Protokoll der Sitzung vom 14.03.2018

Nur dann, wenn diese Stabilisierung gelingt, kann ein nochmaliger Ausbruch kriegerischer Auseinandersetzungen oder die Wiederkehr autoritärer Regime – und damit neue Flüchtlingsströme – verhindert werden.

Studien zeigen, dass der Verlust von Humankapital durch Fluchtbewegungen für die Entwicklung des betroffenen Landes nach einem Konflikt schädlicher ist, als die kriegsbedingte materielle Zerstörung selbst. Dem darf die Politik der Aufnahmestaaten nicht dadurch Vorschub leisten, dass sie Flüchtlingen eine dauerhafte Aufenthaltsperspektive verspricht und so deren Rückkehr hintertreibt, denn damit versündigt man sich an der weit größeren Zahl von Zurückgebliebenen in den Fluchtstaaten, die mangels finanzieller Möglichkeiten nicht nach Europa kommen konnten. Das sind dann meistens Frauen, Kinder und ihre Angehörigen.

Ihr künftiges Leben ist entscheidend davon abhängig, ob der Wiederaufbau und die Rückkehr zur Normalität gelingen kann. Deshalb ist es so wichtig, dass die nach Deutschland und nach Europa Geflohenen wieder in ihr Heimatland zurückkehren, wenn dort keine Gefährdungsrisiken mehr bestehen. Bereits aus diesem Grund ist die Forderung der FDP, man müsse Menschen mit eingeschränktem Schutzstatus nach erfolgreicher Integration ermöglichen, auf Dauer in Deutschland zu leben, klar abzulehnen.

(Glocke – Präsident Weber übernimmt wieder den Vorsitz.)

Dies ist ein falsches Signal, das der Gesetzgeber nicht aussenden darf.

Wir, die Bürger in Wut, befürworten deshalb einen eigenen Rechtsstatus für Flüchtlinge. Dieser Status beinhaltet eine zeitliche strikt befristete Aufenthaltsgenehmigung, die ausläuft, sobald das jeweilige Herkunftsland wieder befriedet ist. Genau das hat im Übrigen auch der FDP-Vorsitzende Christian Lindner vor der Bundestagswahl im vergangenen Jahr gefordert.

Die Gruppe der BIW lehnt aus den genannten Gründen den Antrag der FDP-Fraktion ab. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall BIW)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Tuchel.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist nach dieser Rede nicht einfach, zu unserem Thema zu kommen. Mir ist der Familiennachzug aus humanitären Gründen sehr wichtig. Wenn Menschen täglich Angst um ihre Kinder und Partner haben müssen, die in Kriegs- und Krisengebieten festsitzen, dann kann Integration nur schwer gelingen.

Subsidiär Schutzberechtigte, also Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus, dürfen ihre Ehegatten und ihre minderjährigen Kinder dann wieder in einem begrenzten Umfang nachholen, wenn die besonderen rechtlichen Voraussetzungen dazu erfüllt werden. Darauf haben sich die CDU/CSU und die SPD im Rahmen der Koalitionsverhandlungen verständigt. In Anbetracht der verschiedenen Herangehensweisen war es nicht einfach, dieses Ergebnis zu erzielen. Das zeigt sich auch daran, wie unterschiedlich die Anträge, die heute aus unseren Reihen vorliegen, zu diesem Thema abgefasst sind. Dazu komme ich gleich noch.

Es ist Folgendes vereinbart: Der Nachzug von engen Familienmitgliedern soll bis zum 31. Juli 2018 weiter ausgesetzt bleiben. Danach soll ein Familiennachzug von 1 000 Familienmitgliedern pro Monat möglich sein. Eine Härteregelung bleibt darüber hinaus bestehen. Beim Vorliegen völkerrechtlicher oder dringender humanitärer Gründe gemäß den Paragrafen 22 und 23 des Aufenthaltsgesetzes kann bereits jetzt und nach einer Neuregelung auch über das Kontingent von 1 000 Familienmitgliedern hinaus eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Das gilt ebenfalls für das Reintegrationsprogramm und die humanitäre Aufnahme nach Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes. Die Antragstellung ist ab sofort bei den deutschen Botschaften möglich.

Für mich ist es nicht in allen Punkten zufriedenstellend, aber in Anbetracht der Alternativen ist es für mich im wahrsten Sinne des Wortes ein Kompromiss.

Mit dem Antrag der Fraktion DIE LINKE soll erreicht werden, dass sich der Senat dafür einsetzt, dass eine Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs, der seit dem 17. März 2016 gilt, über den März 2018 hinaus verhindert wird. Mit dem Antrag der Fraktion der FDP soll erreicht werden, dass sich der Senat dafür einsetzt, dass eine Regelung geschaffen werden soll, die die Aussetzung des Familiennachzugs für Personen, denen nach

dem 17. März 2016 Subsidiärschutz gewährt worden ist, grundsätzlich bis zum 16. März 2020 mit einigen Ausnahmen verlängert wird.

Nach dem Antrag der Fraktion der CDU soll sich der Senat dafür einsetzen, dass der allgemeine Rechtsanspruch auf Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten, der erst 2015 eingeführt worden ist, ausgesetzt bleibt.

Die SPD hat sowohl auf der Bundesebene als auch in Bremen offensiv kommuniziert, dass sie sich für eine uneingeschränkte Rückkehr zum Familiennachzug einsetzt. Der Koalitionsvertrag ist logischerweise nur ein Kompromiss, ein gegenseitiges Entgegenkommen und Abrücken von der eigenen Position. Aus der Sicht der bremischen SPD-Fraktion wäre mehr Familiennachzug wünschenswert und damit eine wirkungsvollere Integrationspolitik sinnvoll.

Wie steht Bremen in dem Themenfeld im Vergleich dar? In Bremen sind zum Stichtag 31. Dezember 2017 1 837 Syrer betroffen. Es handelt sich hierbei um eine nur leicht erhöhte Quote von 1,06 Prozent, da das BAMF – Bremen verglichen mit dem Bundesdurchschnitt – weniger Syrer als subsidiär Schutzberechtigte und mehr Syrer als Flüchtlinge anerkannt hat. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum sind in Bremen 3 458 Syrer als Flüchtlinge anerkannt worden, die einen Anspruch auf Familiennachzug haben. Ich bin mir sicher, dass wir weiterhin eine weitere Gestaltung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten sehr intensiv begleiten werden.

Die SPD-Fraktion lehnt die vorgelegten Anträge aus den genannten Gründen ab. –Vielen Dank!

(Beifall SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Fecker.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Familien halten unsere Gesellschaft zusammen. Mit diesen Worten beginnt das Kapitel über Familien in dem zwischen CDU und SPD ausgehandelten Koalitionsvertrag.

(Abgeordneter Bensch [CDU]: CSU auch!)

Beiden Parteien war das Thema offensichtlich so wichtig, dass es, diejenigen die schon einmal Koalitionsverträge vereinbart haben wissen das, extra

weit vorn im Koalitionsvertrag platziert worden ist. Die bittere Realität findet sich im Koalitionsvertrag weiter hinten. Dort ist auf einmal nicht mehr vom Wert der Familie die Rede, sondern von Eltern, die ihre Kinder auf die lebensgefährliche Reise nach Deutschland schicken, um im Rahmen des Familiennachzugs dann nachkommen zu können. Natürlich finden auch Gefährder und Straftäter Aufnahme in den Text. Meine Damen und Herren, welches Bild wird eigentlich gezeichnet und welche Angst betreibt diese Parteien eigentlich um, dass sie sich dieser Logik überhaupt anschließen mögen?

Im Bundestag funktionierte die Große Koalition bereits vor der Zustimmung zum Koalitionsvertrag reibungslos. Die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte wurde rasch bis zum 31. Juli 2018 verlängert. Danach soll der Nachzug auf 1 000 Menschen pro Monat begrenzt sein. Im Härtefall darf es auch ein bisschen mehr sein. Meine Damen und Herren, diese Entscheidung ist für unser Land eine Schande.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Sie ist ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die sich in unserem Land für Integration engagieren, denn diese Leute wissen, dass bei ihrem ganzen Engagement die Integration nur dann gelingen kann, wenn Flüchtlinge nicht um ihre Familienangehörigen fürchten müssen und tagein, tagaus mit den Sorgen um die Angehörigen zu kämpfen haben. Die Helferinnen und Helfer können Sie als Gutmenschen oder Weltverbesserer darstellen, aber angesichts der erbrachten Leistung dieser Menschen wäre das allerdings eine bodenlose Frechheit.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen – Abgeordneter Bensch [CDU]: Tolle Rhetorik!)

Geht es schon mit der Emotionalität los? Ich bin noch nicht einmal angefangen!

Was bezeichnet man überhaupt als Härtefall? Lassen Sie mich es anders formulieren: Was ist kein Härtefall, wenn es um die sogenannte Kernfamilie geht? Gibt es ein einziges Kind, das kein Recht hat, mit seinen Eltern zusammenzuleben? Diese grausame und integrationsfeindliche Praxis zwingt Angehörige von Geflüchteten auf lebensgefährliche Routen, sie ist weder sozial noch christlich.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Lassen Sie mich mit einem Schlenker auf die Gäste auf Zeit, Herr Remkes, weil Sie es angesprochen haben, eingehen. Richtig, diese Menschen kommen aus Regionen, in denen es zurzeit Krisen oder Kriege gibt. Wenn man sich aber einmal anschaut, wie die Lage in Syrien ist, wenn man sich anschaut, wie die Lage in Afghanistan ist – dort ist die Bundeswehr ja schon sehr lange aktiv –, dann gehe ich einmal davon aus, dass der von Ihnen angesprochene Zeitraum ein ziemlich langer Zeitraum sein kann.

(Unruhe CDU – Abgeordneter Timke [BIW]: Was ist denn mit den Maghreb-Staaten?)

Deswegen, glaube ich, müssen wir auch dort entsprechende Integrationsbemühungen betreiben, meine Damen und Herren.

(Zurufe CDU, Bündnis 90/Die Grünen – Abgeord- nete Schnittker [CDU]: Wo sind wir denn hier? – Zuruf Abgeordneter Bensch [CDU])

Mögen Sie vielleicht eine eigene kleine Sprachgruppe bilden, dann mache ich in der Zwischenzeit hier weiter!

Wir haben an dieser Stelle anlässlich der Debatte zum Reformationstag sehr viele warme Worte zum Wert des Christentums gehört. Als Christ frage ich mich, wie sich dieses christliche Weltbild, in dem Werte wie Barmherzigkeit und Nächstenliebe eine große Rolle spielen, mit dieser skandalösen Politik in Einklang bringen lässt. Ich bin sehr dankbar, dass die Kirchen in Deutschland klargestellt haben, worauf es bei dem Buchstaben C im Wort christlich wirklich ankommt, meine Damen und Herren.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Genug der Religion, denn es soll ja ein guter Kompromiss sein! Nein, die Regelung zum Familiennachzug ist kein guter Kompromiss. Es ist ein Geschäft zulasten Dritter. Es ist eine staatlich verordnete Scheidung, eine Missachtung des Kindeswohls und eine bewusste Respektlosigkeit gegenüber den Werten unseres Grundgesetzes, dass die Ehe und die Familie unter einen besonderen Schutz stellen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Gleichwohl werden wir heute alle vorliegenden Anträge ablehnen, auf der einen Seite aus voller Überzeugung, wenn es um die Anträge von der CDU und der FDP geht, auf der anderen Seite auf

Wunsch unseres Koalitionspartners in Bezug auf den Antrag der LINKEN.

Das Recht auf Familiennachzug war für uns Grüne in den Jamaika-Sondierungen nicht verhandelbar. In dieser Frage gab es keine Kompromisslinie, sondern eine klare und menschliche Haltung unserer Partei, auch wenn gern und vollkommen falsch immer wieder anderes behauptet wird. Dafür werden wir innerhalb und außerhalb der Parlamente weiter streiten. Unsere Politik wird sich nicht an den Umfragewerten einer völkisch und nationalistischen Partei orientieren. – Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Senator Mäurer.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich richtig gezählt habe, stehen heute fünf Alternativen zur Auswahl. Ich fange einmal mit den ersten beiden überschaubaren Alternativen an, es ist der Antrag der AfD, den Familiennachzug insgesamt und absolut aufzuheben und damit den Zugang in die Bundesrepublik unmöglich zu machen. Gleichzeitig liegt ein Antrag der LINKEN vor, der – zusammengefasst – auf eine unbegrenzte Öffnung für alle hinausläuft.

Der Bundestag hat sich am 1. Februar dieses Jahres mit dem Ansinnen dieser Anträge intensiv befasst, weil sowohl der Antrag der AfD als auch der Antrag der LINKEN in nahezu identischer Form im Bundestag eingebracht worden sind. Ich verrate kein Geheimnis – das kann man in der Niederschrift der Sitzung nachlesen –, dass für den Antrag der AfD nur die AfD gestimmt hat, alle anderen Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben diesen Antrag abgelehnt. Das gleiche Schicksal hat der Antrag der LINKEN erfahren, das heißt, außer den Stimmen der LINKEN gibt es im Bundestag für den Antrag keinerlei Zustimmung.

Der Antrag der FDP ist auch allein geblieben. Ich sage einmal, man kann diesen Antrag diskutieren. Sie schlagen vor, den Nachzug bis zum Jahr 2020 auszusetzen, und dazu sehen Sie dann eine ganze Reihe von Ausnahmeregelungen vor. Es ist schon ein sehr verwunderliches Verfahren. Sie haben die historische Möglichkeit gehabt, die Ausländerpolitik zu gestalten. Es ist ein kurzes Zeitfenster gewesen, und Sie haben es grandios gegen die Wand gefahren.

(Beifall SPD)

Jetzt ist das Fenster geschlossen und sehr wahrscheinlich auf lange Zeit. Nun stellen