Protokoll der Sitzung vom 30.05.2018

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Dr. Buhlert.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Unsere Gesellschaft hat doch einen Anspruch zu wissen, wer bei uns ist, warum er bei uns ist und auch eine Abschätzung zu haben, wie lange er bei uns ist und unter welchem Rechtsregime. Diesen Anspruch hat die Gesellschaft und den Anspruch muss dann auch die Verwaltung erfüllen, diese Antworten geben zu können und zwar verlässlich. Da muss man dann eben trotz aller bundeseinheitlichen Standards feststellen, dass es bisher eine hohe Missbrauchsquote gibt. Und wenn es diese hohe Missbrauchsquote gibt, gibt es ein verdammt hohes Diskreditierungspotenzial.

(Beifall BIW)

Das ist das, was wir erleben. Immer wieder wird vorgetragen, da sind ja viele Betrüger dabei, da sind Leute, die das System nur ausnutzen wollen et cetera. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen und können das nicht wegdiskutieren. Wenn es aber so ist, dass so hohe Zahlen von Menschen diskreditiert werden, dann müssen wir uns die Frage stellen, müssen wir nicht zum Schutz der Jugendlichen, die hier zu Recht herkommen, alle untersuchen, damit

klar ist, wer hier zu Recht in Anspruch nimmt Jugendlicher zu sein und wer es nicht tut. Sonst werden nämlich die Jugendlichen, die zu Recht hierher kommen, diskreditiert und das ist nicht richtig.

(Beifall FDP)

Natürlich, Frau Görgü-Philipp ist darauf eingegangen, greift man in die Gesundheit ein. Aber es ist eine Röntgenuntersuchung, im Zweifel von mehreren Stellen am Körper, dann sind es vielleicht drei oder vier Röntgenuntersuchungen. Ja, das ist ein Eingriff in die Gesundheit und es gibt auch Diskussionen, wie schädlich das ist. Es gibt auch Diskussion wie schädlich Langstreckenflüge aufgrund von Strahlung sind. Aber der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist abzuwägen, nach Auffassung von mir und der FDP-Fraktion, gegen die Probleme, die man hat, wenn man das neue Leben mit einer Lüge beginnt.

(Beifall FDP, BIW)

Und so eine Lüge, mit der kommt man ja dann nicht anders durch das Leben als sie aufrechtzuerhalten. Das ist kein guter Start für ein neues Leben. Deswegen sind wir der Meinung, diese gesundheitlichen Risiken sind in Kauf zu nehmen auch vor dem Hintergrund der Rechte, die die Jugendlichen haben.

(Beifall FDP, BIW)

Es ist ja nicht so, dass wir ihnen Blut abzapfen um die Länge der Telomere zu messen und daraus auszurechnen, wie oft Zellteilung stattgefunden hat. Nein, wir gehen hin und machen darauf eine qualifizierte Abmessung des Alters, das wahrscheinlich ist.

(Abgeordnete Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Wahrscheinlich!)

Wir wissen auch, dass Jugendliche in Ländern geboren werden, die nicht ihr Geburtsdatum kennen und keine Geburtsurkunde mitbringen. Ja, das wissen wir, weil diese Länder das gar nicht so haben. Da kann man sich nur annähern, aber man kann sich so genau annähern, dass der Bürger dieses Landes seinen Anspruch erfüllt bekommt, dass er weiß wer unter welchem Regime hier ist. Das ist ja nicht nur die Jugendhilfe, die in Anspruch genommen wird. Es hängt auch die Schulpflicht daran. Jugendhilfe geht ja teilweise, und das zu Recht, weil dort ist gerade dieses Psychologische

wichtig, bis 21. Auch Geflüchtete können Jugendhilfe über das 18. Lebensjahr hinaus in Anspruch nehmen. Aber es geht um Fragen wie Schulpflicht und alles, was daran hängt. Diese Fragen müssen wir ordentlich abprüfen, damit diejenigen, die zu uns kommen, nicht diskreditiert werden und wir als Rechtsstaat nicht weiter von rechts beschimpft werden, als ob wir das Recht nicht einhalten wollten. Deswegen ist es notwendig, dass wir ein rechtsstaatliches, ein möglichst verlässliches Verfahren hier wählen. Deswegen entscheiden wir uns dafür als Freie Demokraten, auch wenn es ein Eingriff in das Recht der Jugendlichen ist, dafür hier eine verbindliche Altersfeststellung zu machen. – Danke!

(Beifall FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Leonidakis.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will die Debatte einmal auf eine sachlichere Ebene bringen, anstatt hier Pauschalunterstellungen wie Lebenslüge Alter oder eine hohe Missbrauchsquote oder die meisten geben etwas Falsches an –

(Staunen CDU)

habe ich mich einmal mit den medizinrechtlichen Grundlagen beschäftigt. Wir reden hier ja über die zwei Anträge von der CDU und später noch von der AfD. Grundlage ist die vom Bundesgesetzgeber im Jahr 2015 eingeführte verbindliche Altersfeststellung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Die Methode steht den Jugendämtern frei. Zurzeit wird in Bremen das Alter von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen durch eine Inaugenscheinnahme der Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen im Jugendamt festgelegt. Im Zweifelsfall findet aber auch jetzt schon der Verweis an das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) statt und die Aufforderung einer medizinischen Altersfestlegung.

Dabei gibt es verschiedene Methoden. Die Röntgenuntersuchung von Handwurzeln, Zähnen oder Schlüsselbeinknochen. Bis zum Jahr 2015 wurden im UKE auch noch Genitalien untersucht, das ist besonders demütigend und mittlerweile zum Glück durch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter untersagt. Medizinische Untersuchungen sollen im Zweifelsfall durchgeführt werden. Da gibt die Bundesarbeitsgemeinschaft einen Graubereich von ein bis zwei Jahren an. Das ist auf

der Seite 37 der Empfehlungen, die genannt wurden, das ist aber unzutreffend und das imaginiert medizinische Forschungserkenntnisse.

Eine Fachpublikation des international renommierten Londoner Medizinstatistikers Prof. Cole macht deutlich, dass die beim Handwurzelröntgen angewandten Maßstäbe auf einer Erhebung aus den 1930er Jahren aus Ohio stammen und lediglich die durchschnittliche Entwicklung der Probanden darstellten. Schwankungen von sechs Jahren seien möglich. Daher kommt er zu der Aussage, dass das ermittelte Knochenalter nicht informativ sei und nicht angewendet werden sollte, da es eine Wahrscheinlichkeit von 61 Prozent gibt, bereits vor dem 18. Geburtstag ein ausgereiftes Handskelett zu haben. Mag sein, dass Sie das nicht interessiert, aber Sie haben ja die medizinische Untersuchung beantragt und dann sollte man sich auch bewusst sein, was das eigentlich heißt.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Auch beim Röntgen des Gebisses gibt es große Ungenauigkeiten. Die Spanne der Weisheitszahnentwicklung zum Beispiel liegt zwischen Probanden aus afrikanischen Ländern und aus Japan bis zu vier Jahre auseinander. Das wird nicht berücksichtigt bei dem Verfahren. Ganz grundsätzlich können Röntgenuntersuchungen nicht erzwungen werden, weil sie einen medizinischen Eingriff darstellen. Ihr Einsatz muss daher laut Röntgenverordnung Medizinrecht mit größter Zurückhaltung und nur bei zu erwartendem gesundheitlichem Vorteil und Indikation erfolgen, sprich, dass der gesundheitliche Nutzen das Strahlenrisiko übersteigt. Soweit also die medizinrechtlichen Grundlagen an die auch Ärztinnen und Ärzte in der Bundesrepublik gebunden sind. Die Altersfeststellung ist keine medizinische Indikation und kein Arzt und keine Ärztin kann dazu verpflichtet werden, solche Untersuchungen vorzunehmen. Auch nicht von Gerichten, im Übrigen.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Zu Recht stellt der Präsident der Bundesärztekammer, Herr Montgomery, daher fest, ich zitiere: „Röntgen ohne medizinische Indikation ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit.“

(Zuruf FDP)

Sie mögen da jetzt Ideologie oder was weiß ich für politische Absichten unterstellen. Das ist ein Arzt,

der das sagt und zwar der Präsident der Bundesärztekammer. Das können Sie nicht einfach so beiseite wischen. Der Deutsche Ärztetag ebenso hat festgestellt, dass Alterseinschätzungen durch Röntgen oder Computertomographie bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen „medizinisch nicht vertretbar sind“ – Zitat.

Bundesweit gibt es daher aus gutem Grund nur zwei Institute, die Altersfeststellungen vornehmen, eines davon ist das UKE, die vorher auch Genitaluntersuchungen gemacht haben und im Übrigen auch an der Brechmittelfolter, die wir hier gleich noch diskutieren werden, aktiv beteiligt waren und das ohne medizinische Indikation. Bei Folter muss man, glaube ich, nicht darüber reden, dass es dafür keine medizinische Indikation geben kann.

Halten wir fest, eine sichere unfehlbare Methode der medizinischen Altersfeststellung gibt es nicht. Das hat inzwischen sogar die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Anfrage der LINKEN Bundestagsfraktion zugegeben. Ich zitiere erneut: „Durch keine Methode der Altersfeststellung ist es möglich, das Lebensalter eines Menschen genau zu ermitteln“.

Röntgenuntersuchungen, zweite Feststellung, ohne medizinische Indikation sind unzulässig. Das praktizieren auch fast alle Medizinerinnen und Mediziner, die lehnen das daher auch ab. Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages erachtet Röntgenuntersuchungen als verfassungsrechtlich bedenklich und auf keinen Fall als alleinigen Maßstab zur Altersbestimmung zulässig. Deswegen, Sie werden sich nicht wundern, lehnen wir die beiden vorliegenden Anträge ab.

Das heißt natürlich nicht, dass aus unserer Sicht alles wie es jetzt ist, gut ist. Die Inaugenscheinnahme durch das Erstaufnahmeteam im Jugendamt hat auch eine hohe Fehlerquote. Es gibt Jugendliche, die wurden als volljährig geschätzt, die haben später durch Pass bewiesen, dass sie minderjährig sind.

(Zuruf Dr. Buhlert [FDP])

Das ist auch normal, wenn man sich anschaut, was da teilweise als Grundlage gilt. Die Empfehlungen des Bundesjugendamtes habe ich mir einmal angeschaut.

(Glocke)

Da sind dann anzukreuzende Kästchen mit Stimmlage, Haare, Stirnfalten, Halsfalten, Körperbehaarung, Bartwuchs, Gesichtszüge, Hände-/Körperbau. Ich bin Anfang 30, bekomme langsam graue Haare, meine Tante hatte mit 18 graue Haare. Ich glaube, anhand der Haare, der Hände oder Falten im Gesicht, kann man kein Alter erkennen, deswegen ist auch dieses Verfahren aus unserer Sicht noch verbesserungswürdig. – Danke schön!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Schäfer.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe eben diese Worte gehört wie Generalverdacht und Misstrauen. Ich weiß nicht, wer es von Ihnen mitbekommen hat, ich muss gerade meine ehemalige parlamentarische Gruppe abwickeln, weil mir meine Kollegen abhandengekommen sind, und immer, wenn ich Herrn Kasch von der Verwaltung der Bürgerschaft sage, das wird schon so stimmen, sagt er: Dazu hätte ich aber gern einen Beleg, ich glaube Ihnen das gar nicht. Dann frage ich immer: Was ist das denn für ein Generalverdacht, was ist das für ein Misstrauen? Ich werde die Ausgaben schon richtig gemacht haben.

(Zuruf Abgeordneter Röwekamp [CDU])

Dann sagt er zu mir: Nein, so geht das nicht. So geht das natürlich nicht, denn wenn wir hier über öffentliche Mittel reden, dann brauchen wir schon einen Nachweis. Ehrlich gesagt, finde ich das richtig.

(Beifall BIW)

Genauso ist es im Steuerrecht, genauso ist es überall. Wenn ich jetzt einfach behaupte, ich habe gestern zufälligerweise 2 000 Euro für eine Bewirtung ausgegeben, dann wird er mir sagen: Das glaube ich dir nicht. Misstrauen, Generalverdacht!

Kommt dann zum Beispiel ein junger Erwachsener und behauptet, er ist 16, und ich habe da meine Zweifel, dann heißt es: Oh, Misstrauen, Generalverdacht! Manchmal würde eine Suche bei Google reichen. Wenn jemand bei Werder Bremen in der U 17 spielt und schon vor zwei Jahren in Ghana in der Nationalmannschaft als Volljähriger spielte – den finde ich ja bei Google –,

(Beifall und Heiterkeit BIW)

dann frage ich mich, ob da eigentlich etwas nicht in Ordnung ist.

Wir wissen, dass jemand, der behauptet, minderjährig zu sein oder tatsächlich minderjährig ist, ein gesamtes Sammelsurium an Privilegien genießt: Er kann nicht abgeschoben werden, auch wenn er gar keinen Asylanspruch hat, er bekommt Hilfen, eine bessere Unterkunft und so weiter. Das Interesse zu behaupten, minderjährig zu sein, ist groß, und der Missbrauch ist erheblich.

Es gibt Länder, Staaten und Bundesländer, die eine solche Altersfeststellung nach vermeintlich oder möglichst objektiven Kriterien durchführen, das Universitätsklinikum in Hamburg-Eppendorf macht das zum Beispiel nach EU-Vorgaben. Sie sagen: Na gut, es gibt hier Befunde, bei denen sagen wir, der ist mit Sicherheit minderjährig, und dann gibt es welche, bei denen sagen wir, es ist völlig ausgeschlossen, dass er minderjährig ist, und dann gibt es eine große Gruppe, bei denen sagen wir, na ja, da ist eine Unsicherheit, die können minderjährig oder volljährig sein, also in dubio pro reo. In Hamburg liegt die Quote derjenigen, bei denen sie mit Sicherheit sagen können, sie sind nicht minderjährig, bei 50 Prozent.

Schweden, das ein großes Problem mit illegaler Einwanderung hat, hat dieses Thema der medizinischen Untersuchungen von behaupteter Minderjährigkeit vorangetrieben. Es gibt dort auch ein von der EU abgesegnetes Altersfeststellungsverfahren, und dort liegt die Quote bei 80 Prozent! 80 Prozent derjenigen, die behaupten, minderjährig zu sein, sind es gar nicht!

Gehen Sie doch einmal vor die Tür! Schauen Sie sich einmal die Leute an, die da ihre Aktionen gegen die Altersfeststellung machen, ich habe es eben noch gesehen. Da machen sie so kleine Theaterstücke, die so ein bisschen an die Mediziner in KZs im Dritten Reich erinnern sollen, wie schlimm es ist, dass man jetzt feststellen will, wie alt sie wirklich sind. Ich habe ja bei der FDP schon so manche Wette verloren,