Protokoll der Sitzung vom 26.04.2018

Abschließend: Der Bürgermeister hat im letzten Sommer empfohlen, Inklusion müsse in Bremen gezielt, sorgsam und an geeigneter Stelle abgebremst werden. Nein, meine Damen und Herren! Hinein in die Kartoffeln und heraus aus den Kartoffeln als sozialdemokratische Blaupause für Bildungspolitik der Nachkriegszeit in Bremen muss ausgedient haben! Deshalb hilft weder, à la Bürgermeister stehen zu bleiben, noch ein stumpfes „Augen zu und durch!“ à la Bildungssenatorin, sondern nur Weiterentwickeln und miteinander zu reden. Inklusion ist nicht eine Frage des Ob, sondern eine Frage des Wie.

(Beifall CDU)

Wir wollen Inklusion als ganzheitlichen Prozess, der niemanden überfordert, sondern alle mit einbezieht. Unser Weg setzt nicht auf Nivellierung von schulischer Pädagogik und schulischer Organisation, sondern akzeptiert und bejaht Vielfalt. Er ist deshalb vielleicht mühsamer, aber er ist der nachhaltigere und am Ende erfolgreichere Weg. – Herzlichen Dank!

(Beifall CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Rosenkötter.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stehe hier heute als Vertreterin meines Kollegen Mustafa Güngör, der leider erkrankt ist, und ich bin nicht Mitglied der Bildungsdeputation. Gleichwohl darf ich wirklich aus vollem Herzen sagen, das ist ein Thema, was mich bewegt und mir auch sehr am Herzen liegt.

(Beifall SPD)

Lange Zeit wurden Kinder je nach ihrer angeblichen Leistungsfähigkeit in verschiedene Schulen sortiert, statt sie individuell zu fördern, wurde ein Teil von ihnen auf Haupt- und Förderschulen geradezu abgeschrieben. Allzu oft war das falsch, nicht

selten mussten die jungen Menschen lange und schwierige Umwege in Kauf nehmen, um an entsprechende Schulabschlüsse zu kommen. Ehrlich gesagt, mich stört es, dass von verschiedenen Seiten immer wieder versucht wird, Inklusion als schönen Traum und nicht umsetzbar zu diskreditieren.

(Beifall SPD)

Inklusion ist machbar und eine Aufgabe für uns alle. Sie ist nicht nur eine Aufgabe für das Bildungssystem.

(Beifall SPD)

Fakt ist, viele Schulen agieren in diesem Bereich vorbildlich und erfolgreich. Es gibt viele positive Beispiele für die Inklusion, übrigens auch an Gymnasien. Für die SPD-Fraktion steht fest: Inklusion ist ein fester Bestandteil der UN-Behindertenrechtskonvention und schon daher nicht verhandelbar. Bei Inklusion geht es keineswegs, Herr Dr. vom Bruch, um ein Prinzip oder um das Ob. Inklusion ist für mich eine Haltung.

(Beifall SPD)

Diese Haltung – ich darf das vielleicht sagen – ist mir sehr nahegekommen in der Zusammenarbeit für und mit Sportlerinnen und Sportlern mit und ohne Behinderung. Alle, wie sie da waren, Vanessa und Mike, Oliver und Ayse, haben mir gezeigt, was Inklusion heißt. Sie haben sie mir eigentlich geschenkt oder vertieft, und dafür bin ich sehr dankbar.

(Beifall SPD)

Inklusion lässt Kinder über sich hinaus wachsen. Zusammenhalt und gegenseitiges Verständnis sind im besten Sinne bildend. Ich freue mich, dass behinderte und nicht behinderte Kinder miteinander und voneinander lernen, dass Sie sich unbefangen begegnen, statt auszugrenzen.

Warum wird Inklusion dennoch immer wieder kritisch diskutiert? Weil sie besondere Anforderungen und auch Herausforderungen bedeutet und auch Unsicherheiten hervorruft! Keine Frage, wir müssen noch besser werden, was Ressourcen und Rahmenbedingungen angeht, und daran hat und wird das Bildungsressort arbeiten.

(Beifall SPD)

Ich will es aufgreifen, Gegenstand der Großen Anfrage der Grünen sind Schülerinnen und Schüler mit sozial-emotionalen Beeinträchtigungen, deren Anteil in den letzten Jahren – das ist schon gesagt worden – stark angestiegen ist. Diese Beeinträchtigungen, die von temporären individuellen Problemlagen bis hin zu manifesten Störungsbildern reichen können, stellen die Schule vor große Herausforderungen und erfordern jeweils unterschiedliche Antworten. Das aktuelle Konzept enthält drei Module von a) zusätzlicher sonderpädagogischer und sozialpädagogischer Unterstützung an der Regelschule und durch das zuständige ReBUZ über b) eine vorübergehende zeitweilige außerschulische Förderung durch das ReBUZ bis hin zu c) Beschulung im Förderzentrum in der Schule an der FritzGansberg-Straße.

Derzeit können wir aufgrund des stark angestiegenen Anteils von stark verhaltensauffälligen Kindern noch nicht auf die Kompetenz des Förderzentrums an der Fritz-Gansberg-Straße verzichten. Deshalb ist auch gerade seine Fortführung beschlossen worden. Die Debatte um die Fortführung hat deutlich vor Augen geführt, dass es sowohl einer besseren Ausstattung bedarf als auch einer Weiterentwicklung und eines Ausbaus der Konzepte und Modelle, um die schulische Teilhabe dieser Schülerinnen und Schüler mit besonderen und komplexen psychosozialen Problemlagen langfristig und dauerhaft sicherzustellen. Hierzu wird eine Arbeitsgruppe gebildet, und die Vorbereitungsgruppe erstellt einen Zeit-Maßnahmen-Plan für die Arbeit der AG, auch weil – und hier komme ich auf den Evaluationsbericht zum Bildungskonsens, der zeigt, dass es einer Personalverstärkung bedarf – die Didaktik und die Methodik des inklusiven Unterrichts weiterentwickelt werden müssen.

Wichtig ist, und das sagt die Antwort des Senats deutlich aus: Der Inklusionsanteil insbesondere von Schülerinnen und Schülern mit sozialen und emotionalen Beeinträchtigungen kann sich niemals nur allein an die Schule richten. Emotionale, soziale und schulische Kompetenzen und Fähigkeiten sind die Basis für ein selbstbestimmtes und zukunftsfähiges Leben. Diese Lern- und Bildungsprozesse können nicht isoliert betrachtet werden und auch nicht allein von Schule gemeistert werden. Erforderlich ist daher eine enge verbindliche Zusammenarbeit zwischen den für Bildung und Erziehung verantwortlichen Trägern, Institutionen und Fachkräften untereinander und mit den Eltern der Schülerinnen und Schüler. Dafür und genau dafür steht gerade auch das Modell der Übergangsklassen.

Ich komme zu einem weiteren Thema, Stabilisierungsklassen! Genau dies soll in diesen sogenannten Stabilisierungsklassen geschehen, das Konzept wird gerade gemeinsam mit den Schulen erarbeitet. Hier sollen Sozialpädagogen dafür Sorge tragen, dass die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Institutionen und Fachkräfte gewährleistet ist. Es handelt sich dabei um temporäre Lerngruppen, in denen das Arbeits- und Sozialverhalten von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Auffälligkeiten vor allem im Bereich der sozial-emotionalen Entwicklung innerhalb der Schulen gezielt von Sonderpädagoginnen und -pädagogen und Sozialpädagoginnen und -pädagogen gefördert werden.

Der Bereich der Inklusion ist in den letzten Jahren sukzessive mit zusätzlichen Ressourcen ausgestattet worden. Die Ausstattung konnte dabei aber mit den wachsenden Belastungen an den Schulen nicht Schritt halten. Ja, das ist so. Wir sind immer noch unterhalb der Ausstattung, die Hamburg oder Berlin hat. Deshalb haben wir für den laufenden Doppelhaushalt erneut zusätzliche Mittel bereitgestellt, unter anderem haben wir die personelle Aufstockung – das ist hier auch schon gesagt worden – der Regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren beschlossen, die vor allem dem Förderbereich „emotionale und soziale Entwicklung“ zugutekommen wird. Darüber hinaus zusätzliche Ressourcen für Schulen in schwieriger Lage und die Einrichtung von Stabilisierungsklassen an Grundschulen mit besonderen Herausforderungen!

Ein weiterer wichtiger Schritt ist, dass die Fortführung des Inklusionsmaster und die Einrichtung des Studiengangs inklusive Pädagogik für den Lehramtstyp Oberschule/Gymnasium zum Wintersemester 2018/2019 an der Universität Bremen finanziell abgesichert wird.

(Beifall SPD)

Lassen Sie mich abschließend ganz kurz auf die Anträge der LINKEN und der CDU eingehen! Der Kollege Herr Dr. Güldner wird das auch in seinem weiteren Redebeitrag noch tun. Wir haben den Evaluationsbericht seit einigen Wochen vorliegen. Wir werden uns am 12. Juni, Herr Dr. Güldner, soweit ich weiß, im Unterausschuss Inklusion insbesondere mit dem Thema Inklusion beschäftigen. Insoweit wird das noch einmal sehr breit und fachlich auch mit Vertreterinnen und Vertretern aus dem Bereich der Schule für alle und vielen anderen diskutiert werden.

Ein Großteil der konkreten Forderungen der LINKEN hat sich mit dem Schwerpunkt im Bereich Bildung und insbesondere der Inklusion im jetzigen Doppelhaushalt erledigt. Nicht alle, Frau Vogt, bevor Sie jetzt gleich rufen, nicht alle! Auch die von der CDU geforderten Maßnahmen sind in der weiteren Bearbeitung. Wir sind in einem Prozess, der sich mit dem Bildungskonsens beschäftigt. Inklusion bleibt für uns, die SPD-Fraktion, ein gemeinsamer Lernprozess, ich will es einmal so ausdrücken. Wir müssen hier mehr machen, auch das ist klar, aber wir wollen Inklusion, und wir müssen Inklusion gemeinsam leben. – Herzlichen Dank!

(Beifall SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Schäfer.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eigentlich hatte ich vor, diese Debatte als aufmerksamer Zuhörer zu verfolgen. Ich hatte mir gedacht, vielleicht lerne ich ja etwas.

Ich bin kein Bremer, ich bin schon eine ganze Zeit lang selbst nicht mehr zur Schule gegangen. Unsere Tochter hat das bremische Schulsystem dank der Möglichkeit privater Beschulung schadlos umschifft. Ich bin auch noch nicht allzu lang Mitglied dieses Hohen Hauses, und deswegen sagt mir der Begriff Konsens inklusiver Beschulung nicht zu viel. Ich habe vernommen, dass hier ein Konsens für die inklusive Beschulung besteht. Verzeihen Sie mir, außerhalb der Mauern dieses Hohen Hauses habe ich von diesem Konsens nichts erfahren!

(Abgeordneter Dr. vom Bruch [CDU]: Wenn Sie keine Ahnung haben, dann reden Sie doch nicht dazu! – Vizepräsidentin Dogan übernimmt den Vorsitz.)

Im Gegenteil, mir passiert es immer wieder, dass ich auf Veranstaltungen bin, und dann kommen beispielsweise Lehrerinnen auf mich zu und klagen mir ihr Leid mit inklusiver Beschulung. Sie sagen, sie fühlten sich mit der Betreuung der unterschiedlichen Schüler überfordert, und sie sagen, die Vermittlung des eigentlichen Unterrichts komme viel zu kurz.

Ich bekomme auch das Feedback eines Freundes in meinem Alter, der hier in Bremen beschult wurde, als es noch eine Schule gab, die ihn seiner Behinderung entsprechend gefördert hat, und er ist

sehr froh, dass er als Resultat dieser fördernden Beschulung studieren konnte und heute erfolgreich ist. Ich erlebe auch, dass ein ehemaliger Parteifreund, ein junger Mann mit einer seelischen Behinderung, den ich ab und zu noch treffe, teilweise von den Frustrationen und den Aggressionsschüben, die er erfährt, sehr aufgewühlt ist, wenn ihm im Rahmen dieser inklusiven Beschulung immer wieder schmerzhaft klar wird, welche Defizite und Grenzen er hat.

Ich habe gesagt, ich werde trotz meiner Unkenntnis über diesen wunderbaren Konsens aufmerksam zuhören, denn ich werde hier bestimmt die guten sachlichen und fachlichen Argumente hören und lernen, die eigentlich für diese Inklusion sprechen. Ich bin überzeugt, solche sachlichen und fachlichen Argumente gibt es, sonst würde dieser famose Konsens nicht zustande gekommen sein.

Was höre ich aber? Ich höre einen Herrn Dr. Güldner, der hierhin kommt und mit einer populistischen Polemik die Gegner der Inklusion darstellt – –.

(Beifall BIW – Unruhe Bündnis 90/Die Grünen – Abgeordnete Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Gerade von Ihnen muss das kommen!)

Was hatten Sie gesagt, aussondern? Aussondern, aussortieren, und Sie haben einen Bogen zum Dritten Reich geschlagen. Das ist eine Dialektik, die verstecken soll, dass Sie kein einziges sachliches und fachliches Argument vorgebracht haben! Sie haben ein Totschlagargument vorgebracht. Eigentlich wollen wir hier eine Diskussion führen. Sie haben versucht, eine Diskussion zu unterbinden. Das ist die gleiche Art und Weise, wie Sie mit dieser Schulleiterin umgegangen sind. Dieses Totschlagargument, dieses Verhindern von Diskussionen. Ich kann nur hoffen, dass das billiger Populismus ist. Wenn das tatsächlich Ihre Geisteshaltung ist, Herr Kollege Dr. Güldner, dann kann ich Ihre Fraktion und Ihre Partei nur dafür beglückwünschen, dass sie mit ihrem weiblichen Dream-Team und ohne Sie in den Bürgerschaftswahlkampf ziehen! – Vielen Dank!

(Beifall BIW – Unruhe Bündnis 90/Die Grünen – Abgeordnete Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Sie haben ja kein weibliches Dream-Team, Herr Schäfer! Sie sind ein einzelner Abgeordneter! Es wäre für Sie schön, wenn Sie ein weibliches Dream-Team hätten!)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Dr. Buhlert.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn wir über Inklusion reden, müssen wir über eine inklusive Gesellschaft reden, über unser Gesellschaftsverständnis. Wollen wir eine Gesellschaft, zu der alle gehören können, die dazugehören wollen, wenn sie sich an die Regeln der Gesellschaft halten, oder wollen wir das nicht? Wir als Freie Demokraten haben ein solches Gesellschaftsverständnis, und deswegen ist die Debatte über inklusive Beschulung immer nur eine Teildebatte der Debatte über Inklusion, und die führen wir gern.

(Beifall FDP)

Um gleich einmal eine Antwort zu geben: Alle Schüler profitieren von der Inklusion, wenn sie richtig finanziert, ausgestattet und gemacht ist. Das ist auch Teil der wissenschaftlichen Ergebnisse, die wir lesen können, und das können wir auch mitnehmen. Dann muss man eben schauen, was die Gelingensbedingungen sind. Können wir sie schaffen, sodass alle Schülerinnen und Schüler auch davon profitieren?

(Beifall FDP)

Wir können uns doch alle die Frage stellen, was normal ist. Kann man das definieren, kann man das in Schubladen und Kästchen stecken? Ich glaube, das kann man eben genau nicht. Man muss sehen, jeder ist ein Individuum, und jede Schülerin und jeder Schüler hat es verdient, individuell bestmöglich zum individuell bestmöglichen Bildungsabschluss gebracht und gefördert zu werden.

(Beifall FDP)

Das ist eben die Spannbreite von der Hochbegabtenförderung, die die LINKE eben angesprochen hat, bis zu der Frage, wie hier mit Schülern umzugehen ist, für die sich die Frage stellt, ob sie überhaupt beschulbar sind, weil sie so beeinträchtigt sind. Wie können wir da die Gelingensbedingungen schaffen, sodass sie eine Schule besuchen können? In einigen Fällen stellt sich die Frage: Ist es angesichts der jetzigen Situation und Ausstattung, die wir haben, für sie besser, ein Förderzentrum für sie vorzuhalten? Wir haben das in der Diskussion vor zehn Jahren alle damit beantwortet, dass wir ein Förderzentrum für das Sehen, ein Förderzent

rum für schwerst-mehrfach Behinderte und ein Förderzentrum für Hörgeschädigte aufrechterhalten müssen.

Eines bleibt aber, und das haben wir damals nicht gesehen: Wie ist es mit den sozial-emotionalen Besonderheiten und Beeinträchtigungen? Ist es möglich, oder ist es nicht möglich?