Protokoll der Sitzung vom 24.01.2018

Wir alle gehen davon aus, dass eine ununterbrochene Erwerbsbiografie von Frauen heute der Dreh- und Angelpunkt ist. Ich glaube, wir reden aneinander vorbei, wenn wir uns hier in Konkurrenz begeben. Frau Bernhard, allerdings bin ich durchaus nicht der Meinung, dass das vor 16 Jahren auch schon so war. Ich glaube, einige Fraktionen haben das seinerzeit durchaus noch anders gesehen, während wir das eigentlich schon immer so gesehen haben. Das alles auf die Kinderbetreuung zu schieben, geht aber an dem Problem vorbei.

Ich sehe, die rote Lampe leuchtet. Daher hebe ich mir das Weitere für meine zweite Runde auf. Denn so wichtig die Flexibilisierung und Ausweitung des Kinderbetreuungsangebots auch sind, gibt es dar

über hinaus ganz andere Probleme, die zum Verbleib insbesondere von Frauen in der Langzeitarbeitslosigkeit führen. - Danke schön!

(Beifall SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Müller.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte in meiner zweiten Runde etwas allgemeiner über die Frauenerwerbstätigkeit in Bremen sprechen. Meine Ungeduld, was die Betreuung in Randzeiten beziehungsweise die flexible Kinderbetreuung angeht, ist sicherlich auch meiner OstSozialisation geschuldet. Ich verstehe seit langer Zeit einfach nicht, dass wir das nicht haben.

(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Das teilen wir!)

Ich verstehe auch nicht - das hat nichts mit dem Bremer Senat zu tun -, dass von den Frauen in Bremen nur etwas mehr als jede zweite arbeitet. Das hat nicht nur etwas mit mangelnder Kinderbetreuung zu tun, sondern manche brauchen es vielleicht nicht und möchten es dann auch nicht. Auch das verstehe ich im Übrigen nicht.

Es ist im Grunde wirklich eine dramatische Nachricht: Bremen hat seit langer Zeit die schlechteste Frauenerwerbstätigenquote. Wir sind bundesweit immer mit Abstand zu anderen Bundesländern das Schlusslicht. Das kann man nicht nur mit mangelnder Kinderbetreuung erklären, sondern das ist auch eine Frage der Haltung von Eltern in Bremen. Das ist auch eine Frage der Haltung von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern in Bremen. Darüber sind wir uns einig. Insoweit haben wir noch richtig viel zu tun. An dieser Stelle gilt das aber nicht für das Ressort für Kinder und Bildung - für dieses schon gar nicht -, sondern hier sind andere angesprochen.

Die Haltung in Bremen, die auch in der Vorlage immer wieder durchkommt, ist durch die falsche Annahme, wie sie auch die Forschung und Tausende Studien nahelegen, gekennzeichnet, dass eine EinEltern-Familie - wie man es heute sagt, also die Alleinerziehenden - irgendein Sonderfall sei. Jede dritte Familie in Bremen ist eine Ein-Eltern-Familie. Jede dritte Familie in Bremen ist also auf ein einziges, existenzsicherndes Einkommen - für einen Erwachsenen mit Kind - angewiesen. In der Regel, zu 98 Prozent, sind dies Frauen. Wenn man dann davon ausgeht - das liest man ja -, dass es für

Einzelfälle möglich ist, zwei Stunden zusätzlich finanziert zu bekommen, dann geht das an der Lebensrealität der Familien vorbei. Wir besprechen das jedes Mal wieder in der Deputation für Wirtschaft, Arbeit und Häfen. Das bedeutet auch den Auftrag für den Senator für Arbeit - er ist leider nicht anwesend, aber dieser Auftrag ist auch erkannt worden -, dass die Angebote des Arbeitsmarktes viel enger mit der Familienpolitik verknüpft werden müssen. Das ist nicht nur eine KitaFrage, sondern wir brauchen auf lange Sicht eine familienpolitische Strategie für den Arbeitsmarkt. Ich finde, diesbezüglich sind wir gemeinsam in sehr guten Gesprächen. Das setzt sich immer weiter durch.

Gestern ist - Entschuldigung, das muss ich noch einmal aufgreifen - davon geredet worden, dass es die 24-Stunden-Kita - das heißt nicht, dass Kinder 24 Stunden rund um die Uhr dort sind - nur in einzelnen Leuchtturm-Modellprojekten in der Bundesrepublik gebe. Das ist ein sehr westdeutscher Blick. Insoweit muss ich einmal eine Lanze für meine Herkunftsregion brechen. MecklenburgVorpommern hat sieben Einrichtungen. Allein in Schwerin gibt es zwei. Frau Schwesig macht dort oben einen super Job. In Thüringen gibt es sieben Einrichtungen und in Sachsen-Anhalt drei. Sogar in Baden-Württemberg gibt es die erste städtische 24-Stunden-Kita. Und, oh Wunder - ich nehme als Beispiel Schleswig-Holstein -: Die Frauenerwerbstätigenquote steigt rasant.

Mein Fazit lautet: Wir sind auf einem guten Weg. Ich freue mich, dass wir die Elternbefragung und ein Modellprojekt durchführen. Ich freue mich, dass der Senator für Arbeit die Assistenzen für Alleinerziehende einführen will. Ich bin sehr gespannt, wie weit wir damit kommen. Ich persönlich würde aber Wetten annehmen, dass der Bedarf, der sich am Ende des Jahres herausstellt, enorm ist. - Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Ahrens.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema hat letztlich zwei Dimensionen.

(Abg. Frau Böschen [SPD]: Mindestens!)

Die eine Dimension - das ist nicht mein Schwerpunktbereich - sind der Arbeitsmarkt und die Arbeitsmarktpolitik im Land Bremen. Dazu kann man feststellen, dass wir bundesweit den höchsten Abstand zwischen den Löhnen von Frauen und den Löhnen von Männern haben. Während es bundesweit 22 Prozent sind, waren es in Bremen nach meinem Kenntnisstand zuletzt 27 Prozent. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Ich glaube, dass auch dies zum Teil durch die staatlichen Rahmenbedingungen, die wir gesetzt haben, so vorgegeben ist.

Ich zitiere die zweite große Studie der Arbeitnehmerkammer, nämlich die Studie zur Situation der Familien, die ja auch noch nicht besonders alt ist und direkt vor der Studie zu Alleinerziehenden durchgeführt wurde. Wenn ich dort lese - das war die Kernaussage dieser Studie, die mich sehr erschreckt hat -, dass über 60 Prozent - nach meiner Erinnerung 60,8 Prozent - der Frauen in Bremerhaven aus der Arbeitslosigkeit und nicht aus der Berufstätigkeit in die Elternzeit starten, dann weiß ich doch, wo der Hund begraben liegt. Dann weiß ich, dass wir in der Ausbildung ein Riesenproblem haben, weil in den Schulen die Ausbildungsfähigkeit nicht hergestellt wird und sie vielleicht sogar ohne Abschluss die Schule verlassen und keinen Berufsabschluss haben. Zum Teil bekommen sie noch sehr jung Kinder. Alles das ist nichts Neues.

In Bremen ist das nicht viel anders. Laut dieser Studie sind dort über 40 Prozent der Frauen aus der Nichtberufstätigkeit in die Elternzeit gestartet. Das sind Rahmenbedingungen, über die Herr Janßen und ich uns sehr dezidiert in der damaligen Debatte auseinandergesetzt haben und die nach Antworten rufen. Vonseiten der Regierungskoalition hören wir aber immer nur „Modellprojekt“, „Mal sehen“ und „Prüfauftrag“. Das ändert sich auch mit den Antworten auf die Große Anfrage der Grünen nicht.

(Abg. Frau Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Nein, warum auch?)

Das ist falsch.

(Beifall CDU)

Frau Müller, Sie haben gefragt, warum das Modellprojekt KitaPlus, das dankenswerterweise vom Bund aufgelegt worden war, in Bremen nur an einer einzigen Einrichtung angenommen wurde. Ich kann Ihnen das erklären. Auch das hängt mit politischen Rahmenbedingungen der rot-grünen Regierungskoalition hier in Bremen zusammen und

ist uns genau auf diese Art und Weise von den Trägern mitgeteilt worden. KitaPlus ist vom Bund für drei Jahre aufgelegt worden. Man hätte damit die Betreuungszeiten für drei Jahre ausbauen können. Eltern hätten sich bewusst dafür gemeldet. Die Träger haben nachgefragt, ob denn die beiden Kommunen im Land Bremen bereit seien, das hinterher auf eigene Kosten fortzuführen. Die Antwort an die Träger war: Nein, natürlich nicht!

Das zeigt, dass Sie allein aufgrund dieser Absichtserklärung keine weitergehende Flexibilisierung finanzieren zu wollen, KitaPlus von vornherein den Todesstoß versetzt haben. Denn daraufhin haben die Träger gesagt: Okay, dann machen wir es nicht!

Auch das hatte wieder mit politischen Rahmenbedingungen zu tun, nicht in Berlin, nicht irgendwo anders. Es war auch nicht der liebe Gott, sondern es war Rot-Grün.

Frau Bernhard, Sie haben das Beispiel mit den 45 Euro genannt. Das finden Sie auf Seite zwei in den Antworten zur Frage Nummer eins. Wir in Bremen wären froh, wenn wir genau ein solches Angebot hätten. Das ist leider ein Angebot aus Berlin oder Hamburg gewesen, das hier zitiert worden ist. Selbst daran hakt es schon. Meine Kollegin hat dankenswerterweise MOKI in Hemelingen gefunden, die versuchen, an dieser Stelle eine Lücke zu schließen.

(Abg. Frau Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Super Projekt!)

Sie sind völlig überlaufen, weil sie nämlich auch einen Bring- und Holdienst anbieten. Wenn zum Beispiel ein Kind nur einen Platz in einer verlässlichen Grundschule bekommen hat und zum Hort muss, der Hort aber so weit entfernt ist, dass der Weg noch nicht von einem Sechsjährigen allein bewältigt werden kann, dann bietet diese mobile Betreuungsstelle an, das Kind zum Hort zu bringen, was dann wiederum entsprechend zu finanzieren ist. Das kann sich aber nicht jeder leisten.

Damit sind wir wieder bei den Rahmenbedingungen in Bremen. Die Rahmenbedingungen hier in Bremen sind nun einmal so, dass die Frauen extrem wenig verdienen, nicht alle - da sind wir völlig einer Meinung, Frau Böschen -, aber sehr viele. Wenn wir dafür nicht Lösungen durch die staatliche Infrastruktur schaffen, dann werden wir bei den Langzeitarbeitslosen und bei den alleinerziehenden Frauen keinen Schritt vorankommen. Das

wird die Arbeitslosigkeit und die Arbeitsarmut von Frauen weiter forcieren.

(Glocke)

Das ist falsch, meine Damen und Herren. Das wollen wir als CDU ändern. - Danke schön!

(Beifall CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Böschen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass wir mehr Kinderbetreuungsplätze und flexiblere Öffnungszeiten brauchen, damit tatsächlich jede Frau - und genauso jeder Mann - die Möglichkeit hat, Beruf und Familie zu vereinbaren. Ich will gar nicht darum herumreden und auch gar nicht mehr darauf eingehen, sondern den Blick noch auf einen größeren Zusammenhang richten, auch wenn das nicht in Ihrem Sinne ist, Frau Ahrens.

Es gibt durchaus Angebote und Maßnahmen des Jobcenters mit Kinderbetreuung. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Informationen über diese Angebote oft nicht wahrgenommen werden. Von den Mitarbeiterinnen dort wird mir berichtet, dass sie einladen und versuchen, eine gemütliche Atmosphäre zu schaffen, dass die Frauen aber nicht kommen. Nun bin ich weit davon entfernt, der einen oder anderen Frau daraus einen Vorwurf zu machen. Ich finde aber, dass man sich schon einmal mit den Ursachen dieses Nichtkommens auseinandersetzen muss.

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Ja, genau!)

Welchen Anreiz sollte eine Frau haben, eine - so wie Sie das hier auch ausgeführt haben - schlecht bezahlte Arbeitsstelle anzunehmen, die ihr vom Jobcenter oder der Bundesagentur angeboten wird, auf der sie weniger oder vielleicht etwas mehr Geld als im Transferbezug verdient, die aber im Hinblick darauf, was sie an Organisationsleistung und Stress aushalten muss, deutlich schlechter ist? Es ist doch ein Wahnsinn, dass Qualifizierungen nicht zusätzlich zur Transferleistung honoriert werden können. Damit verhindern wir doch, dass Frauen solche Angebote wahrnehmen, die absolut notwendig sind, denn der Prozentsatz der Alleinerziehenden, die keinen Schulabschluss und keine Ausbildung haben, ist in Bremen exorbitant hoch.

Ich möchte den Blick auch darauf lenken, dass wir bei unseren Schulabgängerinnen und Schulabgängern, die keinen Abschluss haben, bei einer Quote von fünf Prozent sind. Wenn ich mir aber die Prozentzahlen bei den Alleinerziehenden anschaue, frage ich mich, wo die alle herkommen. Die können nicht aus Bremen kommen.

(Abg. Frau Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Nein, die sind aus dem Umland!)

Entschuldigung, die kommen zum Teil aus dem Umland, weil wir in Bremen durchaus interessante Angebote und eine Infrastruktur haben, die für Menschen aus dem niedersächsischen Umland oder aus anderen Bundesländern durchaus interessant sind. Das gehört zur Wahrheit auch dazu.

Meine Damen und Herren, ich will einmal ganz deutlich sagen: Ich meine, dass es auch so etwas wie ein Mitwirkungsgebot von Menschen mit Transferbezug gibt. Darüber können wir uns gern streiten. Ich möchte niemanden verpflichten, eine bestimmte Stelle anzunehmen. Dass man aber noch nicht einmal die Informationen über das Angebot und die vorhandenen Unterstützungsmöglichkeiten annimmt, ist aus meiner Sicht nicht akzeptabel. Ich erwarte, dass auf die Leute deutlicher zugegangen wird, damit sie nicht in die Spirale geraten, die in die Altersarmut führt, die wir hier alle beklagen.

Hier muss an vielen Stellen und insbesondere auf der Bundesebene nachgebessert werden. Frau Ahrens, Sie haben schon zugestanden, dass das Thema Kinderbetreuung zumindest zwei Dimensionen hat. Der Gender Pay Gap hat noch einige Dimensionen mehr. Eine ist auch - das finde ich großartig - der besonders hohe Verdienst von Männern in Bremen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Staatsrat Pietrzok.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will mich zunächst im Hinblick darauf deutlich erklären, dass es nachvollziehbar ist, dass wir, auch um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, Flexibilisierung in den Randbetreuungszeiten gebrauchen können und dass das auch sinnvoll ist. Ich will aber auch noch einmal ausführen, in welcher Situation wir im Hinblick auf die Kindertagesbetreuung insgesamt in Bremen sind.

Frau Müller, Sie haben geschildert, dass Sie aus dem Osten kommen und dort eine andere Erfahrung gemacht haben. Dabei ist es wichtig zu erkennen, dass Bremen im Verlauf der letzten Jahrzehnte und schon vor 25 Jahren - vorrangig aus haushaltsmäßigen Gründen - in einer Versorgungsituation war, die sich mit den Spitzenwerten in anderen Bundesländern und mit herausragenden Großstädten wie damals noch Westberlin - im Osten sowieso - oder Hamburg nicht vergleichen ließ. Bremen befindet sich immer noch in einer Situation, in der es erhebliche Maßnahmen zum Aufholen im Vergleich zu solchen Großstädten durchzuziehen muss. Der Bremer Senat dieser Legislaturperiode engagiert sich beim Ausbau der Kindertagesbetreuung im Land Bremen in einer Weise, wie das noch kein Senat in den letzten Jahrzehnten gemacht hat.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Die Bedarfe entwickeln sich gleichermaßen rapide, wie auch der Senat versucht, die Angebotsstruktur rapide zu verbessern. Wir haben einen Rechtsanspruch für Kinder unter drei Jahren. Ihnen muss klar sein, dass noch vor 15 Jahren hier in diesem Hause in Zweifel gezogen wurde, dass es überhaupt pädagogisch vertretbar ist, so kleine Kinder schon in die Betreuung zu bringen.