Protokoll der Sitzung vom 13.07.2006

Die Problemlage war relativ überschaubar: Die Kommunen stellen die Verkehrsüberwachung an Ampelanlagen ein, weil sie sagen, die Wartung und Installation der Überwachungsanlagen könnten sie nicht mehr finanzieren,und das Geld, das sie vom Land dafür bekämen, reiche nicht aus. Auch die Lösungsansätze waren uns allen völlig klar und von allen benannt worden: Die Kommunen sollen einen entsprechend größeren Anteil vom Kuchen bekommen. Die Frage war: Bekommen sie jetzt gleich den ganzen Kuchen, einschließlich Rezept? Das haben auch wir aus rechtssystematischen Gründen verneint. Wir meinen, dass die Überwachung des fließenden Verkehrs hoheitliche Aufgabe des Landes ist und auch bleiben sollte.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Unser Vorschlag war daher, dass wir bis zu einer endgültigen Entscheidung über den Umgang mit diesem Gesetz zunächst versuchen, über das Ministerium belastbare Zahlen aus den Kommunen zu erhalten, und dann nach einer Lösung suchen, gemeinsam und am Problem orientiert.

Genau das war unser Ansatz, und dem sind die anderen Fraktionen nicht gefolgt. In dem Punkt muss ich der SPD schon sagen: Es tut mir besonders Leid, dass Sie sich dieser Lösung nicht anschließen konnten. Denn Sie haben das Problem doch thematisiert. Man sollte meinen, Sie hätten ein Interesse daran,es zu lösen.Aber für mich stellt es sich in der Nachbetrachtung so dar: Es ging Ihnen um das Modell Hubschrauber: mal eben landen, ein bisschen Staub aufwirbeln und dann wieder wegfliegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Ministers Volker Bouffier)

Ich finde es schade, dass es so gelaufen ist.

Wir werden den Gesetzentwurf heute ablehnen, weil er nicht die Lösung ist, die aus unserer Sicht rechtssystematisch geboten ist. Wir bleiben aber am Thema, und wir werden es wieder auf die Tagesordnung bringen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der nächste Redner ist Herr Kollege Möller für die Fraktion der CDU.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, wir können es in der Tat relativ kurz machen. Eines wollte ich aber doch noch zu bedenken geben. Eine dritte Lesung für ein Gesetz, bei dem relativ schnell klar war, dass wir es in dieser Art und Weise nicht benötigen, die dritte Lesung eines Gesetzes, bei dem die Sozialdemokratie schon bei der zweiten Lesung anfing, mehrere Schritte zurückzugehen – –

(Michael Siebel (SPD): Das stimmt doch gar nicht! Erzählen Sie keinen Blödsinn!)

Selbstverständlich, lesen Sie die Protokolle und hören Sie mir zu. Ich habe Ihnen auch zuhören müssen.

Dann haben wir die Innenausschusssitzung gehabt, und in der wurde klar, dass das, was Sie damit beabsichtigen –

möglicherweise einen Kommunalwahlgag –, mit dem Gesetz nicht erzielt wird.

(Michael Siebel (SPD): So ein Unfug!)

Insofern überrascht es nicht,dass die Sozialdemokratie im Innenausschuss, als klar wurde, dass sie ganz alleine steht, und sie selbst in Nebensätzen bereits eingeräumt hat, dass das eigentliche Ziel mit dem Gesetz nicht zu erreichen ist, nicht mannhaft genug gewesen ist, die Vorlage zurückzuziehen. Dann hätten wir uns die heutige Lesung sparen können.

Meine Damen und Herren, es nährt sich der Verdacht, dass dies nichts anderes ist als das, was ich bereits in der ersten Lesung dachte: ein Klamauk der Sozialdemokratie auf Kosten unserer Zeit. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat der Herr Innenminister.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Im Interesse der Zeit und des Klimas verweise ich auf meine Ausführungen in der ersten und der zweiten Lesung. Daran hat sich nichts geändert. Ich empfehle dem Haus die Ablehnung dieses Gesetzentwurfs.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Jörg-Uwe Hahn (FDP):Das war seine kürzeste Rede! Bravo!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit gibt es keine Wortmeldungen mehr.

Dann wollen wir zur Abstimmung schreiten in der dritten Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD für ein Gesetz zur Verbesserung der Verkehrsüberwachung in hessischen Kommunen, Drucks. 16/5782 zu Drucks. 16/5696 und zu Drucks. 16/5212. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP bei Zustimmung durch die Fraktion der SPD.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:

Große Anfrage der Abg. Fuhrmann, Eckhardt, Habermann, Dr. Pauly-Bender, Schäfer-Gümbel, Dr. Spies (SPD) und Fraktion betreffend Umsetzung von Hartz IV in Hessen – Drucks. 16/5526 zu Drucks. 16/4242 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten. – Das Wort hat Frau Kollegin Fuhrmann für die Fraktion der SPD. Bitte schön.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Kern der Hartz-Reform, also die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, ist nach wie vor richtig. Ich glaube, das wird auch von niemandem hier im Hause bestritten. Jeder Mensch soll im wahrsten Sinne des Wortes moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt in Anspruch nehmen. Die Hilfen sollen passgenau und individuell sein, und die

materielle Absicherung für Zeiten von Arbeitslosigkeit soll gewährleistet sein.

Worüber wir uns streiten,das ist allerdings die Umsetzung der Reform und deren Ausgestaltung. Da ist zum einen die finanzielle Absicherung. Bei Teilen der CDU hat man den Eindruck, sie wollten Arbeitslosen am liebsten nur Wasser und Brot zukommen lassen, da es sich um Faulenzer handle. Die Kritik von der anderen Seite ist im Kern ähnlich populistisch. Mit markigen Sprüchen wird der SPD vorgeworfen, sie verrate ihre Grundgedanken und Ziele.Eine Befassung im Detail findet oft nicht statt;denn das könnte die Propaganda stören.

Wir sind der Auffassung, dass es sehr schwierig ist, mit 345 c im Monat auszukommen. Dabei hilft es nichts, darauf hinzuweisen, dass mancher Niedriglohnempfänger mit ähnlich wenig Geld auskommen muss. Wer vollzeitig arbeitet, soll von der Arbeit seiner Hände leben können. Deshalb vertreten wir mit Nachdruck Mindestlöhne.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Löhne unterhalb des Niveaus oder am Niveau von Hartz IV sind skandalös. Wir brauchen insofern Mindestlöhne. Es ist nicht menschenwürdig, wenn Menschen drei, vier oder fünf Jobs brauchen, um sich ernähren zu können.Wir wollen keine Working Poor in Deutschland.

Eine Absenkung des Grundbedarfs kommt für uns als SPD nicht infrage. Der bisherige Betrag muss mindestens gehalten werden. Wer hier weiter zusammenstreichen will, soll sich ansehen, wie die 345 c zusammengesetzt sind. Zum Beispiel ist für die Bildung überhaupt nichts vorgesehen. Für die Gesundheitspflege sind gerade einmal 12,25 c veranschlagt, wohlgemerkt: pro Monat. Das heißt, einmal Praxisgebühr, und das Geld ist fast weg. Der Betrag für Nahrung und Getränke beträgt 130,25 c monatlich, also pro Tag ca. 4,30 c. Das ist das, was wir hier im Landtagsrestaurant für eine Tasse Kaffee und ein Würstchen ausgeben, das ich im Moment nicht einmal zu Ende essen konnte.

(Zurufe: Oh!)

So schlimm ist es auch nicht. – Ich nenne Ihnen diese Zahlen, damit Sie begreifen, dass es sich hierbei nicht um eine soziale Hängematte handelt, auch wenn viele das glauben.Vielmehr ist es ein ausgesprochen enges Budget.

Natürlich wissen wir alle,dass es Fälle gibt,wo Missbrauch passiert und wo sich jemand mit ein bisschen Schwarzarbeit ganz gut eingerichtet hat. Deshalb gibt es schon, seit es Sozialhilfe gibt, Sanktionsmechanismen.Aber Sanktionen – ich werde nicht müde, das zu sagen – helfen nur dort, wo auch Arbeitsangebote vorhanden sind. Es gibt einfach zu wenige Arbeitsangebote auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Auch das ist die Wahrheit: Wir haben sehr viele Arbeitslose, die in dieser hoch technisierten, hoch spezialisierten Arbeitswelt keinen Platz finden.

(Beifall bei der SPD)

Es würde sich also lohnen, in einen Wettstreit um die besten Ideen einzutreten, wie man auch diese Menschen, die nicht hochleistungsfähig sind, wieder in Arbeit bringen kann. Das ist weit hilfreicher, als ständig über Sanktionen zu schwadronieren.

Das Gleiche gilt für Zumutbarkeitsregelungen. Wenn wir nicht wollen, dass Menschen, die nur einfache Tätigkeiten ausüben können, weiter an den Rand gedrängt werden,

dann dürfen wir nicht jeden und jede Arbeitslose in jeden x-beliebigen Job im Niedriglohnsektor zwingen.Arbeit ist mehr als Broterwerb. Arbeit ist mehr als Geldverdienen für den Lebensunterhalt. Arbeit bedeutet, gebraucht zu werden,seinen Platz in der Gesellschaft zu haben.Das gilt für jeden, für uns, für Müllwerker, für die Floristin, den Sachbearbeiter und die arbeitslose Akademikerin.

Dann gibt es noch einen zweiten Streitpunkt. Das ist die Frage, wer sich am besten um Arbeitslose kümmern sollte und kann. Die hessische Arbeitsministerin hat sich bezüglich der Arbeitsmarktreform bisher nicht mit Ruhm bekleckert. Bei der Auseinandersetzung über die Frage, ob Optionskommunen oder Arbeitsgemeinschaften besser sind, hat sie sich schwer ins Zeug gelegt. Aber zum Kern des Problems hat sie wenig beigetragen.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind nach wie vor der Meinung, dass die Organisationsfrage wirklich nicht das Hauptproblem ist. Es gibt Kommunen, die erfolgreich sind, und welche, die es weniger sind. Ich möchte ein paar erfolgreiche nennen: den Wetteraukreis, Offenbach, Gießen, Kassel, den Odenwaldkreis, den Main-Kinzig-Kreis und Wiesbaden. Dort wurde unter sozialdemokratischer Führung schon vor Jahren damit begonnen, eine aktive Beschäftigungspolitik für Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger zu betreiben.

(Judith Lannert (CDU): Das hat aber nicht funktioniert!)

Diese Wiedereingliederungsmaßnahmen haben hervorragend funktioniert, Frau Kollegin. Dass man dort auf diese Erfahrungen heute gut aufbauen kann, ist kein Wunder. Daher ist es völlig egal, welche Organisationsform sie heute haben.

Bei anderen Kommunen hat es eher den Eindruck gemacht, dass die Landräte schnell noch eine Aufgabe haben wollten,bevor sie überflüssig werden.Ich denke,es ist falsch, von der Regierung aus nur einseitig auf das Optionsmodell zu setzen und es als allein selig machendes Modell zu bezeichnen. Etliche Kommunen sind schlicht überfordert.

(Beifall bei der SPD)

Frau Lautenschläger,Sie haben viel Ihrer Kraft damit vergeudet, Schilder mit der Aufschrift „Optionskommune“ zu verteilen, aber dabei vergessen, was Ihre eigentliche Aufgabe in der Landespolitik ist. Landespolitik ist mit dafür verantwortlich, dass ein ausreichendes Kinderbetreuungsangebot vorhanden ist, weil nur so Menschen in Arbeit vermittelt werden können. Was tun Sie? Zunächst kürzen Sie 50 Millionen c pro Jahr, Jahr für Jahr. Dann wurde lange nichts getan außer winzig kleinen Bröckchen. Jetzt nehmen Sie Geld aus dem KFA, etikettieren es um und schmücken sich mit fremden Federn, während den Kommunen das Geld oft an anderer Stelle fehlt.

Landespolitik ist außerdem dafür verantwortlich, dass ein ausreichendes Angebot sozialer Infrastruktur vorhanden ist, weil Suchtkranke und Überschuldete nun einmal nicht in den Arbeitsmarkt vermittelt werden können. Was tun Sie, Frau Lautenschläger? Sie haben die hessische Beratungs- und Unterstützungsstruktur mit einem Donnerschlag von Landesseite gekündigt und überlassen jetzt den Kommunen die Probleme.

Ein weiterer Punkt. Landespolitik hat die Aufgabe, die für die Arbeitsvermittlung und Qualifizierung zuständigen