Protokoll der Sitzung vom 08.11.2017

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Grönert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die stationären und ambulanten Hospiz- und Palliativangebote stehen für eine angemessene und würdevolle Begleitung und für eine medizinisch umfassende, schmerzlindernde Versorgung von unheilbar kranken Menschen in ihrer letzten Lebensphase. Wie gut, dass wir sie haben!

In den zwei stationären Hospizen im Land Bremen gibt es 16 Plätze. Dazu kommen 22 stationäre Plätze in Palliativstationen in Krankenhäusern, in denen der Aufenthalt aber nicht wie in einem Hospiz auf Dauer angelegt ist. Außerdem gibt es die Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung, die SAPV, durch die 24 Betroffene zu Hause oder in Pflegeeinrichtungen mit dem Fokus auf Schmerzlinderung begleitet werden können.

In der ambulanten Betreuung sterbenskranker Menschen gibt es weitere Angebote. Zum großen Teil sind hier geschulte Ehrenamtliche aktiv, ohne deren Engagement wahrscheinlich viele Menschen alleingelassen sterben müssten.

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(Vizepräsident Imhoff übernimmt den Vorsitz.)

Alleingelassen zu sterben, wünscht sich kein Mensch, aber viele ältere Menschen haben - oft nicht unberechtigt - eine große Angst davor. Das sollte eigentlich ganz anders sein.

In der Antwort auf unsere Große Anfrage teilt der Senat uns mit, dass er eine Bedarfsplanung für alle diese Bereiche nicht für möglich hält. Er kann zwar gerade noch die Unterstützungsmaßnahmen auflisten, die es in Bremen gibt, kann oder will uns aber nicht sagen, ob diese reichen. Ich bin gemeinsam mit vielen anderen fest davon überzeugt, dass es nicht reicht. Der Senat kann dem nichts entgegensetzen, denn es gibt keine Untersuchungen über den tatsächlichen Bedarf und wird sie laut Senat auch nicht geben, obwohl jeder weiß, dass man nicht vernünftig planen geschweige denn handeln kann, wenn man die Bedarfe nicht wenigstens annähernd kennt.

Unsere Ideen zur Bedarfserhebung wehrt der Senat rundum ab. Er macht aber keinen einzigen eigenen Vorschlag, sondern weist lediglich auf die Ausschreibung für eine Studie zur Versorgung Sterbenskranker in Bremer Altenpflegeeinrichtungen hin, die der Bremer Hospiz- und PalliativVerband im Frühjahr auf den Weg bringen wollte. Das soll uns wohl beruhigen. Die Ausschreibung ist aber nach meinem Kenntnisstand im Sande verlaufen. Zudem würde diese Studie nicht den Bedarf erheben, sondern einen Überblick über Vorhandenes verschaffen.

In der Bremer Politik mangelt es nicht an herzlichen Worten, mit denen immer wieder gezeigt wird, wie wichtig man es findet, Menschen in der letzten Lebensphase angemessen zu begleiten. Das werden wir gleich wieder erleben. Wo aber wird die Politik praktisch und setzt sich dafür ein, dass es ausreichend Plätze gibt?

Bedarf gibt es, auch wenn dieser nicht immer angemeldet wird. Es gibt viele anspruchsberechtigte Menschen, die keinen Antrag auf einen Hospizplatz stellen, weil sie wissen, dass vor ihnen schon 9, 17 oder noch mehr Menschen auf der Warteliste stehen. Es ist beeindruckend, dass es im hospiz:brücke keinen Rückgang der Anmeldezahlen gab, obwohl es jetzt das Hospiz in Bremen-Nord gibt. Natürlich melden sich die Menschen in verschiedenen Einrichtungsformen parallel an, weil sie nicht wissen, wo sie hinsollen, wenn sie keinen Platz im Hospiz bekommen.

Wenn der Senat der Ansicht ist, man könne anhand von Wartelisten absolut nicht auf den Bedarf schließen, dann kann er das nur so meinen,

dass der Bedarf tatsächlich noch wesentlich höher liegen wird, als es die Listen hergeben.

Leider ist auch die Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung mit ihren 24 Plätzen immer voll ausgelastet. - Das ist vielleicht auch gut so. Wenn sich aber mehr Leute anmelden, gibt es keine weiteren Plätze. Trotzdem weist der Senat wie mit einem Mantra darauf hin, dass dieses ambulante Angebot gerade auch von den Pflegeheimen noch mehr in Anspruch genommen werden sollte.

Ich möchte noch an einem anderen Beispiel zeigen, wie unrealistisch der Senat manchmal denkt. Laut seiner Antwort ist es okay, wenn sterbende Menschen wegen fehlender Hospizplätze in die Kurzzeitpflege kommen, allerdings nur - so schränkt er selbst ein -, wenn sie dort eine angemessene hospizliche und palliative Versorgung erhalten. Diese gibt es dort aber bis auf ganz wenige Ausnahmen nicht. Deshalb ist eine Verlegung dorthin nicht richtig. Ziel von Kurzzeitplätzen ist es nicht, das Fehlen von Hospizplätzen auszugleichen, wie der Senat vielleicht meint, sondern die Wiederherstellung der Mobilität von Menschen, damit sie möglichst bald wieder nach Hause gehen können.

In den vom Senat beschriebenen Abläufen finden sich etliche solcher Ungereimtheiten. Trotzdem scheint der Senat mit der Versorgungslage in Bremen recht zufrieden zu sein. Er formuliert keine eigenen Ziele und scheint zu hoffen, dass sich das System von alleine zurechtruckeln wird. Das ist mir zu wenig. Deshalb haben wir einen Antrag eingebracht, den ich gleich noch genauer vorstellen werde. - Vielen Dank!

(Beifall CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dehne.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben von Frau Grönert schon viel über die Hospiz- und Palliativversorgung gehört. Ich finde, das ist ein sehr wichtiges Thema, und es ist richtig, dass wir uns an dieser Stelle noch einmal damit auseinandersetzen.

Ich habe vor einiger Zeit - das ist schon eine Weile her; ich war damals noch nicht in die Bürgerschaft gewählt worden - einen Spielfilm gesehen, in dem es genau um dieses Thema ging. Ein relativ junger Mensch war schwerkrank, hatte nur noch wenige Wochen zu leben und war in einem Hospiz untergebracht. Sein Wunsch war es, ein letztes Mal das Maul einer Kuh zu streicheln, weil ihn das an seine Kindheit

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erinnerte und er damit positive Gefühle verband. In diesem Hospiz gab es Menschen, die sich dieses Wunsches angenommen und ihm dies ermöglicht haben.

In einem Hospiz ist es jenseits von Pflege, Betreuung und Versorgung gerade durch Ehrenamtliche möglich, dass solche Wünsche für sterbenskranke Menschen wahrgemacht werden. Dafür möchte ich an dieser Stelle ganz herzlich danke schön sagen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Frau Grönert hat eben schon die Frage angesprochen, wie hoch der Bedarf ist und ob wir Untersuchungen und Ähnliches brauchen. Wir konnten der Antwort des Senats entnehmen, dass es zumindest in Nordrhein-Westfalen anscheinend keinen richtigen Erkenntnisgewinn aus einer solchen Untersuchung gab. Aber vielleicht kann man das in Bremen etwas besser machen. Klar ist, dass wir eine gute und vor allen Dingen qualitativ wirklich hochwertige Versorgung für schwerkranke Menschen in den letzten Wochen oder Monaten vor ihrem Tod brauchen.

Wichtig und richtig finde ich, dass in der Antwort des Senats auch der Aufenthalt im Krankenhaus thematisiert wird. Wir wissen, dass viele Menschen im Krankenhaus sterben. Dort steht aber auch ganz klar, dass der Aufenthalt in einem Krankenhaus nicht die Alternative zu einer Versorgung im Hospiz sein kann. Das ist genau richtig.

Wir wissen von der Medizinischen Hochschule Hannover, dass wir rund 60 bis 80 Betten pro eine Million Einwohnerinnen und Einwohner bräuchten, um in Deutschland eine ausreichende palliative Versorgung zu gewährleisten. Das erreichen in Deutschland bislang nur fünf Bundesländer. Ich glaube, wir alle in diesem Haus können sagen, dass das eindeutig zu wenig ist.

Frau Grönert hat eben schon ausgeführt, dass wir Plätze in Bremen haben. Auch in Bremerhaven plant zumindest die AWO, ein stationäres Hospiz zu eröffnen. Dazu muss man aber auch sagen, dass in Bremen nicht nur Bremer Patientinnen und Patienten begleitet werden, sondern 22 bis 34 Prozent der Patienten aus dem Umland und aus Bremerhaven kommen, weil es dort noch kein stationäres Hospiz gibt. Daran sieht man, dass Bremen hier, wie es im Gesundheitsbereich oft der Fall ist, eine Oberfunktion für das Umland übernimmt. Um diese zu stärken, ist es dringend nötig, dass wir zu mehr Plätzen kommen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP)

Immer noch sterben zu viele Patientinnen und Patienten, während sie auf einen Platz auf einer Palliativstation oder in einem Hospiz warten. In Bremen sterben rund ein Drittel der Menschen, die auf Wartelisten stehen, bevor sie einen Platz bekommen. Das ist ein Zustand, den man als sehr bedenklich bezeichnen muss.

Ich möchte noch auf den Aspekt der Kurzzeit- und Verhinderungspflege eingehen, den Frau Grönert schon genannt hat. Hier bin ich ganz ihrer Meinung. Im Rahmen der gesetzlichen Aufgabenteilung ist es für die Mobilisierung und Rehabilitation vorgesehen, dass Menschen in die Kurzzeit- und Verhinderungspflege gehen. Das Problem, das wir im Hospiz- und Palliativbereich haben, kann dort nicht gelöst werden, wenn dort nicht palliative und hospizliche Versorgung sichergestellt ist. Gerade deswegen ist es gut, dass wir uns das noch einmal genau anschauen.

Der Antrag der CDU-Fraktion geht aus sozialdemokratischer Sicht in die richtige Richtung. Den Duktus im Einleitungstext teilen wir allerdings nicht ganz. Das liegt vielleicht in der Natur der Sache. Genau deshalb wollen wir Ihren Antrag in die Sozialdeputation überweisen und dort noch einmal gründlich fachlich beraten. - Herzlichen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Erlanson.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kollegen! Wir diskutieren heute die Frage der CDU: Ist eine Bedarfsplanung in der Hospiz- und Palliativversorgung nötig und möglich? Wir wissen, dass die CDU gesagt hat, dass sie nötig und möglich ist. Die Koalition hat gesagt, sie ist nicht möglich, und wenn sie nicht möglich ist, kann sie auch nicht nötig sein.

Bei dieser Debatte, die, wenn man sich näher auf sie einlässt, sicherlich eine sehr emotionale und tiefgehende ist, gibt es aus Sicht der LINKEN zwei wesentliche Punkte. Ich trage in dieser Diskussion immer mein Master-Sheet mit mir herum: Im Oktober 2015 hat die Bertelsmann Stiftung eine repräsentative Befragung in Deutschland durchgeführt und die Menschen gefragt, wo sie gern sterben möchten. 76 Prozent der Deutschen wollen zu Hause sterben, in der Realität sterben aber nur 20 Prozent zu Hause. Zehn Prozent der deutschen Bevölkerung würden gern in einem Hospiz sterben, dies tun aber nur drei Prozent. Einer der wichtigen

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Punkte ist: Sechs Prozent haben gesagt, sie möchten in einem Krankenhaus sterben, aber 46 Prozent sterben in einem Krankenhaus.

(Abg. Bensch [CDU]: Fünfzig sogar!)

Zwei Prozent möchten im Pflegeheim sterben, aber 31 Prozent sterben tatsächlich dort.

Das heißt, es gibt eine riesige Diskrepanz zwischen dem, was die Menschen wollen, und dem, was mit ihnen in der letzten Phase ihres Lebens passiert. Das ist das Emotionale, das ich angesprochen habe. Menschen sterben nicht unbedingt freiwillig im Krankenhaus.

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Nein, ich glaube, das machen nicht viele!)

Sie haben aber teilweise gar keine andere Chance. Dann müssen sie eben im Krankenhaus sterben.

Statistiken hin oder her - es relativ klar, dass wir das große Problem haben, dass ganz viele Menschen gern zu Hause sterben würden, aber nicht zu Hause sterben, und ganz viele Menschen eigentlich nicht in einem Krankenhaus sterben wollen, aber im Krankenhaus sterben.

Ich hatte gesagt, es gibt zwei wichtige Punkte. Der zweite Punkt ist - das haben meine Vorrednerinnen auch schon gesagt -, dass es emotional durchaus schwierig ist festzustellen, dass wir auf der einen Seite Palliativ- und Hospizplätze und auf der anderen Seite in beiden Einrichtungen Wartelisten haben. Es ist eine Tatsache, dass Menschen, die auf solchen Wartelisten stehen, versterben. Das finde ich zutiefst unwürdig. Dafür kann man sich fast nur schämen.

(Beifall DIE LINKE)

Das ist für uns als LINKE die Ausgangslage in dieser Diskussion.

Jetzt sagt die Koalition in ihren Antworten auf die Große Anfrage und auf den Antrag der CDU, es gebe keine vernünftige Datenlage. Dazu sage ich, das stimmt nur zum Teil.

Ich habe zwei dicke Schinken von der Bertelsmann Stiftung mitgebracht, in die jeder hineinschauen kann. Ich gebe gern zu, dass man als LINKER sehr kritisch gegenüber der Bertelsmann Stiftung als dem neoliberalen Think Tank in unserer Republik ist. Sie hat sich aber ausführlich mit der Palliativmedizin und dem Sterben im Krankenhaus auseinandergesetzt. Sie ist dabei so vorgegangen, dass sie entweder

selbst Studien und Befragungen oder MetaAuswertungen anderer Befragungen durchgeführt hat. Auch wenn immer gesagt wird, es gebe nicht so viel Daten, muss man, um das einmal zur Kenntnis zu bringen, feststellen: Von der Enquetekommission Ethik und Recht des Deutschen Bundestags ist 2005 zumindest wissenschaftlich gefordert worden, dass man 27,7 bis 35,9 Palliativbetten pro eine Million Einwohner als Untergrenze haben müsste. Wissenschaftlich abgesichert, wie eine Pflege dort ablaufen sollte und was gut für die Patienten ist, geht man also von einer Untergrenze von 27 bis 35 Betten pro eine Million Einwohner aus. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin hat im Jahr 2012 zu Recht - das wird auch nicht bestritten - festgestellt, dass der Durchschnitt der Palliativ- und Hospizbetten zusammen in der Bundesrepublik Deutschland 22 Betten pro eine Million Einwohner beträgt.

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Das sagt aber nichts über Bremen aus!)