Protokoll der Sitzung vom 28.01.2004

(Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren, aber schlimmer ist ihr Grundmissverständnis, wirtschaftliche Entwicklung sei wesentlich oder zentral abhängig von dem, was in der öffentlichen Verwaltung passiert. Das ist ein typisch sozialdemokratischer Denkansatz,

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Sozialistischer! – Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

der natürlich nicht stimmt. Richtig ist, dass verzögerte Verfahren und umständliche Verwaltungswege durchaus hemmen, dass sie nicht ermuntern. Aber genau da haben wir vor drei Jahren angesetzt. Ich identifiziere mich heute noch mit diesem Ansatz im Ballungsraumgesetz.

(Rüdiger Hermanns (CDU): Schön!)

Wir haben nach den Erfahrungen der Siebzigerjahre gesagt: Gebietsreform am Reißbrett kann nicht funktionieren, weil die Motivation vor Ort nicht da ist, wenn grundlegende Strukturen von oben übergestülpt werden. – Der Ansatzpunkt war, hier sollen sich Strukturen entwickeltn.

Wir alle wissen, dass wir im Ergebnis im Rhein-Main-Gebiet, aber auch ansonsten in der hessischen Region einen anderen Zustand brauchen. Der Unterschied zu Ihnen ist, dass mit dem Ballungsraumgesetz die Aufforderung formuliert ist, Zusammenarbeit dort, wo die einzelne Kommune, wo der einzelne Landkreis mit der Aufgabenbewältigung überfordert ist, bzw. da, wo man ein einheitliches Auftreten der Region im Ganzen braucht.

Man hat zum Ballungsraumgesetz als zweiten Punkt sozusagen eine Strafbewährung gemacht: Wenn das aus eigenem Antrieb und aus eigener Erkenntnis nicht funktioniert, dann wird der Landesgesetzgeber prüfen,

(Jürgen Walter (SPD): Das Kabinett!)

ob er einiges gesetzlich vorgibt. Richtig. Ich bin sicher, dass wir diese Überprüfung bald ernsthaft angehen müssen, dass wir den Istzustand im Hinblick auf die Entwicklung der letzten drei Jahre auf die Fragen überprüfen müssen: Was hat sich getan? Wo hängt es? Wo muss möglicherweise mit Druck eine Entwicklung eingeleitet werden? – Nur haben uns die Gemeinden und die Gebietskörperschaften, die zum Teil diese Chancen nicht wahrnehmen wollten und dieses Gesetz beklagt haben, dazu genötigt, auf das Urteil des Staatsgerichtshofs zu warten.

Dieses Urteil des Staatsgerichtshofs kann möglicherweise Hinweise geben. Es kann möglicherweise sogar in seiner Auslegung gewisse Rahmen aus der Verfassung heraus definieren, die wir bei einer Gebietsänderung oder bei einem stärkeren Zusammenführen der einzelnen Aufgaben zu beachten haben.Deshalb gebietet es nicht nur die Achtung vor dem höchsten hessischen Gericht, sondern auch die politische Vernunft, diese Vorgaben dann in die Diskussion einzubeziehen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, da das keine zehn Jahre mehr dauert, gibt es überhaupt keinen Grund, jetzt eine Drucksituation zu schaffen. Ich muss Ihnen sagen, es wäre mir lieber gewesen, wenn die vielen Verantwortlichen in diesem polyzentralen Gebilde Region Rhein-Main vielleicht vorher schon einmal ihre Verantwortung für die gesamte regionale Entwicklung und nicht nur für ihre eigene Kirchturmpolitik gespürt hätten.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, so eine Debatte ist auch immer wieder ganz lustig. Wir haben wieder das übliche Schema. Der Kollege Walter versucht, an diesem Thema das Versagen der Wirtschaftspolitik der Landesregierung deutlich zu machen. Herr Walter, ich muss einen Einwand bringen. So viel schafft der Herr Rhiel nicht, dass er in knapp einem Jahr schon alles zugrunde hätte richten können, was sich vier Jahre zuvor sehr gut entwickelt hatte.

(Beifall bei der FDP)

Michael Boddenberg, auch dir muss ich eines sagen.

(Michael Boddenberg (CDU): Jetzt kommt es!)

Du hast gesagt, die CDU-Regierung habe alles eingehalten, was sie hier versprochen hat. – Die CDU/FDP-Regierung hat es in der Tat.Wir haben Bilanz gezogen. Das haben wir sogar gemeinsam ins Internet gestellt. Wenn ich einmal die Punkte nehme und die heutige Politik der CDU dagegenhalte – das provoziert geradezu, weil du sie vorgetragen hast – Straßenbau ist gekürzt worden, der Wirtschafts- und Forschungsstandort Hessen ist zumindest, was die Voraussetzungen für eine bessere Organisa

tion angeht, noch nicht erkennbar und von den Mitteln her gekürzt worden.

(Michael Boddenberg (CDU): Guck dir doch einmal den Haushalt an!)

Die staatliche Förderung sollte weiter zusammengeführt werden. Wir haben morgen das Thema noch auf der Tagesordnung. Bisher gibt es dazu noch keine Aussage der Regierung. Im Gegenteil,Verwerfungen, die jetzt in Institutionen stattfinden, die wir gemeinsam gestärkt haben, deuten darauf hin, dass ein Verunsicherungsprozess Platz gegriffen hat, weil offensichtlich kein Konzept vorhanden ist.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, natürlich ist das Wohl und Wehe der hessischen Wirtschaft und der Wirtschaft im Rhein-Main-Ballungsgebiet Gott sei Dank genauso wenig allein von dem abhängig,was Wirtschaftspolitik ist,die im Lande im Wesentlichen Strukturpolitik ist und nichts anderes sein kann. Sie hängt auch nicht von dem Gebietszuschnitt allein ab.Aber es ist richtig, es sind Faktoren, die Prosperität steigern können oder umgekehrt ein Wachstum auch nicht gerade beschleunigen, wenn sie schlecht sind. Keiner von Ihnen hat einmal analysiert, warum wir im Moment die schlechten Ergebnisse im Rhein-MainGebiet haben.

Meine Damen und Herren, das liegt fast schon auf der Hand. 78 % Dienstleistungsanteil in der Wirtschaftsstruktur im Rhein-Main-Gebiet, die Auswirkungen der konjunkturellen Entwicklung auf Dienstleistungsbetriebe, der problematische Zustand der Banken und die notwendigerweise erfolgten Einschnitte – all das zeigt klar: Wo wir die höchsten Wachstumspotenziale hatten, weil wir im Dienstleistungsbereich viel weiter und schneller gewachsen sind als der Bundesdurchschnitt und andere Zentren, haben wir jetzt im Verfolg und im Nachlauf des konjunkturellen Niedergangs die besonderen Schwierigkeiten. Insofern vermag ich das weder dem Wirtschaftsminister noch dieser Landesregierung anzukreiden, sondern ich muss sagen:Die Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln müssen verbessert werden.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Armin Klein (Wiesbaden) (CDU))

Diese Rahmenbedingungen werden nun einmal in Berlin gemacht. Es sind schon angesprochen worden: die Arbeitsmarktpolitik, die Rahmenbedingungen für Arbeitsverträge, die Rahmenbedingungen für die soziale Absicherung, die Steuergesetzgebung und all das. Das ist doch alles eine Echternacher Springprozession gewesen, was wir in den letzten fünf Jahren erlebt haben – allerdings umgekehrt, ein Schritt vor und zwei Schritte zurück. Jetzt sind wir wieder auf einem halben Schritt vor. Das ist es.

Meine Damen und Herren, wir kommen nicht weiter, wenn wir uns gegenseitig Vorwürfe machen. Man muss sauber analysieren. Daran mangelt es dem Antrag der SPD genauso wie dem in Ansatzpunkten durchaus diskutablen Vorschlag der GRÜNEN zur Gebietsreform oder zur Landkreisreform in Hessen.Weil Sie von einem völlig falschen Grundverständnis ausgehen, weil Sie von der falschen Analyse ausgehen, ist auch Ihre Schlussfolgerung falsch. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat Herr Staatsminister Dr. Rhiel.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, es gibt keinen Zweifel mehr. Die Arbeitsmarktzahlen für das Jahr 2003, speziell für das RheinMain-Gebiet, machen deutlich, die negative Wirtschaftsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland hinterlässt auch hier ihre Spuren. Es wird offenbar, dass sich die Wirtschaft eines Bundeslandes oder einer Region wie Rhein-Main mit ihrer hochgradigen nationalen und internationalen Verflechtung nicht auf Dauer vom allgemeinen Bundestrend abkoppeln oder sich diesem letztendlich widersetzen kann.

Dieser Bundestrend ist durch die verschleppten Strukturreformen seit geraumer Zeit auf Stagnation ausgerichtet. Belastende Faktoren – das wurde bereits angesprochen – sind die hohen Abgaben und die Steuerlast für die Unternehmen und die Bürger, das zu komplizierte Steuerrecht und insbesondere die unflexiblen Arbeitsmarktbedingungen, die ich im Einzelnen nicht ausführen muss. Diese stagnative Grundtendenz, die im Bund seit der Regierung Schröder/Fischer zu beobachten ist,

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

hat ab dem zweiten Halbjahr 2002 auf die bis dahin der Stagnation trotzenden Südländer Bayern, Baden-Württemberg, aber auch auf Hamburg und Hessen übergegriffen. Gleichwohl liegen die Wachstumsraten in Hessen weiterhin über dem Durchschnitt des Bundes,

(Norbert Schmitt (SPD): Es wäre schlimm, wenn es nicht so wäre!)

im abgelaufenen Jahr 2003 voraussichtlich immerhin 0,2 Prozentpunkte. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das zeigt, dass es im Rahmen einer schlechten Konjunktur und eines schlechten wirtschaftspolitischen Rahmens dennoch möglich ist, durch eine gute Landeswirtschafts- und -strukturpolitik die Wirkungen, die von außen kommen, zu minimieren und eine gewisse Sonderkonjunktur auf Länderebene zu generieren.

Dieses Datum des Wachstums und wichtige andere ökonomische Indikatoren, wie z. B. der Bestand der ausländischen Direktinvestitionen von über 60 Milliarden c – das Land Hessen nimmt bundesweit einen Spitzenplatz ein – sowie die Tatsache der höchsten Produktivität unter allen Flächenländern: All das unterstreicht nachdrücklich die Stärken des Standortes Hessen und insbesondere die Stärken des Standortes Rhein-Main im nationalen, aber auch im internationalen Vergleich.

Meine Damen und Herren, dies gilt vor allem dann, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die hessische Wirtschaft mit einer Reihe von Sonderbelastungen zu kämpfen hatte, wie z. B. die starke Betroffenheit des Luftverkehrs. Ich nenne den 11. September 2001, den Irakkrieg und die Lungenkrankheit SARS sowie die mit der Börsenkrise einhergehenden Ertragseinbrüche mit nachfolgenden Rationalisierungsprozessen in den Finanzunternehmen,

(Norbert Schmitt (SPD):Ausreden!)

das Ende der New Economy und das relativ hohe Gewicht der von der allgemeinen Konjunkturabschwächung

besonders betroffenen Sektoren der Werbewirtschaft und des Großhandels.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Was machen Sie dagegen?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, all diese Faktoren haben eine besonders starke Bedeutung im RheinMain-Gebiet. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die Arbeitslosigkeit im Jahr 2003 im Rhein-Main-Gebiet prozentual stärker als in anderen Regionen Hessens zugenommen hat. Dennoch haben wir im Bundesvergleich die nach wie vor viertniedrigste Arbeitslosenquote, die nach wie vor 2,5 Prozentpunkte besser liegt als der Bundesdurchschnitt und damit auch deutlich besser als der Durchschnitt der westdeutschen Länder.

Meine Damen und Herren, es ist richtig, dass die Arbeitslosigkeit in Hessen im Jahr 2003 gegenüber dem Vorjahr deutlich zugenommen hat. Die Gründe dafür habe ich erwähnt. Bei der Zunahme sind wir aber keineswegs das Schlusslicht unter den Ländern. Denn unsere südlichen Nachbarn – das ist wichtig – Bayern und Baden-Württemberg haben mit 15,7 bzw. 14,2 % Zuwachs eine noch höhere Rate als Hessen mit 13,3 %. Meine sehr verehrten Damen und Herren,das macht deutlich,was ich zu Beginn sagte, dass nämlich die eben genannten drei Länder, die lange den wirtschaftlichen Fehlentwicklungen Widerstand geleistet haben – dies konnten sie aufgrund einer robusten Wirtschaftsstruktur –, am Ende auch nicht mehr ungeschoren davonkommen.

Herr Walter, wenn Sie schon Zahlen ansprechen, dann werfe ich noch einen Blick auf die wichtigste Zielgröße, die Arbeitsplätze. Seit dem Frühjahr 1999, also seit der Regierungsübernahme durch CDU und FDP, hat in Hessen die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze um immerhin 2,5 % zugenommen. Das ist nach Bayern bundesweit der zweitbeste Wert. Deutschland hat in diesem Zeitraum insgesamt 0,6 % an Arbeitsplätzen verloren.Auch für das Jahr 2004 – Herr Walter, man sollte hinzufügen, dass es einem Politiker nicht gut ansteht, dieses Land schlechtzureden, denn die Fakten sprechen eine andere Sprache – sieht die Gemeinschaftsprognose vom Statistischen Landesamt und der FEH für Hessen eine Wachstumsrate vor, die immerhin weit über 1 % liegt und die damit an der oberen Grenze der Wachstumsraten für das gesamte Bundesgebiet prognostiziert wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das heißt, dass die Perspektiven des Rhein-Main-Gebietes nach allen Prognosen, die wir vorliegen haben, hervorragend sind. Die Rhein-Main-Region wird weiterhin in der Champions League der europäischen Metropolregionen an vorderer Stelle mitspielen. Wichtig ist, dass wir insbesondere im Finanzdienstleistungsbereich als internationales Kompetenzzentrum unsere Position gehalten, ja sogar ausgebaut haben. Dazu kommen die Verkehrsdrehscheibe, das Kompetenzzentrum für Technologie von internationalem Rang mit einer hervorragend funktionierenden Vernetzung von Forschungs- und Produktionsaktivitäten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir in diesen Tagen mit Sorge Fusionsüberlegungen betrachten und der Ministerpräsident an vorderster Stelle dafür kämpft, dass Aventis seinen Sitz in Deutschland behält,

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

dann sollten wir, Frau Wagner, in diesem Zusammenhang – das sage ich insbesondere den Vertretern von SPD und GRÜNEN – an die Bundespolitik denken, wie speziell in

diesem Bereich die Rahmenbedingungen für die forschende Arzneimittelindustrie in Deutschland verschlechtert werden.

(Beifall des Abg. Klaus Dietz (CDU) – Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))