Protokoll der Sitzung vom 25.11.2015

Sie haben auch völlig recht, Bremen muss seine Schwachstellen in der Terrorabwehr, die in den Ereignissen, die um den 28. Februar 2015 herum aufgetreten sind, deutlich geworden sind, analysieren, abstellen und erneut bewerten. Es besteht hier zwischen uns kein Dissens.

Ihre Ausführungen zum Thema Prävention vor Radikalisierung treiben uns alle um. Wir müssen die vernünftigen Projekte, die erfolgreichen Projekte, wie beispielsweise das Beratungsnetzwerk „kitab“, ausweiten, denn „homegrown terrorism“ kann man in der Entstehung nur zu Hause bekämpfen. Deshalb steht für mich die Prävention an der ersten Stelle.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Lassen Sie mich sagen: Wir sind ein Landesparlament in der Bundesrepublik Deutschland. Ich glaube, die wichtigste Konsequenz, die die deutsche Politik ziehen muss, ist, dass sie in der Außenpolitik vermehrt Verantwortung übernehmen muss. Sie muss vermehrt dafür Verantwortung übernehmen, dass aus Failing States wieder Gemeinwesen gemacht werden, die ihren Bürgern Sicherheit, bescheidenen Wohlstand und die Aussicht auf ein menschenwürdiges Leben bieten. Wenn wir uns international leisten, dass wir rechtsfreie Räume haben, in denen Menschenrechte nicht geschützt sind, dann werden wir gegen den Terrorismus keine Chance haben.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Der damalige norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg hat in seiner Trauerrede zu den Toten von Utøya eine, wie ich finde, universelle Antwort auf jede Form des Terrorismus gegeben, die wir auch in unseren gemeinsamen Antrag nach dem Attentat auf Charlie Hebdo aufgenommen haben. Er sagte damals: Wir sind entrüstet über das, was uns getroffen hat, aber wir werden nie unsere Werte aufgeben. Unsere Antwort wird mehr Demokratie sein, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit, aber nie Naivität. Genau diese Worte von Jens Stoltenberg sollten auch nach den neuerlichen Anschlägen unsere Richtschnur bleiben. – Ich danke Ihnen!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Schaefer.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Letzte Woche Sonntag haben wir in der Bürgerschaft der Opfer des schrecklichen Terroranschlags mit inzwischen 130 Toten und über 350 zum Teil Schwerstverletzten in Paris vom 13. November gedacht, einer Tat, die bei uns allen Entsetzen, Unverständnis, Fassungslosigkeit, bei einigen vielleicht auch Angst oder blanke Wut, ausgelöst hat.

Die Anschläge von Paris haben weltweit Bestürzung ausgelöst, den Opfern gilt unsere Trauer, den Familien und Freunden unser tiefstes Mitgefühl.

(Beifall)

Es war kein Anschlag, bei dem kaltblütig ein Ziel beziehungsweise einzelne Menschen wie bei Charlie Hebdo ins Visier genommen worden sind, nein, dieses Mal war es eine Tat von islamistischen Terroristen, die willkürlich Menschen ermordet haben, egal, welcher Nationalität, es waren Opfer aus 16 Ländern, egal, welcher Religionszugehörigkeit, egal, welcher

Hautfarbe, egal, welcher politischen Neigung, egal, welchen Alters, egal, welchen Berufs, egal, welcher Gesellschaftsschicht, es war ein Anschlag gegen uns alle. Es war ein Anschlag gegen die Lebenslust, gegen die Freude, es war ein Anschlag auf die Demokratie und auf die Freiheit und Toleranz.

Wenn wir diesen Anschlag heute zum Anlass für die Debatte genommen haben, dann müssen wir leider anerkennen, dass es nicht der erste und mit größter Wahrscheinlichkeit auch nicht der letzte Anschlag gewesen sein wird. Tausende Menschen sind den Terroristen in den letzten Jahren zum Opfer gefallen: 3 000 Todesopfer bei dem Anschlag auf das World Trade Center, 56 Todesopfer bei den Anschlägen auf die Londoner U-Bahn, 191 Todesopfer bei den Zuganschlägen in Madrid, 102 Menschen, die ihr Leben beim Terroranschlag auf einer Friedensdemonstration in Ankara verloren haben, 43 Tote bei einem Selbstmordanschlag in Beirut. Ein russisches Flugzeug explodierte vor knapp drei Wochen aufgrund einer Bombe über dem Sinai, und auch hierzu bekannte sich der Islamische Staat.

Im Februar kam es zu zwei Anschlägen auf ein Kulturzentrum und eine Synagoge in Kopenhagen mit vier Toten. Selbst nach Paris – und Paris ist ja der Anlass der heutigen Debatte – müssen wir schon wieder 22 von Dschihadisten getötete Geiseln in Bamako auf Mali beklagen. Brüssel befindet sich nach dem letzten Wochenende immer noch im Ausnahmezustand, und dieses Wochenende sind zwölf Menschen bei Selbstmordattentaten, und zwar auch mit islamistischem Hintergrund, in Nigeria und in Kamerun umgekommen. Das sind nur die Anschläge, die bei uns medial für große Aufmerksamkeit gesorgt haben.

Was ist mit den unzähligen Opfern der Dschihadisten, der Boko Haram in Nigeria, der Taliban und des IS? Es sind Tausende Opfer! Wir kennen ihre Namen nicht, wir haben kein Gesicht vor Augen, und das birgt immer die Gefahr einer abstrakten Zahl am Ende des Tages. Hinter jeder abstrakten Zahl stehen jedoch persönliche Schicksale, und das sollten wir nicht vergessen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Was passiert in Syrien? Seit über vier Jahren erleben die Menschen es täglich, was wir an dem Terrorwochenende in Paris erlebt haben. Aus dem Grund, meine Damen und Herren, flüchten sie, und ich sage deutlich, diesen Menschen müssen wir in Europa und in Deutschlad Schutz bieten.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Es wäre falsch, wenn Europa jetzt seine Grenzen schließen oder Obergrenzen einführen würde. Ich sage: Der Terror in Paris darf nicht dazu führen, dass alle Flüchtlinge unter einen Generalverdacht gestellt

werden. Er darf auch nicht dazu führen, dass Muslime und ihre Religion unter einen Generalverdacht gestellt werden.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU, DIE LINKE, FDP)

Es geht hier nicht um Religion, es geht um Terrorismus!

Ich füge hinzu: Wer jetzt mit rechtspopulistischer Hetze aus den feigen Anschlägen Kapital ziehen will und gegen Flüchtlinge mobil macht, dem sei gesagt, dass hierfür in Deutschland und in Bremen kein Platz ist.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU, DIE LINKE, FDP)

In Frankreich wird nun scharfe Kritik an den Behörden laut. Die Attentäter von Paris waren lange bekannt. So mischt sich in die Trauerstimmung natürlich die Frage: Hätten die Anschläge verhindert werden können? Nach einer beispiellosen Serie von Attentaten seit Jahresbeginn muss sich Europa doch eines eingestehen: Es hat ein Sicherheitsproblem, und alle bisherigen Antworten darauf waren unzureichend.

Müssen wir den Verfassungsschutz und die Geheimdienste ausbauen? Viele, auch Grüne, sagen Ja. Den französischen Behörden waren mehrere der Täter und der mutmaßliche Kopf hinter der Terrorserie längst bekannt. Mehrere von ihnen waren augenscheinlich nach Syrien gereist und von dort offenbar unbemerkt nach Europa zurückgekehrt. Die Täter stammten aus Frankreich und Belgien. Auch der mutmaßliche Drahtzieher der Morde kam aus Belgien. Auch er war den dortigen Sicherheitsbehörden bekannt. Er reiste nach Syrien, trat dort als Protagonist grauenhafter Propagandavideos in Erscheinung und reiste irgendwann unbemerkt nach Europa zurück.

Den Geheimdiensten in Frankreich, in Belgien und in den USA lagen offenbar zahlreiche Informationen zu den Mördern von Paris vor, und trotzdem konnten sich die Männer unbemerkt bewegen, bewaffnen und organisieren. In Frankreich gibt es bereits seit Jahren eine sehr umfassende Vorratsdatenspeicherung. Sogar Passwörter etwa zu E-Mail-Konten müssen die Anbieter dort zwölf Monate lang speichern, Verbindungsdaten sowieso. Außerdem gilt seit dem Sommer ein neues Überwachungsgesetz, das die Befugnisse der Geheimdienste in Frankreich noch einmal deutlich ausgeweitet hat.

Unklar bleibt, wie es also sein kann, dass bereits als terrorverdächtige bekannte Männer unbemerkt nach Syrien und zurück reisen konnten. Unklar bleibt, warum man offenbar die Telefone von vermutlich in die Tat verwickelten Personen abhören, die Taten aber dennoch nicht verhindern konnte. Unklar bleibt, warum der schon 2002 verabschiedete Rahmenbeschluss

des Europäischen Rates, in dem eine enge Abstimmung der nationalen Behörden bei der Terrorbekämpfung vereinbart wurde, augenscheinlich nicht befriedigend umgesetzt wurde.

Ich glaube, ein Schlüssel auch in Deutschland ist eine bessere Vernetzung der Geheimdienste und eine bessere Informationsübertragung innerhalb der Verfassungsschutzorgane.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Auch wenn Herr Tschöpe schon darauf eingegangen ist, möchte ich das für uns Grüne noch einmal tun, weil uns das in der Tat, glaube ich, von der CDU trennt. Im CDU-Antrag heißt es: „Es ist staatliche und zivilgesellschaftliche Aufgabe, unsere Werte gegen Fanatiker und Terroristen zu verteidigen.“ Das ist richtig, aber dann geht es weiter:

„Militärische Aktionen gegen die mutmaßlichen Drahtzieher des sogenannten Islamischen Staates (IS), wie sie auch jüngst und gegenwärtig unter anderem von Frankreich selbst ausgehen, sind keine Vergeltung, sondern legitime Selbstverteidigung und Teil notwendiger Prävention vor weiteren terroristischen Anschlägen.“ Mit der Passage haben wir Grüne, ehrlich gesagt, ein Problem. Wir sind nicht überzeugt, dass der Kampf gegen den Terrorismus mit militärischen Mitteln zu gewinnen ist. Seien wir ehrlich: Bisher war auch das Gegenteil der Fall, meine Damen und Herren!

Etliche Jahre von Militäreinsätzen im Nahen Osten, in Afghanistan, der Golfkrieg, all das hat zu einer größeren Destabilisierung der Region dort unten geführt, und es hat die radikalen Islamisten eher befeuert und noch mehr radikalisiert als vorher.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Um die Staaten, die unter islamistischem Terror leiden, zu unterstützen, hat die Bundesregierung beschlossen, den Bundeswehreinsatz in Mali auszuweiten. Ich persönlich halte allerdings nichts von den martialischen Sprüchen, wir befänden uns jetzt im Krieg, wie von Präsident Hollande geäußert. Das macht mir persönlich mehr Angst als eine diffuse Angst vor Terroranschlägen.

Ich bin überzeugt, wir müssen nicht nur die Symptome bekämpfen, sondern uns vor allem auch mit der Frage beschäftigen: Was treibt eigentlich junge Menschen aus Europa, die hier geboren sind, zu solchen Taten? Es scheint so zu sein, dass gerade Jugendliche ohne Perspektive besonders anfällig für diese Radikalisierungen sind. Daher kann man die Präventionsarbeit in Jugendeinrichtungen, in Schulen und in Vereinen nicht hoch genug einschätzen, meine Damen und Herren!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Wir müssen Jugendlichen eine Perspektive bieten. Wir müssen sie mit ihren Problemen abholen und ihnen helfen. Dazu gehört eine Schulausbildung. Dazu gehören auch genügend Ausbildungsplätze. Dazu gehört aber auch eine gute Jugendarbeit. Deswegen ist uns das sehr wichtig, auch hier in Bremen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Wir müssen Lehrerinnen und Lehrer und Erzieherinnen und Erzieher besser ausbilden, um mit ihnen gemeinsam zu schauen, wie man dem Problem der Radikalisierung von Jugendlichen begegnen kann, wie man in Schulen damit umgeht und wie man erste Signale erkennt. Wir müssen davon ausgehen, dass es noch mehr Anschläge geben wird.

Ich bin dafür, von Ländern zu lernen, die schon lange mit diesen Gefahren leben, auch hier in Europa, und dennoch ein kulturelles, buntes, offenes Leben in ihren Gesellschaften ermöglichen. Ja, dazu gehört, dass Polizisten, die uns schützen, gut ausgerüstet sind. In diesen Ländern ist es aber auch normal, dass man sich auf den Ernstfall vorbereitet, indem man unter anderem in Schulen und Kindergärten oder in Behörden regelmäßig Notfallübungen durchführt. Das führt zu einem ganz anderen Sicherheitsgefühl. Wir müssen lernen, mit der Angst umzugehen und mit der potenziellen Gefahr zu leben.

Meine Damen und Herren, die Anschläge sind zu verurteilen, sie zeigen uns aber auch, dass wir unser normales, offenes, freiheitliches Leben um keinen Preis aufgeben sollen und dürfen. Nach den Anschlägen in Paris dürfen wir uns dem Terror nicht unterwerfen. Wir dürfen nach den barbarischen Attacken am Freitagabend in Paris nicht aufhören zu leben. Wenn wir uns dem Terror nicht unterwerfen wollen, müssen wir auf unsere Weise weiterleben. Wenn wir uns jetzt einschließen oder verkriechen, schenken wir den Terroristen den Sieg.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Das können wir nicht zulassen! Daher lassen Sie uns zusammenstehen für ein offenes, ein weltoffenes, ein freiheitliches und ein demokratisches Leben hier in Bremen und in Europa! – Herzlichen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Vogt.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen hier zum zweiten Mal in diesem Jahr nach einem Attentat mit Toten in Europa und diskutieren darüber, wie wir damit umgehen. Unser Antrag, der von der linken Seite dieses Hauses eingereicht worden ist, trägt die Überschrift „Wir stehen an der Seite aller Opfer des Ter

rors“. Wie meine Kollegin Frau Dr. Schaefer eben schon gesagt hat, man muss sich einfach nur die Anschläge der letzten Wochen vor Augen halten. Am 10. Oktober sterben in Ankara 102 Menschen. Am 12. November sterben in Beirut mindestens 44 Menschen. Dann, am 13. November, sterben in Paris mindestens 131 Menschen. Nur vier Tage später sterben am 17. November in Yolo und Kano in Nigeria mindestens 60 Menschen. Am letzten Freitag, also am 20. November, sterben in Bamako in Mali auch 22 Menschen, und gestern Abend in Tunesien wiederum zwölf. Auch der Flugzeugabsturz einer russischen Passagiermaschine am 31. Oktober geht vermutlich auf das Konto des IS. Diese Anschläge der letzten Wochen stehen stellvertretend für den Terror, den Islamisten und Fundamentalisten in den letzten Jahren ausüben. Diese Terroranschläge erfüllen uns mit Entsetzen. Sie erfüllen uns mit Trauer. Wir trauern um die vielen Toten und die Verletzten. Wir können das Leid der Angehörigen und der Freunde hier nicht mindern. Trotzdem gilt ihnen unser Mitgefühl.

(Beifall DIE LINKE, SPD, CDU, Bündnis 90/ Die Grünen)