Protokoll der Sitzung vom 14.03.2018

(Glocke)

Das dritte Argument – es bezieht sich auf die Bedeutung der vorschulischen Bildung – werde ich in meinem zweiten Wortbeitrag erläutern. – Zunächst einmal herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall CDU)

Herr Kollege, Sie haben zwei Mal fünf Minuten Redezeit. Die zweiten fünf Minuten können Sie in der zweiten Runde in Anspruch nehmen.

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Leonidakis. Bitte, Frau Kollegin!

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fange mit den Grundlagen an. Bildung ist kein Luxusgut, sondern ein Recht. Seit 2013 gilt dieses Recht auch für die Kindertagesbetreuung, und zwar ab dem ersten Geburtstag. In Krippen und Kitas wird Bildungsarbeit geleistet, ohne Zweifel. Wie sonst kann man es bezeichnen, wenn Kleinkinder kognitiv gefördert werden? Wie sonst kann man es bezeichnen, wenn sie soziale Interaktion und motorische Fähigkeiten erlernen? Wie anders kann man es bezeichnen, wenn Kindern in den Einrichtungen Sprachkenntnisse vermittelt werden? Wie würden Sie es bezeichnen, wenn Hortkindern in Kinderbackstuben, Kreativworkshops oder Werkstätten wichtige Fähigkeiten vermittelt werden? In Krippen, Kitas und Horten wird wichtige Bildungsarbeit geleistet. Sie sind integrale Bestandteile der Bildungslandschaft. Die Bildung muss kostenlos sein, und zwar von Anfang an.

(Beifall DIE LINKE)

Diese Position, Herr Röwekamp, haben wir schon 2016 hier vertreten. Wir mussten also nicht auf Ihren heutigen Antrag warten. Wir haben schon damals vorgeschlagen, in die Beitragsfreiheit einzusteigen, und zwar mit dem ersten Einstiegsjahr, um dann mit jedem Jahr weiter aufzuwachsen, bis man 2020 komplett beitragsfrei ist.

(Vizepräsident Imhoff übernimmt den Vorsitz.)

Damals wurde noch der Vorwurf erhoben, wir wollten die reichen Familien entlasten. Ich habe damals gesagt und sage es auch heute noch: Das ist Quatsch! Denn Familien werden im Vergleich zu Kinderlosen in der Gesellschaft übermäßig belastet. Dem müssen wir gegensteuern, aber nicht durch Kindertagesbetreuungsbeiträge, sondern durch Steuerpolitik und eine Kindergrundsicherung, die arme Familien stärker entlastet und reichere Familien weniger entlastet. Es kann aber nicht sein, dass man die Kindertagesbetreuungsbeiträge dazu heranzieht.

(Beifall DIE LINKE)

Die aktuelle Beitragstabelle fällt vor allem bei Familien mit mittleren Einkommen ins Gewicht. Sie bilden den Großteil der Beitragszahlenden, wenn man die Personenanzahl zugrunde legt.

Herr Röwekamp hat es schon gesagt: Die Familie der Mittelschicht, in der der Facharbeiter vielleicht 60 000 Euro Jahresbruttoeinkommen hat und dessen Frau in Teilzeit arbeitet, muss, mit Essen, jeden Monat über 300 Euro berappen. Das ist eine Summe, die für diese Familie durchaus einen Kostenfaktor darstellt.

Diese Familien sind nicht arm im Sinne der gesellschaftlichen Definition von Armut, leben aber auch nicht im Überfluss. In diesen Familien wird doch verhandelt, ob es sich lohnt, dass die Frau wieder in den Beruf einsteigt und Vollzeit arbeitet, oder ob sie noch etwas warten sollte, damit der Kitabeitrag nicht steigt oder gar nicht erst anfällt.

Mit gutem Grund geht deshalb der bundesweite Trend zur Senkung und schließlich Abschaffung der Kitabeiträge. Berlin war im August 2016 schon weiter als die Bremer Koalition jetzt. Dort waren schon damals die letzten vier Kitajahre beitragsfrei. Mittlerweile bezahlt kein Berliner Elternteil mehr Kitabeiträge. Dabei schwimmt Berlin wahrlich nicht im Geld. Das gleiche Modell gilt in Rheinland-Pfalz. Auch Hamburg, Thüringen und Brandenburg haben die Beiträge teilweise abgeschafft. In ganz Niedersachsen, das wurde schon gesagt, ist ab August die Kita ab dem dritten Lebensjahr beitragsfrei.

Bremen ist bis vorgestern den entgegengesetzten Weg gegangen, als wären wir eine Insel und um uns herum der Ozean. Deswegen finde ich die 180Grad-Wende richtig. Sie war überfällig. Allerdings, das muss man auch sagen, bleiben Sie bei ungefähr 90 Grad stehen; denn Sie lassen den Unter-Dreijährigen-Bereich und den Hortbereich außen vor, und das ist falsch.

(Abgeordnete Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Sagen Sie einmal, wie man das finanzieren soll!)

Unser Ziel ist, dass Kitas und Schulen die ungleichen Zukunftschancen ausgleichen. Wir beklagen ein hochselektives Bildungssystem, in dem Kinder aus armen Stadtteilen systematisch benachteiligt sind. Mit frühkindlicher Bildung kann man dem entgegenwirken. Aber passiert das? Aktuell sehen wir doch das Gegenteil!

Wir sehen auch in der Kindertagesbetreuung eine soziale Spaltung. Wir haben sozial unausgewogene U-3-Betreuungsquoten von 24 Prozent in Gröpelingen bis 68 Prozent in Horn-Lehe. Die Betreuungs

quote bei den 2- bis 3-Jährigen ohne Migrationshintergrund liegt bei 68 Prozent, bei den Kindern mit Migrationshintergrund der gleichen Altersgruppe nur bei 26 Prozent. Das Bildungssystem kann verhindern, dass sich diese Diskriminierung aufgrund von Armut oder von Migrationshintergrund quasi vererbt. Um das zu verhindern, ist aber ein früher Eintritt nötig.

Eine Studie der Bertelsmann Stiftung hat genau das nachgewiesen. Sie hat nachgewiesen, dass ein Krippenbesuch die Wahrscheinlichkeit, ein Gymnasium zu besuchen, von 36 Prozent auf 50 Prozent steigert. Bei Kindern aus benachteiligten Familien beträgt die Steigerung sogar zwei Drittel. Sie wissen, wir sind nicht die Gymnasium-Fans in der ersten Reihe, aber diese Zahlen sprechen doch Bände. Vor diesem Hintergrund ist es absolut nicht nachvollziehbar, dass Sie nur den Elementarbereich kostenlos machen wollen.

(Beifall DIE LINKE)

Sie machen ein nettes Wahlkampfgeschenk, das wir, wie ich schon gesagt habe, nicht grundsätzlich falsch finden. Sie verzichten dabei aber auf einen Ansatz, der der sozialen Ungleichheit entgegenwirkt. Das finde ich falsch, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Wir brauchen uns doch nichts vorzumachen, wenn es darum geht, wie in der Familie die Verhandlung stattfinden wird, wenn es um den U-3-Bereich geht. In der Regel trifft es die Mutter, das wissen wir auch. „Musst du denn wirklich schon nach dem ersten Geburtstag wieder in den Job einsteigen, oder kannst du nicht noch ein oder zwei Jahre warten, weil dann die Kita kostenlos ist?“ Das ist die Verhandlung, die stattfinden wird. Das ist gleichstellungspolitisch kontraproduktiv.

Die Regelung zum Hort ist übrigens absurd. Als das Kind drei bis sechs Jahre alt war, brauchten die Eltern nichts zu bezahlen. Wenn die Frau dann vielleicht wieder Vollzeit arbeiten geht, müssen die Eltern wieder zahlen. Dadurch wird der Druck auf die Mütter steigen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Es ist absurd, wenn das Kind kostenlos in die Kita geschickt werden konnte, dann aber für den Hort bezahlt werden muss. Sie ergreifen hier eine halbe Maßnahme. Das ist gehupft und nicht gesprungen. Ergreifen Sie eine richtige Maßnahme, die komplett ist, das heißt alle Eltern betrifft!

(Abgeordnete Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Sagen Sie, wie wir das finanzieren sollen! – Glocke)

Ich glaube, meine Redezeit ist vorbei. – Frau Kollegen Dr. Schaefer, ich werde in der zweiten Runde etwas zur Finanzierung sagen.

(Abgeordnete Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Schön!)

Wir haben ein solides Finanzierungskonzept, was das angeht.

(Abgeordneter Güngör [SPD]: Wir sind gespannt!)

Ich bin gespannt auf die Debatte. – Vielen Dank!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Güngör.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist selten, dass alle wissenschaftlichen Studien zu einem Thema zu identischen Ergebnissen kommen. In diesem Punkt ist sich die Wissenschaft einig: Die Grundlagen für gute Bildung werden in den Kitas, in der frühkindlichen Pädagogik gelegt.

Es freut mich daher besonders, dass alle hier im Parlament vertretenen Parteien, vor allem auch die CDU, die sich dem Thema Kinderbetreuung früher durchaus kritischer genähert hat, mittlerweile diese Erkenntnis teilen.

(Beifall SPD)

Meine Damen und Herren, genau deshalb ist es richtig, dass es ab August 2019 keine Elternbeiträge für Kitas in Bremerhaven und Bremen mehr geben wird. Die beitragsfreie Kindergartenbetreuung wird damit für alle Kinder und Eltern in unseren beiden Städten Realität.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Gebührenfreie Bildung ist und bleibt fester Kern sozialdemokratischer Politik. Deshalb haben wir übrigens in Bremen immer gegen Studiengebühren gekämpft, und deshalb setzen wir uns jetzt für den Schritt zur beitragsfreien Kita ein.

Meine Damen und Herren, hier reden einige immer gern plakativ von der „kostenlosen Kita“. Es muss

klar gesagt werden: Beitragsfrei heißt nicht kostenlos! Im Gegenteil, Kinderbetreuung verursacht schon heute hohe Kosten. Die gezahlten Beiträge sind, bei welcher Beitragsordnung auch immer, nicht kostendeckend. Beitragsfreie Kita, das ist alles andere als ein Pappenstiel, insbesondere für unser Bundesland, das sich nach wie vor in einem Konsolidierungspfad befindet.

Am Ende geht es um weitaus mehr als um die 20 Millionen Euro, die bislang an Elternbeiträgen eingenommen werden und die durch öffentliches Geld ersetzt werden müssen. Es geht um das klare politische Ziel, möglichst viele weitere Eltern davon zu überzeugen, ihr Kind in eine Kita zu schicken, weil gerade dort die Grundlagen für gute Bildung gelegt werden. Dabei soll die Qualität der Betreuung übrigens keinesfalls sinken, sondern, im Gegenteil, steigen.

Das alles, sowohl die Schaffung zusätzlicher Plätze als auch die Investitionen in die Qualität der Betreuung, wird viele weitere Millionen kosten. Für die SPD-Fraktion bleibt es aber dabei: Jeder Euro, den wir hierfür investieren, ist gut angelegtes Geld.

(Beifall SPD)

Nun steht die Frage im Raum, warum wir diesen Schritt jetzt gehen und uns nicht schon früher auf den Weg in Richtung der beitragsfreien Kita begeben haben. Dabei spielt tatsächlich der Faktor Geld eine Rolle. Wohl niemandem hier im Saal ist entgangen, dass in Bremen Geld eine Ressource ist, die nicht im Überfluss zur Verfügung steht. Zudem dürfte niemandem entgangen sein, dass wir gerade das größte Kitaplatzausbauprogramm realisieren, das in Bremen bislang an den Start gebracht wurde. Allein in den vergangenen zwei Jahren wurden mehr als 2 000 neue Kitaplätze eingerichtet, für die übrigens auch das entsprechende Personal bezahlt wird.

Man kann zur großen Koalition in Berlin stehen, wie man will, aber etwas hat sich geändert: Die SPD hat in den Verhandlungen zu diesem Regierungsbündnis eine klare Unterstützung durch den Bund durchgesetzt!

(Beifall SPD)

Das Ergebnis, das Bremen und Bürgermeister Dr. Sieling in den Verhandlungen über den BundLänder-Finanzausgleich für die Jahre ab 2020 erreichen konnten, gibt uns deutlich mehr finanziellen Spielraum. Es gibt uns die Möglichkeit, den

Schwenk zur Beitragsfreiheit zu schaffen. Diese Möglichkeit ergreifen wir. Wir nutzen diesen Rückenwind, um unser politisches Ziel einer beitragsfreien Kita schon ab 2019 zu erreichen.

(Beifall SPD)