Protokoll der Sitzung vom 20.06.2006

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen konnten wir in der „FAZ“ lesen, dass die AllianzVersicherung beabsichtigt, bei der Dresdner Bank in Frankfurt Tausende weiterer Stellen zu streichen, und dass die Allianz-Versicherung womöglich die Allianz in Frankfurt gänzlich infrage stellt. Gleichzeitig gab es einen Artikel in „hr-online“ mit der Überschrift „Wird Frankfurt geopfert?“:

Schlimme Nachrichten für das Finanzzentrum Frankfurt: Die Deutsche Börse macht weitere Zugeständnisse im Übernahmekampf um die europäische Nachbarbörse Euronext. Es droht eine Abwertung Frankfurts als Finanzzentrum.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, manche Anträge sind dringlich, weil „dringlich“ über dem Antrag steht. Dieser Antrag der SPD, dieses Thema heute zusammen mit einer Wirtschaftsdebatte zu diskutieren, ist dringlich, wie er dringlicher nicht mehr sein kann; denn die Situation an unserem Finanzplatz Frankfurt ist dramatisch.

(Beifall bei der SPD)

In der Arbeitslosenstatistik für den Monat Mai beträgt der Rückgang der Arbeitslosigkeit in Westdeutschland durchschnittlich 7,1 %, im Lande Hessen nur 1,2 %.

(Michael Boddenberg (CDU): Hat er schon etwas von Heuschrecken gesagt?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, kein anderes Bundesland hatte einen geringeren Rückgang der Arbeitslosigkeit.Wir wissen, dass das Hauptproblem in Hessen unser Ballungsraum Rhein-Main ist. Die Fragen, die heute angesprochen worden sind, sind Fragen, die ganz unmittelbaren Ausfluss auf die Arbeitslosigkeit in unserem Bundesland und auf die Wirtschaftskraft in unserem Bundesland haben.

Ich komme zur Börse, und ich komme zur Bedeutung dieses Themas.In einem Interview vom 15.März 2006 hat der Herr Wirtschaftsminister Anforderungen an eine Fusion der Börsen definiert:

Erste Anforderung. Sitz der Börse muss Frankfurt sein.

Zweite Anforderung. Die Ansiedlung der zentralen Leitungsfunktionen muss in Frankfurt stattfinden.

Dritte Anforderung. Wir brauchen eine Garantie für die Sicherung der Arbeitsplätze in Frankfurt.

Nach den Berichten in „hr-online“ und dem, was in die Wirtschaftspresse durchsickert,sind alle drei Kriterien für diese Fusion nicht erfüllt. Offensichtlich hat die Landesregierung auch bemerkt, dass dies ein Problem sein könnte.Deshalb hat die Landesregierung mit einer harten Äußerung reagiert, nämlich dass Roland Koch und Wirtschaftsminister Alois Rhiel die Entwicklung „mit großer Sorge“ sehen.

Lieber Herr Ministerpräsident,lieber Herr Wirtschaftsminister, große Sorge ist hilfreich, aber wir von der Opposition, wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind der Auffassung, es reicht nicht, dass ein Wirtschaftsminister in dieser Situation große Sorge verkündet. Was wir, was die Beschäftigten, was der Finanzstandort Frankfurt erwarten, das sind politische Strategien zum Erhalt und zur Sicherung dieses Standorts.

(Beifall bei der SPD)

Herr Wirtschaftsminister und Herr Ministerpräsident, wir erwarten, dass diese Strategien nicht nur in einer Presseerklärung um 12.45 Uhr der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden, sondern wir erwarten als Parlamentarier – ich denke, zu Recht –, dass Sie, Herr Wirtschaftsminister, in einer wirtschaftspolitischen Debatte zu einer wirtschaftspolitischen Regierungserklärung uns als Parlamentariern über Ihren Weg zur Abwehr dieser Gefahren für unseren zentralen Ballungsraum, für den Finanzstandort Frankfurt Rede und Antwort stehen. Darauf hat ein Parlament, darauf hat die Bevölkerung einen Anspruch, Herr Wirtschaftsminister.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion, Herr Wintermeyer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Walter, Sie haben sich hier ordentlich aufgeplustert zu diesem Thema. Das ist der zweite Versuch, nachdem Sie mit dem Thema A 44 gescheitert sind, die notwendige Regierungserklärung zum Thema Strompreise, die wir heute auf der Tagesordnung haben, mit einem anderen Thema zu besetzen.

(Jürgen Walter (SPD): Wir reden über die wirtschaftlichen Probleme des Landes!)

Weder die A 44 noch das Thema Euronext hat mit dem Thema Strompreise etwas zu tun.

(Norbert Schmitt (SPD): Auch! – Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Zweite Feststellung. Wir haben Ihren Antrag unwidersprochen als dringlich durchlaufen lassen. Das hätten Sie, bitte schön, erkennen können. Sie tun hier so, als ob das hier nicht diskutiert werden soll. Das Gegenteil ist der Fall. Für uns stellt sich die Frage, wann wir einen solchen Antrag diskutieren.

(Reinhard Kahl (SPD): Mit der Regierungserklärung!)

Die Frage, wie sich das mit der Euronext entwickelt, ist wichtig. Die Frage, wie die Landesregierung dazu steht, ist wichtig. Es ist allerdings auch wichtig, zur Kenntnis zu

nehmen, dass das privatwirtschaftliche Unternehmen sind, bei denen der Einfluss von Regierungen relativ klein ist.Ich denke,der Wirtschaftsminister hat bei den drei Anforderungsprofilen, die er genannt hat – Sitz der Börse in Frankfurt, Sicherung der Arbeitsplätze und Sicherung des Finanzstandortes Frankfurt –, deutlich gemacht, dass die Landesregierung auf dem richtigen Weg ist.

(Zurufe von der SPD)

Dies kann sie auch hier vor dem Plenum erklären. Deswegen schlagen wir seitens der CDU-Landtagsfraktion vor – wir unterhalten uns hier über die Frage, wann wir den Punkt beraten wollen –, dass wir diesen Dringlichen Antrag der SPD-Fraktion nach der Regierungserklärung als gesonderten Tagesordnungspunkt einschieben, und zwar mit fünf Minuten Redezeit. Dort kann die Landesregierung zeitnah die entsprechenden Informationen geben. Dort können Sie zeitnah zu diesem Thema sprechen.

(Petra Fuhrmann (SPD): Nur fünf Minuten bei diesem Thema?)

Dann verbinden wir dies nicht mit dem Thema Strom, das mit Euronext wirklich nichts zu tun hat. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Für die Fraktion der GRÜNEN, Herr Kollege Kaufmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Boddenberg, es kann manchmal schon ein Problem sein, wenn eine Regierung Erklärungen zu was auch immer abgeben will, sich aber nicht wirklich mit den tatsächlich vorhandenen drängenden Problemen des Landes befasst.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Genau diesen Eiertanz erleben wir jetzt. Herr Kollege Wintermeyer, wenn der Wirtschaftsminister – das kommt nicht so häufig vor – heute eine Regierungserklärung abgibt, dann sollte er die wichtigsten wirtschaftspolitischen Fragen nicht ausklammern und sagen, das mögen andere zu späterer Zeit besprechen. Natürlich wird es heute noch diskutiert. Das haben Sie eingeräumt, okay. Aber das ist doch das brennendste Problem.

Wir sind heute mit Blick auf die Fußballauseinandersetzung, auf die wir alle hinfiebern, etwas WM-orientiert. Herr Staatsminister Rhiel, Ihre Regierungserklärung steht unter dem Motto „1 :0 für die Verbraucher“.Ich darf Sie darauf hinweisen, dass Sie in der Strompreisangelegenheit allenfalls in der Halbzeit sind. Wie solche Spiele am Ende ausgehen, haben wir aktuell immer wieder gesehen. Die Entscheidungen fallen in der letzten Minute, manchmal in der Nachspielzeit.

Herr Staatsminister Rhiel, bei der Frage Börsenstandort und Finanzstandort Frankfurt sind wir bereits in der Nachspielzeit, und die anderen führen. Das ist das Problem, das wir jetzt dringend erörtern müssen, zu dem wir von Ihnen hören müssen, wie Sie damit umgehen wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Wintermeyer,deswegen ist Ihr Angebot nett und ein Stück weit zuvorkommend. Man ist ja nett zueinander. Aber der Wirtschaftsminister sollte sich mit den wirklichen Problemen befassen und hierzu Erklärungen für die Regierung abgeben, nicht irgendwie dahinfleuchen und in einer Halbzeit etwas zu den Ergebnissen sagen. Wie das ausgehen wird, wird sich nämlich noch zeigen. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Posch, für die Fraktion der FDP.

Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen! Es handelt sich hier in der Tat im Gegensatz zum Thema A 44 um eine Frage,die substanzielle Bedeutung für unser Bundesland Hessen und für die ganze Bundesrepublik Deutschland hat.

(Lothar Quanz (SPD): Nordhessen ist auch von Bedeutung, Herr Posch!)

Herr Quanz, diesen Hinweis kann ich mir erlauben, ohne die Wertigkeit der A 44 hier irgendwie zu relativieren. – Ich sage, der Börsenstandort ist von substanzieller Bedeutung für die Wirtschaftskraft dieses Bundeslandes und für die gesamte Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen bin ich der Meinung, es ist nicht ausreichend, wenn eine Presseerklärung des Regierungssprechers erfolgt, der sagt, man sei in Sorge. Die Landesregierung ist in der Pflicht, hier eine Erklärung abzugeben.

Herr Ministerpräsident, erlauben Sie mir, das kurz zu begründen.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Roland Koch)

Ich habe doch noch gar nichts Negatives gesagt.

(Heiterkeit und Beifall)

Aber es scheint Sie das schlechte Gewissen zu plagen, wenn Sie dann schon loslegen.

(Lebhafter Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)