Protokoll der Sitzung vom 12.12.2018

Es ist beantragt worden, die erste Lesung zu unterbrechen und das Vierte Gesetz zur Änderung des Landesmindestlohngesetzes zur Beratung und Berichterstattung an die staatliche Deputation für Wirtschaft, Arbeit und Häfen (federführend) und

den staatlichen Haushalts- und Finanzausschuss zu überweisen.

Wer der Unterbrechung der ersten Lesung und der Überweisung des Gesetzes zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Abgeordnete Frau Wendland [parteilos], Abgeordneter Öztürk [SPD, fraktionslos])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(CDU, FDP, DIE LINKE, BIW, Abgeordneter Schä- fer [LKR], Abgeordneter Tassis [AfD])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) beschließt die Unterbrechung der ersten Lesung und die Überweisung des Gesetzes.

Im Übrigen nimmt die Bürgerschaft (Landtag) von der Antwort des Senats vom 4. Dezember 2018 Drucksache 19/1942 auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE Zukunft des Landesmindestlohns vom 26. September 2018 (Drucksache 19/1848) Kenntnis.

Ich unterbreche die Landtagssitzung für eine Mittagspause bis 14:55 Uhr.

Vizepräsident Imhoff eröffnet die Sitzung wieder um 14.55 Uhr.

Die unterbrochene Sitzung der Bürgerschaft (Landtag) ist wieder eröffnet.

Wir setzen die Tagesordnung fort.

Ist Bremen für den Brexit ausreichend gewappnet? Große Anfrage der Fraktion der CDU vom 23. Oktober 2018 (Drucksache 19/1871)

Dazu

Mitteilung des Senats vom 13. November 2018 (Drucksache 19/1912)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Bürgermeister Dr. Sieling.

Ich gehe davon aus, dass der Senat die Antwort auf die Große Anfrage nicht mündlich wiederholen möchte, sodass wir direkt in die Aussprache eintreten können. – Das ist der Fall!

Die Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Grobien.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Aktueller kann eine Debatte in der Bremischen Bürgerschaft wohl kaum sein. Die Verschiebung der Abstimmung im Unterhaus des englischen Parlaments über das Abkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union bestimmt seit zwei Tagen wieder die Medien. Heute nun auch noch die Nachricht über das Misstrauensvotum gegen Theresa May heute Abend. Die Ratlosigkeit über das Brexit-Chaos ist nicht kleiner, sondern eher größer geworden. Die unterschiedlichen Ausstiegsszenarien waren für uns als Fraktion der CDU im Oktober vor dem Hintergrund der Bedeutung bremisch-britischer Verflechtungen Anlass dafür, die Große Anfrage an den Senat zu richten. Sie trägt den Titel „Ist Bremen für den Brexit ausreichend gewappnet?“. Denn eines ist klar, in jedem Fall, egal welches Szenario zum Tragen kommt, wird es Auswirkungen auf den bremischen Wirtschafts- und Handelsstandort geben. Am 29. März 2019 gilt entweder das mit der EU ausgehandelte Übergangsabkommen mit den Übergangsfristen bis 2021. Dann wird die Landung etwas weicher. Oder es kommt Ende März, und das wird seit zwei Tagen immer wahrscheinlicher, doch zum harten Brexit mit dann noch ungeahnten Folgen für alle Beteiligten.

Zunächst danke ich dem Senat für die in vielen Teilen doch sehr ausführliche Antwort auf unsere Fragen, auch wenn die Antworten manchmal etwas vage bleiben, was aber auch auf die chaotischen Verhältnisse in Großbritannien zurückzuführen ist und den Umstand, dass tatsächlich niemand die Folgen eines harten Brexits vollumfänglich abschätzen kann. Vor allem im Warenverkehr mit den dann erforderlichen Zollabfertigungen werden im Vereinigten Königreich chaotische Zustände erwartet, eingeschränkte Verkehre, massenhafte Lkw-Staus, eingeschränkter Flugverkehr, Engpässe sogar in der Lebensmittelversorgung werden befürchtet. Kommt es zu einem harten Brexit, dann muss Großbritannien wie ein Drittstaat mit allen Folgen und Konsequenzen behandelt werden. Der

Warenhandel, Zoll, Marktzugänge und Regulierungen für technische, chemische und pharmazeutische Produkte, aber auch Markenrechte, Patentrechte sowie Lizenzverträge und das Gesellschaftsrecht müssen unter den neuen Voraussetzungen neu vereinbart werden. Deutsche Unternehmen, zum Beispiel die Mitarbeiter nach Großbritannien entsenden, bräuchten plötzlich Aufenthaltsgenehmigungen für ihr Personal. Es werden keine umsatzsteuerfreien Lieferungen mehr geben, und nach einer zollrechtlichen Ausfuhranmeldung bei der Einfuhr in Großbritannien wird sofort und direkt die Einfuhrumsatzsteuer fällig.

Auch die Transport- und Logistikbranche steht vor großen Herausforderungen. Wenn Zollkontrollen eingeführt werden, etwa in Calais und Dover, wird das zu ungeahnten Wartezeiten und Staus an den Grenzen führen. Auch in Bremerhaven und am Flughafen Bremen ist mit Verzögerungen zu rechnen. Zoll ist Bundesrecht, und der Bund hat bereits reagiert. Die deutsche Finanzverwaltung wird bundesweit zusätzlich 900 Stellen schaffen, um dem Regelungs- und Abfertigungsbedarf gerecht zu werden. Exporteure und Importeure müssen sich darauf einstellen, dass sie ab April kommenden Jahres Einfuhr- und Ausfuhranmeldungen ausfüllen müssen. Und Bremen? Der Senat hat insgesamt 20 Landesgesetze und Verordnungen identifiziert, bei denen aufgrund des Brexits möglicherweise Änderungsbedarf besteht. Im Gegensatz zu Niedersachsen allerdings, die bereits ein Übergangsgesetz auf den Weg gebracht und verabschiedet haben, spielt Bremen auf Zeit und wartet den weiteren Verlauf der Verhandlungen und Abstimmungen ab.

Ansonsten gibt es, wie immer hier üblich, Staatsräterunden, die sich mit dem Brexit befassen, und natürlich auch die entsprechenden Teilnahmen und Präsenzen an den Bund-Länder-Arbeitsgruppen. Groß ist das Angebot an Hilfestellungen durch die Handelskammer in Bremen. Informationsveranstaltungen für die Wirtschaft, Stammtische, Beratungen im Plenum und andere Hilfestellungen zeigen, dass die Handelskammer zum Thema Brexit sehr agil ist und ihre Betreuungsfunktion für die mittelständische Wirtschaft auch sehr gut angenommen wird. Volkswirtschaftlich gesehen hätte ein ungeordneter Brexit aus bremischer Sicht im Automobil- und Luftfahrtbereich die spürbarsten Auswirkungen. Das Vereinigte Königreich ist ein wichtiger Zuliefermarkt für Airbus in Bremen und für das Mercedes-Werk ein wichtiger Absatzmarkt für Automobile.

Auf der anderen Seite haben solche Unternehmen am ehesten das Know-how und die Ressourcen, um ihre Prozesse umzustellen, auch wenn sie dann etwas komplizierter, langwieriger und teurer werden. Größere Schwierigkeiten haben die kleinen Mittelständler. Wir hoffen und erwarten vom Senat, dass er alles tut, um negative Folgen des Brexit für die bremische Wirtschaft, unsere Arbeitnehmer und unsere Bevölkerung abzuwenden.

Als Kandidatin für die Wahl zum Europäischen Parlament liegt mir zum Schluss aber noch ein Satz zur Situation in Europa am Herzen. Ich kann mich noch gut an den 24. Juni 2016 erinnern, den Tag, als morgens das Brexit-Votum bekannt geworden ist. Man ging abends ins Bett und dachte, das wird schon alles, und am nächsten Morgen sah die Welt plötzlich von einem Moment auf den anderen ganz anders aus, übrigens in dem Jahr noch ein zweites Mal, als im November der amerikanische Präsident gewählt wurde.

Jetzt, zwei Jahre nach dem Referendum, ist die Unsicherheit größer denn je. Es kann nicht sein, dass Großbritannien nach zwei Jahren Verhandlungen versucht, die europäische Staatengemeinschaft vor sich her zu treiben. Einem möglichen Nachverhandeln des Abkommens hat der Präsident des Europäischen Parlaments daher schon konsequent eine Absage erteilt. Die Unsicherheit und die widersprüchlichen Aussagen zum Thema Brexit machen deutlich, wie wichtig die Gemeinsamkeiten der Gemeinschaft der anderen 26 Mitgliedsstaaten ist und wie wichtig es ist, weiter dafür zu kämpfen und einzutreten.

Eines möchte ich deutlich machen, das ist mein letzter Satz: Sollten sich die Briten tatsächlich für einen Verbleib in der EU entscheiden, dann sollten wir diese Entscheidung begrüßen, denn gerade als Bremerinnen und Bremer sollten wir uns um diese Option nicht streiten. – Vielen Dank!

(Beifall CDU, SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Bergmann.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Am 23. Juni 2016 entschieden sich die britischen Wähler mit einer knappen Mehrheit für den Austritt aus der Europäischen Union. Die Briten wollen Demokratie, Liberalität, Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit und Wohlstand genau wie wir. Offensichtlich ist aber ein großer Teil der Briten davon überzeugt,

dass sie das allein besser realisieren können, und haben ihr Misstrauen gegenüber Europa zum Ausdruck gebracht.

Menschen aus anderen Ländern orientieren sich daran und nähren ihre europafeindliche Haltung. Mit dazu beigetragen haben, erstens Ohnmacht angesichts der geringen Einflussmöglichkeiten der Nordländer innerhalb der EU, zweitens Unklarheit, wie mit der gemeinsamen Migrationspolitik oder den sehr unterschiedlichen Sozialstandards umgegangen werden soll, und drittens realer oder gefühlter Kontrollverlust, wenn in Brüssel Entscheidungen getroffen werden, die das einzelne Land selbst regeln könnte und bei denen am Ende keiner weiß, wie sie zustande gekommen sind, Beispiele: Treibstoff, Stickoxide. Alle drei Punkte sind Treiber bei den Europäerinnen und Europäern, welche dieses einmalige Friedensobjekt Europäische Union bekämpfen.

Als Freie Demokraten verstehen wir die Gründe, bedauern aber ausdrücklich, dass die zweitgrößte Volkswirtschaft Europas die gesamte politische Nachkriegsordnung mit ihrer Entscheidung infrage stellt. Wir bedauern das insbesondere auch mit dem Blick auf globale Dynamiken, denn mit der Perspektive auf die Global Player gibt es keine Alternative zur EU, wenn wir nicht in der Bedeutungslosigkeit des Weltgeschehens versinken wollen.

(Beifall FDP)

Wie integrativ die Ausgestaltung der Umsetzung der EU ist, darüber ist nachzudenken. Der Begriff der Rosinenpickerei assoziiert den Klaps auf ein unartiges Händchen. Es geht in Europa um Freiheit für Menschen, Dienstleistungen, Waren und Kapital. Das geht nicht mit der Bestrafung von Ländern, die ausscheiden wollen oder mit Zwang zusammengehalten werden. Nur ein System, das man verlassen kann, in dem man freiwillig ist, ist stabil, meinte Professor Sinn letzte Woche bei dem Unternehmerforum im Parkhotel und wir wollen doch letztlich alle ein stabiles Europa.

(Beifall FDP)

Gestern sollte nun das Unterhaus über die Modalitäten des Ausstiegs des Vereinigten Königreichs aus der EU entscheiden. Frau May verschob den Entscheidungstermin. Die kurzfristigen Folgen des Brexits auf die Briten selbst, werden den Bürgern jetzt immer bewusster: Verzögerungen bei der

Zollabfertigung, Engpässe bei der Stromversorgung oder bei den Chemikalien für Trinkwasseraufbereitung und so weiter.

Auch viele Versprechungen, welche im Zusammenhang mit dem Brexit gemacht worden sind, wie zum Beispiel eine bessere finanzielle Ausstattung des National Health Service, werden nicht eingehalten. Vielleicht ginge das Referendum von 2016 heute anders aus. Vorgestern entschied der Europäische Gerichtshof, dass sich das Vereinigte Königreich ohne weitere Abstimmungen mit anderen EU-Staaten noch bis zum 29. März 2019 gegen einen Brexit entscheiden könnte.

Für Deutschland und insbesondere für unsere vom Export bestimmte Handelsstadt Bremen wäre dies eine äußerst wünschenswerte Kehrtwende.

Würde, sollte, hätte – wir wissen nicht, was geschehen wird. Daher müssen sich Bürger, Unternehmen und Verwaltung auf die Situation vorbereiten, die kommen könnte. Denn wir wollen, dass das Vereinigte Königreich, in welcher Form auch immer, enger Handelspartner von Deutschland und Bremen bleibt. Das Thema ist groß, daher wollte ich nicht nur platt die gestellte Frage beantworten, aber zur konkreten Bewertung und Kommentierung der Senatsantwort komme ich nachher noch einmal. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall FDP)

Als nächste Rednerin hat die Abgeordnete Dr. Müller das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einer aktuellen Kommentierung der Nachrichten von heute anfangen. Als der Brexit beschlossen wurde, habe ich gedacht, das ist ein gravierender Fehler, den die Briten machen. Damit war ich nicht allein. Aber dass sie die Premierministerin heute auch noch mit einem Misstrauensvotum belegen, obwohl sie morgen in Brüssel versucht, den Vertrag nachzuverhandeln – es macht mich einfach sprachlos, wie die Briten da agieren.

(Abgeordneter Tschöpe [SPD]: Britischer Humor!)

Ja, vielleicht ist es britischer Humor, aber irgendwann muss man auch einmal die Grenzen erkennen, vor allem wenn die Zukunft des eigenen Landes so auf dem Spiel steht, wie es gerade im Verei

nigten Königreich der Fall ist. Ich bin sehr gespannt, ich hätte die Debatte gern auf morgen verlegt, denn dann hätten wir vielleicht wirklich darüber sprechen können, was auf uns zukommt. Wahrscheinlich wird die Frage aber noch weiter offen bleiben. Die Frage an den Senat war als Überschrift mit der Frage versehen „Ist Bremen für den Brexit ausreichend gewappnet?“.

Der Senat hat, wie ich finde, sehr, sehr eindrucksvoll dargelegt, was wir alles versuchen. Man muss aber sagen, wir können gar nicht gewappnet sein, denn wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Deswegen, glaube ich, ist es ratsam, sich wie so oft im Leben einfach auf das Schlimmste vorzubereiten und sich dann zu freuen, wenn es gar nicht so schlimm kommt.