraussetzung ist, damit diese wieder Kapazitäten zur Reflexion ihrer Arbeit sowie Zeit für Kooperationen haben und sich den Raum für notwendige Fortbildungen nehmen können.

(Beifall DIE LINKE)

Ich möchte einen Hinweis geben: Wir sollten die Debatte insgesamt nicht ohne die Lehrkräfte führen, sondern gemeinsam mit ihnen. Das ist ein Aspekt, der in den beiden vorliegenden Anträgen leider noch nicht aufgeführt ist.

Ich gehe jetzt auf die Mitteilung des Senats ein! Ich habe den Eindruck, dass die Aussagen „weiter so“ und „wir sind auf dem richtigen Weg“ ein Ende haben. Der Senat und die Regierungsfraktionen haben begriffen, dass wir einen Richtungswechsel gebrauchen, um zu anderen Ergebnissen an den Schulen und für die Schülerinnen und Schüler zu kommen. Es gibt einige Aspekte in dem Beschluss des Senats vom Dienstag, die deutlich darauf hinweisen.

Es ist absolut richtig, die Verteilung der Verstärkungsmittel gezielt an die Schulen vorzunehmen, an denen sich die Probleme häufen, und dass insbesondere neben dem Sozialindex zwei weitere Kriterien aufgenommen werden sollen, nämlich die Förderquote und die Quote der Sprachanfänger. Das ist absolut richtig, und es ist eine unserer Forderung aus der Vergangenheit. Ich bin froh, dass dies inzwischen im Gegensatz zur letzten Legislaturperiode interfraktionell nicht mehr umstritten ist.

Die Einrichtung von Stabilisierungsklassen! Die Inklusion ist und bleibt die größte Herausforderung für die Schulen in Bremen und in Bremerhaven. Zusätzliche Mittel helfen hier natürlich

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immer, aber konzeptionell müssen wir uns auch etwas anderes einfallen lassen. Es ist bekannt, dass ich das Bremer System siebzehn und fünf immer kritisch gesehen habe. Ich habe dies in der Vergangenheit auch öffentlich geäußert. Ehrlich gesagt, das war vor ein paar Jahren nicht einfach, da die Debatte zur Einführung der Inklusion häufig ideologisch getrieben gewesen ist. Es ist wichtig, dass Schülern ein gemeinsames Schulleben ermöglicht worden ist, aber es ist ebenso wichtig, sich einzugestehen, dass unterschiedliche Schüler gelegentlich auch unterschiedliche Lernbedingungen benötigen.

Eine größere Flexibilität an den Schulen, die es ermöglicht mit Binnen- und Außendifferenzierung zu arbeiten, halten wir für absolut notwendig. Deswegen finden wir die Mitteilung des Senats an dieser Stelle auch sehr hilfreich. Ich kann allerdings nicht nachvollziehen, dass die Quote der Kinder mit Förderbedarfen inzwischen in Bremen bei 11 Prozent liegt. Konsequenterweise müsste dann auch die Zuweisung für die Inklusion von zurzeit 7,2 Prozent auf 11 Prozent erhöht werden. Diesen Schritt vollzieht der Senat nicht. Wir haben deshalb einen entsprechenden Änderungsantrag zum Haushalt gestellt.

(Beifall DIE LINKE)

Anfang Juni hatte unsere Fraktion in Gröpelingen eine Fachtagung zur Inklusion im Sinne der Qualitätsverbesserung, aber nicht im Sinne der Ressourcen durchgeführt. Die Ergebnisse hatten wir zwei Wochen später in einem Antrag zusammengefasst, der seit dieser Zeit hier leider verhungert. Wir haben eine leider sehr weit in die Vergangenheit reichende Tagesordnung. Er soll in dieser Landtagssitzung behandelt und in die zuständige Deputation überwiesen werden. Ich hoffe, dass er dort wirklich ernsthaft diskutiert, aber nicht einfach beerdigt werden wird.

(Beifall DIE LINKE)

Gleichzeitig sehen wir Teile des Beschlusses des Senats auch kritisch, auch wenn wir sie generell nicht für falsch halten. Punkt eins: Die Festlegung auf Verstärkungsstunden in Mathematik an den Grundschulen halten wir für zu verfrüht. Die Kinder aus Bremen haben in der letzten IQB-Studie zwar im Fach Mathematik ganz besonders schlecht abgeschnitten, dies könnte allerdings auch daran liegen, dass sie mangelnde Deutschkenntnisse haben und die Aufgaben deshalb schlicht nicht verstehen, obwohl sie sie vielleicht berechnen könnten.

Sie verstehen manchmal keine Textaufgaben - das wissen wir aus den IQB-Studien der vergangenen Jahre -, und deswegen finde ich, dass, bevor wir uns festlegen, eine Zusatzstunde im Fach Mathematik, aber nicht im Fach Deutsch gegeben wird, sollte dies genau untersucht werden. Frau Professor Dr. Stanat vom IQB wird ja in den nächsten Wochen nach Bremen kommen, um die Studie mit den Schulen im Detail auszuwerten.

Wir sprechen uns daher dafür aus, die Mittel für zusätzlich Stunden erst einmal pauschal als Fördermittel in den Haushalt einzustellen, um nach der vertieften Analyse mit Frau Professor Dr. Stanat zu entscheiden, ob an den ausgewählten Grundschulen zusätzliche Stunden im Fach Mathematik oder Deutsch erteilt werden sollen.

(Beifall DIE LINKE)

Noch besser wäre es allerdings gewesen, beide Fächer zu stärken. Dafür hat die Bildungssenatorin in den letzten Wochen in der Bildungsdeputation auch geworben. Es ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen der Senat nicht beides ermöglichen will. Ich sage es einmal deutlicher: Ich weiß, dass die Senatorin die Stärkung des Fachs Mathematik und des Fachs Deutsch im Rathaus eingefordert hat und dass sie damit gescheitert ist.

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Waren Sie dabei? Das stand jetzt aber nicht in dem Papier! - Abg. Frau Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Interessant!)

Angesichts der internen Auseinandersetzung zwischen den Regierungsfraktionen habe ich schon die Frage, ob und wie viele zusätzliche Ressourcen in diesen Bereich fließen sollen. Man muss sich an dieser Stelle schon fragen, ob alle Regierungsverantwortlichen begriffen haben, wie prekär es um Bremens Bildungssystem steht.

Wir befürworten generell auch die Ausbildung zusätzlicher Referendare am LIS, damit die Stellen auch wirklich besetzt werden können. Allerdings muss das Landesinstitut für Schule auch das notwendige Personal zur Verfügung gestellt bekommen, denn im LIS werden die Referendarinnen und Referendare ausgebildet. In der Senatsvorlage fehlt jeglicher Hinweis auf weitere Stellen für das LIS. Dafür hatte die Senatorin eigentlich auch geworben.

Ich will es Ihnen einmal in einem Vergleich deutlich machen: Im Jahr 2013 hat das LIS mit 117 Vollzeiteinheiten - wie es so schön heißt - 450 Referendarinnen und Referendare ausgebildet.

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Im Jahr 2019 soll das LIS mit 94 Vollzeiteinheiten 588 Referendarinnen und Referendare ausbilden. Dass das nicht funktioniert, weil es zulasten der Qualität bei der Ausbildung führt, das ist eigentlich offensichtlich. Zu diesem Bereich haben wir auch einen entsprechenden Änderungsantrag zum Haushalt gestellt.

(Beifall DIE LINKE)

Ich komme jetzt zu den Anträgen, und zwar zunächst einmal zu dem gemeinsamen Antrag mit den Koalitionsfraktionen zum Institut für Qualitätsentwicklung! Wir finden die Gründung des Instituts generell richtig, und wir haben uns dafür entschieden, den Antrag zur Gründung des Instituts für Qualitätsentwicklung gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen einzubringen. Das kann hoffentlich ein gemeinsames Signal sein, dass wir einen Aufbruch in der Bildungspolitik benötigen.