Protokoll der Sitzung vom 15.10.2003

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Als nächster Redner hat Herr Abg. Hahn für die FDPFraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist sinnvoll, wenn man in der ersten und zweiten Lesung konsistent ist. Herr Kollege Dr. Jürgens, Sie sind es nicht. Sie haben hier in der ersten Lesung vorgetragen, dass es ein riesiges Problem in Hessen gebe – ich unterstreiche das Wort „riesig“ –, dass es eine Reihe von Fällen gebe, in denen behinderte Kommunalpolitiker diskriminiert würden, und aus diesem Grund müsse ein Gesetz vorgelegt werden.

Daraufhin habe ich für die FDP-Landtagsfraktion geantwortet: Wenn das so ist, wenn die Anhörung das herausstellt, dann muss natürlich etwas passieren. -Ich habe aber damals auch schon gesagt, und ich werde es gleich auch noch einmal begründen, dass, wenn es nicht der Fall ist, dann Ihre Behauptung aus der ersten Lesung falsch ist und es dann kein Gesetz geben darf.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Herr Dr. Jürgens, Ihre Aussage aus der ersten Lesung war objektiv falsch. Es gibt in Hessen keinen konkreten Fall. – Da brauchen Sie überhaupt nicht den Kopf zu schütteln, oder Sie sind uneinsichtig. Sie haben behauptet, dass es Fälle von Diskriminierungen von behinderten Kolleginnen und Kollegen in den Kommunalparlamenten gebe. In der Anhörung – das sollten die Kolleginnen und Kollegen wissen, die nicht dabei waren – ist kein einziger Fall von Diskriminierung angesprochen worden. Es gibt in Hessen offensichtlich keinen Fall. Das ist auch gut so.

Es ist gut, dass die kommunalen Hauptamtlichen die Probleme, die etwas mit Abrechnung zu tun haben, hervorragend gelöst haben. Da gab es einmal ein Problem in Kassel.Wie wir alle wissen, ist das gelöst.

(Zuruf des Abg. Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich kann verstehen, dass der Kollege Rudolph es nicht gut findet, dass nun in Kassel die Schwarzen mit den GRÜNEN zusammen regieren. Das ist eben so im Leben, das muss man akzeptieren.Vielleicht habt ihr Sozialdemokraten in Kassel viel zu lange falsch regiert,

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

sodass es zu diesem Ergebnis gekommen ist. Zurück zum Thema: Es wurde behauptet, es gebe Probleme der Diskriminierung behinderter Kommunalpolitiker im Lande Hessen. Das sei der Grund dafür, dass ein Gesetzentwurf verabschiedet werden müsse.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Ich sage es noch einmal: Diese Behauptung von Dr. Jürgens ist schlicht unwahr, es hat, Gott sei Dank, keinen einzigen Fall in diesem Land gegeben.

Herr Jürgens, natürlich ist es immer eine Einzelfallprüfung – Sie sind doch Richter,was reden Sie denn in der Öffentlichkeit für ein Zeug –, wenn man Abrechnungen korrigieren muss, wenn man schauen muss, ob die oder die

Ausgabe mandatsbedingt ist oder nicht. Ich hoffe jedenfalls, dass es immer eine Einzelfallprüfung ist.

(Beifall bei der FDP)

Was soll denn das mit der Bittstellerei? Herr Kollege Dr. Jürgens, es ist ungezogen, der Union und uns vorzuwerfen, wir würden die Behinderten in Hessen zu Bittstellern machen.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Herr Rudolph, auch wir lehnen den Gesetzentwurf ab. Sie merken es an meiner Emotionalisierung.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Damit komme ich zu dem wichtigsten Punkt: Wenn irgendjemand in diesem Raume meint, dass man mit den Aktionen,die Herr Dr.Jürgens hier aufgezählt hat und offensichtlich weiter betreiben will, den Behinderten in Hessen hilft, so sage ich aus meiner persönlichen Betroffenheit und Erfahrung, die ich auf diesem Gebiet seit 14 Jahren habe: Nein.

Wenn Behinderte meinen, sie müssten sich in die Selbstisolierung zurückziehen und für sich selbst irgendwelche rechtlichen Gärten anlegen, ohne dass diese notwendig sind, dann schaden sie den Behinderten in Hessen.

(Beifall des Abg. Florian Rentsch (FDP) – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das lasse ich mir von keinem Gutmenschen, keinem scheinbaren, hier ausreden. Ich sage Ihnen, das Wichtigste ist, dass diese Gesellschaft im täglichen Leben mit den behinderten Menschen in diesem Land gut, korrekt und anständig umgeht. Das aber schaffen sie nicht, indem sie irgendwelche Selbstinszenierungen oder Selbstisolierungen machen. Vielmehr müssen sie immer mit dem Willen des Offenseins, auch als Behinderte, auf die Gesellschaft eingehen. Als Vater eines behinderten Kindes weiß ich, wovon ich rede. Deshalb: Hören Sie bitte damit auf, so zu tun, als ob Sie etwas Gutes für die Behinderten wollten. Nein, Herr Dr. Jürgens, Sie wollen etwas Gutes tun für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Hessen – aber bitte nicht auf dem Rücken der Behinderten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Für die Landesregierung hat der Minister des Innern, Herr Bouffier, das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! In Hessen gilt, galt und wird auch in Zukunft gelten: Behinderte kommunale Stadtverordnete, Kreistagsabgeordnete und andere Kollegen müssen in den Stand versetzt werden, ihre kommunalpolitische Arbeit in gleicher Weise effektiv und ohne Nachteile durchführen zu können, wie das Nichtbehinderte tun. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Ich denke, das ganze Haus sieht das so.

Herr Kollege Dr. Jürgens, worauf reduziert sich dann der Gesetzentwurf? Der Herr Kollege von der SPD,

(Günter Rudolph (SPD): Hier bin ich! Immer anwesend!)

Herr Rudolph, ist darauf zurückgekommen und hat gesagt, wir wollen ein Symbol.

(Günter Rudolph (SPD): Ja!)

Darüber kann man diskutieren: Ist es klug, ist es unklug? – Ich versuche jetzt, die Emotionen ein wenig herauszunehmen.

(Günter Rudolph (SPD): Die haben wir nicht hineingebracht!)

Es ist eine gute Position, sich zu fragen: Ist es sinnvoll, ein Gesetz zu machen, wenn es nach unserer Überzeugung da schließe ich mich dem an, was der Kollege Haselbach und auch Herr Hahn hier vorgetragen haben – nach der Gemeindeordnung eigentlich geregelt ist? § 35a Abs. 1 Satz 1 der Hessischen Gemeindeordnung enthält die grundlegende Bestimmung, die sagt, wie alle Gemeindevertreter in der Ausübung ihres Amtes zu unterstützen sind.

Wenn das so ist, fragt sich doch nur: Gibt es Anlass für eine gesetzliche Initiative? Meine Damen und Herren, aus meiner Überzeugung gibt es diesen Anlass nicht.

(Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

Nachdem diese Debatte aufgekommen ist, habe ich zwei Dinge ausdrücklich getan.

Zum einen hat es bereits im vergangenen Jahr eine Dienstbesprechung aller Regierungspräsidenten gegeben, und die haben auch alle Kommunen angewiesen, in Zweifelsfällen so zu entscheiden, wie es das ganze Haus will.

Dann habe ich ein Zweites getan. Ich habe die Kommunalen Spitzenverbände wie die Kommunalaufsicht gebeten, mir zu berichten, ob es in Hessen einen Fall gibt, in dem die Dinge nicht angemessen geregelt sind.

Meine Damen und Herren, nicht eine einzige Meldung ist daraufhin eingegangen. Wenn es aber überhaupt kein Thema gibt, das wir an dieser Stelle gesetzlich zusätzlich regeln müssen, dann hat der Kollege Haselbach Recht, und es macht keinen Sinn. Der Kollege Hahn hat darauf hingewiesen, wir tun den Behinderten damit auch keinen guten Dienst. Denn wenn Sie das Thema zur Symbolpolitik instrumentalisieren, dann bleibt die Sache in aller Regel auf der Strecke. Ein Teil der Debatte hat das gezeigt.

Weil das so ist,ist die Landesregierung der Auffassung,die Regelung in der Hessischen Gemeindeordnung hat sich bewährt. Ich habe ausdrücklich angeboten – und wiederhole das vor dem Landtag –:Wenn es irgendwo in Hessen einen Fall,ein Thema gibt,dann werde ich mich persönlich darum kümmern, dass das ordnungsgemäß gelöst wird. Ich wiederhole das heute hier: Bis heute ist nicht eine einzige Meldung dazu eingegangen.

Zum Dritten und Letzten. Meine Damen und Herren, Ihr Gesetzentwurf hat meines Erachtens auch einen Punkt, den ich für handwerklich nicht richtig halte.Das haben die Kommunalen Spitzenverbände auch deutlich gemacht. Sie reduzieren das Ganze auf eine finanzielle Ausstattung. Das ist nicht immer sinnvoll. Außerdem geben Sie dann den Kommunen auch nicht die Möglichkeit, z. B. durch Sachleistungen oder durch entsprechende persönliche Hilfestellungen – bei den Blinden kennen wir die Lesehilfen – einem Behinderten zu helfen. Ich meine, das ist schon ein Punkt, der in der Sache verfehlt ist.

Aber um es zusammenzufassen und ganz ohne Tremolo: Ich bin der Auffassung, wir helfen den Behinderten am besten dadurch, dass wir überall dort, wo in der Praxis ein Problem auftreten sollte, sofort so reagieren, wie es offensichtlich das gesamte Haus will.

Das haben wir getan. Das ist erfolgreich gelöst. Andere Fälle stehen nicht an.Deshalb ist die Landesregierung der Auffassung, dass der Gesetzentwurf der GRÜNEN abzulehnen ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Vielen Dank. – Ich bin jetzt ein bisschen unschlüssig, jetzt müssen Sie mir helfen. Der Minister hat sechs Minuten gesprochen, Sie haben trotzdem fünf Minuten Redezeit. So war es.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Minister hat gesprochen!)

Danke sehr. – Herr Al-Wazir, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte nicht vor, mich zu diesem Tagesordnungspunkt zu melden.

(Volker Hoff (CDU): Setz dich doch wieder hin!)

Aber die Tatsache, dass ich das Missvergnügen hatte – ich drücke es einmal so aus –, den Redebeitrag des Kollegen Hahn im Büro sitzend am Lautsprecher mitzuverfolgen, hat mich hier noch einmal nach vorne getrieben.