Protokoll der Sitzung vom 28.01.2004

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Die Wirtschaft sagt:Wir haben ein Problem in der Region Rhein-Main bezüglich unserer Organisation. – Andere Regionen auch in Deutschland, ich nenne die Stichwörter Hannover und Stuttgart, sind besser organisiert als wir hier in der Rhein-Main-Region. Ihre Antwort auf die Frage der regionalen Organisation in unserer Region Rhein-Main war das Ballungsraumgesetz. Der Inhalt dieses Gesetzes war der größte Fehlschlag dieser Regierung seit langer Zeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Ballungsraumgesetz ist räumlich zu eng gefasst. Ich habe Ihnen die Beispiele genannt: die Landkreise Wetterau und GroßGerau – beides Kreise, in denen ich mich gut auskenne –, die in der Mitte durchgeschnitten werden. Das versteht kein Mensch.

(Zuruf des Abg. Gerhard Bökel (SPD))

Die Landeshauptstadt Wiesbaden, die vom Gefühl her – ich bin schon ab und an in der Landeshauptstadt Wiesbaden – natürlich zur Region Rhein-Main gehört. In ihrem räumlichen Bereich gehört sie nicht zur Rhein-Main-Region.

Das zentrale Problem Ihres Ballungsraumgesetzes ist, dass die Kommunen geschwächt und nicht gestärkt werden. Das Gegeneinander in der Region wird gestärkt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was wir in der Region brauchen, ist eine regionale Identität, wenn wir in der wirtschaftlichen Konkurrenz mit anderen wirtschaftsstarken Regionen bestehen wollen. Herr

Minister Bouffier, Sie haben bei der Vorstellung des Ballungsraumgesetzes – wie ich finde,zu Recht – noch einmal auf das Moment der Freiwilligkeit hingewiesen. Sie haben gesagt: Wir setzen auf interkommunale Zusammenarbeit und das Moment der Freiwilligkeit. – Wo sind Sie denn hingekommen mit Ihrem Moment der Freiwilligkeit?

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Es gibt keine kommunalen Zusammenschlüsse, stattdessen offene Drohungen des Ministerpräsidenten, wenn das Ballungsraumgesetz verfassungsmäßig sein sollte, würden die Kommunen per Kabinettsbeschluss zur Mitfinanzierung von Einrichtungen überörtlichen Charakters gezwungen.

(Günter Rudolph (SPD): Unglaublich!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist das Verständnis dieser Regierung von kommunaler Selbstverwaltung.Die Regionalpolitik verkommt zum Abkassieren bei den Kommunen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen eine regionale Identität. Wir brauchen ein Gefühl in dieser Region, dass es nicht ausschlaggebend ist, ob eine Investitionsentscheidung meinetwegen in Offenbach oder in Frankfurt fällt. Wir brauchen eine regionale Identität, die besagt, es ist gut, dass sie hier bei uns in der Region fällt. Weiterhin brauchen wir professionelles Management für diese Region. Wir brauchen eine Wirtschaftsagentur in Trägerschaft dieser Region, die sowohl national als auch im europäischen und weltweiten Wettbewerb, gemeinsam für die Region wirbt, die ansiedlungswilligen Unternehmen als serviceorientierter Partner zur Seite steht und diese Region auch als Einheit präsentieren kann. Dazu ist allerdings eine umfassende und mutige Neuorganisation dieser Region erforderlich. Deshalb sagen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in diesem Hause: Diese Verwaltungsvielfalt schadet uns, sie nützt uns nichts.

(Zuruf des Abg. Dieter Posch (FDP))

Wir wollen einen Regionalkreis für die Region RheinMain. Wir wollen die Abschaffung der Landkreise in der Region Rhein-Main und die Zusammenführung mit dem Regierungspräsidium zu einer Organisation, nämlich dem Regionalkreis Rhein-Main. Dies nützt der Region; was Sie machen, schadet der Region.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, Reden bestätigen, dass wir ein Leitbild für die Region Rhein-Main brauchen. Der kommende Wirtschaftsaufschwung führt hoffentlich dazu, dass die Menge an Arbeitsplätzen im Finanzsektor wieder so sein wird wie beispielsweise 1999 oder 2000. Wenn man das aber weiß, dann ist es Aufgabe einer Landesregierung,ein Leitbild zu entwickeln, in welchen wirtschaftlichen Bereichen wir diese Region stärken wollen, und dann dieses Leitbild auch tatsächlich mit aktiver Wirtschaftspolitik zu erfüllen. Herr Wirtschaftsminister, ich stelle aber fest, es fehlt dieser Landesregierung schon an der Voraussetzung, für etwas zu werben. Diese Landesregierung ist nicht in der Lage und nicht willens, ein solches dringend notwendiges Leitbild für unsere Region zu entwickeln.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn es mit der hessischen Wirtschaft und mit dem hessischen Arbeitsmarkt immer

weiter abwärts geht. Das ist die Schuld dieser Landesregierung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, vielleicht noch ein Punkt ganz zum Schluss: Wenn man über die Wirtschaftspolitik in der Rhein-Main-Region spricht,darf man über einen Bereich natürlich nicht schweigen.

Wenn wir hier über Wirtschaftspolitik reden, muss ich Ihnen auch in dieser Debatte ganz offen sagen, Herr Wirtschaftsminister: Ein dilettantischeres Vorgehen in einem gefahrgeneigten Verfahren als das,zu dem es nach der Anhörung über die Gutachten im Wirtschaftsausschuss kam, ist bundesweit ohne Vorbild. In einem Verfahren, bei dem klar ist, dass sehr genau abgewogen werden muss, direkt nach Bekanntgabe der Gutachten zu sagen: „Ich muss hier nicht abwägen, sondern ich kann ein Ergebnis bereits vorher feststellen“, ist eine Vorgehensweise, die die Gegenanwälte, also die Anwälte derjenigen, die diesen Ausbau nicht wollen, heftigst unterstützt.

Ich sage Ihnen aber: Wenn Sie den Ausbau des Frankfurter Flughafens versemmeln, werden wir in fünf oder zehn Jahren ganz andere Diskussionen über die wirtschaftliche Stärke der Rhein-Main-Region zu führen haben.

Diese Landesregierung ist nicht in der Lage, unser Land Hessen wirtschaftspolitisch nach vorn zu bringen. Diese Landesregierung ist mit ihrer verfehlten Politik für die Zunahme der Arbeitslosigkeit verantwortlich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Koch regiert, Hessen verliert.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das war ein schwacher Windbeutel!)

Das Wort hat Herr Abg. Boddenberg für die Fraktion der CDU.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eines muss man den Sozialdemokraten lassen: Mut haben sie. Für die Vertreter einer Partei, die den Bundeskanzler stellt, der vor einigen Jahren versprochen hat, die Zahl der Arbeitslosen zu halbieren,gehören Mut und möglicherweise auch die Verkennung der Realität dazu, dieses Thema auf der Tagesordnung des Landtags zu platzieren.

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Petra Fuhr- mann (SPD))

Eines muss man denen, die sich nicht so sehr mit dem Thema befassen, noch einmal deutlich sagen: Das ist kein hessisches Problem, sondern eines der nationalen Ebene,

und damit liegt es in der Verantwortung der rot-grünen Bundesregierung. Herr Walter, Sie können die Statistiken noch so sehr manipulieren, es wird Ihnen nicht gelingen, irgendjemandem in dieser Republik zu erzählen, dass Hessen bei der Arbeitsmarkt- und vor allem bei der Wirtschaftspolitik einen Nachholbedarf hat.

Um das mit Zahlen klar zu belegen: Hessen ist weiterhin ganz vorn, was die Arbeitslosenquote betrifft. Aber, Herr Walter, wenn man so wie Sie rechnet und sagt – um es einfach und bildlich zu machen –: „Wenn man zwei hat und zwei dazuzählt, sind das 100 % Zuwachs“, kommt man möglicherweise zu einer derart schrägen Argumentation, wie Sie sie vorgetragen haben.

(Beifall bei der CDU)

Wir Hessen sind und bleiben der Wachstumsmotor für die Bundesrepublik. Ich werde nachher an einigen Beispielen aufzeigen, dass sich daran nicht nur nichts ändern wird, sondern dass Hessen sogar dabei ist, auf weiteren Gebieten vordere Plätze einzunehmen.

Wenn wir schon über Arbeitsmarktpolitik reden – Herr Walter, leider ist nach Ihrer Rede nichts anderes zu erkennen –, müssen wir offensichtlich auch immer wieder über die wahren Ursachen der Gesamtproblematik der Arbeitslosigkeit in unserem Lande reden.

Die zentrale Ursache ist die Tatsache – Herr Walter, das wissen Sie genauso gut wie wir alle –, dass wir in der Bundesrepublik seit drei Jahren 0 % Wachstum schreiben, und das bei einer Arbeitsmarktgesetzgebung, die allen Volkswirten und auch allen Fachleuten in der Politik deutlich macht: Bei uns gibt es neue Arbeitsplätze erst ab 2, 2,5 oder 3 % Wirtschaftswachstum.

(Beifall bei der CDU)

Davon können wir Hessen uns nicht ausnehmen. Die Arbeitsmarktgesetzgebung wird durch die Bundesregierung geregelt.

Insofern reden wir zunächst einmal über das wirtschaftliche Wachstum in diesem Lande.Wir müssen uns folgende Fragen stellen: Warum stagnieren wir seit drei Jahren? Wie sieht es denn bei unseren Nachbarn aus? Dass wir in dieser Hinsicht das Schlusslicht in der Europäischen Union sind, brauchen wir nicht jede Woche zu wiederholen. Aber ich möchte doch daran erinnern, dass dies der Fall ist und dass es unter rot-grüner Verantwortung in Berlin so weit gekommen ist.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Dass es an anderen Stellen, zumindest zu Beginn der ersten Legislaturperiode von Rot-Grün im Jahr 1998, auch nicht den Hauch eines Versuchs gegeben hat, daran etwas zu ändern, machen einige Beispiele deutlich. Für mich ist es nach wie vor der – ich will nicht sagen: Skandal – GAU hinsichtlich der wirtschaftlichen Prosperität und der Signalgebung der bundesrepublikanischen Wirtschaftspolitik, dass der Bundeskanzler vor gut einem Jahr nach China reisen musste, um dort ein Vorzeigeprojekt der deutschen Forschungs-,Wirtschafts- und Technologiepolitik, nämlich den Transrapid, auf die Schiene zu setzen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn wir in Deutschland nicht mehr den Mut haben, die Technologien, die wir selbst entwickelt haben, auch einzusetzen, um daraus dann Umsätze in der Außenwirtschaft zu generieren, dürfen wir uns über die aktuellen Zahlen nicht wundern.

Kommen wir zu dem zweiten zentralen Thema, zu der Arbeitsmarktregulierung. Auch da wird die hessische CDU, allen voran Ministerpräsident Koch, kein Jota nachgeben. Wenn die Schweizer sagen, bei ihnen gebe es zusätzliche Arbeitsplätze schon bei einem noch so geringen Wachstum, und wir, wie eben erwähnt, erst ab 2,5 % Wachstum damit rechnen können, dass die Unternehmen wieder für Beschäftigung sorgen, müssen wir an dieser zentralen Frage deutlich machen, dass wir mit unserem Arbeitsrecht auf internationalem Parkett nicht wettbewerbsfähig sind.

Deswegen werden wir weiter darüber reden, dass es das oberste Prinzip der Arbeitsmarktpolitik sein muss, dass Arbeitsverträge geschlossen werden. Es darf nicht sein, dass Arbeitsverträge nur deshalb nicht geschlossen werden, weil es noch immer die Doktrin der rot-grünen Politik ist, Änderungen beim Kündigungsschutz oder bei den betrieblichen Vereinbarungen zu verhindern.Mit anderen Worten: Wir werden den Arbeitsmarkt flexibler gestalten müssen, um endlich wieder auf den Wachstumspfad und insbesondere zu mehr Beschäftigung zu kommen. Wenn dann hinzukommt – Stichwort: Ökosteuer, Lohnnebenkosten –, dass den Menschen immer mehr Belastungen zugemutet werden,

(Jürgen Walter (SPD):Wir sind hier in Hessen!)