Protokoll der Sitzung vom 24.01.2018

Interessant finde ich auch hier die Beispiele aus Hamburg und Berlin. Dort organisieren die jeweiligen Anbieter je nach Situation unterschiedliche Betreuungslösungen. Außerdem gibt es das Bundesprogramm KitaPlus. Die Freien Demokraten fragten wiederholt, warum dies in Bremen so zögerlich angenommen wird. Die Antworten stellen uns nicht zufrieden.

In Bremen liegt der aktuelle Arbeitsschwerpunkt im Bereich des quantitativen Platzausbaus. Die Erfüllung der Rechtsansprüche steht im Vordergrund. Die Wünsche und Probleme der Eltern, ganz gleich, ob berufstätig oder gerade auf dem Weg aus der Arbeitslosigkeit, scheinen nicht im Fokus zu stehen.

(Beifall FDP)

Wir stellen fest: Ein frühes, vorausschauendes Planen und Handeln würde es Bremen jetzt ermöglichen, Kapazitäten aufzubauen und flexibel auf die Probleme und Bedürfnisse der Eltern zu reagieren.

(Beifall FDP)

Hierzu gehört auch der Abbau der Hürde, die die fehlende Kinderbetreuung für langzeitarbeitslose

Eltern darstellt. Wir wünschen dem Pilotprojekt des Jobcenters, bei dem geprüft werden soll, ob das Jobcenter nach dem Marburger Vorbild für seine Kundinnen und Kunden ein Kontingent an Ganztagsbetreuungsplätzen zur Verfügung stellen kann, Erfolg und die Chance auf eine baldige Realisation.

Zum Abschluss möchte ich aus einem Leserbrief zum Thema Flexibilität der Arbeitgeber zitieren. Am Ende dieses Leserbriefes steht, eine Betreuung von 7 bis 17 Uhr für wenige sei nicht ausreichend. Nicht die Arbeitgeber müssten sich umstellen. Es sei der Staat, der sich umstellen müsse. - Danke!

(Beifall FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Bernhard.

Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Präsident! Ich bin den Grünen außerordentlich dankbar, dass sie diesen Zusammenhang hier noch einmal aufgezeigt haben. Ich fühlte mich in die Zeit von 2002 bis 2006 zurückversetzt, als ich Sprecherin von KiTa Bremen war. Bedauerlicherweise ist festzustellen, dass wir nicht sehr viel weitergekommen sind.

Meine Kollegin Frau Müller hat hier schon angeführt, dass es, wenn wir uns die Zahlen ansehen - obwohl die Frage der Grünen natürlich auf Frauen und Männer abzielt -, mehr oder weniger den Verantwortungsbereich von Frauen betrifft. An dieser Realität kommen wir nun einmal nicht vorbei. Bei den Alleinerziehenden bildet sich ebenfalls ab, dass der allergrößte Teil Frauen sind. Auch insoweit haben wir uns die Erwerbstätigenquote angesehen. Die Absenkung ist exorbitant miserabel. Die Studie der Arbeitnehmerkammer hat ebenfalls entsprechende Zahlen hervorgebracht. Gerade, wenn wir darüber sprechen, was Kinderarmut bedeutet, müssen wir die Frauenarmut in den Blick nehmen.

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Richtig!)

Wenn mehr als die Hälfte SGB-II-Bezieherinnen sind, dann wissen wir auch, wo die Ursachen liegen. Dafür brauchen wir keine neuen Modellprojekte und keine Befragungen. Das liegt virulent auf der Hand.

(Beifall DIE LINKE, CDU)

In der Studie der Arbeitnehmerkammer wird ganz deutlich, dass Kinderbetreuung zwar nicht in allen

Zusammenhängen prioritär genannt wird, aber immer auch ein Grund ist. Das Problem fängt schon viel früher an, nämlich bei der Qualifikation und stellt sich nicht erst beim Wiedereinstieg. Es geht schon damit los, welchen Beruf man ergreift, ob überhaupt die Möglichkeit besteht, einen Beruf zu ergreifen, und es reicht bis hin zur Wohnsituation. Immer stellt sich auch die Frage der Kinderbetreuung und der wohnortnahen Kinderbetreuung.

Wenn ich in die Antwort des Senats schaue, muss ich feststellen, dass das Bild, das wir abgeben, wirklich mehr oder weniger erschütternd ist. Die Argumente sind, es koste mehr Geld,

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Tja!)

es lohne sich nicht für die Träger. In Notsituationen kostet es ab fünf Stunden aufwärts 45 Euro. Wer kann sich das von der Zielgruppe leisten, von der wir gerade gesprochen haben? Wenn Erziehungsberechtigte krank werden, besteht gar keine Möglichkeit, dies aufzufangen.

Jetzt hat das Jobcenter einen Prüfauftrag für diese Ausschreibung. Dazu muss ich sagen: Wir hatten ein Modellprojekt. Frau Ahrens hat es angesprochen. Wir hatten Bundesprogramme, die nicht weitergeführt worden sind. Wir machen in der Arbeitnehmerkammer Werkstattgespräche zu dem, was in anderen Großstädten beziehungsweise Kommunen möglich ist. Die haben uns vor Augen geführt, was sie seit Jahren tun. Da gibt es in diesem Zusammenhang keine Ausschreibungen mehr, ohne dass die Träger Kinderbetreuung anbieten müssen. Das machen wir jetzt im Zuge eines Prüfauftrages. Wenn ich so etwas erlebe, blutet mir auch aus meiner persönlichen Vergangenheit und Erfahrung das Herz.

Ich war über die Aussage der Frau Senatorin Bogedan erschüttert, die gestern meinte - ich weiß nicht mehr, wie sie es ausgedrückt hat -, wir seien doch nicht der Ausfallbürge für eine fehlgeleitete Arbeitswelt.

(Abg. Frau Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Fehlgeleitete Arbeitsmarktpolitik!)

Ja, das kann ich verstehen. Die Arbeitswelt ist nicht spaßig. Sie ist immer noch unflexibel und patriarchal organisiert. Wir können aber doch insbesondere den Frauen nicht sagen, sie sollten noch ein paar Jahrzehnte - vielleicht 50 oder 60 Jahre - warten, dann werde die Arbeitswelt vielleicht anders sein. Das können wir doch von dieser Seite aus

nicht machen, zumal es den Staat wirklich viel Geld kostet, wenn man der Arbeitswelt im Grunde genommen diese Ressource an Arbeitskraft vorenthält, weil wir Angebote in den Randzeiten nicht vorhalten.

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Das kann auch nicht die Lösung des Senats sein!)

Diesen Zusammenhang muss man sich klarmachen. Darauf brauchen wir Antworten.

(Beifall DIE LINKE, CDU)

Lassen Sie mich dazu noch etwas sagen. Wenn wir Programme wie LAZLO auflegen - ich bin Ihnen für die Ausschreibungen und die Zeiten sehr dankbar -, die so funktionieren, dass man das als Frau letztlich nicht machen kann, fällt mir dazu wirklich nichts mehr ein.

(Beifall DIE LINKE, CDU)

Warum spricht eigentlich die Senatorische Behörde für Kinder und Bildung nicht mit dem Arbeitsressort? Wieso gibt es da keine Rückkopplungen? Warum sagt man nicht: „Leute, das könnt ihr doch so nicht machen!“? Dieses Programm war am Anfang so ausgeschrieben worden, dass es gerade für Alleinerziehende sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze schaffen sollte.

(Abg. Frau Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Das heißt aber Schichtsystem!)

Toll! Und wie sind die Auslastungszahlen bei den Alleinerziehenden? Sie sind miserabel. Das muss einen auch nicht wundern.

Ich möchte zum Schluss noch einen Aspekt anführen. Sie können für geflüchtete Frauen, die Kinder haben, keinen einzigen Sprachkurs ohne Kinderbetreuung anbieten, weil diese Frauen anders keinen Sprachkurs besuchen können. Auch das ist ein Baustein der Integration und Qualifikation von Frauen. In diesem Feld besteht ein außerordentlich großes Defizit. Wir haben jetzt 2018, und ich führe im Grunde genommen dieselbe Debatte wie vor 16 Jahren.

(Vizepräsidentin Dogan übernimmt den Vorsitz.)

Seinerzeit war übrigens Frank Pietrzok sozialpolitischer Sprecher der SPD. Er erinnert sich vielleicht daran, dass wir damals zum Teil dieselben Argumente ausgetauscht haben. - Danke!

(Beifall DIE LINKE, CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Böschen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte mit ein paar positiven Botschaften aus dem Arbeitsmarktbericht vom Dezember 2017 beginnen. Dieser weist aus, dass wir im Land Bremen im Bereich SGB II, also bei den Langzeitarbeitslosen, einen Rückgang von 7,3 Prozent zu verzeichnen haben. Das bedeutet für die Stadt Bremen 5 Prozent und für die Stadt Bremerhaven 14,4 Prozent. Allerdings haben wir auch bei den offenen Stellen einen Rückgang festzustellen, der bei fast 10 Prozent liegt.

Meine Damen und Herren, wenn ich mir den Zuzug sowohl aus europäischen als auch aus nicht europäischen Ländern in das Land Bremen anschaue, so erfüllen diese Menschen häufig nicht die Anforderungen, die auf unserem Arbeitsmarkt gestellt werden. Trotzdem gelingt es uns in einem sehr großen Umfang, sie zu integrieren. Dazu muss ich sagen: Chapeau! Herzlichen Dank!

(Beifall SPD)

Dennoch sind wir wohl alle der Meinung, dass die Erwerbstätigkeit insgesamt erhöht werden muss. Selbstverständlich schockiert uns alle insbesondere, dass in Bremen die Erwerbstätigkeit der Alleinerziehenden, anders als im Bundestrend, sogar rückläufig ist. Das hat mit Sicherheit auch etwas mit Bremen zu tun. Das steht außer Frage.

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: In Bremerhaven nicht?)

Ich habe jetzt vom Bundesland gesprochen, Frau Ahrens.

Wir wissen alle, dass die Nichterwerbstätigkeit von Frauen die Altersarmut vorprogrammiert und natürlich auch die Kinderarmut entsprechend befördert. Das ist doch gar keine Frage. Die Erwerbstätigkeit von Frauen und insbesondere die der Alleinerziehenden - das ist hier, glaube ich, allgemeiner Konsens - kann nur durch eine flexible und wohnortnahe Kinderbetreuung erhöht werden. Insoweit muss man denjenigen, die zum Beispiel immer der Ausweitung der Öffnungszeiten im Einzelhandel, also den Öffnungszeiten am Sonntag, das Wort reden, auch die Frage stellen, mit welcher Kinderbetreuungsmöglichkeit das eigentlich verbunden werden soll. Wie soll es die Verkäuferin realisieren, dann arbeiten zu gehen?

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Aus der schon zitierten Studie der Arbeitnehmerkammer, des Senators für Wirtschaft, Arbeit und Häfen und der ZGF ist ersichtlich, dass lediglich ein Drittel der Alleinerziehenden über ein familiäres Netz verfügt, das tatsächlich solche Betreuungen organisieren würde. Wir kommen also überhaupt nicht daran vorbei, hier mehr Kinderbetreuung auf die Schippe zu nehmen.

(Abg. Fecker [Bündnis 90/Die Grünen]: „Schip- pen“ heißt das!)

Der Senat ist doch nicht untätig, meine Damen und Herren. Der letzte Statusbericht weist aus, dass sich die Platzzahl im Verhältnis zur Auslastung gesamtstädtisch so entwickelt hat, dass man von einer tatsächlichen Auslastung reden kann. Ich will das nicht schönreden. Wir alle wissen, dass das auf die einzelnen Stadtteile bezogen sehr unterschiedlich aussieht. Selbstverständlich muss man da entsprechend nachlegen. Aber im laufenden Kita-Jahr wurden und werden rund 2 000 zusätzliche Plätze organisiert. Ich finde, man kann durchaus zu Recht sagen, dass dies das eine, nämlich die Quantität, ist. Das andere ist aber die Flexibilität. Wir waren uns alle einig, dass auch insoweit mehr getan werden muss. Ausschließlich die zwei Bundesprogramme, auf die hier verwiesen wird, machen den Kohl nicht fett. Damit decken wir den Bedarf nicht ab.

Ich halte es für richtig, dass das Jobcenter endlich dazu kommt, dass die Maßnahmen, die den Frauen angeboten werden, mit einer Kinderbetreuung ausgestattet werden, weil diese andernfalls nicht davon profitieren werden.

Wir alle gehen davon aus, dass eine ununterbrochene Erwerbsbiografie von Frauen heute der Dreh- und Angelpunkt ist. Ich glaube, wir reden aneinander vorbei, wenn wir uns hier in Konkurrenz begeben. Frau Bernhard, allerdings bin ich durchaus nicht der Meinung, dass das vor 16 Jahren auch schon so war. Ich glaube, einige Fraktionen haben das seinerzeit durchaus noch anders gesehen, während wir das eigentlich schon immer so gesehen haben. Das alles auf die Kinderbetreuung zu schieben, geht aber an dem Problem vorbei.