Protokoll der Sitzung vom 24.01.2019

nehmen. Von ihnen wird erwartet, diese gesamtgesellschaftliche Herausforderung zu lösen, und die meisten stellen sich diesen Herausforderungen,

(Abgeordneter Janßen [DIE LINKE]: 23 Prozent!)

obwohl ihre Aufgabe sie bereits fordert, nämlich sich in ihrem jeweiligen Kerngeschäft wirtschaftlich langfristig erfolgreich aufzustellen. Daher entscheiden sie sich häufiger dafür, nicht alle gesellschaftlichen Aufgaben gleichzeitig in ihrem Betrieb zu verwirklichen. Sie tun das eine, aber sie tun vielleicht nicht das andere. Dies bewerten Teile von Politik und Gesellschaft – wir haben hier Vertreter zu sitzen – negativ und schlagen sogar die Erziehung von Unternehmen durch Sanktionsmechanismen vor, auch wenn der heutige Begriff zur Abwechslung einmal Ausbildungsfonds heißt.

(Abgeordnete Strunge [DIE LINKE]: Was ist denn positiv daran, wenn nur 15 Prozent der Betriebe ausbilden?)

Ich habe gerade gesagt, dass es viele Aufgaben gibt und manche nun einmal viele andere Dinge tun und nicht genau dieses eine.

(Glocke)

Als Fraktion der FDP erkennen wir das Dilemma der Unternehmen ebenso an wie die dramatische Situation, dass Jugendliche dringend Ausbildungsplätze benötigen. Die Ursachenforschung führt uns allerdings zu anderen Erkenntnissen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Böschen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Ausbildungsbetriebsquote beträgt in Bremen 22,4 Prozent. Im Bund beträgt sie 20, in Hamburg 16,9 und in Berlin 11,9 Prozent. Die Ausbildungsquote ist in Bremen besser als in Hamburg oder in Berlin und genauso groß wie im Bund. Das, finde ich, ist in Bremen erst einmal vorbildhaft.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Nun will ich mitnichten behaupten, dass ich damit zufrieden bin, jetzt alles gut ist und kein weiterer Diskussionsbedarf besteht. Wir, als öffentliche

Hand, haben aber erst einmal 400 neue Ausbildungsplätze geschaffen. Die Privaten haben nicht nachgezogen, da ist die Ausbildungskapazität sogar zurückgegangen. Das kann niemanden zufriedenstellen, und daran müssen wir arbeiten.

Wenn wir uns das Ganze jetzt aber noch einmal näher ansehen, dann stellen wir fest, dass die Ausbildungsbetriebe besonders stark im verarbeitenden und im Baugewerbe vertreten sind, dass die Ausbildungsquote besonders im Gastronomie- und im Baubereich stark ist. Fakt ist, unter dem Strich bilden immer weniger Betriebe aus, gleichzeitig beklagen aber immer mehr Betriebe ihren sogenannten Fachkräftebedarf oder Fachkräftemangel, und Jugendliche mit einfachen Bildungsabschlüssen haben so gut wie keine Möglichkeit, in eine Ausbildung zu kommen.

Dabei sind der Fachkräfte- und der Ausbildungsplatzmangel in Bremen allerdings stark branchenspezifisch und sehr unterschiedlich. Während der Fachkräftemangel sich stark auf die wirtschaftsbezogenen Dienstleistungen im Gesundheits- und im Sozialwesen, in Handel und Reparatur konzentriert, haben wir den Ausbildungsplatzmangel bei Kaufleuten im Einzelhandel, bei medizinischen Fachangestellten, Tischlereien und im Bereich Mechatronik. Obwohl 80 Prozent der Betriebe befürchten, ihren Fachkräftebedarf zukünftig nicht decken zu können, nehmen sie keine Ausweitung ihrer Ausbildungskapazitäten vor. Warum nicht? Das hat natürlich unterschiedliche und auch vielfältige Gründe.

Ein ganz wichtiger Punkt sind dabei die niedersächsischen Jugendlichen. Ich hatte gerade eine Besuchergruppe Industriemechanikerinnen und Industriemechaniker, eine Frau war dabei, aus einer Berufsschulklasse in Bremerhaven. Ich habe gefragt: Wie viele von Ihnen wohnen denn in Bremerhaven oder auch in Bremen? Vier von zwanzig, der Rest kam aus Niedersachsen. Das ist mit Sicherheit ein Punkt, der, bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen hier in Bremen, eine große Rolle spielt.

Darüber hinaus hören wir aber auch, gar keine Frage, dass insbesondere kleine Betriebe Mühe haben, den mit der Ausbildung verbundenen Verpflichtungen nachzukommen, und wenn dann eventuell noch schlechte Erfahrungen des einen oder anderen Betriebs gemacht wurden, dann ist die Ausbildungsbereitschaft gleich ganz weit unten. Da muss man gegensteuern, ich glaube, da sind wir sogar alle einer Meinung.

Ich erinnere mich gut an die Debatte, die wir dazu im März 2018 geführt haben. Auch da kam von der LINKEN die Forderung nach einer Ausbildungsumlage, einer Ausbildungsplatzabgabe. Dabei wird verwiesen auf die Vereinbarungen, die sowohl in der Pflege als auch im Baubereich getroffen wurden. Ich finde, das sind großartige Beispiele, Chapeau!

Daran kann man sich orientieren, aber ich bitte auch zu berücksichtigen, dass diese Beispiele, diese Vereinbarungen, die da entstanden sind, zwischen den Sozialpartnern ausgehandelt wurden. Das heißt, da wurde in den einzelnen Branchen durchaus erkannt, dass man dem Fachkräftebedarf etwas entgegensetzen muss, dass man an den Arbeitsbedingungen arbeiten muss und dass es gegebenenfalls auch sinnvoll sein kann, hier eine entsprechende Vereinbarung zu schließen. Das ist ein gutes Beispiel, so sollte es auch in anderen Branchen sein.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Daran arbeiten wir. Es gibt ja durchaus Bestrebungen, hier die Branchen entsprechend zu unterstützen, um solche Lösungen zu finden, aber wir alle wissen doch, Bremen ist keine Insel. Wenn wir hier sagen: Jetzt beschließen wir einmal für den Bereich der medizinischen Fachangestellten eine Ausbildungsumlage, denn da sind zu wenig Ausbildungsplätze. Was glauben wir denn, was mit den Praxen, mit den Betrieben, in denen diese jungen Frauen, denn das sind in der Regel Frauen, die dort ausgebildet werden, passiert? Ob das der Situation in Bremen tatsächlich zuträglich ist? Ich habe da meine Zweifel.

Ich glaube, dass wir eine Menge zu tun haben. Wir müssen dafür sorgen, dass es Unterstützung gibt. Das machen wir einerseits schon im Bildungsbereich: Feste Berufsorientierungskräfte und eine bessere Vorbereitung junger Menschen darauf, welche Erwartungen, Möglichkeiten nach der Schule tatsächlich für sie bestehen.

Wir müssen auch die Berufsschulen besser ausstatten, da sind wir, glaube ich, alle einer Meinung. Berufsschulen und Ausbildung müssen sehr attraktiv sein, und das gehört dann auch entsprechend mit Ausstattung, mit Ressourcen hinterlegt.

(Glocke)

Wir brauchen Unterstützung, aber auch derjenigen Jugendlichen, die große Schwierigkeiten haben,

die ein Betrieb, insbesondere ein kleiner Betrieb, in der Ausbildung so gar nicht handhaben kann. Machen wir uns gar nichts vor, wir brauchen Unterstützung für die Betriebe. Alles andere kann ich aber auch gern noch in der zweiten Runde erzählen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Schäfer.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kollegen! Ich bin über das Wort Ausbildungsbetriebsquote gestolpert. Das kannte ich, ehrlich gesagt, gar nicht. Es ist ja eine Schande, wenn so wenige Betriebe ausbilden. Im Grunde genommen, zählt aber ja nicht die Anzahl der Betriebe, sondern es zählen die Anzahl der Arbeitsplätze und die Anzahl der Auszubildenden.

Wenn wir uns das einmal anschauen, dann liegt lediglich bei den kleinen Betrieben unter zehn Mitarbeitern die Ausbildungsbetriebsquote unter 50 Prozent, ab zehn Mitarbeitern beträgt die Ausbildungsbetriebsquote schon 50 Prozent, ab 50 Mitarbeitern ist die Ausbildungsbetriebsquote schon bei 70 Prozent, und bei über 500 Mitarbeitern liegt die Ausbildungsbetriebsquote schon bei über 90 Prozent. Also können wir nicht sagen, dass die bremische Wirtschaft nicht ausbildet.

Was die kleinen Betriebe unter zehn Mitarbeitern angeht, ich arbeite selbst in solch einem Betrieb, und wir hätten überhaupt nicht den Bedarf für einen Auszubildenden. Was wir in der Tat machen, ist, wir haben hin und wieder Praktikanten, und wenn gute dabei sind, kann es durchaus dazu führen, dass ehemalige Praktikanten in der Zukunft bei uns Mitarbeiter werden. Obwohl ich sagen muss, dass die Anzahl der Praktikanten bei uns abgenommen hat. Das hat auch mit dem Mindestlohngesetz zu tun, weil wir jetzt peinlich darauf achten, dass wir nur noch notwendige und keine freiwilligen Praktika mehr anbieten, aber das ist eben ein kleiner Kollateralschaden des Mindestlohns. – Vielen Dank!

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Röwekamp.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In Vertretung für meinen Kollegen Jörg Kastendiek habe ich jetzt auch das Vergnügen, zu diesem Thema zwei, drei Sätze zu sagen. Auch wenn die Kollegin

Frau Dr. Müller gestutzt hat, als hier über persönliche Erfahrungen mit Ausbildungen gesprochen worden ist, will ich zumindest sagen, dass ich in meinem kleinen Unternehmen seit über zwanzig Jahren Ausbildung im dualen Bereich betreibe und sagen kann: Herr Schäfer, auch das unterscheidet uns, es ist nicht nur für die Auszubildenden, sondern auch für den Betrieb von Nutzen, ob man den Bedarf hat oder nicht. Ich finde, jeder, der wirtschaftlich tätig ist, hat auch eine Verpflichtung, an der Ausbildung nachkommender Generationen mitzuwirken.

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP)

Ich will nicht zu viel aus meiner Erfahrung plaudern, weil wir über Politik reden. Ich will nur sagen, es hat sich in der Ausbildung aber auch viel geändert. Zum einen betrifft das die Anforderungen an Ausbildungsbetriebe, zum anderen betrifft das auch die Ansprüche an die Auszubildenden selbst. Die zunehmend verdichtete Arbeitswelt betrifft auch Ausbildungsverhältnisse. Deswegen ist es für viele Betriebe zunehmend schwerer, Auszubildende zu finden. Das will ich ausdrücklich sagen. Auszubildende zu halten ist auch außerordentlich schwierig, das sehen wir an den Quoten, wie viele Ausbildungsabbrüche es gibt. Das deckt sich im Übrigen auch mit meiner Erfahrung, dass die Entscheidung für einen Ausbildungsberuf häufiger von den Auszubildenden selbst hinterfragt wird, als es noch vor zehn oder fünfzehn Jahren der Fall gewesen ist, weil es völlig falsche Vorstellungen darüber gibt, welche Anforderungen an die Ausbildung gestellt werden.

Es ist auch so, dass insbesondere in der Verzahnung zwischen dem, was Berufsschule leistet und der Betrieb leistet – also unser Erfolgsmodell duale Ausbildung – es zunehmende Friktionen gibt und auch da ein höherer Abstimmungsbedarf ist. Trotzdem sage ich: Ja, die Versorgungsquote von Auszubildenden ist in Bremen unbefriedigend, das kann man im Saldo sagen. Deswegen ist es richtig und vernünftig, sich darüber Gedanken zu machen, welche Ursachen das eigentlich hat.

Wenn hier oft gesagt wird, dass nur jeder fünfte Betrieb ausbildet, will ich dies zumindest noch ein bisschen relativieren, da ja nur die Hälfte der in Bremen ansässigen Betriebe überhaupt ausbilden darf. Von den Ausbildungsbetrieben, die die Befähigung hätten, sich in der Ausbildung zu engagieren, macht es immerhin jeder zweite Betrieb. Das macht es im Saldo nicht besser, wir haben am Ende

trotzdem rund tausend unversorgte Jugendliche, aber das relativiert es ein bisschen.

Wenn man sich die Analyse dann noch einmal anschaut, finde ich den Hinweis von der Kollegin Frau Böschen noch einmal ganz wichtig, wir hätten eigentlich überhaupt kein Problem mit der Anzahl der Ausbildungsverhältnisse, wenn die Ausbildungsstellen nicht zu 43 Prozent von Niedersachsen eingenommen würden. Das deckt sich übrigens auch mit meiner Lebenserfahrung, dass im Wettbewerb um die Ausbildungsplätze – und das macht man ja nicht, weil man lieber einen Niedersachsen beschäftigt als einen Bremer – leider die Niedersachsen, in der Auswahl unter mehreren Auszubildenden, zurzeit die Nase vorn haben.

Das muss man auch so offen ansprechen. Unsere Auszubildenden, die unsere Schulen verlassen, das deckt sich ja auch mit der einen oder anderen Vergleichsuntersuchung, haben offensichtlich nicht nur an der Universität, sondern auch beim Wettbewerb um Ausbildungsplätze das Nachsehen. Viele Betriebe entscheiden sich für niedersächsische Bewerber und das muss auch ein bisschen mit den Bildungsabschlüssen zu tun haben, die wir als Staat verantworten.

Deswegen sagen wir, als Fraktion der CDU: Es hilft nicht, dass wir jetzt ein Zwangssystem einführen, wie die LINKEN es wollen, um Betriebe zu Ausbildung zu zwingen. Dann kommt so etwas dabei heraus, wie es Herr Schäfer beschreibt. Ich glaube, es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man in seinem Leben etwas gegen seine Überzeugung tut. Ich finde, zur Ausbildung, zum Eingehen eines Ausbildungsverhältnisses, gehört ein beiderseitiger Wille. Der Auszubildende muss es wollen, aber der Betrieb muss auch ohne Zwang ausbilden wollen.

(Beifall CDU, BIW)

Sonst hat die Ausbildung aus meiner Sicht überhaupt keinen Wert. Betriebe zu zwingen, eine Ausbildung durchzuführen, die sie sonst nicht machen würden, hat für beide Beteiligten am Ende überhaupt keinen Wert, um es so deutlich zu sagen.

(Beifall CDU, BIW – Zuruf Abgeordneter Rupp [DIE LINKE])

Es ist ja eigentlich Zwang. Sie sagen: Entweder bildest du aus oder du zahlst. Ehrlicherweise ist der Umkehrschluss ja auch falsch. Ich finde es falsch, wenn man sich als Unternehmen, als Ausbildungsbetrieb von einer gesellschaftlichen Verpflichtung

zur Ausbildung, wie ich sie beschrieben habe, freikaufen kann.

(Beifall CDU, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich finde, das ist nichts, was man verhandeln kann. Ausbildung ist keine Handelsware, bei der man sagen kann: Dann kaufe ich mir einen Freibrief. Mit dem Jubiläum der Reformation haben wir das Ende des Ablasshandels gefeiert und ich finde, Ablasshandel mit Ausbildungen darf es in Bremen und in Deutschland nicht geben. Das halte ich für den falschen Weg.

(Beifall CDU, BIW)

Was brauchen wir stattdessen?