Protokoll der Sitzung vom 07.11.2018

Dazu als Vertreterin des Senats Bürgermeisterin Linnert.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Röwekamp.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema klingt auf Anhieb sehr trocken, aber es ist für die politischen Gestaltungsräume unserer Schwesterstadt in Bremerhaven existenziell. Deswegen haben wir als CDU-Fraktion diesen Antrag heute auf die Tagesordnung gesetzt.

Wir sprechen uns mit unserem Antrag dafür aus, den Senat aufzufordern, möglichst schnell einen Vorschlag zu unterbreiten, wie das Finanzzuweisungsgesetz für unser Land in Zukunft aussehen soll, und damit festzulegen, welche finanziellen Gestaltungsspielräume in den Stadtgemeinden Bremen und Bremerhaven in den nächsten Jahren gegeben sind.

Warum den Antrag gerade heute, jetzt? Nun, es gibt zunächst drei formale Gründe. Der erste formale Grund ist §7 des geltenden inneren Zuweisungsgesetzes, in dem wir damals als Parlament und Gesetzgeber vorgegeben haben, dass eine Revision dieses Gesetzes bis zum 31. Dezember 2016 erfolgen soll. Es war also von Anfang an eine Befristung der bestehenden Regelung angedacht. Wir sind jetzt fast am 31. Dezember 2018, und obwohl sich seit 2015 eine Senatsarbeitsgruppe mit der Novellierung dieses Gesetzes befasst, gibt es zwar mittlerweile eine Verständigung über die Beauftragung eines gemeinsamen Gutachtens, aber Streit über die Auslegung der Ergebnisse dieses Gutachtens.

Wir sind, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht einen Millimeter weitergekommen, obwohl drei Jahre beraten worden ist. Wir sind der Auffassung, es ist jetzt genug in der Arbeitsgruppe beraten worden, wir müssen mit der Gesetzgebung beginnen.

(Beifall CDU, FDP)

Der zweite formale Grund liegt in §3 des Finanzzuweisungsgesetzes und ist existenziell, weil er für die beiden Stadtgemeinden Bremen und Bremerhaven die Strukturhilfen und die Ergänzungszuweisung definitiv zeitlich befristet. Die sind befristet und werden im Jahr 2020 letztmalig gezahlt. Das sind für Bremen 114 Millionen Euro und für die Stadtgemeinde Bremerhaven 49 Millionen Euro. Das heißt, wenn wir es nicht schaffen, das Gesetz möglichst zeitnah zu reformieren, dann werden in Bremerhaven 49 Millionen Euro Zuweisungen fehlen. Dann kann die Stadtgemeinde Bremerhaven Insolvenz anmelden, meine Damen und Herren, und das ist doch mit dem Amtsverständnis eines Senats unvereinbar.

(Beifall CDU, BIW)

Der dritte formale Grund ist, dass wir eine auslaufende Sanierungsvereinbarung mit Bremerhaven haben. Ausgehend von der Sanierungsvereinbarung mit dem Bund über die Sonderzuweisung gibt es eine auch 2020 auslaufende Vereinbarung, wie das Geld, das zusätzlich vom Bund kommt, in die beiden Kommunen verteilt wird. Wir werden eine neue Sanierungsvereinbarung haben, mit der 400 Millionen Euro plus zusätzliche Umsatzsteueranteile nach Bremen fließen. Es ist bis heute völlig ungeklärt, wie dieses Geld in Bremerhaven eingesetzt werden soll.

Der Senat hat in einem aufwendigen Prozess eine Hochglanzbroschüre erstellt, in der er feststellt, wie er sich unser Land in Zukunft vorstellt. Meine Damen und Herren, bevor solche Hochglanzbroschüren gedruckt und verteilt werden, wäre es viel sinnvoller, der Stadtgemeinde Bremerhaven mitzuteilen, um ihr Planungssicherheit zu geben, wie viel von diesem Geld für welche Zwecke in Bremerhaven ab 2020 eingesetzt werden kann.

Wir wollen, dass die Wirtschafts- und Finanzkraftstärkung auch in Bremerhaven stattfindet. Das geht nicht über Nacht, sondern muss geplant werden. Deswegen braucht Bremerhaven auch für dieses Geld Planungssicherheit, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall CDU, FDP, BIW)

Dass die Finanzsenatorin das im Prinzip genauso sieht, ergibt sich aus der Debatte, die wir hier im Parlament am 15. März 2018 geführt haben. Sie sagte auf die Frage des Kollegen Hilz – ich zitiere:

„Man muss sich das einmal vorstellen: Im Mai 2019 sind Wahlen. Die neue Regierung muss sich dann, um eine lange haushaltslose Zeit im Jahr 2020 zu vermeiden, sehr schnell mit dem Haushalt beschäftigen. Wenn man nicht weiß, was mit den dem Land zustehenden 400 Millionen Euro passiert und welche Unterstützung die beiden Gemeinden daraus bekommen sollen, und man dann erst damit beginnen muss, ein Finanzausgleichgesetz zu verhandeln, dann finde ich das eher schwierig“, Zitatende, meine Damen und Herren.

Genau, wir finden das auch schwierig.

(Beifall CDU, FDP, BIW)

Deswegen muss dieses Gesetz in die parlamentarische Beratung. Es gibt neben diesen formalen Gründen, meine sehr verehrten Damen und Herren, noch drei politische Gründe, die ich kurz in die Debatte einbringen möchte: Artikel 65 Absatz 3 unserer Landesverfassung verpflichtet unsere Gesellschaft und damit auch dieses Parlament dazu, gleichwertige Lebensverhältnisse in den beiden Städten sicherzustellen.

Zum Glück hat die Finanzsenatorin am Freitag letzter Woche einen Ergebnisbericht zur Steuerschätzung verschickt, für den ich sehr dankbar bin. Wer diesen genau liest, wird feststellen, dass sich die finanziellen Verhältnisse zwischen Bremen und Bremerhaven in den letzten Jahren – ich würde fast sagen dramatisch – verschoben haben, was die eigenen Steuereinnahmen betrifft.

Der Abstand von steuereigenen Steuereinnahmen je Kopf beträgt zwischen Bremen und Bremerhaven 516 Euro je Einwohner. Das heißt, in Bremerhaven werden im kommunalen Haushalt je Einwohner 516 Euro weniger Steuern eingenommen als in der Stadtgemeinde Bremen. Gegenüber 2012 hat sich der Abstand fast verdoppelt. Das ist auch keine Kleinigkeit. Bei 113.000 Einwohnern unterschreitet Bremerhavens Steuerkraft die der Stadtgemeinde Bremen um 58 Millionen Euro.

Meine Damen und Herren, das sind keine gleichwertigen Lebensverhältnisse. Wer diese gleichwertigen Lebensverhältnisse wiederherstellen will, der muss einen Ausgleich finden in neuen Finanzzuweisungen.

(Beifall CDU, FDP, BIW)

Der zweite politische Grund ist, dass wir als Parlament dem Senat vor über einem Jahr einen Auftrag

gegeben haben: endlich dafür zu sorgen, dass neben den Personalkosten für die Lehrerinnen und Lehrer auch die Kosten für das nicht unterrichtende Personal in Bremerhaven vom Land getragen werden. Nach einer Aufstellung des Stadtrats Frost aus Bremerhaven betragen die 26 Millionen Euro pro Jahr, meine Damen und Herren. Ich kann nicht verstehen, dass der Senat trotz dieses eindeutigen Auftrags des Parlaments bis heute keine Lösung für die Stadtgemeinde Bremerhaven gefunden hat, diese Kosten, die definitiv Kosten des Landes sind, als Land zu tragen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall CDU, BIW)

Der dritte politische Grund – und damit werde ich schließen – ist, dass wir diesen Antrag eingebracht haben, sehr geehrte Frau Finanzsenatorin, weil Sie uns selbst dazu aufgefordert haben. Sie haben in der Debatte am 15. März 2018 auf die Frage des Kollegen Hilz „Frau Bürgermeisterin, kann die Bürgerschaft etwas tun, um Sie bei diesem Vorhaben zu unterstützen?“ geantwortet – ich zitiere: „Ja, quälen Sie mich regelmäßig.“

Sehr geehrte Damen und Herren, das machen wir mit diesem Antrag. Ich bitte um Zustimmung. – Vielen Dank!

(Heiterkeit – Beifall CDU, FDP, BIW)

Als nächste Redner hat das Wort der Abgeordnete Fecker.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Auch aus Sicht der grünen Bürgerschaftsfraktion ist eine Novellierung des innerbremischen Finanzausgleichs notwendig. Die bisherigen Regelungen müssen auf den Prüfstand gestellt und überarbeitet werden.

Die Finanzströme im kommunalen Finanzausgleich bestehen aus drei Bausteinen. Es gibt die sogenannten Schlüsselzuweisungen, in die die steuerabhängigen Einnahmen des Landes fließen, mit einer besonders gewichteten Einwohnerzahl, in denen unter anderem die Bedarfsgemeinschaften nach SGB II in die Gewichtung fallen. Dann gibt es die sogenannten Ergänzungszuweisungen, das ist eine konstante Größe, in der der Basisbetrag für Bremerhaven überproportional ist, um auch den überdurchschnittlichen Problemlagen der Stadt gerecht zu werden. Zum Abschluss gibt es noch die sogenannten Strukturhilfen, die dazu beitragen

sollten, dass das strukturelle Minus im Haushalt beider Städte ausgeglichen werden kann.

Ferner ist geregelt, dass das Land Bremen beiden Gemeinden 100 Prozent der Personalausgaben für aktives und ehemaliges unterrichtendes Personal im Bereich Bildung erstattet und die Gemeinde Bremerhaven jährlich 100 Prozent der Personalinvestitions- und Sachausgaben der Ortspolizeibehörde erstattet bekommt. Dann gibt es noch eine Reihe von Programmen, an denen Bremen und Bremerhaven anteilig partizipieren.

Wir haben derzeit also belastbare Regelungen, die auch der besonderen Situation Bremerhavens Rechnung tragen. Wir haben aber genauso den Bedarf, die bestehenden Regelungen noch einmal zu verändern, und zwar im Interesse beider Städte, meine Damen und Herren!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

All denjenigen Bremern, die gelegentlich etwas abwertend in Richtung Seestadt schauen, kann ich nur raten, die Nase nicht zu hoch zu halten.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU, FDP, BIW – Abgeordneter Röwekamp [CDU]: Bei uns gibt es das auch nicht!)

Auch die Stadt Bremen wird voraussichtlich perspektivisch nicht mit eigenen Kräften die Einhaltung der Schuldenbremse schaffen. Eine Novelle der Finanzzuweisung ist also im Interesse beider Kommunen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU, FDP, BIW)

Dass es die Kommunen noch einmal schwerer haben, weil bei ihnen die kaum beeinflussbaren Kosten im Sozialhilfebereich landen und gleichzeitig die Chance der eigenen Einnahmen sehr beschränkt ist, ist auch unstrittig. Dies alles als Grundvorlage vorausgeschickt kann ich das Agieren des Magistrats in Bremerhaven nicht nachvollziehen. Wer so arbeitet wie die Verantwortlichen in der Seestadt, der spielt mit der Zukunft Bremerhavens, meine Damen und Herren.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, FDP)

Bisher ist der Magistrat nur durch besondere Ideenarmut aufgefallen. Außer einem Mehr gibt es darüber hinaus keine konkreten Vorstellungen für eine Neuregelung. Ich höre immer nur, was alles

nicht geht. Die vom Oberbürgermeister in den Koalitionsverhandlungen hier in Bremen gemachten Zusagen hatten teilweise eine Haltbarkeit von nur, hübsch formuliert, wenigen Tagen. Die Kämmerer der Stadt, übrigens allesamt verdiente Christdemokraten, tauchen in der Diskussion eigentlich gar nicht auf oder fallen nur durch Beschimpfungen oder Drohungen auf.

Bremerhaven hat eine bessere Regierung verdient, meine Damen und Herren, denn Bremerhaven kann so viel mehr. Die Entwicklung hin zu mehr Tourismus, hin zu mehr Forschung und Lehre weiterhin mit starken Häfen, mit einer Stärkung des Wirtschaftsstandorts gerade im Bereich Green Economy, es gibt so viele tolle Möglichkeiten, den Strukturwandel zu gestalten und sich gleichzeitig auch um die zu kümmern, die davon im negativen Sinne betroffen sind, den Zusammenhalt zu stärken und die Kinderarmut zu bekämpfen und das alles eben nicht nur zu verwalten, wie es gerade passiert.

Wir wollen gleichwertige Lebensverhältnisse in Bremerhaven und Bremen. Wir wollen beide Kommunen finanziell stärker unterstützen, und wir wollen gern noch in dieser Legislaturperiode eine Neuregelung, meine Damen und Herren.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU, FDP)

Und all denjenigen, die jetzt auf Zeit spielen, weil sie irgendwie auf eine andere Regierung, auf andere Senatsmitglieder oder was auch immer hoffen, vielleicht ja auch auf den lieben Gott, all denen sei gesagt, dass wir für die Haushalte 2020 und 2021 Grundlagen brauchen. Dazu gehört auch der kommunale Finanzausgleich. Da müssen dann die Übernahme der Kosten des nicht unterrichtenden Personals und eine entsprechende Zuweisungsrichtlinie enthalten sein.

Da muss es zweckgebundene Mittel für Projekte oder Aufgaben geben, es muss bedarfsgerechte Anpassungen geben, und wir müssen auch über die teilweise oder vollständige Entschuldung beider Kommunen diskutieren. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

(Abgeordneter Röwekamp [CDU]: Herr Fecker hat noch nicht gesagt, was er mit dem Antrag macht.)