Protokoll der Sitzung vom 17.12.2003

Jetzt wundert man sich: Gab es im Mai nicht so etwas wie eine Haushaltssperre? Gab es da nicht eine Bewirtschaftungsregelung, in der genau auf die damals schon absehbaren Steuerausfälle reagiert wurde? Gab es da nichts? Was ist eigentlich das Ergebnis davon – wenn sich der Finanzminister am Ende des Jahres hinstellt und sagt, die Steuerausfälle müssen wir komplett über die Nettoneuverschuldung finanzieren? Was war denn dann mit der Haushaltssperre? Was ist denn mit der Bewirtschaftungsregelung?

Es gibt eigentlich nur zwei Erklärungen. Entweder war der Finanzminister schon im Mai nicht mehr in der Lage, gegenüber seinen Ministerkollegen – vielleicht mit Ausnahme von Frau Lautenschläger – irgendetwas durchzusetzen; dann konnte die Haushaltssperre natürlich nichts bringen. Oder aber die andere Erklärung – und das ist die wahrscheinlichere – trifft zu, und die zeigt auch, dass Ihre „Berlin ist schuld!“-Rufe ins Leere gehen: Die Erlöse der Haushaltssperre und der Bewirtschaftungsregelung wurden völlig durch die schwarzen Löcher aufgefressen, die Sie von Anfang an im Haushalt 2003 eingebaut hatten.

Das ist die Wahrheit: Dieser Haushalt war im Ansatz unseriös, und deshalb konnte er auch nicht seriös abgeschlossen werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben am Ende des letzten Jahres einen Wahlkampfhaushalt vorgelegt. Seriös finanziert war er nicht. Stellen Sie sich jetzt nicht hin und verweisen nach Berlin. Stehen Sie zu Ihrer Verantwortung. Stehen Sie dazu, was Sie in Hessen angerichtet haben. Sagen Sie den Menschen, dass sie jetzt die Zeche für die Wahlgeschenke bezahlen müssen, die diese Regierung in den Haushalt 2003 hineingeschrieben und für die sie das Geld ausgegeben hat. Dafür müssen die Menschen jetzt die Zeche zahlen. Sagen Sie das den Menschen. Versuchen Sie nicht, abzulenken. Stehen Sie zu Ihrer Verantwortung. Das ist einzig und allein auf Ihre Politik zurückzuführen.Dafür kann Berlin nichts. Das ist die Verantwortung dieses Ministers. Das ist die Wahrheit. Die Menschen zahlen jetzt die Zeche für Ihre Wahlgeschenke vom Februar 2003. – Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Wagner. Es gibt noch Punktlandungen. Sie haben eine geschafft, auf die Sekunde, Glückwunsch.

(Frank Gotthardt (CDU): War nur eine zeitliche Punktlandung!)

Herr Kollege von Hunnius, Sie haben für die FDP-Fraktion das Wort.

(Zuruf vom dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Eben wurde gerufen: „Nachmachen!“ Ich hoffe, ich kann die Zeit noch unterbieten, denn in der dritten Lesung des Nachtragshaushalts kann man nicht mehr sehr viele überraschende Argumente bringen, zumal sich im Verlauf der Diskussion keine wesentlichen Änderungen ergeben haben. Lassen Sie mich drei Vorbemerkungen machen.

Die erste Vorbemerkung heißt: Bei allem, was man an der Finanzpolitik des Landes Hessen kritisieren kann – den Vergleich mit Hans Eichel hat Herr Weimar wirklich nicht verdient. Herr Kollege, so weit sollten wir nicht gehen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Die zweite Vorbemerkung ist: Vielleicht haben wir einen Fehler gemacht, als wir den Haushalt für das Jahr 2003 aufgestellt hatten. Wir stehen hinter dem Haushalt 2003, nicht hinter dem Nachtrag, sondern hinter dem Originalhaushalt. Der Fehler, den man uns vorwerfen kann, ist, dass wir an den Aufschwung geglaubt haben. Wir haben den Zusicherungen von Hans Eichel und Schröder vielleicht eine Spur zu lange Glauben geschenkt.

(Beifall der Abg. Dorothea Henzler (FDP))

Wenn uns das vonseiten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD vorgeworfen wird, ist das allerdings geradezu perfide. Sie selbst behaupten dauernd, Eichel sei ein toller Finanzminister. Er hat das mit dem letzten Rechenfehler in der vergangenen Nacht bewiesen.

(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Das ist wahr!)

Es ist wahr. – Wenn wir ihm geglaubt haben, sollen wir selber schuld sein. Das ist ein bisschen inkonsequent, was Sie machen.

(Beifall bei der FDP)

Mit der dritten Vorbemerkung will ich zu dem Steuergeschenk kommen, das wir jetzt verzeichnen können. Die 120 Millionen € – Herr Kollege Milde hat es erwähnt – dienen dazu, die Neuverschuldung zu verringern, die ursprünglich mit dem Nachtragshaushalt geplant war. Ich weiß nicht, ob man die Motivation so unterlegen kann, Herr Kollege Milde. Je nachdem, ob es sich um einen Fall von Erbschaft oder Schenkung handelte, ist die Motivation des Vermögensübergangs sehr unterschiedlich.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU):Das habe ich ja gesagt! Bei der Erbschaft gibt es keine Motivation!)

Ob es eine Schenkung war, weiß ich nicht.Vielleicht haben Sie weitere Einsichten.Wer schenkt, kann dafür mehrere Gründe haben. Ich würde daraus nicht ein Argument zugunsten der Landesregierung zimmern wollen.

Der Nachtragshaushalt 2003 ist ein Dokument des Zögerns, der Ratlosigkeit, aber auch der Tatsachenverdrängung. Daran führt kein Weg vorbei. Die Steuerschätzung im Mai führte zu der Haushaltssperre am 22.05. Diese Maßnahme war zu schwach und war nicht wirkungsvoll, wie wir im Nachhinein feststellen können. Sie hat netto gar nichts gebracht.

Das hätten wir alle wissen müssen,denn wir haben im vergangenen Jahr genau dieselbe Abfolge der Maßnahmen durchexerziert und haben selbst auch gedacht, dass Haushaltssperre und Haushaltsbewirtschaftung etwas brächten. Es lief darauf hinaus, dass sich ein Nachtragshaushalt diese Erkenntnis in diesem Jahr hätte zunutze machen können. Es war so, dass der Effekt gleich null gewesen ist. Sie hätten wissen müssen, dass der Effekt der Haushaltssperre gering ist und der Effekt einer Bewirtschaftungsregelung, die am 14.07. als abgeschwächte Maßnahme verabschiedet wurde, noch geringer sein würde.

Der Nachtragshaushalt wurde am 04.11. vorgelegt. Das war so spät, dass er auch bei besten Ansätzen für dieses Jahr nicht mehr hätte wirken können. Darüber sprechen wir zum Zeitpunkt des Kassenschlusses des Haushaltes für das gerade zu Ende gehende Jahr. Das ist im Grunde genommen nur das buchhalterische Nachvollziehen einer bereits abgeschlossenen Entwicklung.

Wenn wir nicht im Mai noch hätten Einfluss nehmen können, dann muss ich fragen:Wann denn dann? Wenn es im Mai schon nicht mehr möglich ist, irgendetwas zu tun, wann denn dann – während des Jahres? Hätte der Nachtragshaushalt rechtzeitig aufgestellt werden können, wäre er gemacht worden,dann hätten wir noch Instrumente gefunden, um die Ausgaben zu bremsen. Ich will deutlich dazu sagen, dass natürlich nicht der komplette Betrag der Steuermindereinnahmen hätte kompensiert werden können. Aber die Verschlechterung hätte man mit einem rechtzeitigen Nachtragshaushalt vermindern können. Das ist aus unserer Sicht keine Frage.

(Armin Klein (Wiesbaden) (CDU):Aber wie?)

Anlass waren die Steuerausfälle, die mit 500 Millionen € beziffert worden sind, die sich letztlich mit 669 Millionen € herausgestellt haben, wenn das abrechnungsmäßig hinkommt. Es ist seit gestern alles ein bisschen verändert worden. Ich gehe einmal von dieser Zahl aus, die dem Nachtragshaushalt zugrunde liegt.Anlass waren die Steuermindereinnahmen. Tatsächlich aber wurde der Nachtragshaushalt aufgestellt, nicht um eine zumindest teilweise Mindereinnahme auszugleichen, sondern um hausgemachte Fehler wettzumachen. Es sind bereits die Grundstücksveräußerungen genannt worden, die nicht erfolgt sind. Es ist die Anpassung der Personalkostenbudgets im Schul- und Sozialbereich genannt worden. Dieses ist etwas, was mit Steuermindereinnahmen nichts, aber rein gar nichts zu tun hat,

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Daran sind Sie mit schuld! Der Haushalt war noch von Ihnen mitgemacht! – Gegenruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das hat er eben gesagt, Herr Kollege!)

aber jetzt bei dieser Gelegenheit versucht wird auszubügeln.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege, ich habe dazu Stellung genommen. Das Ritual zwischen uns beiden – immer bei diesem Punkt – ist schon eingespielt.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist eine Sache, auf die man sich verlassen kann! – Gegenruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Auf das Ritual!)

Was in den Nachtragshaushalt eingestellt worden ist, sind nur zum geringen Teil wirklich entschlossene Maßnahmen, um die Ausgaben und Einnahmen ins Lot zu bringen. Wir haben eine Mischung von tatsächlich volontaristischem Handeln, also bewussten Maßnahmen der Landesregierung, um etwas zu korrigieren, mit ohnehin Geplantem und mit Fremdeinflüssen. Dies alles kann man nicht als Rezept zur Haushaltssanierung verkaufen.

Da sind einmal die globalen Minderausgaben von 130 Millionen €. Die waren im Haushalt, sind aufgeteilt, also umgesetzt worden. Das ist für mich keine Maßnahme, die man jetzt zusätzlich heranziehen kann. Dann haben wir die geringeren Zinslasten. Das ist schon erwähnt worden. Das ist Folge des guten Schuldenmanagements des Finanzministeriums – keine Frage –,aber auch und ganz wesentlich eine Folge der Entwicklung auf dem Kapitalmarkt. Wir haben die Situation der geringeren Versorgungsausgaben, und wir haben allerdings eine Position, von der man sagen kann, hier hat die Landesregierung entschlossen gehandelt. Sie hat den Hochbau um 10 Millionen € heruntergefahren. Das ist eine Entscheidung der Landesregierung.Aber gerade diese Entscheidung halten wir für grundverkehrt.

(Beifall bei der FDP)

Denn in der Situation, in der wir sind, die Investitionen noch zu drosseln, ist sicherlich nicht die richtige Maßnahme. Ich bleibe dabei: Netto wurde überhaupt nichts gespart. 669 Millionen € Steuermindereinnahmen, 705 Millionen € mehr Neuverschuldung nach dem vorliegenden Entwurf.Auch wenn es um 120 Millionen € heruntergeht, die zusätzliche Neuverschuldung nur noch 585 Millionen € beträgt, bleibt der Saldo dieses Haushaltes negativ.

Er stellt nicht mehr und nicht weniger dar als die Kapitulation finanzpolitischer Steuerung, denn im Grunde genommen geben Sie zu, wenn Steuereinnahmen geringer ausfallen, gelingt es uns nicht, dies auch nur im geringsten Umfang zu kompensieren. Das ist die bedauerliche Feststellung am Ende dieses Jahres. Die Gesamtausgaben ohne Länderfinanzausgleich und Flutopferhilfe sinken um 0,5 %, um 380,2 Millionen €. Das heißt, das gesamte Ausmaß des Gegensteuerns der Landesregierung beträgt weniger als 100 Millionen €.Bei einem Haushalt von über 20 Milliarden € ist das verdammt wenig.

Wenn wir einmal sehen,was im Einzelnen sinkt,dann stellen wir fest, dass die Personalausgaben um 1,5 % und die Investitionen um 6,0 % zurückgehen. Hier sehen wir wiederum die Fehlsteuerung dieses Haushaltes.Wenn wir schon sparen, dann auf der konsumtiven Seite und nicht auf der investiven Seite, denn damit würden wir Beschäf

tigung kürzen und mehr Arbeitslosigkeit schaffen,statt sie zu bekämpfen.

Diese Zahlen sind schlimm genug. Aus unserer Sicht ist aber noch schlimmer,dass die Neuverschuldung von 1,047 Milliarden € auf 1,632 Milliarden € im Jahr 2003 steigen wird. Das ist ein unakzeptabel hoher Wert. Er hätte so hoch nicht sein müssen, wenn rechtzeitig gegengesteuert worden wäre und wenn man sich nicht selbst die Augen verkleistert hätte.

(Beifall bei der FDP)

Das ist – damit fasse ich das Statement zusammen – ein schlechter Auftakt für die Konsolidierungsbemühungen des Haushaltes und der Landesfinanzen. Es bleibt beim Nein der FDP-Fraktion zu diesem Nachtragshaushalt.

(Beifall bei der FDP)

Herr Minister.

Herr Präsident,meine Damen und Herren! Nach den sehr schönen Geschichten, die hier vorgetragen worden sind

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es weihnachtet sehr!)

das ist auch so –, versuche ich, Ihnen ein paar Informationen zum Nachtragshaushalt zu geben bzw. zu der Entwicklung, die zeigt, wie anfällig wir sind. Die NovemberSteuerschätzung hat dazu geführt, dass wir 669 Millionen € weitere Steuerausfälle zu befürchten haben mussten. Diese Zahl kann jetzt zum Guten für das Land Hessen nicht mehr aufrechterhalten werden.

(Beifall des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Selbst in den letzten vier, drei, zwei Wochen, sogar in den letzten Tagen haben sich noch Veränderungen ergeben. Nach drei Jahren, in denen ich Ihnen immer nur berichten konnte, dass es noch schlechter geworden ist, als man schon meinte voraussehen zu müssen, geht dies jetzt, Gott sei Dank für Hessen, in die andere Richtung. Zwischenzeitlich haben wir bei den Einnahmen aus Erbschaftsteuer einen Stand erreicht, der um 120 Millionen € über dem liegt, was wir geschätzt hatten. Das bedeutet, dass wir die Nettoneuverschuldung für das Jahr 2004 um diese 120 Millionen €, die schon in der Kasse sind, senken können, sodass die Nettoneuverschuldung nicht mehr 1.751 Millionen €, sondern 1.631 Millionen € beträgt.

Es ist aber durchaus möglich, dass wir bis zum Jahresende noch auf bessere Zahlen kommen. Ich will Ihnen auch erläutern, warum ich meine, dass das eintreten könnte. Bereits im vorigen Jahr haben wir eine tägliche Auswertung der Steuereingänge vorgenommen und daraus extrapoliert, wo wir am Jahresende herauskommen könnten.