Protokoll der Sitzung vom 18.09.2003

richtig – das wird von den Arbeitgebern, den Gewerkschaften und der Politik immer wieder betont –, und wenn wir sagen, wir halten daran fest, denn es hat sich auch im internationalen Vergleich bewährt, dann muss sich die Politik mit den Unternehmen solidarisieren, die ausbilden. Dann muss die Politik dafür Sorge tragen, dass die Ausbildungslasten gerecht auf die Betriebe verteilt werden. Dann müssen eben auch die in die Pflicht genommen werden, die im Moment nicht ausbilden.

Es müsste sogar Ihnen eingängig sein – gerade vor dem Hintergrund Ihrer desaströsen Haushaltslage –, dass die Wirtschaft nicht dadurch subventioniert werden darf, dass die Folgekosten mangelnder Ausbildungsbereitschaft aus dem Landeshaushalt und damit letztendlich durch den Steuerzahler finanziert werden. In einer Volkswirtschaft, die auf gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angewiesen ist, dürfen wir es nicht zulassen, dass aufgrund betriebswirtschaftlicher Überlegungen der Unternehmen der Ast abgesägt wird, auf dem wir sitzen. Wenn die Unternehmen nur in betriebswirtschaftlichen Kategorien denken, dann muss eben die Politik dafür Sorge tragen, dass auch volkswirtschaftliche Aspekte zum Tragen kommen.

(Beifall bei der SPD)

Es ist zwar okay, dass sich Abgeordnete bemühen, bei ihren heimischen Unternehmen für Ausbildungsplätze zu werben, aber dieses Klinkenputzen ähnelt ein wenig dem Betteln vor der Tür. Das beeindruckt die Unternehmen selten. Deshalb stecken wir jetzt in einer Ausbildungskatastrophe.

Unternehmen, die langfristig denken, die ausbilden, sprechen sich für eine Ausbildungsplatzumlage aus. Immerhin 57 % aller ausbildenden Betriebe sprechen sich für diese Art der Finanzierung aus, damit die Kosten besser und gerechter auf die Unternehmen verteilt werden.

Ich gebe ehrlich zu: Bei dieser Frage gab es auch in meiner Partei eine lange Diskussion, vor allem an der Spitze der SPD. Ich denke aber, dass die Bundesregierung verstanden hat. Auch wir haben feststellen müssen, dass alle Initiativen, auch die auf Bundesebene, nur begrenzt zum Erfolg geführt haben. Zahlreiche Appelle und wichtige Initiativen – z. B. die Offensive für mehr Ausbildungsplätze, die Aussetzung der Ausbildereignungsverordnung, die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes und der Handwerksordnung für das Jahr 2004, die Ausweitung des „Jump“-Programms und des Programms „Kapital für Arbeit“ auf die Einstellung von Ausbildungsplatzsuchenden – haben nur begrenzt Erfolg gezeigt.

Deshalb hat die Bundesregierung den Unternehmern jetzt eine Frist gesetzt. Bis zum 30. September müssen die Unternehmen Farbe bekennen. Dann wird geschaut, ob eine Diskrepanz zwischen der Zahl der Ausbildungsplätze und der Zahl der Ausbildungsplatzsuchenden besteht. Wenn die Unternehmen diese Frist verstreichen lassen und die Zahl der Ausbildungsplätze nicht ausreicht, dann werden wir gesetzliche Maßnahmen ergreifen. Ich sage: Das ist richtig, und das ist gut so.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir uns weiterhin zum dualen System bekennen, müssen die Unternehmen in die Verpflichtung genommen werden. Nur das kann die Antwort auf die Ausbildungskatastrophe sein.

(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Wie soll die aussehen, Frau Kollegin?)

Herr Jung, da bin ich eigentlich ganz offen. Da können wir uns einigen. Ich sage nur: Die Betriebe müssen finanziell mit in die Verantwortung genommen werden.

(Zurufe von der CDU)

Herr Jung, Hessen kann es sich überhaupt nicht mehr leisten,die Folgekosten fehlender Ausbildungsplätze zu übernehmen. Wie wollen Sie die zusätzlichen Berufsschulplätze mit Ihrem Etat überhaupt noch finanzieren? Wenn Sie schon brutalstmöglich sparen, dann sage ich Ihnen: Sie müssen auch die Seite betrachten, wo Einnahmen erzielt werden können,und dann muss man schauen,wie man die Einnahmen auf die Betriebe, die ausbilden, verteilt.Wenn wir am dualen System festhalten, kommen wir um eine Umlagefinanzierung nicht herum.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage Ihnen: Auch Sie müssen sich in die Pflicht genommen fühlen.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung, Frau Kollegin Schönhut-Keil, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Evelin Schönhut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Herr Präsident, Sie dürfen ruhig mischen, dann wird es lebendiger!)

Wenn ihr euch einig seid, dann ist es mir recht. – Herr Kollege Denzin.

(Michael Denzin (FDP): Aber gerne! Wenn die Kollegin das schon mitgenommen hat! – Zuruf des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

Einigt euch demnächst unten.

Herr Präsident,mein Respekt vor Ihrem hohen Amt ist so ausgeprägt,dass ich mir natürlich nie einfallen ließe,selbst zu disponieren, wann ich rede. Ich warte, bis Sie mich aufrufen.

(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Sehr richtig!)

Im Übrigen bin ich jetzt natürlich gern hier nach vorne gegangen, weil die Kollegin Schönhut-Keil auch so freundlich war, meine Wortmeldung mit nach vorn zu nehmen.

(Evelin Schönhut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): So bin ich eben!)

Zum Thema. Meine Damen und Herren, wir haben zwei Anträge vorliegen. Der der GRÜNEN ist etwas differenzierter, und er ist in der Schriftform ein bisschen einsichtiger als der SPD-Antrag. Nach der Rede von Frau Ypsilanti muss ich feststellen, dass bei der SPD offensichtlich aber auch noch ein Stück Nachdenklichkeit besteht – nicht nur hinsichtlich der Problemstellung, sondern auch hinsichtlich der Problemlösung. Die GRÜNEN wollen von einer ansonsten angestrebten Ausbildungsplatzabgabe Betriebe mit bis zu zehn Mitarbeitern und junge Unternehmen bis fünf Jahre nach der Gründung herausnehmen. Das zeigt, dass man hier schon mit einer gewissen Sensibilität die Wirkung erkannt hat. Sie wollen, dass die Einnahmen aus dieser Abgabe, die von den anderen zu leisten wäre, gezielt denen zugute kommen, die über

durchschnittlich viel ausbilden. Auch darin besteht ein Unterschied zu dem SPD-Antrag.

Wenn ich die Besucher auf der Empore einmal fragen würde, würden sie wahrscheinlich sagen: „Jawohl, es ist gerecht, dass diejenigen eine Abgabe leisten, die keine Ausbildungsplätze einrichten.“ Das ist auch das Ergebnis von Umfragen und entspricht der allgemeinen Stimmungslage. Es ist erstaunlich, wie hoch in den Umfragen der Anteil derer ist, die das sagen. Trotzdem ist das nicht der richtige Weg, Frau Ypsilanti.

Es ist deshalb nicht der richtige Weg, weil wir gerade in dieser angespannten Situation, was unsere Wirtschaft und die Arbeitsplätze angeht, mit jeder zusätzlichen Zwangsbelastung Entscheidungen gegen Standorte, Entscheidungen gegen Betriebsausweitungen und Entscheidungen, die nicht nach vorn weisen, provozieren werden.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zuruf der Abg.Andrea Ypsilanti (SPD))

Das ist in dieser Situation noch schlimmer, als es ohnehin schon wäre. Wir dürfen nicht ausblenden, dass wir im internationalen Wettbewerb stehen. Der Gradmesser ist nicht mehr der Handwerksnachbar in Wiesbaden. In kleinen Firmen ist das vielleicht so.Aber gerade bei diesen sagen die GRÜNEN, dass man es ihnen gar nicht zumuten kann, und das zu Recht. In den anderen Unternehmen ist der Gradmesser der internationale Wettbewerb. Sehen Sie sich an, wie viele Arbeitsplätze ab- statt aufgebaut werden. Das Betriebswirtschaftliche ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass wir eine im Moment noch leicht steigende Jahrgangsbreite von jungen Menschen haben, die natürlich einen Anspruch auf Berufsausbildung und Lebenschancen haben. Darüber gibt es überhaupt keine Diskrepanz.

Wie kriegen wir das hin? – Ihr Weg ist der der gesetzlichen Steuerung. Dazu kann ich Ihnen nur Folgendes sagen: Überall dort, wo wir das versucht haben und wo wir in der Vergangenheit versucht haben, vieles staatlich zu regulieren, ist das schief gegangen und das Gegenteil eingetreten.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Der andere Weg ist nicht allzu stark. Das gebe ich zu. Er besteht in einem Appell an die Einsicht in die betriebliche Notwendigkeit, sich klarzumachen, dass die Jahrgangsbreiten in absehbarer Zeit, nämlich schon in fünf Jahren, so schmal sein werden, dass man wieder Auszubildende sucht,und dass die Firmen ein hohes Eigeninteresse daran haben müssen, Fachkräfte jetzt schon für diese Zeit auszubilden.

Auch als Liberaler sage ich Ihnen:Natürlich haben Unternehmer und Betriebsinhaber auch eine moralische bzw. gesellschaftliche Verpflichtung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie unterstellen, dass jeder Betrieb, der nicht ausbildet, diese Verpflichtung nicht sieht. Ich stelle ganz nüchtern fest, dass es Betriebe gibt, die aus mangelndem betriebswirtschaftlichen Erfolg heraus objektiv nicht in der Lage sind, weitere Aufwendungen zu tätigen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Weiter stelle ich fest, dass im letzten Jahr 7,8 % der angebotenen Ausbildungsstellen nicht besetzt worden sind.

Das heißt, wir haben zum Teil – das kann man nicht verallgemeinern – auch sehr spezifische Ausbildungswünsche, denen in dem regionalen Umfeld, in dem dieser Ausbildungsplatz gesucht wird, kein entsprechend differenziertes Angebot gegenübersteht. Hier muss man überlegen, ob man nicht in einem benachbarten Beruf einsteigt und sich danach weiterentwickelt.Überhaupt haben wir sehr vielfältige Angebote – auch in den, wie Sie gesagt haben, Warteschleifen, den schulischen Vollangeboten. Aber wir haben noch nicht genug an modularen Ausbildungssystemen entwickelt. Das spreche ich an, weil viele, die sich bewerben, mangels entsprechender schulischer Vorbereitung, also mangels Eignung, nicht genommen werden. Dazu gibt es Statistiken der einzelnen IHKs, die das belegen. Das ist meistens noch nicht einmal ein Vorwurf an die Betroffenen, sondern an den vorherigen Ausbildungsgang.

Was das angeht, sollten wir einmal überlegen – – Nein, wir sollten nicht überlegen, sondern wir bzw. die Betroffenen sollten es angehen – dazu gehören auch die Kammern –, dass wir im modularen Einstieg junge Menschen heranführen und ihnen leichtere Fortbildungsmöglichkeiten geben, mit denen sie stufenweise ihre Ausbildung ausbauen können. Damit hätten wir schon eine Gruppe, die ansonsten sicherlich sehr schwer in eine Ausbildungsstelle zu vermitteln ist – egal, wie viele vorhanden sind –, abgedeckt.

Unter dem Strich wird uns ein Zwang nicht weiterbringen. Unter dem Strich setzen wir Liberale – und darin unterscheiden wir uns – auf Motivieren statt Regulieren. Wir sollten unsere eigentlichen Hausaufgaben machen. Dies betrifft weniger das Land, sondern vielmehr den Bund. Wir sollten die notwendigen Antworten auf die Herausforderungen in der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung und den internationalen Wettbewerbsbedingungen geben. Das bedeutet nicht überall Abbau und Einschränkungen, und das bedeutet keine einseitige Belastung. Das bedeutet aber, mehr Flexibilität zu geben, damit die Unternehmen schneller reagieren können, als sie das heute tun. Ich meine, wenn wir einmal darangingen, dies alles zu tun, dann würden wir mehr dazu beitragen, dass Ausbildungsplätze entstehen, als mit allem, was wir uns ansonsten an staatlichen Zwängen einfallen lassen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Immerhin sagen uns alle Institute, dass zusätzliche Ausbildungsplätze, also alles, was über das hinausgeht, was Normalmaß ist – fast kann man von Normal-Null sprechen –, erst entstehen, wenn wir ein Wachstum von 2 % haben. Die anderen Zusammenhänge, was Arbeitsplätze angeht, bei denen es ähnlich aussieht, kennen wir alle. Deshalb müssen wir auf eine ordentliche Wirtschaftspolitik und ordentliche Rahmenbedingungen setzen. Der Kapitalmarkt gäbe es im Moment her, wie noch nie, was günstige Kredite angeht. Aber sie werden nicht in Anspruch genommen,weil diejenigen,die zu entscheiden haben,keine Perspektive sehen. Solange sich diese Perspektive nicht abzeichnet, wird sich nichts entwickeln. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Denzin. – Das Wort hat jetzt Frau Kollegin Schönhut-Keil.

(Zuruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie brauchen gar keine Angst zu haben, da ich heute Morgen außergewöhnlich gut gelaunt bin.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Wir kennen dich auch anders!)

Das kann sich aber schnell ändern, wenn es so weitergeht.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU)