Protokoll der Sitzung vom 28.01.2004

(Jürgen Walter (SPD):Wir sind hier in Hessen!)

führt das dazu, dass die Menschen in der Bundesrepublik keine Zuversicht mehr haben. Das ist bei allen Umfragen sehr deutlich geworden. Sie verlieren insbesondere dann die Zuversicht, wenn sie sich die Leistungen und die Perspektiven der rot-grünen Bundesregierung anschauen.

(Jürgen Walter (SPD): Sie wissen, dass das Unsinn ist, was Sie erzählen!)

Ausgerechnet im „Spiegel“ wurde in diesen Tagen veröffentlicht, dass 91 % der Menschen mit der Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung unzufrieden sind und dass 87 % der Menschen sagen, sie seien mit der Wirtschaftspolitik der rot-grünen Bundesregierung in höchstem Maße unzufrieden. Ausgerechnet der „Spiegel“ führt die Phalanx der Kritiker an, die sagen: Liebes Deutschland, liebe rot-grüne Bundesregierung, ändert endlich euren Kurs.

(Beifall bei der CDU – Norbert Schmitt (SPD): Erzählen Sie mal über Hessen!)

Kommen wir zu dem, was Sie hier zu konstruieren versucht haben.

(Norbert Schmitt (SPD): Kommen wir endlich zum Thema!)

Sie behaupten, es gebe einen Zusammenhang zwischen dem, was wir im Ballungsraumgesetz formuliert haben, und dem, was Sie als besonderes Problem des RheinMain-Gebiets darzustellen versuchen.

(Jürgen Walter (SPD): Die Wirtschaftsverbände sehen das ähnlich, wie Sie wissen!)

Mir erschließt es sich bis heute nicht,weshalb es die Schaffung von Arbeitsplätzen verhindern soll, dass sich die Kommunen im Rhein-Main-Gebiet – diese Situation haben wir zurzeit noch – in einem Wettbewerb um die Ansiedlung neuer Unternehmen und damit um die Schaffung neuer Arbeitsplätze befinden. Mir erschließt sich nicht, wo das Problem liegen soll.

Herr Walter, in einem Punkt gebe ich Ihnen aber Recht: Natürlich braucht diese Region auf internationaler Ebene

eine gemeinsame Identität und einen gemeinsamen Auftritt. Daher wehren wir uns nicht dagegen – im Gegenteil –, dass diese Region gemeinsam auftritt und dass dort, wo es notwendig ist, eine gemeinsame Wirtschaftsförderung stattfindet.

Genau in dieser Frage sagen wir: Die Vorgabe des Staates nutzt nichts,wenn sich diejenigen,die es anlangt,unter unserer Vorgabe nicht wohl fühlen. Deswegen gehören die Kultur- und Freizeiteinrichtungen in Zweckbündnisse zusammengefasst. Diese Zweckbündnisse müssen aus der eigenen Motivation der Kommunen heraus entstehen. Deswegen setzen wir dort auf Freiwilligkeit.

(Zurufe von der SPD)

Herr Walter, damit das, was Sie hier vorgetragen haben, keine heuchlerische Veranstaltung bleibt, richte ich meinen herzlichen Appell nicht nur an die Kommunen, sondern vor allen Dingen auch an Sie als Vertreter einer Partei, die zurzeit noch eine ganze Reihe von direkt gewählten Landräten und Bürgermeistern stellt: Wirken Sie gemeinsam mit uns daran mit, dass der Erkenntnisprozess bei den Kommunen im Rhein-Main-Gebiet – aber auch anderenorts – wächst, dass an vielen Stellen das gemeinsame Streiten für alle von Vorteil ist. Darum bitte ich Sie. Damit könnten Sie nachweislich etwas für das RheinMain-Gebiet tun.

Meine Damen und Herren, wir sollten auch die Zahlen nicht verschweigen. Was ist wirtschaftspolitisch in diesem Bundesland in den letzten vier, fünf Jahren passiert?

(Manfred Schaub (SPD): Das fragen wir uns auch! – Heiterkeit bei der SPD)

Wir haben wieder angefangen, über Investitionen nicht nur zu reden, wie Sie es getan haben. Bei Ihnen, den Sozialdemokraten, ist es häufig so ausgegangen, dass Sie zwar über Investitionen geredet haben, dass aber Ihr früherer grüner Koalitionspartner die Debatte irgendwann beendet hat. Wir haben all das, was wir im Regierungsprogramm 1999 zugesagt haben, eingehalten, teilweise sogar überschritten.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir werden das, was wir im aktuellen Regierungsprogramm stehen haben, genauso einhalten. Ich erinnere an das Thema Landesstraßenbau. Die Mittel sind verdoppelt worden.Ich erinnere daran,dass wir trotz Ihrer vielen Unkenrufe den Wissenschafts-,Wirtschafts- und Forschungsstandort Hessen weiterentwickelt haben. Die vor kurzem beschlossenen Etats für Bildung und Wissenschaft sind die höchsten in der Geschichte Hessens.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie die Haushaltspläne lesen, ohne diese Zahlen ignorieren zu wollen, dann müssen Sie erkennen, dass das genau die richtige Politik ist: Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur einerseits, Investitionen in die Köpfe unserer jungen Menschen an den Schulen und Hochschulen andererseits.

Eine letzte Bemerkung zum Thema Flughafen. Herr Walter, Sie haben dieses Thema selbst aufgebracht, deshalb kann ich Ihnen das nicht ersparen.Welche Signale senden wir zurzeit aus? Mit „wir“ meine ich die öffentliche Debatte. Nehmen Sie das aktuelle Projekt, den Bau einer A-380-Werft auf dem Frankfurter Flughafen. Dieser Tage war das Zitat zu lesen: Das kann man auch in Dubai machen. – Dieses Zitat stammte von jemandem, der sich ge

gen den Werftausbau wendet. Er hat zwar Recht mit der Analyse, dass man das möglicherweise auch woanders machen kann – ob in Dubai, weiß ich nicht, aber zumindest in München.Meine Damen und Herren von der SPD, wenn wir aber gemeinsam diese Werft am Flughafen Frankfurt haben wollen – die GRÜNEN habe ich an der Stelle aus meiner Vorstellung ausgeklinkt, jemals ein konstruktives Gespräch darüber führen zu können –, dann erinnere ich Sie an Ihre Mitverantwortung auf kommunaler Ebene, insbesondere an die Verantwortung der SPD in der Stadt Frankfurt. Mir ist nicht bange, dass wir nicht nur den Flughafen ausbauen, sondern auf dem Flughafengelände auch eine Struktur schaffen, die diesen international wettbewerbsfähig macht.

Herr Kollege Walter, deshalb ist mein herzlicher Appell an dieser Stelle, dass Sie diese Haltung bei Ihren Parteifreunden, insbesondere in der Stadt Frankfurt, unterstützten; denn hier geht es nicht nur um die formale Frage der Planfeststellung, sondern auch um die Frage des Klimas und der Signale, die wir aussenden. Für eine Stadt, die für sich den Titel „Kleinste Metropole der Welt“ in Anspruch nimmt, ist es aus meiner Sicht, was das internationale Auftreten anbelangt, eher eine Katastrophe denn ein Zeichen für eine fortschrittliche Wirtschaftspolitik, an dieser Stelle ein so heterogenes Meinungsbild zu zeigen.

(Beifall bei der CDU)

Wir werden auch an einer anderen Stelle nicht lockerlassen. Wir werden nicht lockerlassen, die Mängel von Hartz I bis Hartz IV, insbesondere von Hartz IV, weiterhin zu thematisieren. Ihr sozialdemokratischer Parteifreund und Sozialdezernent Pipa hat in diesen Tagen gesagt, die Aufteilung der Zuständigkeit für die Betreuung von Sozialhilfeempfängern und Langzeitarbeitslosen auf die Bundesagentur und die Kommunen werde zu einem bürokratischen Chaos führen, das in den Kommunen auf Dauer nicht handelbar und vor allen Dingen nicht finanzierbar ist.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Auch hier geht mein Appell an alle, die in ihrer Partei vor Ort Verantwortung tragen, daraus bitte keine Tabu-Debatte zu machen, sondern sich der Auffassung Pipas anzuschließen und einen wichtigen Aspekt von Arbeitsmarktpolitik, nämlich die Betreuung problematischer Fälle aus einer Hand, voranzutreiben und am Ende eine EineHand-Politik aus einem Guss zu gestalten.

Deswegen werden wir weiter dafür streiten. Ich bin dem Ministerpräsidenten sehr dankbar, dass es ihm gelungen ist, die Zuständigkeitsoptionen offen zu halten, damit aus dem Zentralismus, den Sie an anderer Stelle deutlich erkennen lassen, nicht eine weitere Schieflage für diejenigen entsteht, die am Ende vor Ort die Suppe auslöffeln müssen.

(Beifall bei der CDU)

Ich sage meinen herzlichen Dank, auch für die Kompromissbereitschaft einzelner im Vermittlungsausschuss. Aber jetzt gilt es, die Möglichkeiten und Chancen, die sich daraus ergeben, umzusetzen.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat nun der Abg. Wagner für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Boddenberg, das wäre vielleicht eine für den Deutschen Bundestag angemessene Rede gewesen,aber wir sind hier im Hessischen Landtag und reden über hessische Politik. Sie haben mit Ihrer Rede wieder klargemacht, was das Problem der CDU-Fraktion und der Landesregierung mit der Wirtschaftspolitik in Hessen ist. Sie haben dazu nämlich schlicht wenig oder gar nichts gesagt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU)

Sie haben stattdessen die übliche Rede des Inhalts gehalten, Berlin sei schuld. Wir müssen in der Wirtschaftspolitik selbstverständlich schauen, was wir für unser Bundesland an bundespolitischen Rahmenbedingungen brauchen. Das bestreitet keiner. Wir müssen aber auch sagen, was wir in Hessen selbst für Rahmenbedingungen schaffen müssen. Was brauchen wir für Rahmenbedingungen für die Rhein-Main-Region, den wirtschaftlichen Motor Hessens? Herr Kollege Boddenberg, dazu haben Sie nichts gesagt. Das zeigt das Problem Ihrer Politik für das Rhein-Main-Gebiet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir haben es seit dem letzten Plenum sogar schriftlich.Ich zitiere:

Die Landesregierung sieht keine Veranlassung zur Änderung ihrer Politik für den Rhein-Main-Raum.

So steht es in der schriftlichen Antwort von Staatsminister Dr. Rhiel auf eine mündliche Frage im Dezember-Plenum. Herr Staatsminister Dr. Rhiel, ich finde das eine wirklich mutige Aussage. Die Arbeitslosigkeit im RheinMain-Gebiet steigt im Bundesvergleich überproportional stark. Im letzten Jahr haben viele Jugendliche im RheinMain-Gebiet keinen Ausbildungsplatz gefunden. In diesem Jahr sieht es nicht besser aus. Laut der schon vom Kollegen Walter zitierten Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände droht die Rhein-Main-Region in den nächsten Jahren von Platz drei auf Platz zehn abzurutschen. In dieser Situation erklärt der hessische Staatsminister Dr. Rhiel, die Landesregierung sehe keine Veranlassung zur Änderung ihrer Politik für den RheinMain-Raum.

Herr Staatsminister Dr. Rhiel, da scheint, wie so oft, einiges an Ihnen vorbeigegangen zu sein. Erinnern wir uns an die Bewerbung der Region um die Olympischen Spiele. Mit einem riesigen Kraftakt ist es gelungen, die Region in all ihrer Vielfalt darzustellen. Das Scheitern der Bewerbung hat gezeigt: Es liegt nicht an der mangelnden Attraktivität der Region, sondern es liegt an den mangelhaften organisatorischen Strukturen in dieser Region, dass diese Region nicht Spitze ist, dass die Region im internationalen Vergleich nicht mitspielen kann.

Erinnern wir uns an die Bewerbung um den Titel „Kulturhauptstadt Europas“. Schon im Ansatz wurde diese Bewerbung zwischen den Kirchturmegoismen zerrieben, weil wir keine handlungs- und leistungsfähig organisierte Struktur im Rhein-Main-Gebiet haben.

Oder denken Sie an die im vergangenen Jahr drohende Abwanderung der Buchmesse. Neben der kulturellen Bedeutung für die Region ist die Buchmesse auch ein ganz

entscheidender Wirtschaftsfaktor für das Rhein-MainGebiet. Es wurde uns doch ins Stammbuch geschrieben, warum die Buchmesse abwandern wollte: weil sie keine leistungsfähige Struktur vorgefunden hat, weil es kein vernetztes Angebot im Rhein-Main-Gebiet gab, weil wir mit Standorten wie München fast nicht mehr konkurrieren konnten. Deshalb gab es die Überlegung, dass die Buchmesse von Frankfurt weggeht. In dieser Situation erklärt der Minister für Wirtschaft und Landesentwicklung: „Die Landesregierung sieht keine Veranlassung zur Änderung ihrer Politik für den Rhein-Main-Raum.“

Herr Staatsminister Dr. Rhiel, ich frage Sie: Wozu sehen Sie sich denn überhaupt noch veranlasst? Was bedeutet für Sie Landesentwicklung – wenn nicht: dafür zu sorgen, dass sich das Land entwickelt? Was sehen Sie als Aufgabe des hessischen Wirtschaftsministers an – wenn nicht die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung der verschiedenen Regionen unseres Landes? Das müssen Sie gleich, wenn Sie hier ans Pult treten, beantworten: wozu Sie sich überhaupt veranlasst sehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Schließlich sind Sie nicht vor einem Jahr Minister geworden, um das Wirtschaftsministerium zu einem neuen Sitz des Fuldaer Priesterseminars zu machen, sondern Sie sind Minister geworden, um für unser Land etwas zu bewegen und um die Politik in unserem Land zu gestalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die Kritik an Ihrer Politik für Rhein-Main reicht ja längst bis weit in Ihre Reihen.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))